
Quelle des Fotos: privat
Leben
Ergriffenheit: Ich spüre den Heiligen Geist durch meine Seele rieseln. Vita nuova! [Neues Leben!] (17.5.1934)
1935
Sehnsucht nach Leben in Fülle! [1]
„In die Höhe will es sich bauen mit tausend Pfeilern und Stufen, das Leben selber. In weite Fernen will es blicken und hinaus nach seligen Schönheiten. Darum braucht es Höhe. Steigen will das Leben und sich steigend überwinden. Ich wandle unter Menschen als den Bruchstücken der Zukunft, jener Zukunft, die ich schaue. Euer Kinderland sollt ihr lieben, das neu entdeckte im fernsten Meere. Nach ihm heiße ich eure Segel sichten und suchen. O welche vielen Meere rings um mich, welch dämmernde Menschenzukünfte! Wie vieles ist noch möglich! Des Menschen Fernstes, Tiefstes, Sternenhöchstes, feine ungeheure Kraft!“ (Nietzsche)
[1] Randbemerkung Karl Leisners zum folgenden Nietzsche-Text
Kleve, Samstag, 21. Dezember 1935
Der Wind weht mich an. Ich treffe einen Jungen aus meiner alten Jungschargruppe [St. Georg] Theo Nielen. Ich plaudere mit ihm. Er ist unzufrieden und voll Sehnsucht nach echtem Jungenleben, auch er ist einer von den Zwangskandidaten der HJ[1], dem’s Leben nicht mehr tief genug ist, der sich aber sehnt, und da er nichts anders hat, poussiert er.
[…]
Sinnend schreite ich auf und ab – es dämmert langsam. Da kommt Theo Köster mir nachgefitzt [mit dem Fahrrad nachgefahren]: Wir begrüßen uns – Kameraden! Still schreiten wir in den dämmernden Wald und Weihnacht wird zwischen uns beiden – wir erleben das Gottesgeheimnis der Fleischwerdung des Ewigen Wortes. Wir erzählen uns aus der Not und der heißen Sehnsucht unserer Jungenzeit. Dann buddeln wir wieder nach Moos. Wir finden noch nichts. Uns fällt ein, in der Nähe ist ein dunkler Tann, dort ist welches. Wir kratzen den Schnee fort und füllen den halben Sack mit den weichen, halberstarrten Placken. Dann geht’s zurück. Das Leben in der Schar ersteht neu vor unsern Blicken – Sehnsucht nach Wahr- und Echtsein. Heilige Nacht! Sterne flimmern glitzernd-gold am Himmel, der blaugolden schimmert im Mondenlicht.
[1] Manche Jugendliche mußten gezwungenermaßen in die HJ eintreten, um einen bestimmten Beruf ergreifen oder studieren zu können oder wegen des Beamtenstatus des Vaters.
Münster, Dienstag, 16. November 1937
Heute morgen das zufällige Zusammentreffen mit Alfredo Bacculo [Alfred Stecken, lat. baculus – Stock[1]], dem alten Bekannten. Er konnte sehr interessant berichten vom vergangenen Jahr. […] – O tempus! [Was für eine Zeit!] Da wird’s einem doch anders! Er ist reif dabei geworden, mein alter Freund – der liebe Don Alfredo. – Das sagt alles! – Er erzählt auch begeistert von seinen Plänen und von seinem herrlichen Süden. Welche Zukunft! Lenza un sentimento connatale (sc. zio!) [Sende ein brüderliches Gefühl (sc. Onkel!)] – Einige Lieder zur Laute singen von Sehnsucht nach Leben und Freiheit. Das war ein feines Wiedersehn! Nach solchen Monaten der Trennung![2]
[1] Vermutlich hat Karl Leisner den Namen verschlüsselt und die folgende Begegnung undeutlich geschildert, weil Alfred Stecken 1936/1937 fast ein Jahr von der Gestapo wegen illegaler Jugendarbeit inhaftiert war.
[2] Karl Leisner hat zuletzt am 17.12.1934 von Alfred Stecken und dessen Mut bezüglich Jugendarbeit und Nationalsozialismus berichtet.
Freiburg/Br., Freitag, 1. Dezember 1939
Herz-Jesu-Freitag – Sühne – bei herrlichem Sonnentag!
[…]
Amicitia [Freundschaft]. Desiderio magno io conto al Educatio Servi illius cuori. [Mit großer Sehnsucht rechne ich mit der Befreiung des Dieners seines Herzens (Jesu).]