Karl Leisner und die liturgische Kleidung zur Subdiakonen- und Diakonenweihe

L’OSSERVATORE ROMANO hatte vor, eine Folge unter dem Thema „Dresscode für Römerinnen und Römer – Alltagsleben im alten Rom – Die Kleidung“ herauszubringen. Es blieb aber bei der Vorstellung des Ursprungs der Dalmatik und der Tunizella. An der römischen Kleidung orientierte sich die liturgische Kleidung der ersten Christen.

Diakone beim Auszug aus dem Dom in Münster nach der Diakonenweihe am 26. November 2017 – Ihre Kleidung ist die Dalmatik (Tunika) – Tunizella ist die verkleinerte Form der Tunika, die früher der Subdiakon trug.

Quelle des Fotos: privat

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L’OSSERVATORE ROMANO Nr. 8 vom 23. Februar 2018, S. 5

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Bischof Clemens August Graf von Galen weihte am 4. März 1939 Karl Leisner im Dom zu Münster zum Subdiakon.

Münster, Samstag, 25. Februar 1939
Die acht stillen Tage vor dem Subdiakonat.
3.45 Uhr raus, rasiert. – Mit „Papst“ [Alois Hegemann] 5.10 Uhr an [der St.-]Mau­ritz[-Kirche]. Los [zur Wallfahrt nach Telgte]. Es ist sternhelle Frühe draußen. Betrachtend „klotzen“ wir los (wie Hengste, die lang im Stall ge­standen). Je weiter wir aus dem Lichtkreis der großen Stadt weg sind, desto schöner wird es. Langsam kommt der erste Dämmerstrahl auf. Beim Bahn­hof Jägerhaus wird’s hell. – Wallfahrt des Dankes, der Freude und Sühne für den Lebensweg bis hierher, der Bitte und des kindlichen Flehens um Gnade, Kraft und Hochgemutheit der Seele für die kommenden zwei­drit­tel [des Jah­res bis zur Priesterweihe im Dezember 1939] (nach mensch­li­chem Ermes­sen); vor allem um aufrichtige Herzensgesinnung und Gehor­sam und Rein­heit für die Entscheidung des Subdiakonates, die ja doch kein Kin­der­spiel ist, sondern freien Mannes kräftiges Tun, betaut und im letzten erweckt von Gottes Gnadenruf. – Heini Thbg. [Tenhumberg], „Pitt“ (Willi Schr. [Schröer]) und ich gehen zusammen zurück. – Die gemeinsame heilige Messe mit un­serm „Rex“ [Re­gens Arnold Francken] zur lieben Mutter­gottes von Telgte war eine Zu­sammenfassung der einzelnen und gemeinsa­men An­liegen vor der Mutter der sieben Schmerzen.[1] Der Rex predigte in gewohn­ter Größe und Schlichtheit. „Fratres! Hortamur vos, ne in vacuum accipiatis gratiam Dei!“ [„Brüder! Wir ermahnen euch, daß ihr die Gnade Gottes nicht vergebens empfangt!“ (2 Kor 6,1)] … Die kommenden acht Tage sind ent­scheidend fürs ganze Leben. Mit Unserer Lieben Frau, unter ihre gnädige Fürbit­terhand wollen wir diesen unseren Lebensentscheid stellen. – Es wird dann alles an ein gutes Ende kommen: unser Priestertum und das Ende des Le­bens! – Bei der Opferung lege ich alles Schwere und Schöne auf die Patene und bringe es durch die Hand Mariens Gottvater im Himmel dar: allen Dankesjubel des Herzens für die Freuden der Jugend(bewegung), die zum großen Teil immer wieder um dies Heiligtum der Muttergottes kreisten.
[…]
Tausend Worte hab’ ich nun immer wieder (oft in Selbstliebe und falschem Trieb befangen) gesprochen. Jetzt geht es auf das letzte Liebeswort für das ganze Leben zu, mit aller Lust und allem Leid gesprochen – wie jedes Lie­beswort, auch unter Menschen, die sich restlos einander lieben und wei­hen wollen. – Ich spreche „Ja, Vater“[2], weil Gott zu mir gesprochen, „Ja, du bist mein lieber Sohn.“ [vgl. Mt 3,17; Mk 1,11; Lk 3,22] – Ich kann und will nicht mehr anders und koste es das Leben des Kreuzes; und das kostet es ganz sicher mehr als ich es ausspre­chen kann. Aber ich ahne es. Herr, ich entscheide mich frei für Dich, Dir gehört mein Leben und Sterben!
Suscipe deprecationem nostram, mise­rere nobis! [Nimm unser Flehen gnädig auf, erbarme dich unser![3]]
[…]
20.00 Uhr Veni, Creator und sakramentaler Segen auf der Kapelle [des Priester­seminars]. – Die Exerzitien haben begonnen mit Gott und der heiligen Jungfrau! Fiat![4]
Das Ziel ist die Frei­heit für Gott!

  1. Freiheit von aller ungeordneten Selbstsucht.
  2. Freiheit zum Dienst am Altar und vor Gott im Gebet, in Freude und Zuver­sicht (ohne alle Ängste und Hemmungen).
  3. Freiheit von allem ungeordneten geschlechtlichen Drang. Echte Conser­va­tio sui [Selbstbe­wahrung] in der Castitas perpetua et perfecta [dauern­den und vollkommenen Enthaltsamkeit]: sich selbst und einem je­den weiblichen Menschen gegenüber in Reinheit des Herzens und der Phanta­sie, in Blick, Wort, Gedanke oder Tat!
  4. Freiheit zur freiwilligen Hingabe in der Bindung an Gottes Ruf und im Bunde mit Gott!

Das möge allen Brüdern im Herrn und im zukünftigen [Priester-]Amte der Allmächtige verleihen. Heil, Friede, Freude, Freiheit uns im Herrn!
[1] 1. Maria bei Simeon, 2. Flucht nach Ägypten, 3. Verlust des Kindes in Jerusalem, 4. Kreuz­weg, 5. Kreuzigung, 6. Kreuzabnahme, 7. Grablegung. Damals feierte die Kirche am 15.9. das Fest „Sieben Schmerzen Mariä“, heute heißt es „Ge­dächtnis der Schmerzen Mariens“.
[2] Titel eines Buches von Richard Gräf
[3] aus dem Gloria der Eucharistiefeier
[4] Sechs Tage waren vorgeschrieben. Vermutlich hat Regens Arnold Francken die Exer­zitien gehalten.

Über die Exerzitien vor der Subdiakonenweihe berichtet Karl Leisner ausführlich im Tagebuch Nr. 26 Einträge 4.1.–4.3.1939 auf den Seiten 100 bis 115.

Münster, Samstag, 4. März 1939
Der Tag der Lebensweihe [Weihe zum Subdiakon[1]] ist in die Geschichte ein­gegangen. Factum est! [Es ist geschehen!] Verbum – caro. [Wort – Fleisch. (vgl. Joh 1,14)] Was Gott durch die …….[2] Christi in mir als inne­ren Ruf reifen ließ, das ist Tat geworden heute im Ruf der Kirche, der Braut Christi im Heiligen Geiste.
Diese herrliche Feierstunde werde ich nicht mehr vergessen können. In albis [mit der Albe bekleidet] schreiten wir mit brennenden Lichtern in Händen[3] und gegürtet die Lenden[4] zum Chor des Hohen Domes. Alle Ver­zagtheit und Anfechtung ist dahin. Das Lebensopfer wird gebracht in Gottes Kraft und Gnade und im Mut des entschlossenen Herzens, das sich jetzt ohne zu fackeln ruhig dem Liebesbrande Gottes weiht. Aller Dank, alle Freude hab’ ich zum Himmel hinaufgebetet für meine guten Eltern und Ge­schwister, für alle meine Verwandten. Für meine Lehrer und Erzieher. Alle meine Kameraden, Wohl­täter. Alle, die mir gut waren und sind. Alle, die mir den Weg zum Altare ebneten! Allen gilt Liebe für Liebe, Gebet für Gebet, Glut für Glut! Der Regens [Arnold Francken] ruft uns „Accedant“ [qui or­dinandi sunt. Es mögen he­rantreten, die geweiht werden sollen]. Klar und laut rufen wir das Adsum.
„Ecce ego, quia vocasti me.“ [„Ich bin bereit. Hier bin ich, du hast mich ge­rufen!“ (vgl. 1 Sam 3)] Dann ermahnt uns der Bi­schof [Clemens August Graf von Galen] mit den eindringlichen Worten der Kirche. Adhuc liberi estote … [Hactenus enim liberi estis. Denn noch seid ihr frei.] Wir wollen Gott in unserer Schwachheit dienen. Den Leib und das Antlitz beugen wir zur Erde. Hingemäht liegen wir flehend vor Gottes Altar. Ut hos electos tuos benedi­cere, confortare et consecrare digneris. – Kyrie eleison. [Daß du diese Er­wählten zu segnen, zu heiligen und zu weihen dich würdigen wollest. – Herr erbarme dich.[5]] – Wir hören von dem heiligen Dienste und ihrem [sei­nem] Sinn. Dann treten wir hinzu zum Altare Gottes, der un­sere Jugend er­freut[6], und berühren Kelch, Patene und die Kännchen mit Tuch und Tel­ler.[7] Diener des eucharistischen Opfers sollen wir sein, sind wir! Mini­stri Christi. [Diener Christi.] Dann kleidet der Bischof für die Mutter Kirche uns mit den Gewän­dern der Freude und des Lichtes.[8] Indua­mini Christum! [Zieht Christus an![9]]
Das Berühren des Lektionars [be]endet die Weihe.[10]
Das heilige Geschehen ist vollzogen. – Zwei Kapuziner werden noch zu Dia­konen geweiht.[11]
Veni, virtus Spiritus Sancti. [Komm, Kraft des Heiligen Gei­stes.] – Zum Opfergang weihen wir als Sinnbild der vollbrachten Lebens­hin­gabe das sich verzehrende Wachs der brennenden Kerze. Sumus lumina pro omnibus, pro gloria Dei et salute hominum! [Wir sind Licht für alle, zur Ehre Gottes und zum Heil der Menschen!] Bei der heiligen Kommu­nion ist die Antwort des himmlischen Bräutigams vernehmlich und tätig. Die bräutli­che Einung in heiligem Bunde gefestigt und vollendet. Eu­charistia, euchari­stia, gratias agamus Domino Deo nostro per totam viam nostram. [Danksa­gung, lasset uns danken unserem Herrn und Gott für unseren ganzen Lebens­weg.] – Der Herzog hat gerufen, wir sind seine Mannen und folgen Ihm bis in Tod und Ewigkeit. – Amen.
Voll Ergriffenheit jubeln wir das Magnificat auf der Kapelle [des Priester­seminars] als gemeinsames Dank­gebet. Ich bete die neun Psalmen der Noc­turn für den Bischof.[12] Dann Terz und Sext.
[…]
In [St.-]Serva­tii       [-Kirche] Dank gesagt.
Herrliches Frühlingswetter macht uns froh und glücklich.
16.00 Uhr geh’ ich in den Garten [des Priesterseminars]. Gespräch mit P. [Spiritual Peter] Mischler [SJ]. – Voll Freude Non und Vesper draußen in der Schöpfung – mit den Vögeln, den Bäumen und den Quadern von Über­wasser[13].
[…]
18.00 Uhr ist der gute Vater Bischof [Clemens August Graf von Galen] bei uns, seinen „filii dilectissimi“ [geliebten Söhnen]. – Das ist so voll Güte und Festigkeit, heiliger Klugheit und Mannhaftigkeit, voll Heiligem Geist und köstlichem Humor – es läßt sich gar nicht besser und feiner sagen. – Gott segne und erhalte uns noch lange unsern lieben Vater Bischof Cle­mens August.
Mit Natz [Bernhard] Koch nach der gemeinsamen Komplet noch im Gar­ten. Es ist Vollmond. Wir sprechen über Pius XII., über die Exerzitien, über Got­tes Größe und Güte. – Die Post war reich und schön heut!
Nach der Matutin und Komplet will ich jetzt mich schlafen le­gen. Ich bin sehr müde.
[…]
Subdiaconus Sanctae Romanae Ecclesiae hodie natus sum! Deo gratias! In Nomine Domini! Amen.
[Zum Subdiakon der heiligen römi­schen Kirche bin ich heute geboren! Gott sei Dank! Im Namen des Herrn! Amen.]
[1] Aus dem Kirchlichen Amtsblatt für die Diözese Münster:
Bischöfliche Pontifikalhandlungen
Der Hochwürdigste Herr Bischof Clemens August nahm im Jahre [1939] fol­gende bischöfliche Amtshandlungen vor:
[…]
4. März 1939, Subdiakonatsweihe (62 Alumnen des Priester­semi­nars, 5 Kleri­ker des Auslandsseminars St. Paul zu Münster [Paulusseminar], 5 Kamillia­ner) und Diakonatsweihe (2 Kapuziner) im Hohen Dom; (s. KA 1940 – Nr. 1, Art. 15: 6)
Dr. Heinz Mestrup vom Bistumsarchiv Münster am 29.9.2010 an Hans-Karl Seeger:
Die Seminaristen des Auslandsseminars waren die angehenden Priester, die sich verpflichtet hatten, nach ihrer Weihe ihren Dienst im Ausland zu ver­richten (z. B. in Brasilien). Hintergrund war der zur Zeit von Galens noch starke Priesternachwuchs. Dieser Überschuss ließ es zu bzw. erfor­derte es, deutsche Priester ins Ausland zu schicken.
[2] Beim Seitenwechsel 115/116 hat Karl Leisner vermutlich das Wort Liebe aus­gelas­sen.
[3] Die Kerze ist das Opfer des Weihekandidaten, die er nach der Weihe bei der Gabenbereitung dem Bischof übergibt, ein Sinnbild für seine Hingabe an Chri­stus, in dessen Dienst er sich restlos verzehrt.
[4] Die Albe ist mit dem Zingulum gegürtet, einem „cingulum puritatis et continen­tiae“ – einem Sinnbild heiliger Reinheit und Enthaltsamkeit. Zu seinem Namens­tag 1939 bekam Karl Leisner ein solches von Elisabeth Ruby ge­schenkt.
s. Tagebucheintrag 23.11.1939
Das Gebet beim Anlegen des Zingulums lautete:
Praecinge me, Domine, cingulo fidei et virtute castitatis lumbos meos, et exstingue in eis humorem libidinis; ut jugiter maneat in me vi­gor totius castitatis (Missale 1951: cxxj).
[Umgürte meine Lenden, Herr, mit dem Gürtel des Glaubens und der Tugend der Keuschheit, und lösche in ihnen die Glut der Begierde, damit die Kraft der vollkommenen Keuschheit immer in mir bleibt.][5]
Bitte aus der Allerheiligenlitanei zur Weihe
[6] s. Ps 42/43,4, früher Teil des Stufengebetes am Beginn der Eucharistiefeier
[7] Der Bischof reicht den Weihekandidaten den leeren Kelch und die Patene, die sie mit der rechten Hand berühren. Dann reicht ein Erzdiakon Kännchen mit Wein und Wasser samt Teller und Handtuch zur Berührung.
[8] Der Bischof zieht den Weihekandidaten einzeln das Schultertuch über den Kopf, legt jedem den Manipel an den linken Arm und zieht ihm dann die Tunika an.
[9] Aus dem Weiheritus:
Tunica jucunditatis, et indumento laetitia induat te Dominus. (Weiheritus 1939: 35)
[Mit dem Gewande der Freude, und mit dem Kleide der Fröhlichkeit be­kleide dich der Herr.]
Aus dem Brief an die Epheser:
…, et induite novum hominem, (Eph 4,24)
[Zieht den neuen Menschen an.]
[10] Der Bischof reicht den Weihekandidaten das Epistelbuch, das sie mit der rech­ten Hand berühren.

[11] Die Weihe zu Subdiakonen und Diakonen konnte gemeinsam vollzogen werden.
[12] Aus dem Weiheritus:
Singuli ad Subdiaconatum promoti, dicite semel Nocturnum talis diei. Et omnipotentem Deum etiam pro me orate. (Weiheritus 1939: 35)
[Ihr, die zu Subdiakonen geweiht wurdet, betet eine Nokturn des Tages; und bittet den allmächtigen Gott auch für mich.]
Karl Leisner betete die neun Psalmen der drei Nokturnen der Matutin: 1., 2., 3., 4., 5., 8., 14., 20. und 23. Psalm.
[13] Hof und Garten des ehemaligen Priesterseminars und heutigen Liudgerhauses gren­­zen an die Mauern der Überwasser­kirche.

Kleve, Montag, 20. März 1939
9.00 Uhr in der Stiftskirche [als] Subdiakon [assistiert]. Feierliches Josefs­amt[1] und Absolution ad tumbam [Lossprechung an der Tumba] für Frau Constanze Dreis. – Kaplan [Albert] Heistrüvers zelebriert, Kaplan [Franz] De­mers als Diakon dirigiert mich gut.[2] – 2,00 Reichsmark Stolge­bühren.
[1] Das Fest des hl. Josef wurde nachgeholt, weil der 19.3. ein Sonntag war.
[2] Es war ein Levitenamt und vermutlich Karl Leisners erster Dienst als Subdiakon.