Karl Leisners Priesterweihe war ein kirchengeschichtlich einmaliges Ereignis mit außergewöhnlichen ökumenischen und europäischen Aspekten.
Foto: Gabriele Latzel
Erzbischof Kazimierz Majdański, den Karl Leisner als Hilfsschreiber im KZ Sachsenhausen als Theologiestudenten aufgenommen hat, berichtet:
Ein starker Eindruck: Er [Karl Leisner] nahm als Hilfsschreiber die Personalien auf[1], und als er erfuhr, daß er es mit einem Kleriker zu tun habe, stellte er sich selbst als Diakon vor, doch vor allem stellte er sich mit seinen Worten und seiner Haltung als Mensch vor. An diesem ersten Tag unseres Aufenthalts unter Leuten, die toll von Haß und einer Massendämonie unterlegen waren, war das sehr viel.[2]
[1] Das Original dieses von Karl Leisner handschriftlich ausgefüllten Personalbogens befindet sich im Nachlaß von Bischof Kazimierz Majdański.
[2] Seligsprechungsprozeß: 1557
Kopie aus den Unterlagen zu Karl Leisners Seligsprechung
Kazimierz Majdański:
Priesterweihe in Dachau
Unmittelbar nach unserer Befreiung aus [dem KZ] Dachau [am 29.4.1945] vor 30 Jahren kamen die Priesterweihen [der polnischen KZ-Seminaristen]. Die Gnade der Freiheit und die Gnade der Weihen verbanden sich miteinander. […]
„Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“ [Joh 15,16] verwirklicht sich im Dialog, in dem der Mensch voll und ganz wahr, also frei antwortet: „Mir geschehe nach deinem Wort“ [Lk 1,38].
Das „Adsum“ wurde also dann gesprochen, als uns der unbezahlbare Schatz zurückgegeben wurde: die Freiheit. Das geschah [am 29.7.1945] in Paris, in der polnischen Kirche Mariä Himmelfahrt, gegenüber dem heimatvertriebenen Bischof Karol Radonski, dem Bischof von Włocławek, der aus London gekommen war. Denn diesen heimatvertriebenen Bischof machte die göttliche Vorsehung zum Vorsteher unserer Weihen, obschon auch anscheinend ebenso gerne der damalige Erzbischof von Paris, unser herzensguter Gönner Kardinal Emmanuel-Célestin Suhard, der Weihe vorgestanden wäre. Das hätte wohl ebenso gern der uns bekannte Apostolische Nuntius Erzbischof [Angelo Giuseppe] Roncalli gemacht, der im übrigen in unserer damaligen Sicht Kardinal Suhard nicht gleichkam, nicht nur hinsichtlich seiner Würde (es war dies im übrigen gar keine Einzelmeinung).
Verwalter des Priesteramtes – auch sicherlich eines von Gottes Geheimnissen. Wer konnte das voraussehen, daß Vorsteher der einzigen Priesterweihe, die in Dachau gespendet wurde, der französische Bischof der Diözese Clermont, Msgr. Gabriel Piguet würde?
Und wer frägt nicht, der das Leben von Bischof Michał Kozal, des Dieners Gottes und Bischofs großen Formates, betrachtet: wie geschah es, daß nicht ihm einmal die Gnade, Weihen zu erteilen, zuteil wurde?
Er wußte, daß er nicht aus dem Lager zurückkehre. Hat sich seine Entscheidung, uns die Weihe nicht zu erteilen, verbunden mit einem großmütigen Verzicht? Ist es nicht ein Beweis einer solchen dienenden Einstellung, die eine völlige Selbstvergessenheit ermöglichte?
Gewöhnlich denken wir an die Verpflichtung, die die Geweihten auf sich nehmen. Wie ist denn die Verpflichtung des Weihespenders? – In diesem Fall war es, wenn auch ein „rebours“ [gegen jeglichen gesunden Menschenverstand], doch etwas ausnehmend Großes, ein Verzicht – wer weiß, ob es nicht ein heroischer war. Aber daran denke ich heute, nach dreißig, Jahren. Erst heute.
Der Spender der einzigen Weihe im Lager, Bischof Piguet, verschwindet im Schatten des Mannes, dem er das Priestertum übertrug, Karl Leisner. Über Karl erzählen wir noch. Aber erwähnen wir doch wenigstens mit einem Wort die so einfache und doch um so tiefere Wahrheit. Es gäbe nicht den Priester Karl, wenn nicht der Bischof Gabriel gewesen wäre. Es hätte keine einzige Weihe im Lager gegeben, wenn nicht die göttliche Vorsehung den Weihespender ins Lager geführt hätte. Er steht im Schatten, es ist so, als ob es ihn nicht gab. Größeres Interesse als er selbst weckt sicherlich seine Mitra und sein Hirtenstab, die er bei der Weihe im Lager benutzt hat und die im Karmel [in Dachau] aufbewahrt werden.
Und vielleicht soll das so sein. Vielleicht ist das die Gesetzmäßigkeit, die über der Wirksamkeit der „Verwalter der göttlichen Geheimnisse“ [vgl. 1 Kor 4,1] waltet: daß sie verschwinden, als ob es sie nicht gäbe und jeder von ihnen in seiner tiefsten Überzeugung sich als der „geringste der Apostel“ [vgl. 1 Kor 15,9] fühlt.
Aber einmal in der Ewigkeit erlaubt uns der ewige Hohepriester, der der einzige Priester ist, Dich, Bischof Michał [Kozal] zu befragen, was Du erlebt hast, als Du auf die Erteilung der Weihen verzichtetest, und Dich, Bischof Gabriel [Piguet], was Du erlebt hast, als Du die einzige Priesterweihe in der Geschichte der Konzentrationslager [Adolf] Hitlers gespendet hast. Ich war zugegen während dieser Weihe, aber Dich habe ich kaum gesehen. Ich sah Karl. Hatte nicht mein damaliger Lagerkamerad auch deshalb meine Aufmerksamkeit verdient, weil er ungeheuer schwach war und der Tod schon sehr deutlich nach ihm griff?
Tod im Lager? Das war doch eine zu gewöhnliche Erscheinung! Aber dennoch war das so: ich war mehr bei Karl.
Und jetzt werde ich eine Zeitlang ein Zeugnis über ihn ablegen, nachdem es sich so traf, daß ich um den 30. Jahrestag unserer Priesterweihe, die wir einige Monate nach Karls Weihe empfangen hatten, herzlich [aus Anlaß des Seligsprechungsprozesses] aufgefordert wurde, dieses Zeugnis abzulegen. Wir sollen nicht an Zufälle glauben.[1]
[1] Seligsprechungsprozeß: 1554–1556
Siehe auch Aktuelles vom 17. Dezember 2013 – Karl Leisners Priesterweihe im KZ Dachau am Sonntag Gaudete, dem 17. Dezember 1944
und
Aktuelles vom 17. Dezember 2011 – Priesterweihe Karl Leisners vor 67 Jahren.
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