Dr. rer. pol. Heinrich Brüning (* 26.11.1885 in Münster, † 30.3.1970 in Vermont/USA, beigesetzt auf dem Zentralfriedhof in Münster) – nach dem Ersten Weltkrieg zunächst Geschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes 1920–1930 – Mitglied der Reichstagsfraktion der Zentrumspartei Mai 1924 – deren Vorsitzender Dezember 1929 – Reichskanzler u. Außenminister 30.3.1930 bis 30.5.1932 – Ab Oktober 1931 erreichte er als Außenminister Aufschub der Reparationen, suchte innenpolitisch mit Notverordnungen voranzukommen und lehnte Forderungen des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, die auf die Einführung einer Diktatur hinausliefen, ab. Er hielt sich oft in Marienthal bei Wesel auf; von dort aus floh er 1934 in die Niederlande und emigrierte in die USA. Ab 1937 war er Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Harvard-Universität und von 1950–1955 an der Universität Köln.
Unter der Überschrift „Ein Mann sieht schwarz“ beschrieb die FAZ vom 20. März 2008 Nr. 68 die Situation von Heinrich Brüning in der „Weltkrisenzeit“.
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Als politisch sehr interessierter Mensch schätzte Karl Leisner Heinrich Brüning sehr. Zahlreiche Tagebucheinträge geben Zeugnis von seiner Begeisterung für diesen Politiker, selbst auf dem Sterbebett beschäftigte er sich noch mit ihm.
Tagebucheinträge
Sonntag, 19. Oktober 1930
Um 22.15 Uhr zu Hause! – Dort vom Siege der Regierung Brüning in Düsseldorfer Nachrichten gelesen[1]
[1] In Berlin brachte am Sonntag, 19. Oktober 1930, die Regierung Heinrich Brüning mit 325 Stimmen gegen die vereinten Nationalsozialisten, Kommunisten, Deutschnationalen und Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei mit zusammen 237 Stimmen das Schuldentilgungsgesetz durch. Dies betrachtete das Ausland als Sieg der Demokraten über den Extremismus und als eine merkliche Minderung von Adolf Hitlers Prestige.
Montag, 8. Februar 1932
Dr. Brüning auf der [Genfer] Abrüstungskonferenz
Donnerstag, 25. Februar 1932
Reichstagsrede Dr. Brünings
In der Rede Heinrich Brünings ging es um die Wiederwahl Paul von Hindenburgs am 13. März 1932, die vom Zentrum und damit von Heinrich Brüning massiv unterstützt wurde. Gegenkandidaten waren Theodor Duesterberg und Adolf Hitler. Die Wahl mußte wiederholt werden, da keiner der Kandidaten die Mehrheit bekam. Hier bahnte sich bereits die Entfremdung zwischen Paul von Hindenburg und Heinrich Brüning an, die schließlich zur Absetzung Brünings führte.[1]
[1] s. Karlheinz Dederke: Reich und Republik. Deutschland 1917–1933, Stuttgart 1969, 81996: 237–240 u. Tagebucheintrag 30.5.1932
vollständige Rede in: Brüning, Heinrich: Zwei Jahre am Steuer des Reichs. Reden aus Brünings Kanzlerzeit, Köln 1932: 52–55
Mittwoch, 13. April 1932
Auf der Grundlage der von Paul von Hindenburg erlassenen Notverordnung „zur Sicherung der Staatsautorität“ vom 13. April 1932 verbot Heinrich Brüning SA und SS. Die Regierung befürchtete einen Putschversuch der rechtsradikalen Organisationen.
Mittwoch, 11. Mai 1932
Große Rede Brünings im Reichstag[1]. Er bekommt eine gute Mehrheit (287 gegen 257). Er behandelte die Außenpolitik besonders und unterstrich noch einmal sein weltgeschichtliches „Nein“ in der Reparationsfrage. [Wilhelm] Groener mußte als Reichswehrminister abdanken. (SA-Verbot!) – (Am Sonntag sprach Brüning vor der auswärtigen Presse (das heißt der Presse außerhalb Berlins). – Er betonte besonders die Gleichberechtigung mit den andern Staaten!)
[1] Es spielt auch gar keine Rolle, was Sie über mich im Lande so […] verbreiten; es läßt mich absolut kühl. Wenn ich mich dadurch beeindrucken ließe […] …, ich würde die Ruhe auch innenpolitisch verlieren, die […] an den letzten hundert Metern vor dem Ziel das absolut Wichtigste ist. (Vernekohl, Wilhelm / Morsey, Rudolf (Hgg.): Heinrich Brüning, Reden und Aufsätze eines deutschen Staatsmannes, Münster 1968: 164)
Joseph Goebbels am 11. Mai 1932:
Der Reichstag plätschert weiter. Groeners Stellung ist erschüttert, die Armee will ihn nicht mehr. Selbst seine eigene Umgebung drängt auf seinen Sturz. So muß es anfangen; wenn einer erst fällt, dann kommt das ganze Kabinett und mit ihm das System ins Purzeln. Brüning sucht zu retten, was zu retten ist. Er redet im Reichstag und zieht sich klugerweise auf die Außenpolitik zurück. Dort wird er sehr aggressiv. Er wähnt sich 100 Meter vor dem Ziel. Von Groener sagt er kein Wort. Er gibt ihn also auf.[1]
[1] Joseph Goebbels: Kampf um Berlin, München: Zentralverlag der NSDAP 1934: 80
Sonntag, 15. Mai 1932, Pfingstsonntag
5. Bundestreffen des Katholischen Wandervogels [KWV] in Marienthal bei Wesel mit Aussprache über Politik und Volk, insbesondere über die Aufgabe zur sozialen Gerechtigkeit.
[…]
Wir hören drei Referate mit Aussprachen: 1. „Wirtschaft und wir“. 2. „Politik und wir“. 3. „Bildung und wir“. Redner: 1.) Willi Janssen 2.) Hans Grewe 3.) Eugen Schoelen. Viele feine Gedanken brachten sie vor; aber sie niederzuschreiben, ist nicht Zeit. – Alle drei Vorwürfe [Entwürfe] wurden vom katholischen Standpunkt und Glauben betrachtet. Kurz ist zu sagen: Zu 1.) Wirtschaft soll jedem Volksgenossen Arbeit geben. – Ehrlich, tüchtig! – Keine Schlagworte hereintragen! – Zu 2.) Brüning: das Ideal! – In der Art dieses Mannes kämpfen. – Zu 3.) Bildung heißt nicht, möglichst viel Verstand und möglichst viel Wissen; sondern ist harmonischer Ausgleich aller Seelenkräfte zu einer „einigen“, ganzen Persönlichkeit. – Die gute Gesamteinstellung des Bundes [KWV] kam fein dabei heraus.
Montag, 30. Mai 1932
Dr. Brüning „abgesägt“
Sturz Brünings!!! „Dies ater Germaniae!“ [Schwarzer Tag für Deutschland!]
Dr. Brüning, unser tüchtiger Reichskanzler, fiel gemeinen Intrigen zum Opfer. Deutsch-„nationale“ [DNVP] stänkerten bei Hindenburg wegen „Siedlungsbolschewismus“ [planmäßiger Agrarwirtschaft] usw. So wurde das Vertrauen Hindenburgs erschüttert, und Brüning demissionierte!![1]
[1] Im Frühjahr 1932 schienen die Früchte der langen und nachdrücklichen außenpolitischen Bemühungen Heinrich Brünings heranzureifen. Da verschlechterte sich die Lage im Innern. Paul von Hindenburg bedrängte den Kanzler, die Verlagerung seiner Regierung nach rechts vorzunehmen, woraufhin dieser resignierte, denn er sah sich in seiner politischen Arbeit nicht bestätigt.
Das Kabinett Heinrich Brüning trat zurück, denn Reichspräsident Paul von Hindenburg hatte sich geweigert, weiteren Notverordnungen der Regierung durch seine Unterschrift Rechtskraft zu verleihen. Reichskanzler Heinrich Brüning wurde entlassen: Die Reparationsfrage stand vor der endgültigen Lösung. Auf der Genfer Abrüstungskonferenz erreichte Deutschland die Aufhebung der waffentechnischen Bestimmungen des Versailler Vertrages und damit eine gleichberechtigte Stellung mit den europäischen Staaten bezüglich der sicherheitspolitischen Maßnahmen.
Was mir die Sammlung der Zeitungsabschnitte, Notizen und Bilder erzählte: AD 1932/1933:
Das Jahr 1932 brachte in seiner Mitte [am 30.5.1932] den Sturz der Reichsregierung Brüning. Auf ihn folgte das Kabinett [Franz] von Papen [1.6. bis 3.12.1932], das sogleich den Reichstag [am 4.6.1932] auflöste und Neuwahlen [für den 31.7.1932] ausschrieb. 100 Meter vor dem Ziel war Dr. Brüning gefallen. Lausanne, das die Krönung seiner Reparationspolitik bringen sollte, durfte er nicht mehr miterleben.[1] Von Papen leitete – leider ungeschickter – die deutsche Sache dort. Es folgten dann die dauernden Wahlen [bis zum 6.11.1932 waren es für die meisten Deutschen fünf Wahlen in einem Jahr] mit den volkszermürbenden Wahlkämpfen. Hier ein interessanter Bericht über die Leistungen und Grundlagen der Regierung Brünings:
Aus einem Zeitungsartikel, vermutlich aus der Klever Zeitung Der Volksfreund:
Von Brüning zu Papen
In diesem Artikel ist die Rede des bisherigen Arbeitsministers Dr. Adam Stegerwald auf der Essener Tagung der Arbeiterbeiräte der Deutschen Zentrumspartei wiedergegeben. Es handelt sich um einen Rechenschaftsbericht des Kabinetts Heinrich Brüning.
[1] Reparationskonferenz (16.6. bis 9.7.1932) mit der abschließenden Regelung der Reparationen in Lausanne
Eine Welle großer Begeisterung für den fähigen und echt christlichen Staatsmann [Heinrich Brüning] brauste durch unsere katholischen Lande. – Gerne hätte ich ihn selbst mal gesehn, als er in Krefeld war – schade, es glückte nicht. In dieser Epoche besuchte ich auch eine große Versammlung in Kevelaer, in der Prälat Dr. [Georg] Schreiber sprach über Brünings Politik und ihre Erfolge.
Aus der Zeitschrift Die Wacht:
Warum mußte das Kabinett Brüning gehen?
Weil Dr. Brüning unbedingt an der Sozialpolitik festhielt. Wohl Reform der deutschen Sozialversicherung, aber kein Verschwinden. Tarif- und Schlichtungswesen ließ er nicht zerschlagen, wie es Wunsch der Unternehmer war, wodurch die Arbeitnehmer der Willkür und Ausbeutung ihrer Brotherren ausgeliefert wären. Weil Dr. Brüning Finanz-, Handels- und Produktionswirtschaft der staatlichen Kontrolle unterstellen wollte, um so eine Verschwendung des Volksgutes zu verhindern.
Weil Reichsarbeitsminister Stegerwald, von Dr. Brüning gestützt, ein großzügiges Siedlungsprogramm ausgearbeitet hatte, welches auch die Enteignung einiger Großgüter im Osten vorsah, die trotz aller Staatshilfe (Osthilfe) nicht rentabel zu machen sind.[1]
Weil Dr. Brüning und Dr. Stegerwald Katholiken sind. Hinterbrachte man doch dem Reichspräsidenten [Paul von Hindenburg], daß es das Bestreben Dr. Stegerwalds sei, den Osten nur mit Katholiken zu besiedeln. Der Nationalsozialist Gregor Strasser hat ja solches auch in seiner Reichstagsrede betont.[2]
[1] [Adam Stegerwald machte] sich als positives Signal an die Arbeitslosen für spürbare Impulse des Reichs für die Arbeitsbeschaffung stark. Das wohl bekannteste Projekt war die landwirtschaftliche Siedlung, also die Zuteilung von brach gefallenen Landflächen an Arbeitslose, daneben aber auch Investitionen des Staates in die Infrastruktur. Die dafür notwendigen Haushaltsmittel sollten durch eine grundlegende Verwaltungsreform frei werden (URL http://adam-stegerwald-kreis.de/historie/reden/sachwalter_der_sozialpolitik.html – 29.10.2011).
[2] Wacht 1932: 220f.
Mittwoch, 1. Juni 1932
Ernennung des Zentrum-Außenseiters Franz von Papen zum neuen Reichskanzler als Nachfolger Heinrich Brünings
Donnerstag, 28. bis Sonntag, 31. Juli 1932
Vom 28. bis 31. Juli 1932 war das 3. Reichstreffen der Deutschen Jugendkraft (DJK) in Dortmund. Es sprach Reichskanzler a. D. Dr. Heinrich Brüning.
Samstag, 28. Januar 1933
Auch das Zwischenkabinett [Kurt] von Schleicher [3.12.1932 bis 28.1.1933] demissionierte bald und Hindenburg übertrug am 30. Januar 1933 die Kanzlerschaft an Adolf Hitler.
Sonntag, Januar 1933
Aus der Zeitschrift Der Jungführer:
Die äußeren Etappen Januar bis März 1933.
Seit dem 1.6.[19]32 hatte die Regierung von Papen das Kabinett Brüning abgelöst und damit den neuen Rechtskurs eingeleitet. Reichstagswahl vom 31.7. Die Nationalsozialisten wuchsen im Reichstag von 107 auf 230. Hitler erhebt Anspruch auf den Reichskanzlerposten – sein Empfang beim Reichspräsidenten [Paul von Hindenburg] bleibt erfolglos. Den angebotenen Vizekanzlerposten lehnt er ab. Am 12.9. Mißtrauensvotum gegen das Kabinett von Papen mit 513 gegen 32 Stimmen. Auflösung des Parlaments und Neuwahl. Die NSDAP verliert 34 Sitze, die DN [DNVP] gewinnen 13. Der General von Schleicher bildet die neue Regierung. Im Januar 1933 verlangt er zur Durchführung seines Programms vom Reichspräsidenten die Auflösungsvollmacht. Hindenburg verweigert sie. Von Schleicher tritt am 28.1.[19]33 zurück.
Der Herr Reichspräsident beauftragt Herrn von Papen: „durch Verhandeln mit den Parteien die politische Lage zu klären und die vorhandenen Möglichkeiten festzustellen“. Verhandlungen zwischen Hindenburg, Hitler und von Papen. Ergebnis: Am 30.1. Regierungsbildung unter der Kanzlerschaft Adolf Hitlers.[1]
[1] Der Jungführer: Führerzeitschrift und amtliches Mitteilungsblatt, Düsseldorf: Schwann 1933: 285
Sonntag, den 5.3.1933. Wahlsonntag
Ganz Deutschland wählt heute. Was wird werden? Wird Wahrheit oder Lüge, Geschrei oder demütiges Handeln, Hitler oder Brüning siegen? – Gott, gib uns den Sieg! Doch wenn wir nicht siegen, so nehmen wir es starkmütig hin und beten weiter: Herr, Dein Wille geschehe [Mt 6,10].
Dienstag, 2. Mai 1933
Ich bin jetzt auf Oberprima, habe also das letzte Jahr der Penne zu durchlaufen. Es muß also jetzt zum Endspurt gestartet werden.
Ja, es wird allerhand zu knacken und zu beißen geben. Mancher verflixte Nazilehrer wird mir eine Falle stellen wollen, mich hindern wollen, mein Abitur fein zu bauen. Aber ich bleibe meiner Überzeugung treu. Erst im Sturm und Feuer zeigt’s sich, ob die Überzeugung stark wie ein Baum und hart wie Stahl und wie Gold ist. Ich bleibe meinem politischen Ideal Dr. Brüning treu und wenn alle ihn bespeien, so will ich ihn schützen und hochhalten.
Aber wie soll ich mich zu Hitler und den Nazis stellen? Soll ich mitlaufen, mitschreien, mitziehen? Nein, das tu ich nicht; es sei denn, daß man mich mit Gewalt oder durch Staatsgesetz dazu zwingt, aber innerlich folge ich ihnen nicht. Den Drill, die Schnauzerei, die Lieblosigkeit gegen die Gegner, ihre fanatische, tamtamschlagende Nationalitätsbesessenheit kann ich nicht teilen. Ich bin aber trotzdem Deutscher und liebe mein Vaterland und meine Heimat. Aber ich bin auch und an erster Stelle Katholik[1], will es wenigstens durch langen Kampf gut werden. Und da kann ich diesen Militärtamtam, diese freche Art jedem Gegner gegenüber nicht leiden. – In der Außenpolitik soll Hitler mal was leisten, da seh ich so gar wenig.
Da hat doch Brüning ganz anders gearbeitet, und viel zäher und zielsicherer. Das hatte Hand und Fuß und war durchdacht, was Brüning machte. Er hatte in der gesamten Welt Ansehen. Überall im Ausland – auch im Feindesland Frankreich – hörte man auf seine Stimme, man schätzte und achtete ihn, ob seines großen Wissens und Könnens, seiner klaren Politik und seiner festen Überzeugung. – Was wir bis jetzt in der Außenpolitik haben, sind Brünings Früchte, sonst nichts. – Höchstens [Jossif] Stalin rückt etwas näher zu uns. Aber es kommt auf England, Frankreich und Amerika an. Und die scheinen nur mit nüchternen Tatsachen und Zahlen zu rechnen, nicht mit nationalen Begeisterungsräuschen und Fackelzügen und Feuerwerk.[2]
Und meinen die Herren da oben [in Berlin] denn, Deutschland könne ohne das Ausland seine Arbeitslosen beseitigen und überhaupt leben? – Diese Borniertheit sollen sie sich aus dem Schädel schlagen! – Genug politischer Senf!
Ich bleibe deutscher Katholik, bin für ehrliche, friedliche Außenpolitik und gegen jeden Drill. Für notwendige Ordnung bin ich selbstverständlich, aber nicht für diese Gesinnungsknebelei und Unterdrückung.
Für die wohlverstandene Ordnung und freudigen Gehorsam und für echte Freiheit kämpfe ich. Amen.
Montag, den 26.6.1933
Bis ungefähr ½11 Uhr saß ich mit Hermann Ringsdorff und dem „Langen“ auf dem alten Friedhof und hab mit ihnen über die „Gleichschaltung“ und den Nationalsozialismus im neuen Deutschland gesprochen.[3] Sie meinten, Nationalsozialist sei heute gleich Deutscher; wer kein Nazi sei, habe in Deutschland nichts verloren. Sie meinten, die politische Einheit müsse da sein, nur eine Partei (= Volk) dürfe es geben. Alles sehr gut und fein! Den Deutschen aber, der nicht Nazi ist, muß man doch als Bruder neben sich allerwenigstens dulden, ein Christ sogar ihn lieben! Wie läßt das sich mit dem allverbindenden Geist des Christentums verbinden, wie frage ich, mit der Liebe zum „irrenden Bruder“? – Ich kann mich nicht rein äußerlich „gleichschalten“, ohne innerlich davon überzeugt zu sein, daran zu glauben. An Dr. Brüning glaubte ich und glaube ich noch und für immer. An Hitler aber glaube ich nicht, weil er mir eben nicht glaubhaft erscheint. Ich vertraue nicht auf seine Worte. Er macht ihrer eben zuviel. Brüning hat nie so viel geredet, daran aber glaubte ich, weil ich wußte, daß er ein grundsatztreuer, echter Christ und Katholik war. (Von Hitler glaube ich – letzteres wenigstens – nicht fest.) Alles ist so unklar, so verschwommen! Man weiß nicht, was ist sein Endziel: Vielleicht die Nationalkirche? – Heute gibt er noch feste Versicherungen in Bezug auf kirchliche Organisationen, morgen löst Herr [Dr. Robert] Ley die katholischen Arbeitervereine auf und übermorgen (?) kommen wir dran?![4] So wird’s kommen. Aber ich will nicht schwätzen, sondern zu Gott beten um Hilfe und Rettung in dem seelischen Zwiespalt. Aber zwingen laß ich mich nicht, denn ich bin frei!!
[1] Hermann Ringsdorff dazu im Gespräch mit Hans-Karl Seeger:
Er nannte sich selber bewußt „ultramontan“, das heißt der Papst und seine Enzykliken waren ihm Richtschnur.
[2] In der Dunkelheit marschierende Fackelzüge sowie Fahnen und Standarten waren fester Bestandteil nationalsozialistischer Aufmärsche. Bereits zur Machtergreifung am 30.1.1933 gab es einen die Gesinnung der Masse widerspiegelnden fünfstündigen Fackelzug. Zur nationalsozialistischen Fest- und Gedenkkultur gehörten neben solchen Umzügen auch das Entfachen von Sonnwendfeuern und das feierliche Verlöschen von Flammen.
[3] Karl Leisner schrieb in beiden Tagebüchern ½11, was im Tagebuch Nr. 8 dem zeitlichen Verlauf nach als 22.30 Uhr gedeutet werden müßte. Laut Hermann Ringsdorff fand dieses Gespräch aber während einer „Beurlaubung“ von der Mathematikstunde statt. Die Jungen sprachen über den Versailler Vertrag und dessen Außerkraftsetzen sowie die mögliche Abziehung der französischen Besatzungstruppen aus dem Rheinland. Karl Leisner habe gemeint, er wisse nicht, ob es bei dem Vertrag bleibe. Die anderen seien überzeugt gewesen: Wenn wir deutsch denken, dann kann es nicht dabei bleiben.
Hermann Ringsdorff:
Als wir drei evangelischen Schüler [Hermann Ringsdorff, Wilhelm Hommrighausen und ? Heinz Verleger, Otto Andrae] damals (1933) in den Jungstahlhelm eintraten, um nicht zur Hitler-Jugend gehen zu müssen, war Karl das in seiner konsequenten Haltung schon zuviel, so daß er mich zur Rede stellte. Wir meinten damals, er hätte in seinen Äußerungen insgesamt etwas vorsichtiger sein können. Er selbst wird es als Bekennermut angesehen haben (Seligsprechungsprozeß: 535).
[4] Dr. Robert Ley hatte folgenden Erlaß herausgegeben:
Es ist der Wille des Führers, daß außer der Deutschen Arbeitsfront keinerlei Organisationen mehr, weder der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber, existieren. Ausgenommen sind der ständische Aufbau und Organisationen, die einzig und allein der Fortbildung im Berufe dienen. Alle übrigen Vereine, auch sogenannte katholische und evangelische Arbeitervereine, sind als Staatsfeinde zu betrachten, weil sie den großen Aufbau hindern und hemmen. Deshalb gilt ihnen unser Kampf. Und es ist höchste Zeit, daß sie verschwinden (Müller, Hans: Katholische Kirche und Nationalsozialismus, München: dtv 1965: 174 (zit. Müller, Hans: Katholische Kirche und Nationalsozialismus, München: dtv: 1965).
Am 25.6.1933 beschwerte sich Adolf Kardinal Bertram als Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz bei Adolf Hitler:
Der Führer der Deutschen Arbeitsfront, Herr Staatspräsident Dr. Ley, hat am 22. d. M. [dieses Monats] die katholischen Arbeitervereine den staatsfeindlichen Organisationen zugezählt. Diese Auffassung ist irrtümlich (Müller, H. 1965: 174f.).
Montag, 7. August 1933
Wir treffen einen Friesländer, der mit uns fährt. Es ist ein Bauersknecht. Ich spreche mit ihm über Politik. Er natürlich Hitleranhänger, erkennt aber die Verdienste Brünings ruhig an. – Er sagt, daß die kleinen Bauern jetzt nicht mehr so von den großen über die Schulter angeguckt werden dürften, erzählt von der guten Ernte, vom Arbeitsdienstlager, das in der Nähe liegt, und anderes mehr. Er fragt nach der Lage im Rheinland. Ein freundlicher, aufgeschlossener Mensch!
Freitag, 8. Juni 1934
Abends 20.15 bis 21.30 Uhr im „Audi-Max“ große Ansprache Professor [Friedrich] Grimms aus Essen:
[…]
( Zum Vortrag einige Namen und Stichworte:
[…]
„Krieg mit den goldenen Kugeln“[1], der gleich nach dem Mißlingen der Besetzung des Rheins [des linken Rheinlandes] einsetzte und unter Brüning 1931 zum Bankenkrach[2] führte.)
[1] s. Einzig, Paul: Der Krieg der goldenen Kugeln. Hinter den Kulissen der internationalen Finanzwelt, Stuttgart und Berlin 1932
Paul Einzig vertritt die These, der Finanzkrieg, den Frankreich im Interesse seiner politischen Macht über Europa führe, habe nicht wenig mit dem Ablauf der Depression seit 1929 zu tun und sei unmittelbar verantwortlich für die Zuspitzung zu einer beispiellosen Krise in der zweiten Hälfte des Jahres 1931.
[2] Der Bankenkrach wurde durch den Schwarzen Freitag am 25.10.1929 an der New Yorker Börse ausgelöst. Dadurch kam es zur Weltwirtschaftskrise, von der Deutschland besonders hart getroffen wurde. 1931 folgte die Bankenkrise, in Deutschland beginnend mit der Schließung der Darmstädter und Nationalbank (Danat-Bank). 1932 lebten 23,3 Millionen Deutsche von Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe.
Sonntag, 22. Juli 1945
„Münchener Zeitung [Nr.] 7“ gelesen. Konferenz der „Großen Drei“ in Potsdam.[1] Gott leite die Beschlüsse! – Artikel „Schorfheide!“ eines Luftwaffenwachpostens Ia.[2] Görings Luxusburg [„Waldhof Carinhall“] (entsetzlicher Luxus und Pomp!) und Brünings und [Otto] Brauns (kleine Zimmer) Wellblechdachschlößchen![3]
[1] Schlagzeile auf der Titelseite der Münchener Zeitung:
Konferenz in Potsdam tagt
Präsident [Harry Shippe] Truman zum Vorsitzenden gewählt – Außenminister, Generalstabschefs und ein gewaltiger Stab begleiten die „Großen Drei“ – [Robert Anthony] Eden kann wegen Krankheit nicht teilnehmen – Deutschlands Schicksal steht zur Debatte (Münchener Zeitung – Nr. 7 vom 21.7. 1945: 1)
[2] Überschrift in der Münchener Zeitung:
So erlebte ich die Schorfheide – Ein Soldat aus der Wachkompanie [Hermann] Görings schrieb an die „M.Z.“ – Die Welt des Mannes, der den Deutschen Kanonen statt Butter gab (Münchener Zeitung – Nr. 7 vom 21.7.1945: 3).
[3] Aus der Münchener Zeitung:
„So erlebte ich die Schorfheide“
[…]
Der Unterschied
Nun, Göring war nicht der einzige deutsche Minister, der die Schorfheide aufgesucht hat. Vor meinen Augen taucht ein anderes Jagdhaus der Schorfheide aus der Erinnerung auf, das Jagdschloß Hubertusstock, in dem 1931 zwei Männer der „Systemregierung“ bisweilen ihre freien Stunden verbrachten. Reichskanzler Brüning und Ministerpräsident [Otto] Braun war allerdings das aus der Vorkriegszeit stammende Schlößchen mit dem etwas altersschwachen Wellblechdach gut genug, das sie unverändert von vielen Vorgängern übernahmen. Ich habe eines Morgens vor der spartanischen Einfachheit des Braunschen Schlafzimmers gestanden, das 2,5 × 3 Meter groß, nur mit Bett, Waschtisch und Nachttisch ausgestattet war.
Das Internet-Portal „Westfälische Geschichte“ würdigt Dr. rer. pol. Heinrich Brüning und dessen Familie in einer ausführlichen Biographie.
Link zur Biographie
Zwei Monate nach seinem Rücktritt als Reichskanzler verlieh seine Heimatstadt Münster Dr. rer. pol. Heinrich Brüning am 14. Juni 1932 die Ehrenbürgerrechte. Er zählt zu den Ehrenbürgern der Stadt Münster, nach denen auch eine Straße benannt ist, die Heinrich–Brüning-Straße zwischen Salzstraße und Klemensstraße.
Link zur Heinrich-Brüning-Straße in Münster
Grabstätte von Familie Brüning auf dem Zentralfriedhof in Münster
Quelle der Fotos: Gabriele Latzel und Karl Leisner-Archiv