Karl Leisner und die Burg Vogelsang in der Eifel

2014_02_25_Vogelsang

 

Eine Tagebuchnotiz von Karl Leisner zur Burg Vogelsang zeigt seine Stellung zum Nationalsozialismus.

 

 

13. November 1937:
Am Samstag sollte ein Studiertag sein – und es wurde ein Tag der Ausspra­che. Abends mit Wilm W. [Wissing] – das war ganz herrlich, sehr ernst. Was ist der reif. Er erzählte zwei Dinge, die mich erschütterten: 1. Daß Clemens Witte in der RJF sei – ? Mit allen Kon­sequenzen![1] 2. Daß der weltanschau­lich wohl erste Mann mit, der Burg­vogt von [der Ordensburg] „Vogel­sang“ sei katholisch gestorben und beerdigt. Erschütternd, wenn das wahr ist. – Es scheint aber doch an dem zu sein! – Letzte Bereitschaft, auch zum Zeugnis der Kulturlosigkeit, zu der man uns ja verdonnern will – nach Spra­che der Maßnahmen und Tatsachen, ja des Blutopfers – dafür entscheiden wir uns. Herrlich! Nie eine solche christliche Zeit des letzten Ernstes wie heute! Kämpfer braucht der Herr, Beter, Opferer, Heilige, Priester nach Seinem Herzen!

[1] Es ist nicht klar, ob mit RJF die Reichsjugendführung der NSDAP oder die Reichs­stelle zur Förderung der ge­samten Jugend­seelsorge, die im Dezember 1937 eingerichtet wurde, gemeint ist.

Franz-Albert Heinen vom Arbeitskreis Vogelsang am 10. März 2003 an Hans-Karl Seeger:
Ich habe im Jahr 2002 ein Buch zur Geschichte der ehemaligen NS-Ordens­burg Vogelsang veröffentlicht. [Heinen, Franz-Albert: Vogelsang. Von der NS-Ordensburg zum Truppenübungsplatz. Eine Dokumentation, Aachen 2002] In meiner Recher­che ist mir allerdings die Be­zeichnung „Burgvogt“ im Jahr 1937 im Zusam­menhang mit der NS-Or­dens­burg nicht begegnet. Daher vermute ich, daß es sich um ein anderes Vo­gel­sang handeln dürfte. In der Wortkom­bination mit „Burg“ habe ich ledig­lich „Burgwachtmeister“ und „Burgkom­man­dant“ ge­funden.
Die Ordensburg Vogelsang wurde von folgenden Kommandanten befehligt: Kreisleiter Franz Binz von 1934 bis 1936, Reichshauptamtsleiter Richard Manderbach von 1936 bis 1939, Hans Dietel von 1939 bis 1941.
Reichshauptamtsleiter Richard Manderbach, geboren am 21.5.1889 in Wissen­­­­­bach, war Dekorationsmaler und Innenarchitekt in Siegen/Westf. Die Funk­tion des Burgkommandanten behielt er bis zum 10.6.1939, als er seines Amtes ent­hoben wurde. Angeblich war eines der Manderbach-Kinder ohne sein Wissen getauft worden, und angeblich wollte er auf Drängen seiner Braut kirchlich heiraten, was jedoch abgelehnt worden sei. Kommissarischer neuer Burgkommandant wurde Hans Dietel.

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Die von 1934 bis 1936 erbaute Ordensburg Vogelsang ist keine Burg im herkömmlichen Sinn. Die Anlagen der Ordensburg mit dem weithin sichtbaren 50 m hohen Turm wurden als eine der wenigen Erziehungsstätten für den nationalsozialistischen Nachwuchs genutzt. Aufga­ben der insgesamt drei Ordensburgen im nationalsozia­listischen Deutschland waren die wissenschaftliche Un­ter­mauerung der damaligen Weltanschauung und die Er­ziehung zu einem „echt deutschen Charakter“. Ca. 400–800 Schüler sollen bis 1939 auf Burg Vogelsang ihre Ausbildung erhalten haben. Sie wur­den zu Beginn des 2. Weltkrieges in die Ordensburg Sonthofen verlegt. Danach benutzten Luftwaffeneinheiten den Flug­ha­fen, 1940 war Vogelsang Aufmarschgebiet der deutschen Wehrmacht für die Offensive im Westen. Bis 1944 wurde Vogelsang dann als Adolf-Hit­ler-Schule genutzt. Ende 1944 er­folgte dort die Aufstellung deutscher Truppen, 1945 wurde Burg Vogelsang vor­übergehend als Feldlazarett genutzt, danach im Juli 1945 kampflos von den alliierten Truppen einge­nommen und besetzt. Am 1. April 1950 wurde Burg Vogelsang vom bel­gischen Militär übernommen und wurde bis Ende 2005 als Truppenübungsgelände genutzt. Heute ist die Burg Vogelsang ein Teil des Nationalparks Eifel. Weite Teile sind für Be­sucher zugäng­lich; in der Burg befinden sich eine Ausstellung zu ihrer Geschichte und ein touristischer Infostand (URL http://www.kreis-euskirchen.de/tourismus/ausflugsziele/ burgen.php – 11.2.2013).

Im „Reiseblatt“ der F.A.Z. vom 23. Januar 2014 schrieb Michael Bengel unter der Überschrift „Eine fröhliche Melodie gepfiffen, verschiedene Texte gedacht – Die Ordensburg Vogelsang in der Eifel und Colonel Bogeys Marsch“[1] unter anderem:
Jahrzehnte später waren wir in Vogelsang, Hitlers „Ordensburg“ im Herzen der Eifel, und trafen wieder auf den „Colonel Bogey March“. Fast abseits. ganz am Rande. Die Nazis hatten Vogelsang gebaut, auch als Wirtschaftshilfe für die arme Eifel. Und die Alliierten hatten Vogelsang erobert, um es in die Luft zu jagen, doch dann kühlte sich ihr Mütchen mit den Jahren wie von selbst. Sie überließen den pompösen Bau den belgischen Besatzern als Kaserne. Die schließlich übergaben Vogelsang den Deutschen. Und hätten die es endlich nun dem Boden gleichgemacht: Es wäre Arbeit genug in der Eifel gewesen auf Jahre.
Doch das Nazischeusal war ein zweites Mal zu Höherem berufen: Vom Kainsmal sollte es zum Denkmal werden. Mit einer Bruttogeschossfläche von mehr als fünfzigtausend Quadratmetern liegt es, seit 1989 denkmalgeschützt, auf dem Berg: als Mahnmal seiner selbst, als sogenannter „Lemort“, gerne auch als Möglichkeit für Investoren, ein Kleinod der Natur hoch über dem Urftsee, überrollt und erstickt von erbrochenem Bruchstein, von vorn bis hinten eine Gänsefüßchen-Attraktion: mit „Adlerhof“ und „Kameradschaftshäusern“ mit „Kultraum“, „Thingplatz“ und „Appellplatz“, erbaut für „Junker“, die sich an gegerbter Kuhhaut, Stahl und dünnen Rassehunden messen lassen sollten, nun dem zerstreuten Blick von Hinz und Kunz anheimgestellt, die im besten Fall zum Gruseln hierher kommen: Ja. so warn’s, die oid’n Nazileut’!
Um die Stätte vor ihrer friedlichen Wiederbelebung optimistisch zu bespielen, wurde eine Agentur gegründet, die sich den Namen „vogelsang ip“ zulegte, wobei die Lettern i und p der freien Assoziation verpflichtet waren. Jeder sollte sich dabei denken können, was er wollte. Pillepalle aus der Kreativabteilung. Dann kamen erste Bedenken, dass jemand „Vogelsang ist putzig“ denken könnte. Dem Finanzminister mochte Vogelsang im fernen Düsseldorf im Traum erscheinen: „Vogelsang ist pleite!“ Nicht auszudenken, wenn sich so die ganze Wahrheit über Vogelsang herumgesprochen hätte: „Vogelsang ist peinlich!“
„Führer“ sind zum Beispiel in der „Ordensburg“ verpönt. Zwar gibt es „Führungen“, doch deren Führer heißen „Referenten“. Und zur Sicherheit sind ihre Treffpunkte in antifaschistischem Gelb lackiert. Mittlerweile haben arglose Demokraten den Nazi-Bilderschmuck der Schwimmhalle nach Kräften restauriert, die Mosaik-Athleten dehnen ihre nackten Körper wieder so wie 1939, und die Mitglieder des neu gegründeten Schwimm- und Sportvereins e. V. baden auch zum Zwecke der Vergangenheitsbewältigung.
Wir gingen wie noch jedes Mal auf dem entvölkerten Plateau herum, ratlos, ziellos, studierten mal die Nummernschilder der Besucher, mal deren Springerstiefel und aßen eine Bockwurst. Noch immer gibt es Bürokraten oder Regionalpolitiker, die darauf setzen, dass eine Hotelkette daherkommt und Vogelsang erweckt. So wie der Prinz das Dornröschen. Sie werden lange warten müssen. Nicht einmal die Russenmafia wird hier ihr Geld vergraben. Denn keine Dialektik kann die Nazi-Scheußlichkeit in einen AII-Inclusive-Eifel-Resort überführen, und kein multinationaler Geldgeber wird sich in schieferbraune „Kameradschaftshäuser“ stecken lassen. Die Neonazis lässt man sowieso nicht rein. Die trübselige Evidenz der ganzen Nazi-Zitadelle auf dem Berg schlägt jede gute Absicht tot. Hätte man sich doch begnügt mit einer bloß symbolischen Erinnerung. Vielleicht den Riesen­-Adler ohne Schnabel. Am liebsten aber nur den Fackelträger, eine Figur aus Muschelkalk rechts auf dem alten „Sonnwendplatz“:

Fast wie ein Grieche steht er da, nackt, mit Fackel und mit Mäntelchen im Wind. Die ganze Pose eine Lüge, denn der Sturmwind bläht den Umhang, aber lässt die Flamme ungerührt. Die meint ja auch das „Licht des Geistes“, das er weitergeben soll.
Er ist von Kugeln mehrfach dort getroffen, wo es einem Fackelträger ganz besonders wehtut, wenn er nicht aus Muschelkalk besteht. Und das verrät uns mehr als der gesamte Rest von Vogelsang, der nur die irrwitzige Teleologie des „Dritten Reichs“ verkündet. Der „Fackelträger“ zeigt dagegen die Gemütslage der Opfer, der Betroffenen, der einfachen Soldaten.
[…]
Die Nazi-Größen, ihre eigentlichen Gegner, fanden die alliierten Sieger nicht vor, als sie im Februar des Jahres 1945 Vogelsang eroberten. Doch der „Fackelträger“ stand noch immer nackt im Wind der Kunst, und also musste er es büßen. Den Soldaten war es einerlei, dass der logische Zusammenhang zwischen ihren biometrischen Beteuerungen und dem Sieg am 8. Mai an fremden Schamhaaren herbeigezogen war. Von den Festungsbauten an der „Siegfriedlinie“ sangen sie ja auch, dass sie dort ihre Wäsche trocknen würden, weil „line“ im Englischen ja beides heißen kann: Linie und Leine. Sie reden sich die Chancen schön und zeigen, wie der Krieg doch allen an die Nieren geht. Auch wenn von Nieren nicht die Rede war.

[1] Der Colonel Bogey March ist ein weltweit bekannter Militärmarsch. Er wurde 1914 vom britischen Militärmusikkapellmeister Frederick Joseph Ricketts geschrieben. Bekannt wurde der Marsch durch den Film „Die Brücke am Kwai“ aus dem Jahr 1957, in dem die Kriegsgefangenen die Melodie des Marsches pfeifen.

2014_02_20_Westwall
Der Westwall entlang der Westgrenze des Deutschen Reiches war bei den Alliierten auch unter dem Namen Siegfried-Linie bekannt.