Karl Leisner und seine Lieder (22)

 

Karl Leisner mit seiner Schwester Maria 1937 im Allgäu

 

Quelle des Fotos: Karl Leisner-Archiv

 

 

 

 

Singen unter verschiedenen Aspekten (5)

„Mit Sang und Klang“ (5, 1935-1945)

Am 12. Januar 1935 schrieb Karl Leisner als Diözesanjungscharfüh­rer einen Schreibmaschinenbericht an Diözesanpräses Heinrich Roth:
8. Das Ideal: jeder Jungschärler ein Meßdiener ist noch viel zu wenig Tat­sa­che.
Statistik
Bis Jahresende waren gemeldet:                             9.000 Jung­schärler
Geschätzt wird auf:                                              12–13.000 Jungschärler
In 16 Bezirken ist bis jetzt ein Bezirksjungscharführer da. Für die fünf Oldenburger Bezirke ist vorläufig aus zweckmäßigen Gründen ein Gau-Jungscharführer da. Somit fehlen uns noch in 12 Bezirken die Bezirks­jungscharführer. An Bezirksführerkursen für Jungscharführer wurden von mir seit Ende Oktober drei gehalten. Sonstige Kurse und Treffen in eini­gen Bezirken alle zwei bis drei Monate (z. T. auch Singschule, Instru­mentenlernen usw.).

Dienstag, 22. Januar 1935
Ach und dann, wie ich geritten bin, gejauchzt hab’ mit dem heldischen Jun­gen, dem Konradin, dem letzten Hohenstaufen! Otto Gmelins „Konradin reitet“ – wunderbares Singen und Klingen des nordischen, germanischen Blutes, aber doch verklärt in wunderfeiner Christlichkeit. Wundervoll!

Donnerstag, 24. Januar 1935
Karl Leisner
hatte Vorsätze für die Semesterferien gefaßt:

Dazu die wichtigste [Aufgabe]: Lesen zur Vertiefung besonders Philosophie, Geschichte, Vor­lesen und Er­zählen und Singen (praktisch-theoretisch), Einüben auf das neue Schul[Stu­dien]jahr.

Samstag, 2. Februar 1935
Licht und Leben selbst zu besitzen in Fülle, das ist unserer Jugend Gemein­schaft der katholischen Jungmänner letzter Sinn – wie Christus, unser Kö­nig und Führer, es uns so herrlich sagt: „Ich bin gekommen, damit sie (das heißt alle Menschen) das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Der heilige Paulus schreibt an die Epheser Christen darüber: „Einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr Licht im Herrn. – Was aber vom Licht erhellt wird, ist Licht. – Singt und spielt dem Herrn in euren Herzen: Dankt Gott dem Vater allezeit für alles im Namen unseres Herrn Jesus Christus.“ [Eph 5,8.13.19.20] – Weitertragen sollen wir Jungführer, aber auch schon je­der Jungmann, Junge und Jungschärler diese Fackel des Lichts, diesen Urquell des Lebens!

Samstag, 27. April 1935
Nach Mittag (das heißt 12.00 Uhr) Choral bis zum Essen. Alle singen wir die frische und tiefe „Lux et origo“, die Ostermesse. […] Dann mit Fritz Häfner in die herrliche Frühlingsnatur voller Sonne und Grün hinausgefitzt – nach Hiltrup. Am Waldrand gelegen, geflötet, gesun­gen, Junge Front gelesen und gesprochen über allerlei Dinge.

Flandernfahrt vom 3. bis 21. August 1935

Dienstag, 6. August 1935
6.30 Uhr raus aus’m Zelt. 9.00 Uhr los nach Brüssel. – (Johann [Peters] – Urban [Peiffer] Panne.) In Mecheln bei Mijn­heer [Jozef] Cley­mans geges­sen. Fein aufgenommen. Er­zählt. Deutsche Lieder gesungen. Er war begei­stert! Feiner Kerl. – Er schenkt uns aller­lei Lieder, Sprech­chöre etc

Donnerstag, 8. August 1935
Dann beim Bauern [wegen Übernachtung] gefragt.
Adresse: Remi Leenesonne – Landbouwer, Bockstaele, Melle-Kwatrecht.
Ia getroffen! – Echte Vlamingen Tee gekocht, gewaschen etc. – Butterbrote. Gesungen – Stroh! Sehr heiß. Kaum zu schlafen.

Sonntag, 11. August 1935
18.30 Uhr auf dem Missiefest [Missi­ons­fest]: geke­gelt. Der Abt [Dom Modest van Assche OSB] sehr leut­selig. Gefuttert. Lieder gesun­gen.

Donnerstag, 15. August 1935
Nach Dunkel­werden zum Heim. Dort mit den Kajotters ge­sungen und von der K. Jgd. Dlds. [Katholischen Jugend Deutschlands] erzählt. Alle Flamen be­geistert.

Montag, 19. August 1935
Wir hatten beschlossen, bis nachmittags an der Maas zu bleiben. 6.30 Uhr raus – 7.00 Uhr Kir­che. Wallonische Pfadfinder sangen ein weniger schö­nes (Harmonium!) Requiem

Diözesanführerschaftstagung in Haus Altenberg

Samstag/Sonntag, 19./20. Oktober 1935
Und was er uns nach dem frischen Courage-Lied („[Der] Klabautermann“!) über das gute Singen und Musizieren sagte – alles so echt und fein! Das geht all bis in des Herzens Mitte und packt!
Von 11.00 bis 13.10 Uhr geht’s dann wieder los mit frischem Sang.

Exerzitien in Münster

Mittwoch, 30. Oktober bis Samstag, 2. November 1935
1.–4. Tag der gnadenreichen Exerzitien [bei P. Friedrich Kronseder SJ im Collegium Borromaeum]
Voll Glück und Frieden vergeht ein Tag schöner und aufschlußreicher und glücklicher als der andere. In der heiligen Beicht mangelt’s noch etwas an Tiefblick und ruhiger Selbstbetrachtung beim Gewissenserforschen, und an Selbstbeherrschung beim Bekenntnis! – Oh, ich Menschlein!
Ich möchte ein ganz neues großes Lied singen vor Freude und Glück, das mir in diesen Tagen geschenkt wurde!
(geschrieben am 18.11.[1935])
O Sanctissima Trinitas – O Aeterna Caritas!
[O heiligste Dreifaltigkeit –     o ewige Liebe!]

Donnerstag, 14. November 1935
So will ich mein Le­ben singen „Introibo ad altare Dei – ad Deum, qui laetificat iuventutem meam.“ Hintreten will [ich] vor ihn, schreiten zu Christus, dem lebendi­gen Altare Gottes in der Menschheit und mich erfüllen lassen in meiner Jugend Sehn­sucht von Ihm, von Seinem Heiligen Geist! Alleluja!

Samstag, 23. November 1935
Grund­sätzliches zum Choral als höchster Ausdruck der Liturgie! Pflichten des Kle­rikers, selbst (zum Beispiel Pater noster singen als Mittler zum Volk zwischen dem Mittler Christus und dem Vater!) – und in Kirchenchor und Gemeinde! Ernst nehmen!

Sonntag, 24. November 1935
Alles klappte gut bis aufs gemeinsame Singen.
[…]
16.30 Uhr in Münster-Hauptbahnhof. – Los im Lauf zum Collegium Bor­ro­maeum. Punkt fünf nach halb [16.35 Uhr] in der Vesper, die wir heute zum ersten Mal singen. Nachher Predigtübung. Es predigt [Franz] Wolff – Kalkar – über „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ [vgl. Mt 22,39; Mk 12,31; Lk 10,27] – Spaß, daß alles gut geklappt hat, bin etwas müde abends. 22.15 Uhr zu Bett.

Mittwoch, 27. November 1935
Ich spiele Gitarre. Töne locken, klingen, singen, Lieder schwingen mit. Seele, schwing dich auf zum Herrn, der uns (und für uns alles) so herrlich und groß und gewaltig erschaffen hat.

Samstag, 30. November 1935
Wir alle sind noch auf der Pilgerschaft, auf dem Weg – Wallfahrer war ich oft: zu unserer Lieben Frau und ihren Stätten der Gnade. In Kevelaer, Mari­en­­baum, Altlünen, Telgte, Vreden, Blieskastel (Saar), Altenberg hab’ ich vor Ihrem heiligen Bilde gekniet und hab’ zu Ihr, der himmlischen Mutter gefleht und gesungen, gebetet und aufgeschaut und immer wieder hat sie mir neue Liebe, neue Kraft und neue Freude durch Christus geschenkt.
Lob und Ehre, Herrlichkeit und Preisgesang sei Gott ob Seiner Gaben Über­fülle!

Freitag, 6. Dezember 1935
Grad’ komm’ ich aus dem ganz wunderbaren Konzert wieder. Ein Jubeln und Singen und Preisen in mir.

Dienstag, 17. Dezember 1935
P. Korbinian Roth [OP] schloß uns den Tag. Gaudete: Denn der Herr ist nahe. [vgl. Phil 4,4f] Wir sind Christen. – Taufe – Christ­liches Dasein, Wein­stock : Rebe / Vater : Kind („bluthaft“ verstehend!). [vgl. Joh 15] Dank, Gesang des Jubels klinge auf!

Samstag, 21. Dezember 1935
Ich dichte und singe von Gott, der heiligen Nacht und der Winternatur – die Verse hab’ ich ver­gessen, aber es war sehr fein und tief, voll Klingen und Singen in mir.

Dienstag, 24. Dezember 1935
Wir singen, sinnen und spü­ren uns in das Ge­heimnis der heiligen Nacht hinein. Es ist heilige Nacht. Aus tiefstem Gemüt deutscher Jungenherzen klingt es „Stille Nacht, heilige Nacht“.

Mittwoch, 25. Dezember 1935
Das brausende „Tochter Zion“ schließt die heiligen Stunden der Gemein­schaft der Gemeinde mit ihrem Herrn.
Singen
der heiligen Weihnacht in allen: Gloria in excelsis Deo! [Ehre sei Gott in der Höhe!] Weihnachten das Fest der Freude.
Quia natus est hodie. [Weil er heute geboren ist.]
[…]
Das heilige Wort klingt noch einmal auf vor der Haus­krippe – Lieder der heiligen Nacht. Hirten, Engel, Stern und Erde jubeln mit in unserm Gesang.

* * * * *

Mittwoch, 1. Januar 1936
3.20 Uhr draußen. Abschied von Willi Weiler. Stilles Gebet aus dem wachen Herzen unter Sternen, die stille leuchten. Ich sing’ mit ihren Sphärenhar­monien.

Donnerstag, 2. Januar 1936
Zu erwähnen ist noch: Wir steckten auch abends noch das Bäumchen und die Lichter vor der Krippe an und sangen unsre innigen deutschen Weihnachts­lieder.

Freitag, 3. Januar 1936
„Puer natus est nobis.“ [Ein Kind ist uns geboren. (Jes 9,5)] – Die Knabenstim­men sind gut. Ein frohes Singen und Danken und Beten an den Dreieinigen Gott und besonders an Christus ist in meiner Seele.

Sonntag, 5. Januar 1936
Im Zug [von Goch nach Kleve] sangen wir noch.

Montag, 6. Januar 1936
Singe Gott mit froher Liebe
Menschenherz aus heil’gem Triebe!
Sei selbst Lob- und Dankesweise
,
Leib und Seel’, den Schöpfer preise;
mit dem Feuer deiner Sinnen,
deines ganzen Menschen Kraft,
tu’ ihn recht von Herzen minnen,
Ihn: der dich und mich geschafft.[1]
[1] vermutlich von Karl Leisner verfaßt

Sonntag, 19. Januar 1936
9.15 bis 10.30 Uhr tolle Singe­stunde mit Karl Janssen am Klavier.

Lager Heessen

Mittwoch, 5. Februar 1936
Auf der Hinfahrt:
Im Auto frisch gesungen. Rechte Kame­radschaftsfreude!
[…]
Vor dem Abendtisch zieh’ ich nach draußen in die Winter­landschaft, atme, denke, bete und singe aus frohem Herzen.

Donnerstag, 6. Februar 1936
Wir bewundern unsere Väter, alle Helden des großen Krieges [Ersten Welt­krieges]. Ein heiliger Haß gegen den satanischen Materialkrieg flammt in uns auf. Die Worte [Pfarrrektor August Schüttken] packen und zünden. – Nie sangen wir so voll Kraft und Edelsinn das Lied der Deutschen![1]
[…]

Nach dem Essen sitzen wir noch zu Sing-Sang und Plaudern am warmen Kamin zusammen. – Es ist fein. Wir spüren Nähe und Gemeinschaft.

[1]  vermutlich das Deutschlandlied

Samstag, 8. Februar 1936
Ein Singen hebt an, voll Herzensschwung und Auftrieb erneuter Jugend­kraft. Ein Singen der Sehnsucht des liebenden Herzens – ein Jubel und Frohsang der dankenden Seele – ein köstliches Dankeslied, ein Preisgesang von glühender Harfe des Seelenbrandes ange­klun­gen: Das ist meiner Seele Singen zu Gott, meinem Schöpfer, Erlöser und Heiliger!

Freitag, 28. Februar 1936
Zum Schluß in einer „kleinen Kondito­rei“[1]
[1]  Anklang an das Lied „In einer kleinen Konditorei“

Auf der Personenkarte des Freiburger Universitätsarchivs ist Karl Leisners Teilnahme an einem Ar­beitskreis des deutschen Volksliedes im Sommer­semester 1935 und im Wintersemester 1935/1936 in Münster vermerkt.

Allgäufahrt vom 1. bis 28. August 1936

Über diese Fahrt sind im Nachlaß von Karl Leis­ner keine Aufzeichnungen vorhanden. Im folgenden sind die Berichte aus dem Fahrtenbuch von Wilhelm Elshoff wiedergegeben.

Sonntag, 16. August 1936
Am Abend ka­men wir mit der Bauernfamilie zusammen und san­gen unter sternen­kla­rem Himmel unsere Lieder.

Samstag, 22. August 1936
Regentropfen, die an mein [Dein] Fenster klopfen – dieses Lied hätten wir heute mit Berechtigung singen können. Es tropfte nämlich den ganzen Vor­mit­tag lustig vom Himmel herunter.

* * * * *

Samstag, 28. November 1936
Dann lese ich Guido Gezelles „Kerkhofblommen“. – Eine wunderbar innige, ganz chri­stus­gläu­bige Durchdringung des Todesge­dankens. Und welche Verwach­senheit mit Heimat und Blut und Scholle! Der ganze Priester und der echte Dichter spricht und klingt und singt aus seiner lyrisch-elegi­schen Wortmusik uns an. – Erhebung, Sammlung, Stille und Tiefe schenkte er mir.

Nikolausfeier im Kindergarten in Freiburg

Mittwoch, 2. Dezember 1936
Morgens 6.15 Uhr Roratemesse in St. Carolus. Eigene feine Stimmung. – Abends (17.00 Uhr) in St. Carolus Nikolaus gespielt. Fein! Für die 7- bis 12jährigen Buben und Mädel.[1]
[…]
„Toll“, was ich den staunenden Kindern alles erzählt hab’. Grad von Amsterdam mit dem Flug­zeug. „Sente Kloos, düt wat in Hoos, düt wat in den Schuhn; ek sallt ok nooit mer weerdoen.“ [St. Nikolaus, tue was in die Strümpfe, tue was in die Schuhe, ich will es auch nicht mehr wiedertun] – Kurz, prächtige Freud’ gehabt. „In Muetters Stü-ebeli, do geht der hm …“ beschloß die feine Stunde.

[1]  Unter den Mädchen war auch das jüngste Kind der Familie Ruby, Maria, geboren am 5.5.1929. Sie war bereits in der Grundschule, durfte aber als „Ehemalige“ an der Feier teilnehmen. Später erkannte sie Karl Leisner an einem Fleck im Gesicht als den Ni­kolaus wieder.

* * * * *

Karl Leisner aus Freiburg/Br.  am Donnerstag, 10. Dezember 1936, an Walter Vinnenberg in Münster:
Und abends sitzen wir dann miteinander auf meiner kleinen, aber recht wohnlichen Bude um den Adventskranz, den wir uns banden, und klampfen [mit der Gitarre spielen] und singen und spielen.

Donnerstag/Freitag, 24./25. Dezember 1936
Karl Leisner aus Freiburg/Br. am Freitag, 5. Februar 1937, an Walter Vinnenberg in Coesfeld:
Weih­nachten war ich zu Gast dort [bei Familie Ruby]. Am Heiligabend war’s sehr fein. Die Buben sangen aus dem Dezember-„Schei­de­wege“[1] die Weih­nachtsfrohbotschaft, zwischenhinein Lieder und Musik nach unserer Art. Ich hab’ nie so tief Weih­nachten als Familienfest erlebt – objektiv gesehen. (Subjektiv kann’s natürlich nirgends schöner sein als da­heim.)
[1] Am Scheidewege Dezember 1936: 9–13: Der Chorbuben heimlicher Advent; 17: Auf auf, ihr Buben!

Samstag, 26. Dezember 1936
Muß mal wieder stille werden und in mich hineinhorchen und -rufen. Nach diesem wunderfeinen Advent diese feine, feine Freiburger Weihnacht mit der lieben Maria und bei der prächtigen Familie Ruby. Ich bin noch ganz voll von all dem Singen und Freuen mit diesen rassigen Buben, in dieser katholi­schen Familie.

* * * * *

Dienstag, 9. März 1937
Adam, Eva, König [Kaiser Heinrich II.] und Kö­nigin [Kaiserin Kunigunde], Propheten und Seherin – gar tief spre­chen sie mir ins Herze. Und doch singe ich das heimliche Lied einer namen­losen Sehnsucht. – Eine Seele ist mir aufge­sprungen. – Töd­liches Ringen.

Im Arbeitsdienst war das Singen vor allem beim Marschieren ein wichtiges Element. Darüber hinaus war es für Karl Leisner eine „Lebenshilfe“. Das Tagebuch aus dem Arbeitsdienst spiegelt beide Bereiche wider.

Dienstag, 6. April 1937
Kameradschaftsabend. Ich singe zur Laute: „Mein Schätzlein …“.[1]
[1] aus dem Lied „Das Ringlein“

Karl Leisner aus Dahlen am Freitag, 9. April 1937, an seine Familie in Kleve:
Am Dienstag war Kame­rad­schaftsabend. – Ganz nett! Wir haben allerlei kleine Talente so unter den 160 Mann. Ich hab’ zur Klampfe ein wenig gesungen.

Montag, 12. April 1937
Wieder zur Baustelle Calbitz. Spaten geschultert. Donnernder Schritt der Männer. Hell klingt das Horn, die Herzen singen hinein.

Dienstag, 13. April 1937
Baustelle Calbitz. Herrlich! Trotz wunder Füße steige ich nicht aufs Auto. „Immer marschie­ren …“.[1] Mit froher Stimmung drüber weg! Am Abend (es kann auch morgen oder übermorgen gewesen sein) hal­ten die andern „Saufabend“. Franz S. [Schöndorf], Walter Fl. [Flämig] und ich – uns wird’s zu doof – wir schlei­chen uns hinter die Kammer mit Klampfe und Schiffer­klavier. – Mondnacht – Jugenderinnerun­gen. Unser Ideal – Freund­­­­­­­­schaft – Singen: Das feinste Erlebnis! Wir drei haben uns beglückt ge­funden. Wir halten eine geistige Linie im Trupp hoch.
[…]
„Ihr lieben Kameraden, wir ziehen in die Welt!

Wir haben Not und allen Schaden für heute weggestellt.
Heute sind wir rot – morgen sind wir tot –
Liebe Kameraden, heute muß es sein.“[2]

[1] Vermutlich dachte Karl Leisner an das Lied „Ka­meraden, wir marschieren“.
[2]  aus dem Lied
Ihr lieben Kameraden, wir ziehen in das Feld!“

Samstag, 1. Mai 1937
Morgenkaf­fee nach Festtagsart. Dann frei. Ich singe Früh­lings-, Morgen- und Wanderlieder zur Klampfe. Um 10.00 Uhr alles fertigmachen zum Marsch in 2. Garnitur! Morgens bei der Flaggenparade Aufju­beln zu Gott. […] Wir marschieren und singen durch das Städtchen. Heiho! Es schallt über den Markt. „Heute wollen wir das Ränzlein schnüren!“ – Hei Jungs, wir fahren in die Moore, hei Jungs, wir fahren an die Ems!![1] […] Ein wun­derheller Maientag. Um 18.15 Uhr in Hu­bertusburg. Pfr. G. [Pfarrer Max Gewinner] noch in Oschatz. Herzlicher, selbstver­ständlicher Empfang. Singen im Garten mit zwei ju­gendbewegten Mädchen [Maria Cerman und Agnes Leder­müller]. Zwei Schwe­stern [Borro­mäerin­nen] hören zu. Früh­lings- und Minne­lieder. – Pfr. G. kommt bald. Feine Abendtafel in schöner Burg­tradition. Die Hubertusburg ist Ia! – Hei­lige Beicht. (Sup. sup.a est! [super supera est – es gilt vor allem] Maß und Ziel in al­lem!) – 22.00 Uhr Falle nach einem Kartengruß an De­chant K. [Jakob Küppers] und einem Singestündchen.
[1] Anklang an den Refrain des Liedes „Aus grauer Städte Mauern“: Halli, hallo, wir fahren, wir fahren in die Welt.

Donnerstag, 6. Mai 1937
12.00 Uhr im Lager. – Nachmittags große Wäsche. Frohes Singen zwi­schenhinein!

Samstag, 8. Mai 1937
6.00 Uhr Wecken. Exer­zieren am Morgen. Revier reinigen nach­mittags. Abends schön ruhig gesungen und erzählt beim Sachenfertigma­chen!

Sonntag, 9. Mai 1937
6.00 Uhr raus. Dies dominica! [Tag des Herrn!] Herrli­cher Maientag! Gesungen beim Waschen.
[…]
Dann beim Pfar­rer [Max Gewinner] Kartoffeln geschält. Ge­sun­gen und gelesen in sei­ner Zei­tung. Feuda­les Essen!
[…]
Am Horst­see dann herrlichen Nachmittag verbracht! Blü­hen und Grünen überall! Wun­derbarer Blick aufs Schloß. – Gesungen, von der Rom­fahrt [22.5. bis 8.6.1936] erzählt.
[…]
Im Kinder­heim[1] Abend­brot. Mit den Jungens gesungen und Ge­schichten er­zählt. Nachher noch bis 20.30 Uhr den Schwestern vor­gesun­gen.

[1]  In Hubertusburg bestand seit 1881 eine „Erstkom­munikantenanstalt“, die von 1940 bis 1945 aufge­löst war und dann noch bis 1968 bestand. Das Haus leiteten Borromäerinnen aus dem Mutter­haus Trebnitz in Schlesien.

Sonntag, 16. Mai 1937
22.15 Uhr nach Ta­gebuch in die Falle. Ich dichte und singe und träume. Mir ist’s, als müßt ich zerspringen vor Sehnsucht!

Montag, 17. Mai 1937
Bis 22.00 Uhr gesungen und Klavier gespielt.

Mittwoch, 19. Mai 1937
Ge­sungen, während die „Typen“ (Karl­sche [Unbe­hend], G.aestas und Hendrini [? Gerhard Heinze]) nun die bei­den Dir­nen (die eine war ein liebes Mädel dem Äußeren nach) „knutsch­ten“. – Pfui! Taedet me! – Heu mi­seros illos homines! [Es ekelt mich an! – Wehe jenen unglückseligen Menschen!]

Donnerstag, 20. Mai 1937
Marsch zum Bahnhof [in Dahlen]. Singen schlapp!
[…]
Leipzig 7.45 Uhr. Unser Singen schallt über den großen Haupt­bahnhof („Heute wollen wir das Ränz­lein“).

Sonntag, 30. Mai 1937
Ia Stimmung. – Kameradschaft wächst. – Nachher gesungen und erzählt.

Mittwoch, 2. Juni 1937
Gutes Gebet. – Schöner Tag! In feiner Seelen­stimmung. Froh gesungen beim Scheuern. „Sieh, wie mit Stärk.“[1]

[1]  Marschlied aus dem niederländischen Befreiungskrieg

Sonntag, 6. Juni 1937
Zum Abschied ge­sungen. (Alte Ziehhar­mo­nika vom Großvater dazu).

Dienstag, 8. Juni 1937
Bis 10.30 Uhr Englisch und zur Klampfe ge­sungen.

Samstag, 12. Juni 1937
Früh in die Falle. In Schlaf ge­sungen.

Samstag/Sonntag, 3./4. Juli 1937
Dann zu Bü­ssemaker[1], Bäckerei. Hintenrum.[2] Zwei feine Jungfräulein [Hanna und Diana Büssemaker] sitzen im Garten. – Be­scheiden gefragt. – Enderfolg herrli­cher Tee­abend mit Ge­bäck und guten Sachen für uns drei! – Nett ge­plau­dert. Der „Alte“ [Hermann Büssemaker] kennt P. Ho. [Heinrich Horst­mann SJ] und seine Brüder. Interes­sant. – Ab­schiedslie­der. – Wir sind toll von Spaß.
[1]  Familie Büssemaker gehörte der evangelisch-reformierten Kirchenge­meinde an. Die Bäckerei wurde an den Bäcker Arends ver­pachtet. Bis auf die Schaufensterfront ist das Haus seit 1937 fast unverändert. Der Garten mußte einigen Nebengebäuden Platz machen.
[2]  Außer dem Eingang von der Straße in den Laden gab es zwischen den Häusern einen Gang nach hinten in den Garten.

Sonntag, 8. August 1937
Zu Familie Mesag um Milch gefragt – Brot und Schnecken [Gebäck] dazu. Fein unterhalten, gesungen zur Klampfe, von der Romfahrt [22.5 bis 8.6.1936] erzählt.
[…]
Wir drei [Walter Flämig, Jupp Kemper und Karl Leisner] erobern uns „can­tando“ [singend] ein pfundiges Abend­brot in Tin­holt. (Milch c. [cum – mit] Butterbrot c. Leber­wurst!)

Donnerstag, 26. August 1937
Mit frischem Lied in den Morgen am Kanal ent­lang.

Sonntag 29. August 1937
Auf dem Weg nach Hoogstede er­zählt, gesungen („Meerstern“).

Sonntag, 12. September 1937
Abschiedsgespräche [mit Kameraden, die in den nächsten Tagen entlassen werden]. Zur Kirche, ge­sun­gen. Pfarrer getroffen.

Sonntag, 19. September 1937
Mit Rusch, Gerd in der großen Re­vierstube gesungen, ge­klampft; Bohnenkaffee gekocht. Tofte! Zigaretten geraucht. So richtig entspannt.

Samstag, 23. Oktober 1937
Aber – so weh auch das Scheiden und Mei­den[1] tut
[…]
Im Gebet, im Singen, in schmerzlichem Losringen der Seele von tiefsten Sehnsüchten, in Stunden des Heiligen Gei­stes geschah dann das Große und Gewaltige.

[1]  Anklang an das Lied „Scheiden und Meiden“

Samstag, 30. Oktober 1937
8.00 Uhr vom [St.-]Antonius-Hospital: Beerdigung der lieben Mutter [Hendrina, gestorben am 27.10.,] unseres Thej [Theo] Köster. Acht Kinder stehen am Sarg! Wer versteht die Wege unseres Gottes? […] Ergriffen reiche ich Thej die Hand. Er ist tief­traurig. Das Requiem, bei dem ich mitsingen darf, versöhnt und gibt Kraft zu tragen.

Sonntag, 31. Oktober 1937
Als Tagesabschluß dann die Feier in der Stiftskirche. Wenig Jugend, zu wenig Volk! – Kein Schwung im Beten und Singen.

Dienstag, 9. November 1937
16.00 bis 17.00 Uhr kommt Jupp K. [Köckemann] auf den Bau [ins Collegium Borromaeum]. Wir singen klotzige Lieder.

Dienstag, 16. November 1937
Zu­sammentreffen mit Alfredo Bacculo [Alfred Stecken, lat. baculus – Stock[1]], dem alten Bekannten. Er konnte sehr interessant berich­ten vom vergangenen Jahr. […] Einige Lieder zur Laute singen von Sehnsucht nach Leben und Freiheit. Das war ein feines Wiedersehn! Nach solchen Monaten der Trennung!
[1] Vermutlich hat Karl Leisner den Namen verschlüsselt und die folgende Begeg­nung undeutlich geschildert, weil Alfred Stecken 1936/1937 fast ein Jahr von der Gestapo wegen illegaler Jugendarbeit inhaftiert war.

Mittwoch, 17. November 1937
Morgens mit Signor [Alfred Stecken] los. Nach Hause [Münster, Stern­straße 5], Kaffee getrunken. Coll. [Colloquio] colla madre [Gespräch mit der Mut­ter Albertine]. Bilder schauen. Gesungen, geschwärmt.

Freitag, 26. November 1937
Kleine Freuden im grauen „Einer­lei“ der Tage, wie’s wohl nicht ganz zu vermeiden ist in diesen hehren Zei­ten. „Bewahret euch ein fröhliches Herze, das noch lachen und singen kann!“ [Ludwig Wolker]

Samstag, 25. Dezember 1937
Die Komplet um 17.00 Uhr klappt schon besser.[1] – Ich treff Manes [Her­mann Mies]. – O große Freud’! – Abends sangen wir, glaub’ i.
[1] Vermutlich sang die Gemeinde aus der Deutschen Komplet „Zum Singen für die Gemeinde, Leipzig 1935“.

Montag, 27. Dezember 1937
Abends wieder unter dem Weihnachtsbaum. Da wächst junges, frohes Leben in fröhlichem Spiel und Singen.

* * * * *

Samstag, 1. Januar 1938
Abends daheim musiziert. (Übrigens noch Nach­trag: Einmal war Margret Sch. [Schönzeler bei uns] zu Haus’, da haben wir fein zusammen gesungen […].) […] 17.00 Uhr Hans Heinrichs auf Besuch bis 19.00 Uhr. Fein! […] Abends noch zusammen musiziert und gesun­gen.

Karl Leisner aus Münster am Mittwoch, 5. Januar 1938, an Elisabeth Ruby in Freiburg/Br.:
Und als dann die Glocken zur Christmette ins Land hallten, als es dann in der Mette Wandlung und Kommunion wurde und als die ins Gemüt greifen­den Lieder in der Heimatgemeinde [Kleve, St. Mariä Himmelfahrt] aufklan­gen, da war wirklich der Heiland geboren wie einst im Stall zu Bethlehem. Und daheim – das war ein Singen und Musizieren, eine Freude, ein Schen­ken …

Sonntag, 6. Februar 1938
Dies orientalis [Tag der Ostkirche] im Collegium Borromaeum
Heute morgen feierten wir die Göttliche Liturgie des heiligen Chrysosto­mus. […] Durch Vor­träge waren wir eingeführt. – Es hat mich gepackt. Die Gebete waren alle viel „pneumatischer“ [geisterfüllter] – so eine eigene heilige Ergriffenheit liegt darin. Am tiefsten hat mich ergriffen das Singen der Wandlungsworte und die heilige Kommunion unter beiden Gestalten.[1]

[1] Vor der Liturgiereform wurden in der röm.-kath. Kirche die Wandlungsworte leise gesprochen und die Kommunion grundsätzlich nur in der Gestalt des Brotes ausgeteilt.

Sonntag, 9. Januar 1938
Fein! – Mit Heini T. [Tenhumberg] zusammen gesungen.

Samstag, 16. April 1938
Wir feiern die heilige [Oster-]Liturgie mit DP [Diözesanpräses der Kol­pings­­familie Clemens] Echelmeyer im Collegium Borromaeum. – Ich darf mitsingen.

Montag, 18. April 1938
In der [Universitäts-]Klinik sangen wir das Hochamt, das [Professor] J. P. [Jo­hann Peter] Steffes zelebrierte. Nachher besuchten wir Ferdi Pieper, der von seiner Blinddarmoperation sich gut erholt hat. Auch Klinikpastor [Franz] Hunkemöller lernten wir kennen. Eine feine Priestergestalt und ein edler Mensch. – Die guten [Clemens-]Schwestern [in der Universitätsklinik] bereiten den nüchternen Sängern nachher ein köstliches Frühmahl.
[…]
Schön wurde es dann, als wir zur Klampfe Lieder sangen. Das feinste war „Rosenstock, Holderblüh’“ mit den feinen „Freiübungen“ dazu, die uns Matthias Op de Hipt mal gelehrt hat. – Wir merkten gar nicht, wie die Zeit vorbeistrich. – Es war wirklich fein.

Sonntag, 8. Mai 1938
Wie schön war das, im Dom (trotz aller eigenen und der andern mensch­li­chen Schwächen) die Vesper […] im Chor zu singen. – Gotteslob dürfen wir jubelnd künden in Vertretung für die ganze Schöpfung und die ganze Menschheit, die noch wandelt im finstern Todesschattentale.
[…]
Am Abend waren zwei Funker [der Wehrmacht] da. Sie hatten bei Professor [Anton] Walter einen Einkehrtag gehabt und erzählten begeistert. – Bis 22.00 Uhr saßen wir zusammen und sangen und erzählten.

Dienstag, 10. Mai 1938
Ganz kindlich will ich Gott gerne haben als meinen allerbesten Vater, treu und gehorsam will ich Ihm sein wie ein Kind, rein, schlicht, unbefangen und demütig. Spielen will ich vor Ihm alle Tage. [vgl. Spr 8,30] Sin­gen und jubeln, beten und bitten zu Ihm, dem Vater aller Güte.

Mittwoch, 8. Juni 1938
Nach der Vesper ziehn wir (HeiTen [Heinrich Ten­humberg] und ich per Straßenbahn) los zu Hans Dolff und Frau [Cläre]. Wir haben rechte Freude mit’nander. Die liebe junge Frau hat reizend den Tisch gedeckt. Dann spü­len die Männer. Und dann wird nach Herzenslust gesun­gen und gespielt.

Allgäufahrt Juli-August 1938

Über die Fahrt ins Allgäu sind im Nachlaß außer einem Brief und zwei Postkarten keine Aufzeich­nungen von Karl Leisner vorhanden. Folgende Zusammenfassung eines Berichtes vom 20. Juni 1974 und eines weiteren vom 28. Juli 1999 von Willi Väth gibt einen Einblick in die Fahrt:
Am nächsten Morgen gings weiter mit dem Tagesziel Karlsruhe. Karl trampte zuerst, und bei dieser Gelegenheit hatte ich Muße zu bewundern, wie er es machte, ein Auto anzuhalten. Karl stand also an der Straße, vor sich sein Gepäck, die Klampfe über der Schulter und sang. Und es dau­erte gar nicht lange, ca. 5 bis 10 Minuten, da winkte der erste Auto­fah­rer, und wenn es ein entsprechender Wagen war, winkte Karl zurück und prompt hielt das Auto an. Seine frische und frohe Art, an der Straße zu stehen und zu singen, imponierte den Autofahrern, und ich habe mich mit Karl dar­über unterhalten und er bestätigte mir später, daß er kaum Schwierig­keiten je gehabt habe, Autos anzuhalten.

Samstag, 31. Dezember 1938
Dank Dir großer Gott,
Lob und Preis und Ehr’,
Daß Du mich nach aller Not
Gestellt hast in Dein Heer.
Schweren Zweifel ließ’st Du kommen,
Doch des Gnadenrufes Stärke
Hat sie mir all’ weggenommen.
Hier bin ich: zu erfüllen Deine Werke!
Dir danke ich aus Herzensgrund,
Dir singe ich in Sang und Schweigen
Für des vergangnen Jahres Stund’,
Für gutes End’ vom wilden Reigen.
Im Neujahr führ mich gnädiglich!
Dein Priester, willst Du, soll ich werden.
Dir schenk’ ich mich herzinniglich
Zur Freud’ des Himmels und der Erden.[1]
[1]  von Karl Leisner verfaßt

* * * * *

Montag, 2. Januar 1939
8.15 Uhr Sechswochenamt für unsere [am 19.11.1938] verstorbene Nach­barin Frau [Ida] Zumloh. Zu plötzlich ist diese gütige, frohe Frau von uns gegangen. Ich helfe mit singen[1] oben [im Hochchor oder auf der Orgel­em­pore]. –
[1] Vermutlich wurde das Requiem als Choralamt mit Vorsängern und Gemeinde gesun­gen.

Freitag, 6. Januar 1939
Morgens bete ich im Hochamt. Erscheinung des Herrn – Alles singt dem Herrn Lob.

Karl Leisner aus Münster am Donnerstag, 19. Januar 1939, an Walter Vinnenberg in Rheine:
Bei uns daheim war’s ganz prächtig an den Festtagen. Am zweiten Festtag früh konnten wir [von Münster] fahren, so daß ich vor Mittag schon in Kleve war. – Am Nach­mittag feierten wir dann und hielten Bescherung. Das war ein Singen und eine Freude bis spät am Abend.
[…]
Dann kam ein Tag schöner als der andere, so wie das eben zu Hause ist. Ein Singen, Musizieren und Sichfreuen und ein herz­liches Mit­einander mit Gott und guten Menschen.

Freitag, 20. Januar 1939
Ein Lied könnte ich Dir nun singen wegen Dei­ner unbegreiflichen Herrlich­keit und Liebe. Aber ich will Dir schweigend danken; denn ich bin es heute nicht wert. In manus Tuas, Domine … [In Deine Hände, Herr … (Ps 30/31,6; Lk 23,46)].

Karl Leisner aus Münster am Donnerstag, 2. Februar 1939, an Eli­sabeth Ruby in Radolfzell:
Wie geht’s daheim? – Habt Ihr fein Weihnachten gefeiert? Soviel Freude wie dieses Jahr hat’s bei uns daheim kaum je gegeben. Es waren acht Tage (von Stefan ab [26.12.]) voll Jubel, Singen und Festesfreude! Voll Kraft, Freude und Gnade.

Montag, 13. Februar 1939
Die 6. Lektion[1] aus Job c. 14 [Ijob 14,13–16] war mir zu singen aufgetragen. Ich fing zu ha­stig [an] und kam nicht zu ruhigem Atem und Blut. Mehr Wille und Zucht!
[1] aus der 2. Nocturn der Matutin des Totenoffiziums

Karl Leisner aus St. Blasien am Sonntag, 5. November 1939, an seine Familie in Kleve:
Die deut­sche Vesper sangen wir erst an Aller­heiligen. Das war ’ne feine Sache. So schwungvoll und begeistert hab’ ich hier auf der Kapelle [im Lungensanatorium in St. Blasien] noch keinen Gesang gehört.

Karl Leisner auf dem Weg ohne Umkehr

Donnerstag, 9. November 1939
Für Karl Leisner begann sein letzter und wichtig­ster Le­bens­abschnitt. Er überschritt ei­nen „point of no return“; denn mit seiner Äußerung zum Attentat auf Adolf Hitler be­gann für ihn ein Weg ohne Um­kehr.

Schwester Maturina Vogt in St. Blasien am 30. August 1974:
Hiermit bekunde ich, daß ich Herrn Diakon Karl Leisner im Jahre 1939 in unserm Hause kennenlernte. Der 9. November war ein ganz bes. Tag. Zu­gleich mein Na­menstag. Herr K. Leisner spielte in der h­l. Messe auf dem Harmonium Lieder, darun­ter: Erde singe. Diese Morgen­stunde blieb mir unvergeßlich

Schwester Marcella Nold in St. Blasien am 9. November 1974:
Auf Grund des Namenstages von Schwester Maturina [Vogt] spielte Karl Leis­ner in der 6.00-Uhr-Con­ventsmesse auf dem Harmo­nium; darunter auch sein Lieb­lingslied „Erde singe“, zum Schluß „Maria breit den Mantel aus“.

Karl Leisner aus dem Gefängnis in Freiburg/Br. am Dienstag, 28. November 1939, an seine Familie in Kleve:
So und jetzt wollen wir voll innerer Fröhlichkeit und Dankbarkeit und gro­ßem Vertrauen miteinander weiter singen mit Johann Sebastian Bach in a-moll[1]!
[1]  s. „Wir singen weiter in a-moll“

Montag, 25. Dezember 1939
Weihnachten 1939
Im Gefängnis! Eine ganz herrliche Weihnacht! […] In der kleinen Kapelle Vesper [vom] ersten Weih­nachts­­­­tag. Hei­lige Messen c. C. [mit Kommunionempfang]. – Heiligste Nacht! Dann fei­erliches Amt mit ausgesetztem Sanctissi­mum [Aller­hei­lig­sten].
Canto Evange­lium Johannis Germa­nice! (Quam diaco­nus). O grande joie! [Ich singe das Jo­hannes­evange­lium in deutscher Sprache! (Als Dia­kon). O große Freude!] Stil­ler Tag der Einkehr.

* * * * *

Karl Leisner aus dem Gefängnis in Freiburg/Br. am Samstag, 20. Januar 1940, an seine Familie in Kleve:
Daß ich um die Jubelfeier des guten Ingenieurs [Willi] komme, tut mir ja verflixt leid, aber …. na, ich hab’ halt noch von vor sechs Jahren [vom Abitur Ostern 1934] genug, wo ich mit geschwellter Brust als „primus inter pares“ [als erster unter Gleichen] das Schlachtfeld verließ. – War ja doch schön.
So jetzt weiter nach der alten schönen deutschen Melodie „Freut euch des Lebens, Großmutter ….“[1] oder auch die christliche [Melodie] in a-moll.[2]
[1] Auf die Melodie des Liedes „Freut euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht, …“ sangen die jungen Menschen gerne: „Freut euch des Lebens, Groß­mut­ter wird mit der Sense rasiert, …“.
[2] s. „Wir singen weiter in a-moll“

Karl Leisner aus dem Gefängnis in Mannheim am Samstag, 24. Februar 1940, an seine Familie in Kleve:
Es wird wohl ein wenig bitter für Euch sein, die Schande zu tragen, aber tragt sie bitte im sel­ben Geiste![1] – „… einst wird es wieder helle“ heißt es in einem alten deutschen Freiheitslied.[2] Hoffen wir und sind wir unverzagt![3]
[1]  Am 28.11.1939 hatte er seiner Familie geschrieben, den Grund für die eventu­elle Verschiebung der Weihe brauche keiner zu erfahren.
[2]  aus dem Lied „Wenn alle untreu werden“
[3]  Anklang an das Lied „Befiehl du deine Wege“

Karl Leisner aus Sachsenhausen am Sonntag, 28. April 1940, an seine Familie in Kleve:
Ihr werdet jetzt da­heim mit unsern Soldaten [Helmut See­feldt und Herrn Sonntag] die schö­nen Volkslieder zur Geige[1] und Klampfe[2] oder am Kla­vier[3] mit lustigem Flötenklang[4] singen. Im Geiste tu’ ich das mit Euch; und so trage ich die Zeit mit gutem Mut und fröhli­chem, tapferem Herzen.
[1]  Vater Wilhelm Leisner und Elisabeth spielten Geige.
[2]  Willi spielte Klampfe/Gitarre, war aber zu der Zeit schon in Berlin.
[3]  Mutter Amalia Leisner, Maria und Paula spielten Klavier.
[4]  Karl, Maria, Paula und Elisabeth spielten Flöte.

Karl Leisner aus Sachsenhausen am Sonntag, 17. November 1940, an seine Familie in Kleve:
Ich lebe im Geiste Euer tatkräftiges Leben mit: musi­ziere, singe, unterhalte mich mit.

* * * * *

Karl Leisner aus Dachau am Sonntag, 16. März 1941, an seine Familie in Kleve:
Ich möchte Euch herzlich bitten, mir baldmög­lichst meine Gitarre mit Futte­ral und zwei Paar Stahlersatzsaiten hierher zu senden. Dazu als Lie­der­bücher den „Spielmann“ [Liederbuch Der Spielmann] von Klemens Neu­mann und „Lieder des Volkes“ von Adolf Lohmann.[1] Es ist jetzt herrli­cher Frühling drau­ßen, da treibt’s einen zu musizieren und zu singen in den Frei­stunden, die man hat.
[1] Jung, Theo: Lieder des Volkes. Erbe und Aussaat – Niederrheinischer Lieder­schatz, Wupper­tal 61936, von Theo Jung/Adolf Lohmann/Heinrich Weitkamp

Karl Leisner aus Dachau am Freitag, 21. März 1941, an seine Familie in Kleve:
Auf die Klampfe freu’ ich mich. Das wird ein Sin­gen.

Karl Leisner aus Dachau am Samstag, 19. April 1941, an seine Familie in Kleve:
Ein feines Ostern hattet Ihr, ich hier auch. Die herrliche Liturgie, die Freude im Ge­den­ken an Euch, das Sin­gen froher Lieder, die Natur ringsum: all das gab ein echtes Ostern.

Karl Leisner aus Dachau am Samstag, 18. Oktober 1941, an seine Familie in Kleve:
Heut’ abend klamp­fen und singen wir. Heiho!

Karl Leisner aus Dachau am Samstag, 1. November 1941, an seine Familie in Kleve:
Meine Lieben daheim!
Am Sonntag[, dem 26.10.,] feierten wir – in Erinnerung an daheim – hier sehr schön das Königsfest Christi[1]: Feierlich gesungene Vesper und Amt. Auch heute [an Allerheiligen] ebenso festlich.

[1] In Kleve gibt es seit 1934 eine Christus-König-Kirche. Das Christ-Königs-Fest aber feierte die Jugend groß mit einem Gottesdienst in Kleves Hauptkirche, der Stiftskirche. 

Karl Leisner aus Dachau am Samstag, 29. November 1941, an seine Familie in Kleve:
Meine Lieben!
Heute beende ich das zweite Kirchenjahr in Haft. Morgen be­ginnt der Advent: Ich bin schon voller Erwartung. Im Geiste bin ich bei Euch und singe mit die trauten, heiligen Weisen.

Karl Leisner aus Dachau am Samstag, 13. Dezember 1941, an seine Familie in Kleve:
Singet und spielet dem Herrn vor seiner Krippe unterm hellen Christbaum![1]
[1] Vers aus den Psalmen, z. B. Ps 7,18; 33,3; 68,5. Karl Leisner dachte vermutlich auch an das gemeinsame häusliche Musizieren zu Weihnachten.

* * * * *

Karl Leisner aus Dachau am Sonntag, 11. Januar 1942, an seine Familie in Kleve:
An Silvester konnte ich aus freudigstem und dankbarem Herzen Te Deum singen.

Karl Leisner aus Dachau am Samstag, 18. April 1942, an seine Familie in Kleve:
Danke Dir [, Maria,] noch herzlich für Deine Liebe, mit der Du das Liederbuch für mich gekauft hast. Hoffentlich können wir bald zusammen draus singen und spielen.

* * * * *

Karl Leisner aus Dachau am Freitag, 26. März 1943, an Frau Elisabeth Ruby:
Verehrte Frau Dr. Ruby, […] Ihr Brief aus Kleve vom 10.2. hat mich mit tiefer Freude erfüllt. Danke Ihnen sehr und freue mich über Euer aller Wohlergehn. […] Euch und Ih­nen allen wünsche ich schon jetzt ein großes, frohes heiliges Oster­fest. Und wenn wir uns dann im Frühlicht der Freiheit wiedersehen in Ge­sundheit, Friede und Freude, werden wir mitsammen das Te Deum sin­gen zu Be­ginn eines neuen Lebens. Ihr Karl

* * * * *

Karl Leisner aus Dachau am Sonntag, 21. Mai 1944, an seine Familie in Kleve:
Meine Lieben daheim!
Zunächst möchte ich kräftig [am 28.5., dem Fest des hl. Wilhelm von Aquita­nien,] mit einstimmen in den Kanon „Wir kommen all und gratulieren unserm lieben Vater zum Namenstag“, mit dem Ihr drei Mädel [Maria, Paula und Eli­sabeth] am Pfingstmor­gen [28.5.] ja wohl unser großes, verehrtes Namens­tagskind aus den Federn sin­gen wer­det.

Karl Leisner aus Dachau am Samstag, 10. Juni 1944, an Heinrich Tenhum­berg:
Herrn Obergefreiten Heinrich Tenhumberg Fp.-Nr. 01423 A.
Lieber Heini!

[…]
Beim Marienliedersingen der Soldaten wäre ich gerne mit von der Partie gewesen. Habt doch auch herr­liche Stun­den in Euerm harten Dienst.

Karl Leisner aus Dachau am Samstag, 26. August 1944, an Familie Magnus Weber in Alpsee­wies:
Liebe Familie Weber!
Im schönen Ferienmonat August gingen meine Gedanken oft 100 km süd­westlich zu Ihnen an den herrlichen Alpsee. Vor sechs Jahren [im August 1938] waren wir zum letzten Mal bei Ihnen und erfreuten uns des freien Lebens am See, san­gen, spielten, schwammen und fuhren Kahn.

Karl Leisner aus Dachau am Samstag, 14. Oktober 1944, an Heinrich Tenhumberg:
Für Obergefreiten Heinrich Tenhumberg, M 01423A Marinepostamt Ber­lin.
Lieber Heinrich!

[…]
Gott möge uns das Wiedersehen in der Heimat geben! Noch vier Wochen, dann hab’ ich fünf Jahre voll [seit der Verhaftung am 9.11.1939]. Tag für Tag gedenke ich Eurer. Und manchmal mein’ ich, ich müßte so auf hoher See bei Dir sein und schauen und singen und erzählen wie in alten schönen Tagen, von der Liebe zur Hei­mat.

Karl Leisners im KZ Dachau begonnenes letztes Tagebuch

Samstag, 28. April 1945
„Hoff’, o du arme Seele, hoff’ und sei unver­zagt!
Gott wird dich aus der Höhle, da dich der Kummer plagt,
mit großen Gnaden rücken. Erwarte nur die Zeit,
so wirst du schon erblicken die Sonn’ der schönsten Freud’!“[1]
[1]  6. Strophe des Chorals „Befiehl du deine Wege“ aus dem evangelischen Gesang­buch.
Johannes Sonnenschein aus Ahaus am 22. August 1999 an Hans-Karl Seeger:
Vielleicht hat einer der evangelischen Mit­brü­der – sie waren ja bereits fast alle am 28.4.1945 schon entlassen – dem Karl Leis­ner sein Buch geschenkt, eventuell durch Vermittlung von [P.] Otto Pies [SJ]. Vielleicht besaß auch ein evange­lischer Laie im Revier das Buch.
10 reichsdeutsche protestantische Pastoren waren am 3. April entlassen worden.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß Karl Leis­ner Kenntnis von dem Lied hatte. Am 24.2.1940 schrieb er aus dem Gefäng­nis in Mannheim nach Hause:
Hoffen wir und sind wir unver­zagt!
Max Lackmann:
Damals [auf dem Transport nach Dachau] habe ich zum ersten Male den Rosenkranz beten gehört. […] In diesen Stunden war es auch, als ich das erste Mal in einem Christenleben einem katholischen Priester die herrlichen Verse unseres evangelischen Chorals „Befiehl du deine Wege“ vorgesprochen und vorgesungen habe, immer wieder, bis auch er sie mitbeten und mitsingen konnte.
(Lackmann, Max: Ökumenischer Introitus. In: Weiler 1971: 840–845, hier S. 842.)

Max Lackmann berichtete 1980 in einem Artikel „Beginn eines ökumeni­schen Dialogs im KZ Dachau“ (S. 7), er habe auf dem Transport ins KZ Dachau von einem katholischen Priester den Rosenkranz gelernt.
Ich wiederum sprach ihm die Verse des Chorals vor, die jeder Konfirmant bei uns lernt: „Befiehl du deine Wege – Dem Herrn mußt du trauen – Hoff, oh du meine Seele – Ihn laß tun und walten …“

Dachau, Sonntag, 29. April 1945
Morgens in der Bettruhe Ein­schläge schwerer Artillerie in der Nähe. Maschi­nengewehr- und Gewehrfeuer. Die Nacht zuvor schon gute Schieße­rei. Große Hoffnung! „Der Tag für Freiheit und für Brot bricht an“ – singe ich spaßhaft und doch ernst.[1] Es wird so.
[1] Es handelt sich um die letzte Zeile der zweiten Strophe des Liedes „Die Fahne hoch“ von Horst Wessel, die Karl Leis­ner auf seine Weise inter­pretiert.
Es war nicht ungewöhnlich, daß auch Gegner des Nationalsozialismus das Horst-Wessel-Lied zitierten, wenn der Inhalt paßte. So schrieb Franz Brocks 1935 an stud. theol. Heinrich Tenhumberg:
Ich weiß: Du „marschierst im Geist in unsern Reihen mit“.

Dachau, Dienstag, 1. Mai 1945
Kalter Tag. Schneit. Maifeiern der Sozialisten. Maiaufruf der Deutschen. Schlichte, aber tie­fergreifende Befrei­ungs­feier auf dem Appell­platz. Tiefe Rührung. Den ganzen Tag Um­züge, Singen, Trompeten etc. Wieder gutes Essen (Wül­fert­konserven!)

Freitag, 15. Juni 1945
8.15 Uhr Dilau­did. Hilft am besten diese Spritze. Nur das arme Herz leidet dr­unter et­was (dicke Füße). Vertrauen behalten! „Wir sin­gen weiter in a-moll!“ („Wer nur den lie­ben Gott läßt walten …“[1])
[1]  s. „Wir singen weiter in a-moll“