Karl Leisner und seine Spiele (1)

Das 1910 erstmals erschienene und ab 1914 in Serie produzierte Spiel „Mensch, ärgere Dich nicht“ gilt als populärstes Gesellschaftsspiel Deutsch­lands. Obwohl Karl Leisner es in seinen Tage­büchern nur zweimal erwähnt, gehörte es laut seiner Schwester Elisabeth Haas zu den gängigen Gesellschaftsspielen in der Familie.

Unter der Rubrik „Aktuelles“ werden in einer neuen Reihe Spiele vorgestellt, die Karl Leisner laut seiner Tagebuch­einträge und Briefe mit seiner Familie und seinen Jugendgruppen gespielt hat.

Quelle des Fotos: Wikimedia Commons / Autor: Onderwijsgek / CC BY-SA 3.0 nl (abgerufen 15.03.2017)

Der Mensch als Spieler

 

Johan Huizinga
Homo ludens [der spielende Mensch] – Vom Ursprung der Kultur im Spiel
Hamburg 1956

 

Friedrich von Schiller:
Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.

 

Der Erlebnisraum des spielenden Kindes ist ein Taten-Raum, ein Ort, an dem es lernt, seine Umwelt zu erproben und zu bewältigen. Dieses Tun nennen wir Spiel. Es ist eine dem jeweiligen Alter gemäße Form der Auseinandersetzung mit dem Leben.
Zum Spielen braucht das Kind Spielzeug. Es kann mit vielem spielen, was im Haushalt und in der freien Natur vorkommt. Gekauftes Spielzeug sollte aus echten Naturstoffen hergestellt sein, zum Beispiel aus Holz, Wolle oder Leinen, und nicht aus Kunststoffen oder Kunstfasern. Es ist wichtig, daß das Spielzeug den Phantasiekräften des Kindes, die angeregt werden möchten, Raum läßt. Auch sind die Bauklötzchen aus Holz bedeutend mehr wert als die perfektionierten Legosteine; denn mit jenen lassen sich die Schwer- und Gleichgewichtskraft immer wieder neu erproben. Zu beobachten, ob ein Turm aus Holzklötzchen stehenbleibt oder umfällt, bietet dem freien, schöpferischen Tun des Kindes einen großen Spielraum. Das Kinderzimmer sollte kein Spielzeugladen sein. Es ist gut für das Kind, wenn es immer nur ein Spielzeug zur Hand hat, so kann es sich ganz einer Sache zuwenden. Das Kleinkind lebt aus der Bewegung. Ein gesundes Kind ist von einem unbändigen Drang erfüllt, die Umwelt tätig und buchstäblich handgreiflich zu erleben. Einen wirksamen Beitrag stellen dabei Reigen und Singspiele dar. Dort fühlt sich das Kind aufgehoben. Der Kreis, in den es sich einordnet, gibt ihm inneren und äußeren Halt. Anhand eines Liedes, eines Spruches oder eines Märchens imitieren die im Kreis schreitenden Kinder deren Inhalt, wie zum Beispiel die Gesten von Tieren oder Handwerkern.

 

Der erste Teil des Buches „Das Werkbuch der Puppenspiele“ von Leo Weismantel, das 1924 in Frankfurt/M. erschienen ist, trägt den Titel „Der seltsame Besuch“. In der Erzählung findet das kleine Mäd­chen Lieschen „ein seltsam geformtes Holz“.

 

 

WeismantelText (1)

Da war es Lieschen auf einmal, als sei das, was es in der Hand hielt, kein Stück Holz, als sei dies ein sonderbares Fabelwesen, irgendein Feenpüpp­chen …“
Aus vielen Tüchlein machte es der Puppe Röck­chen, Kopfputz und Mantel. Dann kam „eines Tages eine reiche Tante aus Amerika“ zu Besuch. Als sie die sonderbare Holzpuppe sah, „ging sie fort in die Stadt und kaufte eine wundersame Puppe. Die hatte leibhaftige Haare und konnte schlafen und aufwachen und konnte, wenn man sie auf den Leib drückte, auch ‚Mama’ sagen.“ Aber „nicht länger als ein Viertelstündchen spielte klein Lieschen mit dieser märchenhaften Lady Isabella, dann legte es dieses wundersame Geschenk der Amerikatante schön säuberlich in die Schachtel, in der diese Puppe ins Haus gekommen war, und holte sich wieder sein altes liebes Bärbelchen, das es in der Holzlege selbst gefunden und mit dem es so un­endlich viel, so unendlich viel reden konnte.“

Bei der Gestaltung des Jungenlebens waren Spiele von großer Bedeutung. Jugendzeitschriften gaben immer wieder Anregungen dazu, so zum Beispiel auch die Zeitschrift „Unter der Thinglinde“. Diese spricht unter anderen von „Ritterlichen Spielen“ und führt zahlreiche Spiele auf, die Karl Leisner in seinen Tagebüchern und Briefen erwähnt:

Unter der Thinglinde
Vor allem sollte jede Gruppe einen guten Speer besitzen. Speerwerfen stärkt Brustkasten und Armmuskeln, entfacht edlen Ehrgeiz. Da man auf der Fahrt den Wimpel an den Speer befestigen kann, wird er nicht nutz­los mit­geschleppt, er erfüllt so einen doppelten Zweck.
Das Bumerangwerfen (kennt ihr dies lustige australische Krummholz, das – richtig geschleudert – in hohem Bogen fast wieder zur Ausgang­stelle zurück­kehrt?) macht auch riesig viel Spaß, namentlich da es [das Krummholz] so gern in den Bäumen hängenbleibt – wenn welche da sind – und klet­ternderweise wie­der herunter­geholt werden muß. Manchmal fliegts auch ins Wasser oder es bleibt irgendwo in der Luft hängen, daß man es nir­gends wieder findet.
Ein Schleuderball läßt sich auf Fahrt nicht gut mitnehmen, aber im Land­heim und auf dem Spielplatz sollte stets einer sein. Einen feinen Ersatz fan­den wir einmal auf Fahrt in einem etwa 2 Pfund schweren Holzstück, das an einem kräftigen Draht befestigt war, der uns bequem als Schleu­der diente. Schnappen konnte man diesen Ball allerdings nicht.
Das Schlagball- und das Faustballspiel eignen sich auch gut, helfen beide auch besonders mit, das mit Recht bei uns verpönte Fußballspiel nicht hochkommen zu lassen.
Kriegsspiele, namentlich zwischen mehreren benachbarten Gruppen, Räu­ber und Gendarm, Schmuggler und Zollwächter, u. a. fordern und fördern Klugheit, Geschicklichkeit, Anpassungssinn, Schnelligkeit usw.
Jeder Quickborner sollte auch Schwimmen können.
Noch mancherlei andere Spiel gibt es: Reiterkampf, Prellen mit der Zelt­bahn, Wettlaufen u. a.[1]
[1] Unter der Thinglinde 1/1922: 39

Im Oktober 2017 warb die Zeitschrift PSYCHOLOGIE HEUTE unter der Überschrift „Die Welt des Spiels“ für das Hörbuch der F.A.Z. „Hirnforschung 9-Mensch und Spiel“.

„Spielen ist leben lernen“, heißt es im Hörbuch Hirnforschung 9-Mensch und Spiel. „Spielen ist die Art des Kindes, die Welt zu erkunden, zu erfahren und zu verstehen.“ Das Hörbuch der Frankfurter Allgemeinen Zeitung widmet sich den faszinierenden Erkenntnissen über das Spiel von Kindern und von Erwachsenen. So hat die Hirnforschung beispielsweise gezeigt, dass die Qualität der neuronalen Verbindungen beim Kind direkt auf die Qualität der spielerischen Erfahrungen zurückgeführt werden kann. Erwachsene spielen aus anderen Gründen als Kinder: zur Entspannung, zum eskapistischen Zeitvertreib – und auch vor allem zum Gewinnen, etwa beim Fußball.
Hirnforschung 9. Mensch und Spiel. 2 AudioCDs, Frankfurter Allgemeine Zeitung 2017. Laufzeit: 139 Minuten.€ 19,90 [1]
[1] PSYCHOLGIE HEUTE, Oktober 2017: 91

Über vierzig Spiele erwähnt Karl Leisner in seinen Tagebüchern und Briefen.

An zahlreichen Stellen zeigt sich der Erfindungsreichtum der Jungen beim Spielen, so zum Beispiel in folgendem Eintrag:

Sonntag, 9. März 1930
Dann spielten wir Hand­ball, wobei Edi und ich gegen Her­mann und Föns spiel­ten, Fußball und sonstige Spiele. (Einer mußte mit ei­nem Knüppel einen Stock, der von den andern hereingeschmissen werden sollte, wegzuschla­gen versuchen.)

* * * * *

Mensch, ärgere Dich nicht
Das Ziel des Spieles besteht darin, die vier eigenen Spielfiguren von den Startfeldern auf die Zielfelder (oft „Häuschen“ genannt) zu ziehen. Über die Anzahl der zu ziehenden Felder pro Runde entscheidet ein Würfel. Es wird reihum gewürfelt und gesetzt. […] Seinen […] Namen verdankt das Spiel der Besonderheit, daß unter bestimmten Bedingungen Spielfiguren anderer Mitspieler zum Startfeld zurückgeschickt werden, was für den betroffenen Spieler ärgerlich ist (URL http://de.wikipedia.org/wiki/Mensch_%C3% A4rgere_Dich_nicht – 31.8.2016).

Samstag, 4. Mai 1935
Heute hörte ich zufällig schöne Antworten von Jungschärlern: […]
Ein zweiter Fall in Aachen: „JS [Jungschar] ist tot!“ – „Ha, Herr Lehrer, wir leben noch!“ – „Na, was macht ihr denn in der JS.“ – „Wir haben unsere Heimabende.“ „Und auf den Heimabenden, da schlaft ihr. – Schlaft nur ruhig weiter!“ – „Ne, Herr Lehrer, wir spielen!“ – „Was spielt ihr denn?“ (erregt) – „Mensch, ärgere dich nicht.“ Prächtig!

Georgsdorf, Sonntag, 13. Juni 1937
Bis 22.15 Uhr dann c. [cum – mit] Pastor Purk, seiner Haushälte­rin und deren zwei Freun­dinnen „Mensch, ärgere Dich nicht“ gespielt.