Karl Leisner und Ludwig van Beethoven

Artikel von Hans-Karl Seeger

Ludwig van Beethoven (* 16.12.1770 in Bonn, † 26.3.1827 in Wien) – Kom­po­nist der klassisch-romantischen Periode – Werke: u. a. Missa Solemnis op. 123 (1823), 9. Sinfonie u. Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58 von 1807

Quelle des Fotos

Karl Leisner war ein großer Liebhaber der Kunst. Mit 16 Jahren hörte er Ludwig van Beethoven. Am Sonntag, dem 15. März 1931 besuchte er mit seinem Bruder Willi in Kleve ein Konzert. Beide machten sich Notizen in ihre Tagebücher.

Karl Leisner
Sonntag, den 15. März 1931. Abends 21.45 Uhr.
Gerade komme ich aus der „Missa solemnis“ von Beethoven. So etwas herrli­ches, fast übermenschliches an Musik bekam ich bisher noch nicht zu hören. „Das prächtige Kyrie“ mit dem innig flehenden „eleison“. Dann das „Christe, eleison“. – Welch ergreifendes Gebet. Dann das „Glo­ria“ – him­melanstürmend – Gott dem Herrn mit allen Kräften zuju­belnd. – Fast zuviel um „pater omnipotens“ [allmächtiger Vater] und doch über­wäl­tigend! Prächtige Stim­mungen bis zum Schluß. (Amen) – Dann wieder das unver­geßliche Gloria!! Gloria! (Im Presto [schnell]). Der Chor jubelt es außer sich noch über das Orchester hinaus!!
Credo! Ja, wie glaubt der Beethoven so fest, wie seine wunderbaren „Credo-Motive“ sind. Wuchtig! Alles unbegrenzt schön. – „Judicare“ [richten] mit den mächti­gen, eindringlichen Posaunenstößen. (Letztes Ge­richt!) Schauer­lich! – Dann die schwersangliche, aber großartige, einzig daste­hende „Et vitam venturi sae­culi“[Und das Leben der zukünftigen Welt]-Fuge. Darauf Amen – Amen!
Als wohl schönster Teil kommt jetzt das „Sanctus“. – Tief in Demut! Dann lobsingend dem Herrn, jubelnd „Pleni sunt caeli et terra, gloria tua, Ho­san­na in excelsis“ [Erfüllt sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit, Hosan­na in der Höhe]. Jetzt das innige, schönste Benedictus. – Die Vio­line – der so­eben vom Himmel herabgestiegene Chri­stus??[1] – (Herrlich gespielt von dem Virtuosen Hermann Grevesmühl, Duisburg.) Darauf end­lich nach langer Ausführung das „Hosanna“ und zum Schluß noch einmal die Geige.
Agnus Dei! Wunderbar hat Beethoven gerade diese, doch so weni­gen, aber inhaltsreichen Worte vertont. Krieg – Frieden! Nach langem Kampf mit teils verzweifelten „miserere“ – „pacem“[erbarme dich – Friedens]-Rufen siegt endlich der Frie­den.
Jetzt habe ich erkannt, daß Beethoven der größte Musiker aller Zeiten ist!
[1] Das Benediktus wurde damals in der Regel nach der Wand­lung gesungen.

Willi Leisner
Am 15. März konnten wir hier Beethovens „Missa solemnis“ hören. Ein Er­lebnis sondergleichen! Chor und Orchester waren der Sache gewachsen. – Es war eben ein in Kleve seltener Tag! Großartig dieses „Glo­ria“, dieses persön­liche „Credo“. Das Sanktus mit dem unvergleichlich tiefen, demütig jubeln­den Benediktus (das Geigensolo!). „Ky­rie“ und „Agnus Dei“ nicht minder groß und echt. Ganz begeistert schrieb ich in mein Notiz­buch: „Ja, jetzt weiß ich’s, Beethoven ist der größte Musiker aller Zeiten!“

1931 machte Karl Leisner Exerzitien im Kloster Gerleve. Die Notizen zeigen, wie fortschritt­lich diese Exerzi­tien bei P. Laurentius Rensing OSB waren. Er verwendete nicht nur die Bibel und die Liturgie, sondern auch Literatur und Musik, zum Beispiel Friedrich Wilhelm Webers „Dreizehnlin­den“, Friedrich von Schillers „Das Lied von der Glocke“ und die 9. Sinfo­nie von Ludwig van Beetho­ven.

Gerleve, Sonntag, 6. September 1931
Schmerz, Reue, Himmel, Paradies Heimat der Seele. (Künstler, Dichter, Wanderer)
Sehnsucht zur wahren Heimat bei Dichtern, Musi­kern (Beethovens 9te[1]).

[1] Ludwig van Beethoven, 9. Sinfonie d-moll op. 125 mit dem Schluß­chor aus Fried­rich von Schillers Ode An die Freude

In den Schulen fanden unter der Lei­tung der Hitler-Jugend nationalpolitische Lehrgänge statt. So mußte Karl Leisner 1934 ein Gemeinschaftslager in Reinshagen mitmachen.

Reinshagen, Mittwoch, 17. Januar 1934, 6. Tag
Abends Konzert: [Johannes] Brahms 3. Sym­phonie       F-Dur [op. 90 von 1883], Beethoven, Klavierkonzert [Nr. 4] G-Dur op. 58 [von 1807], [Franz] Liszt, Tasso[1], Sym­phonische Dichtung[2]. Nachher „Barba­rismus“.[3]
[1] Franz Liszts Musik zu Johann Wolfgang von Goethes Torquato Tasso entstand anläßlich der Feiern zu Johann Wolfgang von Goethes 100. Geburtstag am 28.8. 1849 in Weimar. Für die Gala-Aufführung des Dramas komponierte der damalige Hof­kapellmeister Franz Liszt eine Ouvertüre und einen Festmarsch.
[2] Der Begriff „Sinfonische Dichtung“ wurde von Franz Liszt ge­prägt, er gilt auch als ihr Erfinder. Im Juli 1830 begann er mit der Komposi­tion einer Revolutions-Sin­fonie, aus deren erstem Satz 1849 bis 1857 die Sinfoni­sche Dichtung „Héroide funèbre – Heldenklage“ hervorging.
[3] Vermutlich erschien Karl Leisner der Unterschied zwischen dem Konzert und dem anschließenden Verhalten im Heim zu gegensätzlich.

Vorlesung vermutlich von Mittwoch, 9. Mai 1934
Peter Wust: Noetik und Logik [Universitätsmitschrift Nr. 3, 3–6]
PS aus dem vorigen Kolleg:
Aristoteles schreibt schon, daß der Philosoph aus dem zermürbenden Exi­stenzkampf nach der Muße streben muß (nicht nach der Faulheit!), und daß die Völker je mehr sie nach dieser Muße streben, desto größere Geister haben. (→ Deutschland: Kant
, Beethoven, Mozart usw.

„Karl Leisner – Der Kunstliebhaber“ in Hans-Karl Seeger: Karl Leisner – Visionär eines geeinten Europas – Topos Plus Taschenbücher, Kevelaer 2005, 22012: 119-125

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