Karl Leisner und Friedrich Wilhelm Webers „Dreizehnlinden“

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In den Exerzitien 1931 in Gerleve verwendete P. Laurentius Rensing OSB, wie Karl Leisners Notizen zei­gen, nicht nur die Bibel und die Liturgie, sondern auch Literatur und Musik, zum Beispiel Friedrich Wilhelm Webers „Dreizehnlin­den“.

 

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Dr. med. Friedrich Wilhelm Weber (* 25.12.1813 in Alhausen, † 5.4.1894 in Nieheim) – deutscher Arzt, Po­li­tiker u. Schriftsteller – Er schrieb 1878 das Epos Drei­zehnlinden über die Christianisie­rung der Sach­sen.

 

 

 

Das Epos Dreizehnlinden[1] war zur Zeit Karl Leisners so etwas wie ein Hausbuch. Bis zum Ersten Weltkrieg gehörte es in jedes katholische Haus. Daß Karl Leisner es gut kannte, zeigen Zitate in seinen Tagebüchern. Besonders intensiv begegnete er diesem Epos während seiner Exerzitien in Gerleve.

[1] Weber, Friedrich Wilhelm: Dreizehnlinden, Berlin 1925

Gerleve, Samstag, 5. September 1931
18.00 Uhr Einleitungsvortrag[1]
1. Bernhard von Clairvaux und sein Leben und Wirken (Bernharde, ad quid venisti? – [Bernhard, wozu bist du gekommen?[2]])
2. Paulusleben, aus S. [Saulus wird] – P. [Paulus] – drei Tage in der Ein­sam­­keit.[3]

3. Christus und seine Apostel
I. Einsamkeit – Sammlung
II. Beten
III. Klosterleben
IV. Schweigen
V. Ordnung und Schönheit

VI. Des Priors Lehrsprüche an Elmar
([Friedrich Wilhelm] Webers Dreizehnlinden, Sprüche I–V!)[4]

[1] In einem Einleitungsvortrag stellte P. Lauren­tius Rensing OSB, vermutlich als Vorbilder für das Ver­halten in den Exer­zitien, den hl. Bernhard und den Apostel Paulus vor.
[2] Diese Frage wurde einem Mönch vor seinem Eintritt ins Kloster gestellt. Im Novi­ziat stellte sich Bern­hard von Clairvaux bei Versuchungen, das Kloster wegen der großen Strenge wieder zu verlassen, diese Frage und gab sich selbst die Antwort: „Um ein Jünger und Kreuzträger Christi zu werden.“
[3] Nach der Bekehrung des Apostels Paulus vor Damaskus heißt es in der Apostel­ge­schichte (9,9): „Und er war drei Tage blind, und er aß nicht und trank nicht.“
[4] Elmar, Herr vom Habichtshofe, ist eine Hauptfi­gur in diesem Epos. Er holte sich beim Prior Rat. Unter den Lehrsprüchen gibt es einige, die gut zu Exerzi­tien pas­sen.
Heute begänne man Exerzitien eher mit den Wor­ten Karl Valentins „Heute besuch‘ ich mich, hof­fentlich bin ich zu Hause.“

Des Priors Lehrsprüche, Nr. 5
„Freiheit sei der Zweck des Zwanges, / Wie man eine Rebe bindet, / Daß sie, statt im Staub zu kriechen, / Froh sich in die Lüfte windet. –
Beides schaffte Karl der Franke, / Liebenswertes, Hassenswertes; / Hielt er fest am Kreuz der Kirche, / Fester doch am Kreuz des Schwertes.
Und mit rotgefärbten Händen / Schwang er’s gegen unsre Väter, / Ein Apostel in der Brünne, / Ein mit Blut bespritzter Beter.
Und uns selbst abzugewinnen, / Hat er todwund uns gehauen; / Zeigend nach den Himmels­burgen / Nahm er uns die Erdenauen.
Dienen muß der faltenreiche / Kirchenmantel hundert Zwecken; / Ehrsucht, Habsucht, Machtgelüste, / Haß und Rache muß er decken.
Wie das Gold den Durst nach Golde, / Mehrt der Ruhm die Gier der Degen, / Denn je mehr die Menschen dürfen, / Desto dreister wird ihr Mögen.
Vom beeisten Belt zum Tiber / Fuhr der Held in lichten Waffen: / War’s um Völker zu befreien, / War’s, um Knechte sich zu schaffen?
Statt zu einen Deutschlands Stämme, / Warf er fremde zueinander, / Stark und groß, nur nicht so gütig / Als der Grieche Alexander.
Wär’ er uns ein Ordner, Pfleger, / Uns ein milder Herr geblieben: / Wir, die hundertfach ihm danken, / Würden tausendfach ihn lieben;
Ihn, der fromme Friedensstätten / Baut’ an Quellen und in Hainen, / Wo einst Menschen­leiber zuckten / Auf entweihten Opfersteinen;
Der die Leuchte holder Bildung / Trug in unsre finstern Wälder, / Segensreiche Körner streute, / Doch in blutgedüngte Felder,
Und erst spät! Durch linde Lehre / Hätt’ er uns bezwingen können / Rascher, sichrer als mit Eisen, / Als mit Hungerpein und Brennen.
Eitler Glanz der Römerkrone! / Verdens grause Mordgerichte[1] / Mag ihm Gott verzeihn, doch schuldig / Bleibt er sie der Weltgeschichte:
Untat, die der kluge Einhard / Gern verhüllte und verschwiege, / Die in Rom der Völker­vater / Selbst gestraft mit ernster Rüge.
Doch den Wirrern und den Klirrern, / Die da ziehn mit großem Schalle, / Allen klebt ein Mal im Schilde, / und ihr Verden haben alle.“[2]

[1] Beim sogenannten „Blutgericht von Verden“ an der Aller sollen während der Missionierung der Sachsen durch die Franken auf Befehl Karls des Großen ca. 4500 Menschen an einem Tag enthauptet worden sein.
[2] Weber 1925: 217–219

Für Walter Vinnenberg, den Leiter der Fahrt nach Baltrum im Sommer 1933, hat Karl Leisner den Fahrtenbericht ins Reine geschrieben und ihm zu Weihnachten geschenkt. Am Schluß heißt es dort:
Anderntags landeten wir in unserm Heimatkral und freuten uns, un­sern Eltern von der feinen Fahrt zu erzählen, die wir unserm lieben Walter dan­ken!
Finis! [Ende!] Am Weihnachtsvigiltag des Jahres 1933. – Bete für den ar­men Schreiber![1] In dankbarer Freude an gemeinsames Fahrten- und Grup­pen­leben!
Dein Karl

[1] Anspielung auf die Schlußworte von „Dreizehnlinden“:

Helf’ uns Gott den Weg zur Heimat / aus dem Erdenelend finden: / betet für den armen Schreiber, / schließt der Sang von Dreizehnlinden (Weber 1925: 328).

Am Montag, dem 30. Januar 1939, zitiert er in seinem Tagebuch u. a. auch die ersten Verse aus „Des Priors Lehr­sprüche Nr. 5“:
O ich möchte hinaus, unter freien Himmel, in Sternennacht, an den Strom, in den Wald und wieder Deiner Stimme lauschen, Natur! Deine Wasser wieder trinken – und dann wieder voll Freuden schöpfen aus den Quellen der Gnade. Ihr Mauern! O meine Freiheit![1]
Freiheit sei der Zweck des Zwanges,
wie man eine Rebe bindet,
daß sie, statt im Staub zu kriechen,
froh sich in die Lüfte windet.

[1] Anspielung auf das Lied „Aus grauer Städte Mauern ziehn wir in Wald und Feld“