Karl Leisner und Papst Pius XII.

Pius XII.
Eugenio Pacelli (* 2.3.1876 in Rom, † 9.10.1958 in Castel Gandolfo/I) – Priesterweihe 2.4.1899 – Eintritt in den Dienst des Staatssekretariates 1901 – Professor für kirchliche Diplomatie 1909–1914 – Bischofsweihe zum Titularerzbischof von Sardes/Sart/TR 13.5.1917 – Apostolischer Nuntius für Bayern in München 1917 – Nuntius für das Deutsche Reich 1920–1929 – Übersiedlung nach Berlin 1924 – Kardinal 1929 – Kardinal­staats­se­kretär in Rom 1930 – Papst Pius XII. 2.3.1939

Quelle des Fotos: Wikimedia Commons / gemeinfrei (abgerufen 22.07.2017)

Rolf Hochhuth erhob 1963 in seinem Theaterstück „Der Stellvertreter“ gegenüber dem angesehenen Papst Pius XII. den Vorwurf, er habe angesichts des Holocaust geschwiegen. Im Gegensatz dazu nimmt Mark Riebling den Papst in Schutz, wenn auch mit einigen Vorbehalten.

 

 

Mark Riebling
Die Spione des Papstes. Der Vatikan im Kampf gegen Hitler.
Aus dem Englischen von Enrico Heinemann und Norbert Juraschitz.
München 2017, 496 S., Geb. 26,00 €

Link zum Buch

 

Unter der Überschrift „Der Widerstand gegen Hitler schuf seine eigene Ökumene – Starke Behauptungen: Der Historiker Mark Riebling wirbt um Verständnis für das Verhalten von Papst Pius XII. im Zweiten Weltkrieg“ besprach Jörg Ernesti das Buch in der F.A.Z. vom 21. Juli 2017.

Der Autor wirft Papst Pius XII. vor, ihm hätten „angesichts der größten moralischen Krise der Welt“ die Worte gefehlt, bringt aber Verständnis für den Papst auf, da dieser laut rekonstruierter Quellen gewisse Kontakte zu Widerständlern hatte. Jörg Ernesti hält das von Pius XII. gezeichnete Bild für deutlich zu positiv und schließt mit der Feststellung: „Auch wenn man die Motive seines Handelns nach der Lektüre besser versteht: eine Absolution mag man dem ‚Papst des Schweigens’ dennoch nicht erteilen.“

Link zum Artikel unter Rezensionen bei buecher.de

Unter der Überschrift „Kirchengeschichte als Thriller“ rezensierte Alexander Schwabe das Buch in der Zeitschrift Christ in der Gegenwart vom 15. Oktober 2017.

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Tagebucheinträge

Karl Leisner schätzte Eugenio Pacelli sehr und ahnte bereits 1930, daß dieser der nächste Papst werde.

Kleve, Sonntag, 26. Januar 1930
Nuntius Pacelli, der päpstliche Gesandte beim Deutschen Reich, wurde beim Jahreswechsel von seiner Stellung abberufen, in der [St.-]Peters­kir­che [in Rom] zum Kardinal geweiht[1] und ist jetzt statt des Kardinals [Pie­tro] Gasparri, – Kardinal­staatssekretär des Papstes [Pius XI.]. – Eugen Pacelli ist ein großer Deutschfreund. Vielleicht wird er der nächste Papst.
[1] Ein Kardinal wird vom Papst ernannt, aber nicht geweiht, die Überreichung des roten Biretts usw. in Rom durch den Papst erfolgt während einer Zeremonie.

Ins Tagebuch eingeklebte Zeitungsartikel:

Pacellis Ankunft in Rom (14.12.1929)
Kardinal Pacelli nimmt Besitz von seiner Titularkirche [Basilika Johannes und Paulus auf dem Mons Caelius in Rom] (12.1.1930)

Seite 4,17 (1)
Seite 4,18 (1)

 

Auf der nächsten Seite sehen wir Nuntius Pacelli’s Abschied. – Dann ist noch in den Zeitungsbildern eine bildliche Übersicht über das Jahr 1929.[1]
[1] Die Übersicht hat Karl Leisner auf der Innenseite des Heftumschlags von Tage­buch Nr. 4 eingeklebt.

Seite 4,19 (1)

 

Über den Besuch in Rom und die Audienz bei Pius XI. gibt es keine Tagebucheinträge von Karl Leisner. Sein Kursgenosse und Begleiter Max Terhost schrieb später die Erlebnisse auf.

Sonntag, 31. Mai 1936
Erlebnis der Papstmesse Pfingstsonntag 1936
An der gege­nüber­liegen­den Seite ent­deckten wir auch den damals in Deutschland gut bekannten Kardinal Pacelli, den späteren Papst Pius XII.

An der Enzyklika „Mit brennender Sorge“[1] war Eugenio Pacelli intensiv beteiligt. Der Entwurf war auf seine Bitte hin während des Romaufenthaltes von Michael Kardinal von Faulhaber im Januar 1937 von diesem verfaßt worden. Die Sache war so vertraulich, daß außer Michael Kardinal von Faul­haber, Nuntius Eugenio Pacelli, dem Papst, dem unmittel­bar mit deut­schen Angelegen­heiten befaßten Prälaten Ludwig Kaas und dem Berater Eugenio Kardinal Pacellis P. Ro­bert Leiber SJ niemand davon wußte, bis 1964 auf Veranlassung Pauls VI. Historiker aus dem Jesuitenorden die nicht ver­zeichneten und in der Regel 70 Jahre lang gesperrten Dokumente im Archiv aufstöber­ten, die Dokumente photogra­phierten und dann wieder ab­leg­ten.
[1] s. Aktuelles vom 21. März 2014 – Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ im Leben Karl Leisners

Kleve, Montag, 1. November 1937, Allerheiligen


Bis 0.15 Uhr noch eine feine  [1] gelesen. Dieser Geist! O quam obmutescat „spiri­tus“ diaboli! [O, wie möge verstummen der „Geist“ des Teufels! (vgl. Lk 4,35)]
[1] Nach der Beschlagnahme seiner Tagebücher am 29.10.1937 verschlüsselte Karl Leisner gelegentlich seine Notizen. Das in griechischen Buchstaben, vermischt mit dem Stenozeichen für sch, Ge­schrie­­­bene bedeutet vermutlich: Rede des Herrn Patscheli, gemeint ist Euge­nio Kardinal Pacelli.

Münster, Donnerstag, 2. März 1939
Cardinal Pacelli ist zum Papst Pius XII. gewählt worden. Deo gratias! Herr, bewahre, führe ihn zum Heile Deiner Weltkirche, und zum besonderen Heile in der deutschen Not! Erwecke uns Heilige und Helden, Herr und Gott! – Jubelnd klingen die Glocken von Dom und Über­was­ser [Kirche]. Te Deum laudamus [Dich Gott loben wir]! Die Tränen der Freude kommen mir.

Münster, Samstag, 4. März 1939
Mit Natz [Bernhard] Koch nach der gemeinsamen Komplet noch im Gar­ten. Es ist Vollmond. Wir sprechen über Pius XII., über die Exerzitien, über Got­tes Größe und Güte.

Münster, Sonntag, 5. März 1939
Papstbittamt im Hohen Dom [in Münster] für Pius XII.

Kleve, Sonntag, 12. März 1939
Papstkrönung in Rom. Protodiakon Kardinal Caccia Dominioni setzt ihm die Tiara auf.

Pius XII. bemühte sich um Erleichterung für die Priester im KZ Dachau.

KZ-Priester Ludwig Spießl:
Seit dem 5.8.1940 hatten wir eine Stube als ei­genen Kapellenraum ein­richten können (durch die Bemühungen Papst Pius XII.). Dort hat der pol­ni­sche Mitbruder Paul Prabutzki, deutscher Offi­zier im Ersten Welt­krieg, täglich zelebriert.
Wir alle, selbstverständlich auch KL [Karl Leis­ner], feierten täglich die hei­lige Messe mit und konnten auch kommunizieren.[1]
[1] Seligsprechungsprozeß: 1239

KZ-Priester Joseph Buchkremer:
Zentrum und Symbol dieses christlichen Europa war die „Kapelle“ in un­serer Priesterbaracke Block 26, ein Raum, der [gegen Ende der Lager­zeit] tagsüber als Arbeitsraum benutzt wurde – eine wohl einmalige Stätte in­mitten einer „Hölle“. Papst Pius XII. hatte diese Möglichkeit erwirkt, und man hatte sie gewährt, auch um ein Alibi zu haben: Internationale Kom­missionen, die das Lager besichtigen wollten, wurden immer auch in die­sen Raum geführt als Beweis der „Humanität“.[1]
[1] Buchkremer, Joseph: Dachauer Geistliche und christliches Europa. In: Internatio­nale katholische Zeitschrift COMMUNIO, März/April 1977: 187

KZ-Priester Jean Bernard:
Worauf die Katastrophe der Pfarrerblocks zurückzuführen war, wußte niemand von uns genau zu sagen. Es hieß, der Papst habe eine ener­gische Rede im Rundfunk gehalten, und die deutschen Bischöfe hät­ten öffentlich protestiert. Irgend etwas muß vorgefallen sein.[1]
[1] Bernard, Jean: Pfarrerblock 25487. Ein Bericht, München 21962: 57

KZ-Priester P. Sales Heß OSB:
Später erfuhr ich, daß wir unsere Entlassung dem Heiligen Vater zu danken hatten. Die deutsche Regierung wünschte damals vom Vatikan eine Intervention bei den Alliierten. Der Vatikan erklärte, er könne für Deutschland nichts unternehmen, solange die Geistlichen in­haf­tiert seien. Darauf sei die Entlassung der Geistlichen zugesichert wor­den.[1]
[1] Heß, Sales: Dachau. Eine Welt ohne Gott, Münsterschwarzach ³1985 1985: 219

Am 2. Juni 1945 hielt Papst Pius XII. eine Ansprache an das Kardi­nals­kolle­gium, in der er auch auf die Vor­gänge in Deutschland ein­ging und darlegte, wie es zum Reichskon­kordat vom 20. Juli 1933 gekommen war.[1]
[1] s. Bischöfli­ches Ordinariat Berlin (Hg.), Pius XII., Der Papst spricht, Berlin 1947: 54–63 u. Neuhäusler II 1946: 26f.
Die deut­sche Über­setzung der Papstan­sprache über Radio Vatikan verlas Johan­nes Neuhäusler, der sich nach seiner Befrei­ung aus dem KZ Dachau zwei­mal in Rom aufhielt.