Karl Leisner und Friedrich Nietzsches Zarathustra

Friedrich Wilhelm Nietzsche (* 15.10.1844 in Röcken/Lützen, † 25.8.1900 in Wei­mar) – Philo­soph u. Dichter – ursprünglich preußischer Staatsbürger – staatenlos seit seiner Über­siedlung nach Basel/CH 1869

Quelle des Fotos: Wikimedia Commons / gemeinfrei (abgerufen 06.12.2017)

 

 

 

 

 

Heinrich Meier

„Was ist Nietzsches Zarathustra?“ Eine philosophische Auseinandersetzung.

Verlag C. H. Beck, München 2017. 240 S., geb., 26,95 €

 

Link zum Buch

Unter der Überschrift „Worauf sollte es hinaus mit dem Übermenschen? Rollenspiele zwischen Prophet und Philosoph: Heinrich Meier sondiert Nietzsches ‚Also sprach Zarathustra’“ besprach Dieter Thomä das Buch in der F.A.Z. vom 7. Juli 2017 und stellte fest: „Dieses Buch will nichts anderes sein als ein Text über einen Text, und das ist nach dem Brimborium um Nietzsche vielleicht gut so“.

Link zum Artikel unter Rezensionen bei buecher.de

Die F.A.Z. vom 6. Dezember 2017 postete das Cover des Buches mit dem Hinweis von Volker Gerhardt: „Ein völlig neuer Zugang zu einem bislang kaum verstandenen Werk.“

Karl Leisner hat Nietzsche gelesen und fleißig zitiert. Zarathustra[1] ragt dabei besonders heraus.

[1]  Friedrich Nietzsches Zarathustra ähnelt kaum der historischen Persönlichkeit. Der persische Re­ligi­onsstifter, die Griechen nannten ihn Zoroaster, wurde vermutlich in Raga im West-Iran ge­boren und starb in Baktrien im Ost-Iran. Als weiteren Geburtsort vermutet man Shiz am Ur­miasee im heutigen Aser­beidschan. In der Wissenschaft gibt es keine Einstimmigkeit über Zarathustras Lebenszeit. Einige vermuten zwischen 500 und 1000 v. Chr. G., andere begrenzen den Zeitraum auf zwi­schen 700 und 600 v. Chr. G.
Er soll lachend das Licht der Welt erblickt haben, daher sieht man in ihm auch einen lachenden Propheten und den Verkünder einer optimistischen Lehre.

9. April 1933
Feine, echte, wahrhaftige, schneidige, tapfere Jungen (ethisch-natürli­ches Leben), nicht Apolo­getik – Vernünftelei. Kein „Gott der Bü­cher“ (Apologetik). Ich würde an den Erlöser glauben, wenn die Erlösten erlöster lebten.[1] (Nietzsche.) Nicht Beweise, sondern Inbrunst und Glut für Gott überwindet Gottlosigkeit. Der andern und unsre innere Schlaffheit.
[1] Das Zitat lautet wört­lich: „Bes­sere Lieder müß­ten sie mir singen, daß ich an ih­ren Erlöser glauben lerne: erlö­ster müßten mir seine Jünger aussehen.“ Aus Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Über­schrift „Von den Prie­stern“. In: Nietzsches Werke: Kri­tische Aus­gabe, Hrsg. G. Colli u. Massimo Monaeiro, VI.1, Berlin, de Gruyter, 1987: 114

Bücherlese vom 16. Dezember 1935

Freiheit und Zügellosigkeit. Worte an den Jüngling![1]
Zarathustra spricht zum Jüngling:
„In die freie Höhe willst du, nach Sternen dürstet deine Seele. Aber auch deine schlimmen Triebe dürsten nach Freiheit. Deine wilden Hunde wollen in die Freiheit. Sie bellen vor Lust in ihrem Keller, wenn dein Geist alle Gefän­gnisse zu lösen trachtet. Reinigen muß sich auch noch der Befreite des Gei­stes. Rein muß noch (d)[2]ein Auge werden. Nicht das ist die Gefahr des Edlen, daß er ein Guter werde, sondern ein Frecher, ein Höhnender. Einst dachten sie Helden zu werden. Lüstlinge sind es jetzt. Aber bei meiner Liebe und Hoffnung be­schwöre ich dich, o Jüngling, wirf den Helden nicht weg in deiner Seele!“
[3]
[1] Randbemerkung Karl Leisners zum folgenden Nietzsche-Text
[2] von Karl Leisner eingefügt
[3]
Kiefl, Franz Xaver: Katholische Weltanschauung und modernes Denken. Gesammelte Essays über die Hauptstationen der neueren Philosophie, Regensburg 2+31922: 192 (zit. Kiefl 1922)

Der Ewigkeitsgedanke.[1]
Das Mitternachtslied im Zarathustra.[2]
Eins: o Mensch gib acht!
Zwei: was spricht die tiefe Mitternacht?
Drei: ich schlief, ich schlief!
Vier: aus tiefem Traum bin ich erwacht!
Fünf: die Welt ist tief!
Sechs: und tiefer als der Tag gedacht!
Sieben: Tief ist ihr Weh!
Acht: Lust tiefer noch als Herzeleid!
Neun: Weh spricht: vergeh!
Zehn: doch alle Lust will Ewigkeit!
Elf: will tiefe, tiefe Ewigkeit!
Zwölf. (Nietzsche)[3]
(Geniale Zusammenfassung seines Entwicklungsganges: Träumer und Schlafender – Erwachen – Schopenhauer Philosophie: Seine entsetzliche Groß­artigkeit geht ihm auf! – Dann zur Lebensbejahung und Lust. Und end­lich der Schrei nach Licht, Überwindung der Nacht, nach der Sonne des Tages, der Ewigkeit!) (nach Kiefl)[4]
[1] Randbemerkung Karl Leisners zum folgenden Nietzsche-Text
[2] Kiefl 1922: 193–201, 10. Nietzsche und das Christentum. VI. Nietzsche und der Ewigkeitsgedanke; Zitat a. a. O.: 193
[3] ebd.
[4] s. ebd.

„Wenn ich dem Meere hold bin und allem was Meeresart ist; wenn jene suchende Lust in mir ist, die nach Unentdecktem die Segel treibt; wenn eine Seefahrerlust in meiner Brust ist; wenn je mein Frohlocken rief: Die Küste schwand! Nun fiel mir die letzte Kette ab! – das Grenzenlose braust um mich, weit hinaus glänzt mir Raum und Zeit – o ich liebe dich, o Ewigkeit, du hoch­zeitlicher Ring der Ringe! O ich liebe dich, o Ewigkeit!“ (Nietzsche)[1]
[1] Kiefl 1922: 196 aus: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra III, 5.: 290

Friedrich Nietzsche:
Wenn ich dem Meere hold bin und Allem, was Meeres-Art ist, und am holde­sten noch, wenn es mir zornig widerspricht:
Wenn jene suchende Lust in mir ist, die nach Unentdecktem die Segel treibt, wenn eine Seefahrer-Lust in meiner Lust ist:
Wenn je mein Frohlocken rief: „die Küste schwand, – nun fiel mir die letzte Kette ab – das Grenzenlose braust um mich, weit hinaus glänzt mir Raum und Zeit, wohlan! wohlauf! altes Herz!“ –
Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem hoch­zeitlichen Ring der Ringe, – dem Ring der Wiederkunft?
Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, es sei denn dieses Weib, das ich liebe: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
(Nietzsche 1980, Bd. 4, Also sprach Zarathustra, 3. Teil, Abschnitt Die sieben Siegel oder das Ja- und Amen-Lied (5.): 290)

(Also spricht N. [Nietzsche] im Zarathustra – Er ist es selbst)

In einem Rückblick schrieb Karl Leisner 1935 in sein Tagebuch:
Und auf dem Rückweg, wie Wem [Willi] Joosten mir von seinen [? An­gehö­rigen] und seiner Angebeteten erzählt. Er ist doch irgendwie sehn­süchtig und brennt vor Glut, aber Gottes Geist hat ihn zur Zeit nicht mehr ergriffen – er ist Nietzsche und seinen Propheten des Blutes verfallen.[1]
[1] Gemeint ist Zarathustra. Bereits in seinem Werk „Also sprach Zarathustra“ entwickelt Friedrich Nietzsche seinen Gedanken vom „Willen zur Macht“. Seitdem gilt er als der große Blut- und Bodenphilosoph.

Zur Fahrt ins neue Jahr des Heils 1936:
„Wenn ich dem Meere hold bin und allem, was Meeresart ist, wenn jene suchende Lust in mir ist, die nach Unentdecktem die Segel treibt; wenn eine Seefahrerlust in meiner Brust ist; wenn je mein Frohlocken rief: Die Küste schwand! Nun fiel mir die letzte Kette ab! – Das Grenzenlose braust um mich, weit hinaus glänzt mir Raum und Zeit – o ich liebe dich, o Ewig­keit, du hochzeitlicher Ring der Ringe! O ich liebe dich, o Ewigkeit!“ (Nietzsche).[1]
[1] Kiefl 1922: 196 aus: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra III, 5.: 290. Karl Leisner hat diesen Text bereits am 16.12.1935 in seine Bücherlese geschrieben (s. o.).