Unter der Überschrift „Die Gralsbotin stänkert im Zottelfell. Wenn Theater sich selbst ein Bein stellt: Stefan Bachmann inszeniert „Parzival“ am Schauspiel Köln“ veröffentlichte Andreas Rossmann einen Artikel in der F.A.Z. vom 10. Februar 2015, Nr. 34, S. 11.
Aus der Zeitschrift Sturmschar:
Er reißt sich aus der Pflege der Mutter, er begeistert sich an der Haltung der Ritter, er reitet in die Welt, liebt die Welt, kennt sie. – Ritter der Tafelrunde, erfüllt er all die hehren Aufgaben im Dienste der Selbsterziehung, der Nächstenliebe, der Tapferkeit, der Zucht. Seine innere Wandlung, sein Finden zur Burg, die große Sünde seines Schweigens: er sieht und erlebt den Gral – und ist doch nicht dabei; er steht noch abseits. Und wieder sein Rückfall in die Welt, seine große Sühne in den Irrfahrten durchs Land, durch die Tiefe des Lebens, seine Wiederkehr, nachdem er das Ringen um sein menschliches, männlich-reines Leben kampf- und siegreich vollendet hat.
Wir sollten der Jungmannschaft den Menschen einmal nicht so sehr als Helden, denn als Menschen, in seiner Schwachheit und seinem Ringen und Siegen zeigen (Sturmschar – Zeitschrift 1935: 155).
Bei Karl Leisner zählte Parzival zu den Gottsuchern, insofern hätte ihm die Inszenierung in Köln vermutlich nicht gefallen. Da wurde ihm 1928 bei den Kalkarer Freilichtspielen anderes geboten.
Kleve, Dienstag, 10. Juli 1928
Wir fuhren nach Kalkar, stellten dort bei [Familie Friedrich] Bettray unsere Räder unter, und wohnten mit dem Gymnasium dem Parsifalspiel[1] bei. Bis jetzt habe ich alle Kalkarer Freilichtspiele gesehen.
[…]
1928
Untertertia g
Parsifal[2]
[1] eine volkstümliche Umarbeitung des mittelhochdeutschen Epos des Dichters Wolfram von Eschenbach aus der Feder von Peter Macholin
[2] Ursprünglich wollte man, um in der Tradition der biblischen Stoffe zu bleiben, das biblische Mysterienspiel „Das Opfer“ in der Bearbeitung von Ludwig Nüdling aufführen, spielte dann aber Parsifal von Peter Macholin.
Kleve, Dienstag, 20. Juni 1933
„Ente“ [Edmund van Fonderen] erzählt von Parzival[1]: Gachmuret[2] – Feirefiz[3] – Herzeloide[4] – Parzival zieht als Narr los.
[1] Wolfram von Eschenbach: Parzival, Bielefeld/Leipzig 1903, hg. von Gustav Lageholtz
Laut Karl Leisners Klassenkameraden Hermann Ringsdorff haben sie in der Schule Parzival mit „durch das Tal der Weimarer Republik“ übersetzt. Die Schüler haben Parzival in folgende französische Worte zerlegt: Par ce val – durch dieses Tal.
[2] Gachmuret von Anjou, Parzivals Vater und König von Valois und Norgal
[3] der schwarz-weiß gefleckte Sohn von Gachmuret und der Mohrenkönigin Belakane von Zazamne, ein Halbbruder Parzivals
[4] Parzivals Mutter und Königin von Valois und Norgal
Kleve, Dienstag, 27. Juni 1933
Geregelter Tag. Morgens: Parzival. Der ringende, strebende Gottsucher ( Hans Unwirrsch[1] – Peer Gynt[2] etc.)
[1] Raabe, Wilhelm: Der Hungerpastor, Berlin o. J.
Herbert Alfred und Elisabeth Frenzel:
Der Schusterssohn Hans Unwirrsch ist getrieben von Erkenntnisdrang und jenem „Hunger nach dem Maß der Dinge, den so wenige Menschen begreifen und welcher so schwer zu befriedigen ist“. Er geht unter großen Schwierigkeiten seinen Weg und endet als Pfarrer auf der Hungerpfarre Grunzenow, als ein freier und froher Mensch. Im Gegensatz dazu zielt der Weg des Moses Freudenstein nach äußerem Glanz und Besitz; er endet als Spitzel der preußischen Regierung gegen verbannte Freiheitskämpfer im Ausland (Frenzel 1962 Bd. II: 84f.).
[2] Ibsen, Henrik: Peer Gynt (1867)
Henrik Ibsen hat über Peer Gynt, Sohn der Bauernwitwe Aase, 1867 ein Drama geschrieben, eine Gestaltung der norwegischen Volksseele in ihrer Neigung zu Träumerei und Phantastik und zugleich eine symbolerfüllte Menschheitsdichtung.
Das Stück, dessen Handlung am Anfang des 19. Jh. beginnt und in den 1860er Jahren endet, spielt im Gudbrandstal und seinen Bergen, an der Küste von Marokko, in der Wüste Sahara, im Tollhaus zu Kairo und auf See.
Mein ganzes Leben muß also viel gottgebundener, gottverbundener, gotthingegebener sein; es muß nicht sein, aber ich will es so haben; demütig darum bitten, suchen, ringen und danach streben. Wie Parzival will ich sein: Ein strahlender, geläuterter Ritter Gottes, ein Gottsucher. Ich will mich immer tiefer versenken in die tiefe Gedankenwelt Schönstatts und meine Notizen ausarbeiten im „Buch des Lebens“. Denn – ohne Gottesliebe und Freude der Seele, komme ich zu nichts. Mit Gott werde ich aber alles in mir haben. Da virtutem, Domine! [Gib Kraft, Herr!]
Kleve, Freitag, 14. Juli 1933
Bis 22.30 Uhr Fertigstellen des deutschen Hausaufsatzes: „Parzival, ein Sinnbild des deutschen Menschen“.
Karl Leisner aus Kleve am 29. Juli 1933 an Walter Vinnenberg in Münster:
Lieber Walter,
Als Bücher bringen wir etwa folgende mit: […] (Vielleicht bringe ich noch mit: Will Vesper „Tristan und Isolde“ und „Parzival“[1] (eine meisterhafte „Nacherzählung“ (= Nachdichtung) der beiden mittelalterlichen Gedichte.
[1] Vesper, Will: Tristan und Isolde. Ein Liebesroman – Parzival. Ein Abenteuerroman, Ebenhausen bei München o. J. [vor 1933]
* * * *
Auszüge aus dem Rundbrief des IKLK Nr. 42 – August 2000: Wie Parzival will ich sein – Pilgerbegleiter auf der Wallfahrt nach Santiago:
Karl Leisner – Kleve – Parzival
Karl Leisner identifizierte sich in seinen Tagebüchern sehr stark mit Parzival. Über seine „Heimatstadt“ Kleve war er auch mit Lohengrin, dem Sohn Parzivals, verbunden. Auf dem Kleinen Markt enthüllte man 1882 ein Lohengrindenkmal, das man später zur Emmericher Straße versetzte. Durch Richard Wagners (1813-1883) „Lohengrin“, 1850 uraufgeführt, war die Schwanenrittersage[1] nicht nur am bayerischen Königshof beliebt.
In Kleve verknüpfte man die Geschichte des Grafengeschlechtes mit der Sage und identifizierte Lohengrin mit dem Schwanenritter Elias (Helyas) Gral (Grail), der im achten Jahrhundert die Tochter Beatrix des verstorbenen Herzogs Diederich von Kleve geheiratet und mit ihr drei Söhne hatte. Die Sage erzählte man sich wie folgt:
Als der letzte Graf von Nymwegen und Cleve im achten Jahrhundert starb, hinterließ er nur eine Erbtochter mit Namen Beatrix. Ländergierige Nachbarn bedrängten sie sehr. Einmal saß sie trostlos auf ihrer Burg und schaute sinnend auf den Spiegel des Rheines hinunter. Da bemerkte sie einen Schwan, der an goldenem Kettlein einen Nachen zog, in dem ein stattlicher Ritter stand. Helm und Schuppenkleid glänzten im Sonnenschein, das Schwert war gülden, an der Hand funkelte ein Ring, und an der Hüfte hing ein Horn von Elfenbein. Der Ritter stieg ans grüne Ufer und sprach zu seinem Schwan: „Fahr´ wohl, Lieber! Bedarf ich dein, so ruf ich dich!“ Der Schwan zog mit dem Schifflein weg und war bald verschwunden. Der Ritter schritt unverweilt zur Burg hinauf und bot der jungen Gräfin seine Dienste an. Nachdem er ihre Bedränger besiegt hatte, wurde Beatrix seine Gemahlin. Bei der Vermählung mußte sie ihm geloben, nie zu fragen, woher der Fahrt er gekommen, wie sein Name sei und sein Geschlecht sich nenne; denn dann müßte er von ihr scheiden. Jahre vergingen in ungetrübtem Glück. Drei Knaben wuchsen zur Freude des gräflichen Paares heran. Als nach 21 Jahren Beatrix ihr Versprechen brach und die verhängnisvolle Frage stellte, erschrak der Ritter sehr und sprach betrübt: „Nun hast du selber unser Glück zerstört!“ Wehmütig nahm er von der Frau und den Kindern Abschied. Auf dem Rheine schwamm der Schwan mit seinem Schifflein heran, der Ritter stieg ein und zog hinweg für immer. Der armen Beatrix wollte das Herz brechen vor Gram und Reue; doch zog sie fleißig ihre Kinder auf, und von diesen stammen viele Geschlechter ab, die alle den Schwan im Wappen führen.[2]
[1] Siehe: Gebrüder Grimm, Deutsche Sagen 1818.
Der Schwanenritter kommt der bedrängten Elsa von Brabant zu Hilfe, die ihn aber nicht nach seinem Namen und seiner Herkunft fragen darf. Im Nachlaß von Karl Leisners Vater befindet sich ein handgeschriebenes Liederheft mit einer sechsstrophigen Ballade „Elsa von Brabant“.
[2] Siehe auch: Rüdiger Gollnick, Kleve – Niederrheinische Städte in Geschichte und Gegenwart, Kleve o. J., S. 28–30.
Es gab im 15. Jahrhundert eine feste und gesicherte Überlieferung von der Schwanenritterabkunft des klevischen Grafenhauses.[1]
[1] Friedrich Gorissen, Franz Matenaar und Herbert Gräf, 150 Jahre Landkreis Kleve, Kleve 1959, S. 29.
Verbindendes zu Lohengrin und der Schwanenrittersage ist auch der Schwan auf der die Stadt Kleve überragenden Schwanenburg. Als Richard Wagner 1877 bis 1879 seine Oper „Parzival“ schrieb – das Bühnenweihfestspiel wurde 1882 uraufgeführt –, wurde die Beziehung noch enger. Kleve galt nun als „Lohengrinstadt“.
Karl Leisners Religionslehrer, der Quickborner Walter Vinnenberg, hatte sicherlich in der Zeitschrift „Quickborn“ einen Artikel von Romano Guardini mit dem Titel „Parzival“ gelesen. Guardini schrieb unter anderem:
Es war vor einiger Zeit, eines Abends im Wald. Alles stand in kühlem Licht. Da wurde mir mit einem Mal die alte Mär so lebendig, daß ich meinte, ich sehe ihn zwischen den schweigenden Stämmen daherkommen, den Ritter auf dem roten Streitroß Ithers von Gahavies. In langem Schritt ging das Roß, stät und schwer von weiten Wegen. Vieler Straßen Staub lag auf des Ritters Gewand. Von vielen Kämpfen waren ihm Schild und Panzer zerhauen. Im Antlitz tiefe Furchen und schmerzenden Wissens voll der Mund. Aber um die unbeugsamen entschlossenen Lippen schien eine Jugend zu schlummern, bereit, in frohem Lächeln zu erblühen. Ruhig gingen seine Augen über alles am Weg. Den weiten Dom der Baumkronen sahen sie und den zierlichen Farn am Boden. Aber es war, als schauten sie doch durch alle Dinge hindurch, in eine weite Ferne, zu einem Ziel, davon ein sehnsüchtiger Glanz in ihrem Grund widerstrahlte. Parzival wars. Und ich wußte: Die Mär ist nicht tot. Wieder reitet er durch die Welt und sucht den Gral.
Brüder und Schwestern, Quickborns Seele ist Parzival!
Seit Jahren ist er ausgezogen, und sucht. Wie der Sohn der Herzeleide[1] ist Quickborn. Ein Tor so oft in den Augen der Weltklugen – o, Brüder, und Schwestern, daß er doch nie deren Lob verdiente!
[…]
Nach dem Gral ist Quickborn ausgezogen. Wer will sagen, was der ist? Das heilige Geheimnis der Einheit, darin sich aufrechtes Menschentum und demütiger Gehorsam verbindet; wesensstarke Natürlichkeit und gute Zucht. Schaffen und Freuen, und Opferkraft zugleich. Da tritt der Bruder der Schwester gegenüber in reinem Vertrauen. Da wurzeln die Füße in der Heimat, aber das Herz ist weit für alle Menschen. Stark steht der Mensch in der ihm von Gott angewiesenen Gegenwart, aber sein Geist horcht in die Ewigkeit. Und das alles ist nur möglich, weil die Herzen mit Gott verbunden sind und getragen von seiner Gnade, weil sie Gott lieben und die Geschwister in ihm.
Das ist der Gral: Wahrheit und Liebe in Christi Kraft. Nach dem sucht Quickborn, wie einst Parzival.
Wo aber ist er? Nicht hier oder dort, an Orten, die man angeben kann, sondern lebendig im Herzen, das euch geworden ist, gläubig rein, und seiner selbst mächtig in Geduld; weit in Liebe, voll wissender Verantwortung und stark in Zucht.
[…]
Brüder und Schwestern, wieder reitet Parzival durch die Lande und sucht. Wieder ist Monsalvat bereit, aufzuleuchten, mitten in der lärmendsten Stadt, im ärmsten Dorf, im bedrängtesten Haus. Laßt uns wach sein und bereit. Wir wissen nicht, wie lange Gott uns Zeit läßt. Wir wollen suchen in nie ermüdender Sehnsucht. Wir wollen wagen und opfern, was von uns verlangt wird, damit wir finden. Und was wir finden, wollen wir hüten in Treuen, damit die heilige Burg stehe, und den Gral berge![2]
[1] Parzivals Mutter und Königin von Valois und Norgal.
[2] Quickborn 10 (1922) 137–138.
Der Rundbrief der Sturmschar des Katholischen Jungmännerverbandes Deutschlands brachte 1935 einen Artikel über Parzival mit folgender Einleitung:
Immer suchen wir Gestalten, die ein Bild unserer Sehnsucht sind. Solch eine Gestalt ist Parsifal. Er ist das Bild des reinen Toren, der mitten durch alle Gefahren und Hindernisse geht, der sich hindurchringt durch Sünde und Schuld, der als Gralskönig sich die ganze Fülle des Lebens errungen hat. So kann die Dichtung in ihrer Feinheit uns vieles geben. Sie zeigt uns Suchen und Ringen, Versuchung und Kampf, Liebe und Leid, Erfüllung und Glück.[1]
[1] Sturmschar 1935, S. 52f.
In der Sturmschar gab es Buchempfehlungen für die einzelnen Altersstufen. Den Parzival empfahl man erst für die Jungmannschaft, deren Mitglieder älter als 18 Jahre waren, „weil er zu stark mit Gedanken befrachtet ist“.[1]
[1] Sturmschar 1936, S. 137.
1937 erschien ein Artikel mit der Überschrift „Um unsere Gemeinschaft“. In dem Abschnitt „Lehrmeisterin Geschichte“ wurden einzelne „Lehrmeister“ aufgeführt:
[…] Die Bejahung aller körperlichen, gesellschaftlichen, volkhaften, staatlichen Werte (Parsifal). […] Daß wir uns entscheiden für Parsifal ist klar, denn wir verleugnen nicht die Geschichte unserer Gemeinschaft.[1]
[1] Sturmschar 1937, S. 128–131.
Karl Leisner hat mit Sicherheit 1935 in der Oktober-Wacht den Parzival-Artikel von Thomas Klausner gelesen:
Der unfertige Parzival
Eine Skizze von Thomas Klausner
Wir waren mit großen, festen Schritten in die Nacht hinausgegangen, die Gesichter trotzig dem Regen und Sturm entgegengestemmt. Man konnte nur schwer sprechen, und so kam es, daß wir diese ganze Stunde ohne ein Wort nebeneinander gingen, wir drei. Jetzt aber, nach diesem Heimgang, war es gut, in Gerhards Stube zu gehen, Tee zu kochen und von den großen und kleinen Dingen zu sprechen, die uns umgaben. Und das wurde dann auch die Stunde, in der uns Gerhard die Geschichte seines unfertigen Parzivals erzählte. Langsam begann er, und wir erlebten die heimliche Stunde wieder, die den jungen Dichter damals erfaßt haben muß, als er die unfertigen Verse schrieb.
Heute ist er nicht mehr jener Dichter, aber seine Verse sind uns geblieben, und nur zaghaft gebe ich sie weiter. Es gibt wohl auch heute noch Jungen, die dieser Stimme das Ohr öffnen, mag sie auch fern und zeitlos klingen, sie ist doch eine Stimme der Zeit, eine Stimme des jungen Lebens. Und wenn es gar noch einen oder zwei in unserer Gemeinschaft gäbe, die aus diesen Versen für ihr Leben eine Frage hören oder eine Antwort spüren würden, dann wäre es gewiß gut gewesen, daß ich diese Verse hergegeben habe, und mein Kamerad von damals könnt mir nicht gram sein, daß ich eines seiner Knabengeheimnisse preisgab. Also denn, lassen wir Gerhard erzählen in die Stille dieser Stunde hinein:
Damit fängt wohl manches junge Dichterleben an: einmal ein Spiel schreiben vom jungen Parzival, von dem reinen Toren, der da auszog im bunten Gewande auf einem lahmen Gaul, um den heiligen Gral zu erringen. Das ist der erste Traum, den man träumt durch Tage und durch Nächte, durch Wochen und durch Monde. Und siehe da, eines Tages weiß man den Verlauf schon ganz genau, zaghaft geht man daran, die Szenen zu ordnen, den Sinn zu klären und die Verse zu formen. So entsteht sehr bald der erste Akt. Wir sehen Parzival im Walde mit seinem Pfeilgerät beschäftigt. Ein alter Wächter, der ihn auf Wunsch der Mutter Herzeleide überall begleiten muß, belauscht seine Tätigkeit und stellt den Jungen zur Rede ob seiner Flucht aus Haus und Garten, […]
Die Parzivalgeschichte wird erzählt und ausgemalt und endet:
Nach diesem furchtbaren Anruf tritt Parzival über die Schwelle der Burg, auf seinen Lippen die Frage nach des Königs Leid, auf seinen Lippen aber auch die mühsam erfahrene Erkenntnis. Und siehe da, die Wunde des Königs schließt sich, und er sieht im Geiste die Mauern sich wie Tore öffnen, sieht den heiligen Berg aufragen in kristallklarer Helle und stirbt seiner Seligkeit entgegen:
Ein neues Leben will ich beginnen.
Ich spür´ es wachsen in der Brust.
Ein hoher Flug führt mich von hinnen,
und meine Qual wird meine Lust.
Ein Geist ist über mich gekommen,
hat mich in seinen Flug genommen
und reißt mich fort, der Sonne zu.
Ich fliehe hin ich fliehe …
– – – – – – Du,
heiliger Gral.
Dann erhebt sich Parzival, schreitet zum heiligen Gral, nimmt ihn in die Hände und hebt ihn noch dem Kreuz entgegen.
Die Winde tragen ein Getön,
aus allen Wolken bricht ein Licht,
das über uns herniederbricht,
aus allen Nebeln steigen Frauen,
die gütig auf uns niederschauen,
den Glanz des Tages auf der Stirn.
Und als trüg der Kelch das volle Leben geheimnisvoll in seinem leuchtenden Kristall, opfert er diesen Kelch und dieses Leben dem heiligsten Dienst. – Damit schließt das Spiel.
Ich weiß nun freilich – begann Gerhard nach einer kleinen Weile zu erklären – , daß all das noch unfertig ist, ich hab´ es auch zu sehr deshalb geschrieben, um ein einfaches Spiel zu haben, aber, wißt ihr, so zwischendurch, sobald es ernst wurde, war es doch immer mehr als nur ein Spiel, es war auch meine eigene Geschichte, der Kampf meines Lebens, die Gralsfahrt meiner Jugend. Es war meine Mutter, der ich so gerne entfliehen wollte, es war meine abenteuerliche Sehnsucht, die so sehr nach all dem außerordentlich Großen ausschaute, es war meine Sünde auch, die mich vom heiligen Gral verstieß, mein Trotz, der mich wie in Eisen geschient nicht zu Gott kommen ließ, es war mein Priester, der mich zurückführte und mir das Geheimnis des Lebens und des Leidens dahin wies, wo es Sinn und Bedeutung erhält, zu Christus; ich war Amfortas[1] mit der tiefen Wunde, mit der harten Klage wider Gott, und ich war endlich der erlöste Parzival, der hinzutreten durfte zum heiligen Gral. … Seht ihr, und so durchleben wir die Geschichte einmal, zweimal, immer wieder, ein ganzes Leben lang. So ziehen wir auf große Gralsfahrt ein ganzes Leben lang. … Seltsam genug, um darüber einmal nachzudenken.
Gerhard hatte ausgesprochen, wir schwiegen ein Weile und gingen dann unseren Weg nach Hause.[2]
[1] Der von einem vergifteten Speer verwundete Gralskönig.
[2] Die Wacht, Oktober 1935, S. 23-27.
1946–1947 kamen zwei Auswahlbände der Wacht-Jahrgänge 1934 bis 1938, dem Jahr des endgültigen Verbotes durch die Nationalsozialisten, in Düsseldorf heraus. Der Parzival-Artikel ist nicht wieder gedruckt worden.
[…]
Das Heft 1/2 von „Der Jungführer“ 1937, das sich noch im Nachlaß von Karl Leisner befindet, brachte auf Seite 88 einen Hinweis auf das Buch:
Die ritterlichen Abenteuer des Parzival und des Herzog Ernst
Irmgard Prestel. Herder, Freiburg 1936. 230 S. 3,80 RM.
Wie christliches Rittertum wird und aussieht, das müssen unsere Jungen wissen. Den Weg des Parzival muß jeder Junge einmal gehen durch Prüfung und neue Erkenntnis zum Ritter des heiligen Gral. Herzog Ernst schildert meisterhaft die Treue zum Freund, ein Thema aus dem Leben des Jungen. Ein wertvolles Buch für unsere Heimstunden.
[…]
Die Fähigkeit, sich ein Ziel zu setzen und es stetig zu verfolgen, ist eine wichtige Errungenschaft im Verlaufe der menschlichen Entwicklung. Für Karl Leisner war es ein schwerer Weg bis zum Ziel. Er bekam „ … etwas Vorgeschmack vom Victor [Sieger]-Sein.“, wie folgender an seinen Mithäftling Hermann Richarz im KZ Dachau vermutlich vom Krankenrevier aus am 22. Januar 1945 geschriebene Brief zeigt:
Lieber Hermann!
[…] So etwas Vorgeschmack vom „Victor-Sein“ durfte ich in den vergangenen Wochen so ganz tief erfahren. Nach der Konsekration in der Primizmesse war´s mir, als stände ich vor unserem König als sein Ritter und Sieger. Und der lieben Mta [Mater ter admirabilis, Dreimal wunderbaren Mutter[1]] hatte ich vorher mich ganz anempfohlen. Es war mir, als ob sie als Schutzherrin jeden Schritt und jede Handbewegung lenkte und segnete. Ich meine so glücklich noch nie gewesen zu sein. Und Eurer Liebe danke ich dafür.
Und in der großen Sehnsucht nach dem Victor-Werden wollen wir uns weiter gegenseitig stärken und segnen. Die Mta wird uns auch diese letzte vielleicht schwierigste Etappe gnädig schützen und führen. […]
[1] Seit 1915 wird Maria in der Schönstatt-Bewegung als Dreimal wunderbare Mutter verehrt.
Weiterführende Informationen finden Sie auf den Seiten 18 bis 28.
Link zum Rundbrief des IKLK Nr. 42 – August 2000: Wie Parzival will ich sein