Karl Leisner und seine Sehnsucht (9)

Symbol der Göttin Venus für die Weiblichkeit

Frauen

Die heilige Gemeinschaft zwischen Mann und Weib. (20.1.1939)

 

 

 

 

 

Münster, Mittwoch, 27. November 1935
Augustin, schon als junger Kerl von 16/17 Jahren griff ich nach seinen „Confessiones“, verstand sie aber nicht, weil ich mich nicht verstand. Ich stellte unwillkürlich eine Lebenserforschung an und heiße Gedanken an ver­gangene Glut (und doch ist sie noch in derselben Kraft in mir, in Seele und Leib!) – Sehnsucht in unendliche Fernen, zu dem ganz tief Menschlichen, zum Weib, zur Frau, zur Jungfrau. Wie eine Welle überströmt mich die ge­bändigte Jungmannskraft in all ihrer Gesundheit, schlummernde Kräfte schreien auf, wachen – und auch mein Cor inquietum [unruhiges Herz] ist voller heißer Lie­besglut zu allen Menschen und durch sie und über sie und in ihnen zu Gott, dem ewig Dreieinigen.

Dahlen, Mittwoch, 19. Mai 1937
Letzter Tag in Dahlen
[…]
Fer­tigmachen für die große Reise. – Dann Abschied bei Bier und „fe­minilem Amusement“. „G.aestas“ [Günter Sommer] redet.
In vino veri­tas. [Im Wein ist Wahrheit.] Ihm [?] hat meine Ro­seckererklä­rung heute nachmittag gefallen.[1] – Camerato buono il teolog! [Ein guter Kamerad, der Theologiestudent!] – Na ja, mit Walter Fl. [Flämig] einen Stiefel zusammen ge­stiftet. Ge­sungen, während die „Typen“ (Karl­sche [Unbe­hend], G.aestas und Hendrini [? Gerhard Heinze]) nun die bei­den Dir­nen (die eine war ein liebes Mädel dem Äußeren nach) „knutsch­ten“. – Pfui! Taedet me! – Heu mi­seros illos homines! [Es ekelt mich an! – Wehe jenen unglückseligen Menschen!] – Mit frischem Wind [Ger­hard] Heinze, als er kotzt, rausbefördert. Noch lange geträumt vom schö­nen Dres­den und ech­tem Frauentum[2] und dem, was ich eben er­leben mußte.
Und doch haben alle die tiefe Sehn­sucht nach dem echten Mädchen in sich.

[1]
Vermutlich hat Karl Leisner über den österreichischen Schrift­steller Peter Roseg­ger gesprochen, der als gläubiger Katholik immer allen Glaubenssätzen treu blieb, obwohl er sich der Mißstände in der katholischen Kirche durchaus bewußt war. Er gilt als Volksschrift­steller, der unterhalten, belehren, aber vor allem auch hel­fen wollte. Eines seiner bedeutendsten Werke: Der Gottsucher.
[2]
Vermutlich dachte Karl Leisner an die Gespräche vom 18.5.1937 mit Agnes Leder­müller und Maria Cerman. 

Münster, Dienstag, 19. Juli 1938
Was ist es doch, was mich bedrängt? Was bedräut meine Seele? – Es ist die tiefe Sehnsucht der Natur nach einer Frau und einer Familie. – Was bin ich schrecklich ernüchtert worden im RAD! – Oh, zum Kotzen gemein ist mir der Mensch erschienen. – Und doch – wie fein und erhebend und be­glückend ist ein wahrhaft christliches Familien- und Eheleben. Der Trieb und Drang der Natur ist stark, sehr stark in mir. Werde ich dies holo­caustum des eigenen Blutes, des eigenen Stammes, der innigen Lebensgemeinschaft mit einer Frau wahrhaft, frei und stark und bereit und rein darbringen können? – Der Herr hat mich gerufen, ich kann mich Ihm nicht versagen. – Aber, es bedarf eines bergeversetzenden Glaubens!
Herr, gib mir Deines Heiligen Geistes Kraft und Liebesglut! Glauben, wagen, gewinnen! Was ist die Ehe? Der Liebesbund zweier Menschen ver­schie­denen Geschlechtes in restloser Hingabe!
Was ist das Priestertum? Der Liebesbund zwischen Christus und einem Mann in restloser Hingabe!