Karl Leisners Gedanken zu Ostern 1937

 

 

 

Die folgenden Gedanken hat Karl Leisner am Karsamstag, 27. März 1937, auf einen Briefbogen geschrieben, am 2. Mai 1937 erneut gelesen, sie aber erst am 2. Juli 1938 in sein Tagebuch übertragen.

 

 

Eine große Wirklichkeit ist mir schmerzlich und doch so klar und froh­ma­chend aufgestiegen heute:
Nur eins ist notwendig! [vgl. Lk 10,42] Nur die­s eine: der Glauben an Gott und den er gesandt hat: Jesus Christus. Und das heißt: Lebendiger Christus­glaube, heiliges Leben, Leben als Heiliger!
Das ist es, dies eine, was unserer Zeit fehlt: der Heilige, der göttliche, er­füll­te (Gott)mensch, der alter [zweite] Christus! Alles meinen wir heutigen Menschen zu besitzen. Was wissen und können wir nicht alles! Sophokles’ Hym­nus vom gewaltigsten Wesen auf dieser Erde scheint ganz Wirklich­keit: Aber er war Heide! – Ja, heidnisch vollendet steht da die Welt heute, die Menschheit! Ein Hasten, ein Jagen, ein egoistischer Taumel, ein Tanz um Mammon und Ve­nusköder!
Diese verdammte Feigheit! Das Letzte suchen sie zu übertünchen und zu ersticken durch „Betrieb“, durch „Zerstreuung“, durch einen Sturz in dieses endliche Sein. Und Feigheit endet immer in Sklaverei! Wir sind zu Anbetern des irdischen toten Stoffes geworden und haben den lebendigen Geist, den Herrn des Lebens vergessen. Daher unsere verruchte Schöpferlosigkeit. Alles sind nur Stümper, G’schaftlhuber in irgendeiner Branche, aber nichts Großes, Gewaltiges, Mitreißendes, Herzenwendendes, Lebenschaffendes! Alles so Kleinformat! Und am Ende eine gähnende, schauerliche Lehre.
Alles, alles wollen wir durchdringen, aktiv erkämpfen, nur das eine verges­sen wir: den, der das All zusammenhält, dessen Geist es durchdringt und den spröden Stoff formt, gestaltet, lebendig macht.
Deshalb, Karl, bedenke, was deine Pflicht, deine Aufgabe, dein Ruf! Die Zeit schreit nach Heiligen, nach dem heiligen Priester vor allem. Das ist das Größte!
Prüfe dich ernst, aber dann Entscheidung, letzte Entscheidung ganzer Hin­gabe an den lebendigen Gott! Ganz frei werden, und dann erst spürst du die ganze Schönheit des ganzen Menschseins!
Der Herr ver­langt letzte, unbedingte Gefolgschaft, hart und groß!
Aber dann heißt’s auch: Vos, qui secuti estis me et reliquistis omnia, acci­pietis centuplum!
[Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid und alles verlassen habt, werdet das Hundertfache erhalten! vgl. Mt 19,28f]
Ewiges Leben! Vita, Vita aeterna!
[Leben, ewiges Leben!] Hier schon keim­haft grundgelegt, dort in herrlicher Vollendung aufstrahlend! Wage, wage das Letzte! Dein Selbst! Kreise um Gott, lebe in ihm! Und du wirst alles gewin­nen! Alle, alles wird dein sein in Gott. [vgl. 1 Kor 3,22]
Der Herr ist erstanden aus Leid und Tod zur ewigen Herrlichkeit! Ihm nach auf seinem Weg! – Die Welt wird wieder jung, neu!
Verzichte auf alles, um alles zu gewinnen!
[vgl. Phil 3,8]
Haec dies, quam fecit Dominus!
[Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat! Ps 117/118,24a] Das wird dann ständige, alltägliche Le­benswirklich­keit für dich und alle werden. Opfer! Exultemus et laetemur in ea! [Laßt uns jubeln und uns an ihm freuen! Ps 117/118,24b] Freude, hilaritas sempiterna! [ewige Freude!] Alleluja! Amen!