Selma Lagerlöf (* 20.11.1858 auf Gut Mårbacka/S, † 16.3.1940 ebd.) – Schriftstellerin – 1909 erhielt sie als erste Frau den Nobelpreis für Literatur.
Claudia Törpel schrieb im „GOETHEANUM“ Nr. 51-52 vom 18. Dezember 2015 einen Artikel unter dem Titel „Leben hinter der Stille – zum 75. Todestag von Selma Lagerlöf (1858–1940)“.
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Darin heißt es unter anderem:
Vom Zusammenspiel zwischen den Kräften der Natur und dem Moralischen des Menschen künden viele Romane, Märchen und Legenden der Schriftstellerin. Sie weiß, dass die «leblosen Dinge» keineswegs leblos sind. Als Schwedin, die einen Bezug zur nordischen Mythologie hatte, sind ihr die Trolle, Nixen, Waldfrauen und andere mythische Gestalten mehr als nur Ausgeburten der Fantasie. Glaubt man ihren eigenen Aussagen, dann ist sie solchen Wesen begegnet.
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Auch wurde ihre Liebe zu den alten Überlieferungen – mündlichen wie schriftlichen – dadurch gefördert.
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Mit 51 Jahren erhielt sie als erste Frau den Literaturnobelpreis.
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Dieses «Leben hinter der Stille» – ihr nach innen genommenes Seelisches – machen Selma Lagerlöfs schriftstellerische Qualität aus. Es ist, als würden ihre Empfindungen bis in tiefste Urgründe hinunterdringen, aus denen sie sich zur verständnisvollen Sicht auf die vielfältigen Facetten des menschlichen Seelenlebens erhebt.
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Über sich selbst sagt sie, es habe Phasen gegeben, in denen sie überzeugte Materialistin gewesen sei, aber ihr «Naturell als Autorin, die sich auf dem Gebiet der Mystik bewegen möchte», dränge sie «immer wieder in die Reihen der Gläubigen zurück». Ein derartiges Schwanken ist typisch für den suchenden Menschen des 19. und 20. Jahrhunderts. Als moderner Mensch lebte Selma Lagerlöf in einem Zwiespalt: Zum einen sympathisierte sie mit einer spirituellen Weltsicht und zum anderen bejahte sie die immer stärker in den Mittelpunkt des Denkens rückenden Naturwissenschaften, die mit dem Übersinnlichen unvereinbar zu sein scheinen. Wie soll ein Mensch, wie Selma Lagerlöf diesen Widerspruch aushalten oder gar lösen?
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Selma Lagerlöf, deren schriftstellerische Werke meistens auf alten Sagen fußen, war von dem tieferen, dem geistigen Wahrheitsgehalt dieser mythischen Stoffe überzeugt. Doch spricht sich deren Gehalt in bildhafter Weise aus. Der Ausspruch, den sie ihrer märchenerzählenden Großmutter in den Mund legt – «Dies … ist so wahr, wie dass ich dich sehe und du mich siehst» – ist keineswegs eine Floskel. Die Art, wie sie die Mythen verarbeitet und umgestaltet, zeugt von ihrer imaginativen Fähigkeit und ihren «poetischen Intuitionen» als Künstlerin.
Selma Lagerlöf starb in dem Jahr, als Karl Leisner 1940 im KZ Sachenhausen Novellen von ihr las.
Karl Leisner am Sonntag, 7. Juli 1940 aus Sachsenhausen an seine Familie in Kleve:
Ich fühle mich heute am Sonntagnachmittag nach dem guten Mittagessen, frisch rasiert und frisiert, und einigen Partien Schach wie neugeboren. Wald und Himmel, Vögel und Blumen erfreuen mich in ihrer Sommerpracht. Ich lese Novellen von Selma Lagerlöf.[1] In froher Hoffnung[2] grüßt Euch und alle herzinnig
Euer Karl
[1] u. a. vermutlich folgende Novellen:
Lagerlöf, Selma: Jerusalem I. und II. (1901/1902), München 1921
Der zweibändige Roman „Jerusalem“ handelt vom althergebrachten schwedischen Bauerntum. Das Einleitungskapitel des ersten Bandes, „Die Ingmarssöhne“, war ursprünglich eine eigenständige Novelle.
Lagerlöf, Selma: Christuslegenden (1904), Leipzig 1928
Selma Lagerlöf hat ihre Christuslegenden auf einer Palästinareise im Jahre 1899/1900 gesammelt und zusammen mit Erzählungen von ihrer geliebten Großmutter niedergeschrieben.
[2] In Sachsenhausen ahnte Karl Leisner noch nicht, was in den kommenden Jahren auf ihn zukam. Seine Hoffnung richtete sich auf Freilassung.
Lagerlöf, Selma
Jerusalem I. und II. (1901/2), München 1921
Link zur Inhaltsangabe
dies.
Christuslegenden (1904) in deutscher Übersetzung, Leipzig 1928
Alle in diesem Band dargestellten Legenden handeln von Jesus Christus:
Die heilige Nacht, Des Kaisers Vision, Der Brunnen der weisen Männer, Das Kindlein von Bethlehem, Die Flucht nach Ägypten, Zu Nazareth, Im Tempel, Das Schweisstuch der heilgen Veronika, Das Rotkehlchen, Unser Heiland und Sankt Peter, Die Lichtflamme
Link zur Ausgabe von 2013 und Leseprobe
Wie im KZ Dachau gab es auch im KZ Sachsenhausen eine Lagerbibliothek.