„Doktor Faust“ begleitete Karl Leisner von der Jugendgruppe mit ihrem Kasperlespiel bis zur Verwendung des „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe in der Wissenschaftlichen Arbeit.
Vermutlich würde Karl Leisner, wenn er heute lebte, die von Robert Wilson inszenierte und von Herbert Grönemeyer vertonte Revue nach Goethes „Faust I und II“ im Berliner Ensemble besuchen.
Die Presse ist voll des Lobes über diese Aufführung, siehe u. a.:
Berliner Zeitung vom 23. April 2015 – Robert Wilson und Herbert Grönemeyer – Frenetischer Beifall für Goethes „Faust“ im Berliner Ensemble
Frankfurter Rundschau vom 23. April 2015 – Robert Wilson „Faust“ – Darum Goethe
DER TAGESSPIEGEL vom 24. April 2015 – Robert Wilson inszeniert „Faust“ am Berliner Ensemble Goethemeyers Greatest Hits
Doktor Faust hat ein historisches Vorbild.
Dr. Johann Georg Faust (* um 1480 in Knittlingen, † 1540 in Staufen/Br.) – Eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Renaissance, die schon zu Lebzeiten eine Legende war. An der Persönlichkeit des angeblichen Zauberers rieben sich die Zeitgenossen. Ihrer subjektiven, oft weit voneinander abweichenden Bewertung ist es zu verdanken, daß sich die Legendenbildung über die Jahrhunderte hinweg fortsetzte. In den überlieferten Puppenspielfassungen wird Fausts Streben, die Natur zu beherrschen, als verfluchenswertes, dem Teufel zufallendes Tun abgewertet. Die Engel gemahnen Faust zur Rückkehr. Da er sich vom rechten Weg entfernt hat, ist die gerechte Strafe, in die Hölle zu kommen, nur folgerichtig. Das außergewöhnliche Leben und der mysteriöse Tod des historischen Johann Faust wurden von den Moralisten immer wieder als abschreckendes Beispiel beschrieben (URL http://www.theaterportal.de/detail_stueck?pident=28481 – 15.8.2011).
Quelle des Fotos: Wikimedia Commons / Photographer: Ludwig, Jürgen / CC-BY-SA 3.0 (abgerufen 03.03.2018)
Johann Wolfgang von Goethes „Faust“ besteht aus zwei Hauptteilen, denen der Dichter eine Einleitung aus drei Texten vorangestellt hat.
Karl Leisners schriftlicher Nachlaß zeigt zahlreiche Berührungspunkte mit dem Faust.
Walter Vinnenberg:
Ein Zeichen der Lebendigkeit dieser Gruppe war der Aufbau eines Handpuppentheaters. In der ganzen Umgebung von Kleve bis nach Münster wurden nachmittags für Kinder und abends für Erwachsene Vorstellungen gegeben, u. a. auch als Höhepunkt das alte Puppenspiel „Dr. Fausts Leben und Höllenfahrt“. […] Nebenbei sprang auch etwas an finanzieller Hilfe heraus, das vor allem den größeren Fahrten der Gruppe zugute kam.[1]
[1] Seligsprechungsprozeß: 739f.
Im Nachlaß von Walter Vinnenberg befinden sich zwei Fassungen des Faust:
Lewalter, Johann: Dr. Fausts Leben und Höllenfahrt. Aus Simrocks aufgezeichnetem Puppenspiel Dr. Johannes Faust, verschiedenen vom Verfasser auf Jahrmärkten gesammelten Puppenspielen sowie aus eigenen Erinnerungen an Kaspertheatervorstellungen vom Dr. Faust zur Aufführung auf Kaspertheatern bearbeitet und hg., Kassel: Verlag Karl Viëtor 1919
Schmidtverbeek, Hugo: Dr. Faust, Das Leben und die Höllenfahrt des weltberühmten Zauberers und Schwarzkünstlers, im Puppenspiel dargestellt, Leipzig: Verlag Arwed Strauch 1922
Kleve, Sonntag, 14. Juli 1929
Kasperlespielen in Goch
Mit den Rädern fuhren wir mit der Gruppe um 14.30 Uhr nach Goch. Im Gesellenhaus spielten wir Kasperletheater (Dr. Faust), 17,00 [Reichsmark] Reinertrag. Um 19.00 Uhr gings nach Hause.
Telgte, Dienstag, 6. August 1929
Um 10.30 Uhr gings zum Gesellenhaus, wo wir um 11.00 Uhr vor der Volksschule den Lehrern und Kaplänen [Joseph Bullmann, Eberhard Hömann und Heinrich Lösgen] Kasperle spielten. Reinertrag 44,00 [Reichsmark] (10,00 [Reichsmark] für den Saal bezahlt), sonst 54,00 [Reichsmark].
Um 12.30 Uhr war Schluß. – Gespielt wurde „Die Vorstellung beginnt“ und Dr. Faust.
Maria Laach, Samstag, 14. Juni 1930
Dann fußballte ich mit einigen, die nicht zum [Kaspertheaterstück] „Dr. Faust“ waren, der heute abend von einigen von uns den Heimschülern und einigen Eltern, die gerade auf Besuch da waren, vorgeführt wurde. Auf einmal kommt mitten im Spiel unser lieber Theo [Derksen] „angestuckt“. (Er wollte uns abholen kommen; da er ja einen Führerschein für die Bahn hat.[1]) Herzliche Begrüßung und Freude! Theo spielte weiter mit. – Dann krochen die Jüngeren, die nicht zum „Faust“ waren, in die Falle. Ich ging mit Theo zur Heimschule, wo wir noch gerade den Schluß von „Faust“ mitbekamen.
[1] Mit seinem Führerausweis erhielt er Fahrpreisermäßigung für die Gruppe.
Die provisorische Kasperbühne in der Heimschule. (Nach dem „Faust“ aufgenommen)
Vermerk auf der Rückseite des Fotos:
14. Juni 1930, Karl Leisner. Photo-Neuhaus, 19.7.30. Andernach.
Aus dem Bericht von Ferdinand Falkenstein über die Spielfahrt vom 11. August bis 2. September 1930
Marienthal, Freitag, 15. August 1930
Josef [Mies] und ich haben gespült, um 16.00 Uhr wurde im Kreuzgang die Bühne aufgebaut, die Vorstellung begann um 17.20 Uhr [mit] Dr. Faust und Grigri, worüber Pastor [Augustinus] Winkelmann kritisierte. Abendessen Bratkartoffeln mit Ei, anschließend Abendgebet in der Kirche. Danach große Kritik über Grigri. 21.30 Uhr Schlafen beim Bauern [Johann Heinrich] Hartmann. Tageseinnahme RM 15,10.
Karl Leisner aus Kleve am 24. Februar 1932 an Walter Vinnenberg in Münster:
Lieber Walter!
[…]
Wenn man irgendwo Kasper spielte, so nahm man nicht mich dazu, obgleich ich immer, wenn sie mich mal ganz dringend nötig hatten, immer gern und ganz einsprang. Dazu konnte man den Karl immer noch prima gebrauchen. Wenn aber der [Dr.] Faust neu eingeprobt wurde, so fragte man sämtliche „Stümper“, nur Hermann Mies und mich, die den Faust doch wahrhaftig hätten spielen können, überging man stillschweigend. Wir zwei sagten nichts. Hermann steht auch in der Gruppe „so oder so“. – Aber man kann ihn – leider – noch nicht entbehren, weil er in Musik unentbehrlich ist.
Bücherlese vom 19. und 20. Januar 1936
Aus Laros „Pfingstgeist über uns“ S. 155[–157]
„Immer und überall sind ja Gottes Gaben zugleich Aufgaben der Menschen und ebenso große Verantwortung für die Mitmenschen.“ (Laros „Pf. ü. uns“), S. 156.[1]
Dazu vgl.: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“ ([Johann Wolfgang von] Goethe[2] [Faust II, Bergschluchten – Engel[3]])
[1] Laros, Matthias: Pfingstgeist über uns. Die heilige Firmung als Sakrament der Persönlichkeit, des allgemeinen Priestertums und des apostolischen Geistes hier und heute, Regensburg 1936: 157
[2] Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Der Tragödie erster Teil, Leipzig: Reclam Nr. 1/1a, und Der Tragödie zweiter Teil, Leipzig: Reclam Nr. 1/1a o. J.
[3] Goethe: Faust II Vers, 11936
Auch im Arbeitsdienst war der Faust mit dabei.
Georgsdorf, Dienstag, 3. August 1937
Im Faust II gelesen. „Faust und Helena“. Tiefes Problem.[1]
[1] Karl Leisner hat vermutlich seine Liebe zu Elisabeth Ruby mit der von Faust zu Helena verglichen.
Der Vergleich zwischen Fausts Verlangen nach Helena und Karl Leisners Sehnsucht nach Elisabeth Ruby läßt sich etwa wie folgt darstellen:
Georgsdorf, Sonntag, 15. August 1937, Mariä Himmelfahrt
Gespräch mit einem aus dem Nürnbergzug aus Landshut, der ϟϟ-Arzt werden will, seit 1931 in der HJ, über Katholizismus, Enge des bayerischen Klerus, seinen Religionslehrer etc. Interessant und typisch!
Erfrischend offenes Gespräch. – Nachmittags leiht er von mir den Faust [von Johann Wolfgang von Goethe]. Jetzt ist er in Emlichheim. – So ist das Leben.
Schlußendlich taucht der Faust auch als Literatur zur Wissenschaftlichen Arbeit auf.
Literatur
Henne-Rösch, „Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testamentes“, Paderborn 1936.
Michael Pfliegler, „Heilige Bildung“, Salzburg 1933.
Ferdinand Kastner, „Marianische Christusgestaltung der Welt“, Paderborn 1936.
Josef Liener, „Der neue Christ“, Innsbruck 1937.
Romano Guardini, „Vom Leben des Glaubens“, Mainz 1935.
Karl Adam, „Das Wesen des Katholizismus“, 8. Aufl. Düsseldorf 1936.
Johannes Maaßen, „Bis an die Sterne“, Freiburg/Br. 1935.
Johann Wolfgang von Goethe, „Faust“.
Aus der Wissenschaftlichen Arbeit:
Welche Sorge und Liebe weckt z. B. der heranwachsende, geistig ringende Mensch im Erzieher. Ja, es ist als ob doch etwas von der Frische und Urkraft des Geistes, wie er am Schöpfungsmorgen aus Gottes Hand hervorging, durchbräche. Was Goethe in seinem „Faust“ den Herrn im „Prolog im Himmel“ zu den Engeln sprechen läßt, läßt uns etwas von der tiefen Freude am geistigen Wachsen verspüren:
„Doch ihr, die echten Göttersöhne,
Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!
Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
Umfaß euch mit der Liebe holden Schranken,
Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
Befestiget mit dauernden Gedanken.“ [[1]]
[1] Goethe: Faust I, Vers 344–349
Paula Leisner aus Kleve am 31. Januar 1938 an ihren Bruder Karl in Münster:
Lieber Karl!
[…]
Ich danke Dir für den langen Brief, den Du mir schriebst[, und] für den Faust.[1]
[…]
Im Faust heißt es ja: Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen, wenn es Euch nicht von Herzen geht.[2] Den Satz finde ich so schön und treffend.
[1] Karl Leisner hatte Johann Wolfgang von Goethes „Faust“ mit in den Arbeitsdienst genommen.
[2] Goethe: Faust I, Vers 544f.