Karl Leisner und die deutsche Nationalhymne (Deutschlandlied)

Nationalhymne

 

Unter der Überschrift „Heidewitzka ist keine gute Nationalhymne. Im August 1841 schrieb August Heinrich Hoffmann von Fallersleben auf Helgoland sein berühmtestes Gedicht: Zur wechselvollen Geschichte des ‚Lieds der Deutschen’.“ veröffentlichte Thomas Schuler am 19. August 2016 einen Artikel in der F.A.Z.

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Thomas Schuler schildert in seinem Artikel die Enstehung des Gedichtes „Das Lied der Deutschen“. Als Hoffmann von Fallersleben 1841 dieses Gedicht schrieb, ahnte er nicht im geringsten, daß es einmal zur Hymne einer Nation, die es zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht gab, werden sollte.
Als Gegengewicht zu Frankreichs „Marseillaise“ komponierte Joseph Haydn 1797 das Kaiserquartett. Der zweite Satz daraus wurde die Melodie für „Das Lied der Deutschen“.

Professor Dr. Manfred Overesch schrieb in der F.A.Z. vom 23. August 2016 in einem Leserbrief zu dem Artikel von Thomas Schuler unter anderem:
„Übrigens hatte Hoffmann unmittelbar bei der textlichen Fassung die Melodie aus dem zweiten Satz von Haydns Kaiserquartett stetig mitgesummt. Deswegen harmonieren Text und Melodie so unvergleichlich.

Deutschlandlied

  1. Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt, wenn es stets zu Schutz und Trutze brüderlich zusammenhält. Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt – Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt!
  2. Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang sollen in der Welt behalten ihren alten schönen Klang, uns zu edler Tat begeistern unser ganzes Leben lang. Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang.
  3. Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland, danach laßt uns alle stre­ben brüderlich mit Herz und Hand! Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unter­pfand. Blüh’ im Glanze dieses Glückes, blühe, deutsches Vaterland!

(Worte: August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1841; Weise: Joseph Haydn 1797)

Bevor Adolf Hitler 1933 an die Macht kam, war das Deutschlandlied Bestandteil vieler Veranstaltungen. Karl Leisners Tagebucheinträge geben Zeugnis davon.

Kleve, Dienstag, 1. Juli 1930
Befreiungsfeier des Rheinlandes. Das Schulorchester beginnt. – Deutscher Marsch[1]. Ein endloser Bandwurm von Gedichtvorträgen folgt! Dann unser Schülerchor (ich im Baß) mit dem feinen Lied: „Deutschland, o heili­ger Name …!“
Nach einigen Gedichten singt der Chor: „Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein!“ – Dann folgt das kernige „Flamme empor!“ Hier­nach besteigt „Zeus“ [Direktor Dr. Karl Hofacker] das Rednerpult und gedenkt – mit seiner Bier­stimme – aber sonst in packenden Worten der jammervollen Besat­zungs­zeit, unter der ja auch wir Clever gelitten hätten. Mit dem Aus­druck der Freude über den Abzug der Besatzung und einem Hoch auf unser Vaterland endigt seine Rede. – Dann wie üblich, das Deutschlandlied. – Schulfrei.

[1] vermutlich „Preußens Gloria“ – berühmter deutscher Marsch des 19. Jh. – Komponist Musikdi­rektor Johann Gottfried Piefke

Kleve, Sonntag, 1. Mai 1932
Sturmtag des Jungmännervereins. – Film: „Feuer von Trier“ – (Die große Reichs­tagung [des Katholischen Jungmännerverbandes Deutschlands (KJMVD)] 1931)[1] – Feine Bil­der! Begeisterung! Glän­zende Aufmärsche!

[1] Der Film berichtet über die 6. Reichstagung des KJMVD vom 18. bis 22.6.1931 in Trier. Höhe­punkt war die „Apostelweihe“ in den Abendstunden des 20.6.1931 am Grab des hl. Mat­thias, wo sich die Jugend dem Apostel weihte.

Eintrittskarte, Vorderseite:

feuervon-trier

Eintrittskarte, Rückseite:
Folge:
Festmarsch
Festspruch[1]
Begrüßung
Lied der Sturmschar
Sprechchor: „Vater unser“ von G. Thurmair
Orchester: „Ave Maria“ von [Franz] Schubert
Ansprache des Junglandführers Aloys Seyock
Gemeinschaftslied: „Und wenn wir marschieren“
Feuer von Trier
Der Film von der Reichstagung 1931 des katholischen Jungmännerver­bandes zu Trier.
Das Deutschlandlied
[Druckerei] H. [Heinrich] Poethen, Flandri­sche Straße 9

[1] Georg Thurmair:
Feuer von Trier!
Fackeln haben wir getragen / durch die Nacht der dunklen Gassen.
Fackeln sollten allen sagen, / was wir lieben, was wir hassen;
sollten in das Dunkel brennen, / daß sie Gottes Licht erkennen.
Feuer haben wir entzündet, / Flammenringe, leuchtend hohe,
unsere Bruder­schaft begründet / in dem Ring der Feuerlohe;
eingebrannt in uns aufs neue / Christi ew’ge Feuertreue.
Gluten haben wir empfangen, / Brand in tiefstem Seelengrunde,
und ein hei­liges Verlangen / trug zu Herz die hohe Stunde,
Sehnen nach den reinen Gluten, / die in höchster Lieb verbluten.
Unsrer Fackeln helle Lichter / brannten uns ein Leuchten ein,
daß die schat­tigen Gesichter / glühten in dem roten Schein,
daß das Herz uns höher schlug / gleich dem hohen Feuerflug.
Und das Wort der höchsten Wahrheit / strahlte auf wie Gold im Licht –
Wirklichkeit in schönster Klarheit! / Christi Feuer schlafen nicht!
Glut will seine Flammen schlagen, / Hände wollen Feuer tragen.
Leuchte, Fackel, brenne, Feuer! / Glühe auf, du Gottesbrand!
Unsre Sen­dung, reiner, treuer / wetterleuchte in das Land –
Gnade bricht in Niede­run­gen, / Gottgeist spricht in Feuerzungen (Sturm 1932 – Festsprüche).

Nach dem 30. Januar 1933 änderte sich die Situation insofern, als das Deutschlandlied verbunden mit dem Horst-Wessel-Lied[1] gesungen wurde und dadurch eine andere Sinngebung bekam.

[1] Die Fahne hoch (Horst-Wessel-Lied)

  1. Die Fahne hoch, die Reihen fest/dicht geschlossen, SA marschiert mit ruhig festem Schritt. Kameraden, die Rotfront und Reaktion erschossen, marschiern im Geist in unsern Reihen mit.
  2. Die Straße frei den braunen Bataillonen! Die Straße frei dem Sturmabtei­lungs­mann! Es schaun aufs Hakenkreuz voll Hoffnung schon Millionen. Der Tag für Freiheit und für Brot bricht an.
  3. Zum letzten Mal wird zum Appell geblasen! Zum Kampfe stehn wir alle schon bereit. Bald flattern Hitlerfahnen über allen Straßen, die Knechtschaft dauert nur noch kurze Zeit!

(Worte: Horst Wessel, erschienen 1929 in „Der Angriff“. Die Herkunft der Melodie ist um­stritten, aber seit 1930 unzertrennlich mit diesem Lied verbunden. Es wurde nach der Macht­übernahme 1933 von der nationalsozialistischen Regierung neben dem Deutsch­land­lied zur Nationalhymne erhoben.)

Kleve, Dienstag, 2. Mai 1933
Tag des Schulbeginns! 8.00 Uhr Hitlergeburtstagsnachfeier. Loyale, gute Rede von „Zeus“. Beispiel an Hitlers Willens­kraft, Arbeitswillen etc. Nur ärgerte mich, daß dieser alte Bierphili­ster [Spieß­­bürger] so hit­ler­ranerisch sprach. Beim Horst-Wessel-Lied alles die „Flos­sen“ hoch [zum Hitlergruß]. Vom Chor nur Jupp [Gerlings], Her­mann [Mies] und ich nicht! „Die Hände hoch!“ beim Deutsch­landlied finde ich direkt ge­schmacklos. Als ob denn D. [Deutscher] gleich Nazi wäre! Nein!

Im Tagebuch Nr. 17 sind Karl Leisners Notizen über die Flandernfahrt vom 3. bis 21. August 1935 gesam­melt. Zu dieser Fahrt hat sein späterer Schwager Wilhelm Haas ein sehr ausführli­ches Fahrten­buch[1] geschrieben. Diesem ist zu entnehmen, wann das Deutschlandlied gesungen wurde.

[1] Haas, Wilhelm: Fahrtenbericht über die Flandernfahrt 1935, (Manuskript) (zit. Haas, Wilh. 1935)

Woumen, Donnerstag, 15. August 1935, 13. Tag, Mariä Himmelfahrt
Nach dem Abschiedslied „Auf, du junger Wan­dersmann“ – auf nach Lange­mark.
10.000 deutsche Brüder gefallen. Ergreifende Stim­mung. Kleine Feier mit Lesung und Liedern auf den Gräbern der toten Brüder – Studenten (freiwil­lig), die dort jung starben. Wofür?

Wilhelm Haas:
Freundliche Flamen zeigen uns deutschen Ehrenfriedhof [in Langemark]. Majestä­tisch wirkt die Ein­gangshalle. Wir treten ein. Im Hintergrunde der Halle leuch­ten die Worte: „Deutschland muß leben und wenn wir ster­ben müs­sen.“
Ergriffen und ehrfurchtsvoll stehen wir acht deutsche Jungen da. Links auf einer Stein­tafel lese ich: „Hier ruhen 6.254 bekannte und 3.780 unbe­kannte Soldaten. Ihren Ka­mera­den und Kommilitonen die Deutsche Stu­dentenschaft.“ Rechts sind die Namen der Gefallenen in die Holztafeln einge­schnitten – viele Tausende – ein verwelkter Kranz der Deutschen Studentenschaft liegt auf der Erde.
[…]
Dann spricht Karl, unser Führer, von diesen Toten und von ihrem Vermächtnis. Meist waren es junge Stu­denten und Primaner wie wir. Voll heiliger Begeisterung starben sie für ihr Vaterland. Der Tagesbericht der Obersten Hee­resleitung vom 10. Novem­ber 1914 lautet: „Westlich Langemark brachen junge Regi­menter unter dem Gesang „Deutschland, Deutschland über alles“ gegen die er­sten Linien der feindlichen Stellungen vor und nah­men sie. Diese treue Pflicht­erfüllung soll uns das Vermächtnis von Langemark sein.“ – Tief ergriffen stehen wir da, die Augen auf die Erde gerichtet. Dann beten wir für unsere toten Brüder. Feierlich erklingt das Lied „Ich hatt’ einen Kame­raden“ und dar­auf „Deutschland, Deutschland über alles“. Still gehe ich nochmals durch die Kreuzreihen, pflücke mir von den jungen deutschen Eich­bäu­men einige Blätter als bleibendes Anden­ken.[1]

[1] Haas, Wilh. 1935: 69–72

Steenbrugge, Montag, 12. August 1935, 10. Tag
5.30 Uhr raus. […] 6.00 Uhr heilige Messe. – Kaffee. – Packen. Ab­schied. 8.00 Uhr weg nach Wenduine. Q£latta! [Das Meer] – Über Oostende – Steene (Friedhof)[1]

[1] Es handelt sich um den ehemaligen Deutschen Soldaten-Friedhof in Steene an der Stuiver­straat, heute 8400 Oost­ende.
Wilhelm Haas:
Da liegt ein Friedhof – aber ein belgi­scher! – Der Totengräber sagt mir – nebenan sei der „dietsche Kerkhof [deutsche Friedhof]“. – Wirklich – da ste­hen schwarze Kreuze, alle überragt von einem Großkreuz. Schnell die Räder an die Wand! Ein kleines Eisentor nimmt uns auf – da liegen die Helden – da stehen die Kreuzreihen! – Ich eile durch die Reihen – um das Grab 1053 zu suchen: Theodor Hermsen. Ich lese nur deutsche Namen – da 1050 – 1051 – 1052 – 1053 – aber ein fremder Name. Hier müßte es sein, in dieser Reihe – ein fremder Name – nicht der, den wir suchen. – Ratlos blicke ich über das weite Gräberfeld. Was tun? – Von vorne anfangen! Zu neun verteilen wir uns – Wir finden den Friedhofs­gärtner, der gerade das Gras schneidet. Er sagt uns: hier lägen 3.000 Deutsche begra­ben. – 3.000 deutsche Ge­fallene! – Wir suchen – Stille um uns – Nur noch zwei Rei­hen, dann ist der Friedhof zu Ende. Mein Blick streift die zwei Reihen und sucht auf jedem Kreuz „Herm­sen“ zu le­sen – aber nein – vergebens – ich gehe weiter – da – wirklich – der Name meines Onkels. Laut rufe ich: „Gefunden!“ Es ist Nr. 3086. Die an­de­ren kommen herbei. Ich bin geschäftig und über­eifrig, prüfe das Holz und den Namen und bei all dem sahen wir uns kaum an, schwei­gen! Alles geschieht nur, um die Trä­nen zu verbergen. Stumm stehe ich da – also hier liegt der Bruder mei­ner Mutter [Anna Haas] – der Stolz mei­nes Groß­vaters [Heinrich Hermsen]! – Ich erzähle den an­dern den Tod mei­nes Onkels.
[…] Auf meinen Wunsch knipst Hermann [Mies] das Kreuz – […] Noch ein­mal stellen wir uns an dem großen Kreuze auf – und singen: „Ich hatt’ einen Kameraden, einen besseren find’st du nit ….“ – dann das Deutschland­lied […], beide Lieder mit großer Andacht (Haas, Wilh. 1935: 45–47).
Zwischen 1955 und 1957 sind die Gräber deut­scher Soldaten aus der Provinz Westflan­dern/Oostende-Steene auf den deut­schen Sol­daten-Friedhof Vladslo-Praetbosch verlegt wor­den. Hier befindet sich heute das Grab eines:
Hernsen Theodor
Obermatrose Artl.
+ 4.9.1917 Mar. Haub. Bttr. 3
Grab.-Nr. 3-1018 schw. K.A.R. 2
Bei „Hernsen“ liegt offensichtlich ein Übertra­gungsfehler vor.

Wilhelm Haas über den Aufenthalt auf der Flandernfahrt in Kor­trijk:
Bei den sogenannten K.A.J. – Kajotters, eine katholische Vereini­gung der werktätigen Ju­gend, verbrachten wir den Abend. Man be­fragte uns sehr viel. Ge­wöhn­lich waren ihre Anschauungen über Deutschland durch fal­sche Unterrichtung und durch die Lügen­presse verbogen. In einem feinen Bett schlafen wir gut. Übrigens san­gen wir abends auch noch deutsche Lieder, das Deutschlandlied und Horst Wessellied hörten viele von der Ver­eini­gung zum ersten Male.

Heessen, Donnerstag, 6. Februar 1936
Morgens zur Gemeinschaftsmesse ins Rektorat. Rückweg „schlibbernd“ und tollend durch die Winterlandschaft. Ein wundervoller Morgen. Gegen 10.30 Uhr hält uns [Pfarr-]Rektor [August] Schüttken einen erschütternden Lichtbildervortrag über die Kriegsgräber Flanderns und Frankreichs. Ein echter Frontkämpfer gestaltet uns diese Stunde zum heiligen Erlebnis. Das Beinhaus von Douaumont mit der Eucharistiekapelle inmitten der 250.000 Totengebeine werde ich nie vergessen. Langemarck packt mich er­neut ganz tief.
Wir bewundern unsere Väter, alle Helden des großen [Ersten Welt­-]Krieges. Ein heiliger Haß gegen den satanischen Materialkrieg flammt in uns auf. Die Worte packen und zünden. – Nie sangen wir so voll Kraft und Edelsinn das Lied der Deutschen!

Münster, Samstag, 29. Januar 1938
11.00 Uhr Feier der Uni in der Stadthalle. – Buntes Bild.

Programm der Universitätsfeier:
Am 29. Januar 1938 um 11 Uhr
Zur Erinnerung an den Reichsgründungstag und den Tag der Machtüber­nahme
1) Königgrätzer-Marsch von G. [Gottfried] Piefke
Einzug der Fahnen und Dozenten
2) Begrüßung durch Se. Magnifizenz den Rektor der Universität, Pro­fes­sor Dr. Mevius
3) Ouvertüre zur Oper „Oberon“ von Carl Maria von Weber
4) Festrede des Professors Dr. Dörries
5) Aus der Lyrischen Suite von [Edvard] Grieg
6) Verkündigung der akademischen Preise durch Se. Magnifizenz den Rek­tor der Universität, Professor Dr. Mevius
7) Deutschlandlied und Horst-Wessellied (je eine Strophe)
8) Armeemarsch „Großherzog von Baden“ von C. [Carl] Haefele
Auszug der Fahnen und Dozenten
Die Musik wird ausgeführt von dem Stabsmusikkorps im Luftkreis IV, un­ter Leitung des Obermusikmeisters Heyer.[1]

[1] Universitätsarchiv: Bestand 4, Akte A II 1, Bd. 6: 283a

Leserbrief in der F.A.Z. vom 23. August 2016 von Prof. Dr. Manfred Overesch zum oben genannten Artikel

Leserbrief (2)

 

Link zur Sendung Zeitzeichen im WDR 5 vom 26. August 2016 „Hoffmann von Fallersleben dichtet das ‚Deutschlandlied’“

Siehe auch Link zur RP-ONLINE vom 2. September 2016.