Unter diesem Titel veröffentlichte die F.A.Z. am 25. Februar 2014 einen Artikel über Alice Herz-Sommer, die das KZ Theresienstadt überlebte und nun mit 110 Jahren gestorben ist.
Welche Bedeutung die Musik für Karl Leisner im KZ Dachau hatte, bezeugen seine Briefe aus dem KZ und sein Engagement bei der musikalischen Gestaltung der dortigen Gottesdienste.
< Karl Leisner mit seiner Schwester Maria 1937 im Allgäu
Aus den vorhandenen KZ-Briefen und weiteren Dokumenten ergibt sich folgendes Bild in Bezug auf Karl Leisners Gitarre im KZ Dachau:
Entweder ist seine eigene Gitarre nach seiner Verhaftung am 8. November 1939 im Lungensanatorium Fürst-Abt-Gerbert Haus in St. Blasien geblieben oder auf dem Weg nach Kleve verlorengegangen. Die Gitarre, die seine Familie ihm ins KZ Dachau schickte, war die seines Bruders Willi.
Auszüge aus Karl Leisners Briefen an seine Familie:
9.3.1941:
Auch meine Gitarre mit Spielmann und Schott […] könntet Ihr senden (mit Ersatzsaiten).
16.3.1941:
Ich möchte Euch herzlich bitten, mir baldmöglichst meine Gitarre mit Futteral und zwei Paar Stahlersatzsaiten hierher zu senden. Dazu als Liederbücher den „Spielmann“ [Liederbuch Der Spielmann] von Klemens Neumann und „Lieder des Volkes“ von Adolf Lohmann. Es ist jetzt herrlicher Frühling draußen, da treibt’s einen zu musizieren und zu singen in den Freistunden, die man hat.
21.3.1941:
Auf die Klampfe freu’ ich mich. Das wird ein Singen.
6.4.1941:
Die Gitarre macht uns allen seit 10 Tagen Freude.
18.10.1941:
Heut’ abend klampfen und singen wir. Heiho!
13.11.1943:
Meine Klampfe erfreut die Kameraden. Ich spiele zur Zeit selbst allerdings nicht.
Vermutlich wollte er mit dieser Mitteilung auf seinen Aufenthalt im Krankenrevier hinweisen.
P. Otto Pies SJ (Der Inhalt des folgenden Berichtes war ihm nur vom Hörensagen bekannt.):
Karl hatte trotz der bestehenden Verbote seine Klampfe nach Sachsenhausen [Dachau] ins KZ schicken lassen. Es ist ihm gelungen, sie durch die verschiedenen Untersuchungsstellen durchzuschleusen und sie gut nach Dachau zu bringen. Dort war sie mit den abgenommenen Privatsachen in dem sogenannten Schubraum aufbewahrt. Die Klampfe mußte heraus. Und wirklich, es gelang ihm. Ein wenig Freundlichkeit und ein paar Zigaretten für den Häftlingskameraden im Schubraum, und eines Tages war die Klampfe da. Für wenige andere hätte der Kamerad im Schubraum es gewagt, gegen seine Dienstanweisung die Klampfe herauszugeben. Karls Bitte und seinem spitzbübischen Lachen konnte er nicht widerstehen. Und Karl erhielt seine Klampfe. Nun gab es frohe Stunden. Des Abends nach der Arbeit und dem Appell holte er seine Klampfe aus dem Versteck hinter dem Bett und begann zu spielen und zu singen. Bald sammelte sich um ihn ein Kreis von Kameraden und ein lustiger Sängerabend hob an. Alle alten, schönen Lieder aus der Jugend, von Heimabenden, von Ferienlagern, von Fahrten erklangen wieder. In diesen Stunden vergaßen alle, wo sie waren, und Frohsinn wurde im Herzen wach. Man glaubte wieder an das Leben und hoffte auf die Seinen. Wer sich am meisten freute, war Karl, weil er seinen Mitbrüdern und Kameraden mit seiner Klampfe eine frohe Stunde bereiten konnte (Pies, Otto: Stephanus heute. Karl Leisner. Priester und Opfer, Kevelaer 11950: 135).
Wilhelm Haas:
[Karl Leisner] hat mit dem umfangreichen Liedgut, über das er verfügte, vielen Mitgefangenen Freude gemacht. Wie mir berichtet wurde, hätten selbst SS-Leute zugehört (Seligsprechungsprozeß: 1066).
Text im Karmel von Dachau (vermutlich von Hermann Dümig):
Darum habe ich sowohl im Gefängnis wie im KZ Freude und Lebensmut geschöpft, indem ich Liedtexte laut oder leise singend, summend oder nur sinnierend vor meinem Geiste vorüberziehen ließ und tue es auch heute noch im Alter bei Tag und Nacht. Obwohl in keiner Weise ein Virtuos, ließ ich sogar meine Zither ins Gefängnis und ins KZ kommen.
Bericht in der F.A.Z. vom 25. April 1997:
Der aus Wien stammende Komponist und Dirigent Herbert Zipper gründete im KZ Dachau ein geheimes Orchester und komponierte mit einem Freund den „Song of Dachau“. Zipper wurde 1938 verhaftet und nach Dachau gebracht. Dort bauten er und andere Häftlinge provisorische Instrumente und spielten heimlich vor Mithäftlingen, ohne von den Wachmannschaften entdeckt zu werden. Sein Vater kaufte ihn 1939 frei, er starb 1997 in Kalifornien.
Karl Leisner am 4. Juli 1943 aus Dachau an seine Familie in Kleve:
Für einiges Schreibzeug wäre ich sehr dankbar: zwei bis drei Federhalter, einige Stahlfedern (Ly 7 und spitze), ein Lineal à 50 cm und eins à 20 cm, einige Aktendeckel (Papa [Heinrich] Poethen hat sicher noch etwas Abfallkarton da in verschiedenen Farben), einige Schulhefte, Redisfedern je ein bis zwei à ½, 1, 2, 3 mm, einige Heftklammern und etwas Schreibpapier. Dazu, wenn möglich, einen Locher und je ein schwarzes und rotes Stempelkissen.
Folgender Bericht von Alfons Duschak unter der Überschrift „Karl Leisner in der Choralschola der sterbenden Priester“ aus dem Jahr 1977 zeigt, wofür Karl Leisner die erbetenen Dinge benötigte:
Wieso „der sterbenden Priester“? Weil mehr als die Hälfte dieser Priester fast bis zu ihrem Tode in ihr mitwirkten und ihr Leben in Dachau lassen mußten.
Als der Benediktiner aus St. Ottilien am 22. Dezember 1941, Pater [Albrecht] Friedrich Wagner [OSB], die Freiheit wiedererlangte, wurde ich gebeten, an seiner Statt den geistlichen Gesang zu leiten. Ich hatte bis zu meiner Verhaftung am 19.5.1941 in Dresden in der Hofkirche den Choral geleitet. Mit den geschulten Kapellknaben (alias Domspatzen) und all den technischen Hilfen dieses Institutes und der Kathedralkirche war das eine verlockende Aufgabe. Im Konzentrationslager Dachau sah das ganz anders aus.
Mit viel Last und List hatte ich einen „Liber Usualis“[1] mit dem Druck aller feststehenden und wechselnden Choralgesänge der Hochämter, Vespern und festlicher Metten schicken lassen, und auch die Auslieferung erreichen können, genau an dem 22.12.1941, also drei Tage vor Weihnachten. Pater Wagner, schon im Mönchsgewande, und ich „im Zebralook“ standen am Tor des Lagereingangs einander gegenüber, ohne noch ein Wort wechseln zu dürfen.
Pater Wagner fuhr in die Freiheit – wenn auch nur in die des braunen Reiches, ich empfing meine Bücher, darunter obengenanntes Choralbuch.[2]
Es mußten nun für das ganze Kirchenjahr, für jedes Hochamt und für jede Vesper und für jede Matutin – soweit wir auch diese singen wollten – das Proprium = die diesem Gottesdienst einmalig eigenen Gesänge für den Chor und das Ordinarium, einmal für den Chor und je zweimal für die Gemeinde (etwa 1.000 Priester) auf Plakate gebracht werden; denn der Raum des Gottesdienstes war 20 Meter lang, so weit kann man auch ein Plakat nicht lesen, weshalb in der Raummitte für die Gemeinde das Plakat noch einmal aufgestellt werden mußte. Wir mußten etwa 300 Notentafeln (Zeichenpapier) anfertigen. Das geschah in der kurzen Nacht. Lagen alle auf den Pritschen, dann waren die Stubentische frei. Karl Leisner, ein junger Franziskaner [P. Elpidius Markötter], beide in oder kurz nach der Haft gestorben, leisteten die Vorarbeit mit großen Linealen und nachher auch Stempeln, ich trug dann Text und Noten ein, Pater Karl Schmidt (Salesianer, nach Dachau [am 13.5.1968 in München] gestorben) „organisierte“ mir nach und nach Rollen Zeichenpapier (aus den Büros „Messerschmitt“), Tusche, Stempel und Federhalter, aus denen der Karl das Blechgehülse nahm, aus „organisierten“ Radiergummis (SS-Büros) das Stempelchen fertigte und die Stempel in die Federhalter einfügte, die notwendigen Modelle Redisfedern für die Textgestaltung besorgte er mir auch, und so konnten wir in der Nacht an die Arbeit gehn. Dabei hat Karl Leisner fast verhustet, was an Resten der Lunge noch in ihm war. Ich glaube, der Franziskaner hieß Markötter. Ich habe nach dem Kriege auf Wunsch des Ordens noch einen Bericht über ihn geschrieben. Karl Schmidt (nicht Schmitz) ist [am 13.5.1968] an Magenkrebs gestorben. Er sah so unscheinbar aus wie ein biederer Landbriefträger. Es hieß: acht Handwerke habe er gelernt und jene, die er nicht gelernt habe, verstehe er noch besser. Ich glaube: Es gab nichts, was er nicht machen und beschaffen konnte, man sagte: Von der Putzwolle bis zum fahrtüchtigen BMW.
Karl Schmidt war auch ein Sänger und Prediger von vielen Graden. Ich als Chorleiter mußte es schließlich bemerken können. Wie ein solcher Mathematiker und Physiker vom Schlage Karl Schmidt auch künstlerisch (Tabernakelbau in Dachau[3]) so vielseitig schöpferisch sein könne, mußte ich in Dachau erfahren. Still waren sie alle, Karl Leisner der stillste Helfer und Freund. Es war wirklich die Singeschar der sterbenden Priester. Was hätte ich anders sagen sollen auf die Frage (von [am 16.5.1974 in Trier] † Pater Maurus Münch OSB, Abtei St. Matthias, Trier, der immer mitsang:) „Alfons, wie kommt das, ich habe selbst in unseren großen Abteien das große ‚Jubilate‘ [Jubelt[4]] und das ‚Precatus est Moyses‘ [Moses flehte[5]] nie so gut gehört wie von dieser Gruppe“. Ich antwortete: „Maurus, Du darfst nicht vergessen mit einzubeziehen, daß es die Schola der sterbenden Priester ist.“
[1] Liber Usualis. Missae et Officii pro Dominicis et Festis cum cantu Gregoriano ex Editione Vaticana adamussim excerpto [Gebrauchsbuch für Messen und Stundengebet an Sonntagen und Festen mit gregorianischem Choral. Auszüge der Vatikanischen Ausgabe], Parisiis, Tornaci, Romae 1935
[2] Heinz Dresbach notierte in einem Exemplar, das heute in Schönstatt aufbewahrt wird:
Dieser „Liber Usualis“ war vom 29.8.1941 bis zum 5.4.1945 im KZ Dachau – Dresbach.
[3] Johann Lenz:
Der erste Tabernakel, der in solch erschütternder Armut das Allerheiligste geborgen hatte, war zweimal erneuert worden. P. Karl Schmidt [SDS] hatte 1941 für das Gehäuse gesorgt und es dann eigenhändig geschmückt. Aus gelben Fischkonservenbüchsen hatte er mühevoll zwei anbetende Engelsfiguren herausgeschnitten (Lenz, Johann: Christus in Dachau oder Christus der Sieger. Ein religiöses Volksbuch und ein kirchengeschichtliches Zeugnis (mit 100 Bildern). Für Priester und Volk, Wien 61957: 188).
[4] vermutlich das vor der Liturgiereform am 2. Sonntag nach Epiphanie und am 4. Sonntag nach Ostern gesungene „Jubilate Deo universa terra – Jubelt Gott ihr Lande all“
[5] vor der Liturgiereform Gesang zum Offertorium zum 12. Sonntag nach Pfingsten
Alfons Duschak:
Abends, wenn alle auf der Pritsche lagen, waren die Tische frei. Karl Leisner, Pater [Elpidius] Markötter OFM, aber auch andere halfen in der Nacht und am Tage.[1] Für das „Volk“, die tausend Priester, mußten die sogenannten feststehenden Gesänge [das Ordinarium], aber doch in verschiedensten Singweisen, doppelt auf Plakate gebracht werden, denn ein Plakat mußte wegen der begrenzten Sehweite zusätzlich in der Raummitte aufgestellt werden, ein drittes war für die Sängerschar, denn diese Gesänge waren abwechselnd zu singen. Endlich mußten die Plakate mit den Sonntag für Sonntag wechselnden Chorgesängen angefertigt werden, auch für Feiertage, bis das Kirchenjahr ausgebaut war. Später kamen die neuen „Einheitslieder“ von 1942 dazu, die Herr [Erhard] Quack uns von Speyer schickte. Ich bekam sie auch von Johannes Hatzfeld und Professor [Heinrich] Schauerte aus Paderborn.[2] So entstand der „Chor der sterbenden Priester“, weil meine besten Helfer und Sänger in Dachau gestorben sind, sehr viele Sänger. Ich darf in Wahrheit den Chor so nennen.[3]
[1] Alfons Duschak:
Erst wenn alle gegen neun Uhr auf die Schlafpritschen gingen und die Tische frei wurden, konnte ich mit meinen Helfern, Karl Leisner und dem jungen Franziskaner Markhöfer [Elpidius Markötter], die Notenblätter beschreiben. Beide waren ideal gesinnte junge Menschen (Seligsprechungsprozeß: 1007).
[2] Bis zum Erscheinen des Katholischen Gebet- und Gesangbuches „Gotteslob“ 1975 hatte jedes Bistum sein eigenes Liedgut in einem eigenen Gebet- und Gesangbuch. Zur Liturgischen Bewegung gehörte das Bemühen um „Einheitslieder“ für den gesamten deutschen Sprachraum.
Karl Lehmann:
[Es] wird verständlich, warum die Fuldaer Bischofskonferenz im Jahr 1940 den Mainzer Bischof [Albert Stohr] zum Jugendreferat hinzu mit der Leitung einer ständigen „Liturgischen Kommission“ betraute, eng verbunden mit dem Passauer Bischof Simon Konrad Landersdorfer OSB (1936–1968). Dabei ging es vor allem um die „Richtlinien“ für die „Gemeinschaftsmesse“. So hat Bischof Stohr – was hier nicht näher aufgezeigt werden muss – an den „Richtlinien der deutschen Bischöfe zur liturgischen Gestaltung des pfarrlichen Gottesdienstes“ (1942), am deutschen Psalterium von 1949/50 (durch Romano Guardini übersetzt), an der Neuordnung der Heiligen Woche und an den Vorarbeiten der Brevierreform einen wichtigen Anteil gehabt.
[…]
Schon damals gab es im Übrigen Pläne für die Schaffung von „Einheitsliedern“ und für ein „Einheits-Gebet- und Gesangbuch“ (URL http://www. regionalgeschichte.net/bibliothek/texte/aufsaetze/lehmann-dominus.html – 3.1.2012).
[3] Duschak, Alfons:
Häftlingsnummer in Dachau: 26833. In: Sellhorst, Heinrich: Priesterschicksale im Dritten Reich aus dem Bistum Aachen. Zeugnis der Lebenden, Aachen21972: 70f.
P. Gregor Schwake OSB:
Kaplan [Alfons] Duschak aus Dresden hatte zahlreiche Chormelodien und deutsche Kirchenlieder auf große Papierbogen gemalt, die man aufhing, damit alle Besucher der 20 m langen und 9 m breiten Kapelle mitsingen konnten.
Werktags standen wir eine halbe Stunde früher als das übrige Lager auf und hatten täglich stille Messe mit Kommunion. Dagegen war jeden Sonntag und an den vom dritten Reich zugelassenen hohen Feiertagen levitiertes Hochamt [Levitenamt]. Dabei wurde meist Choral gesungen, das Proprium von der Schola, das Ordinarium abwechselnd von Schola und der ganzen Opfergemeinde. […] Sonntags nachmittags war meist Choralvesper, gemeinsam gesungen, danach sakramentaler Segen. […] Danach war regelmäßig eine Abendmesse mit deutschen Liedern.[1]
[1] Schwake, Gregor: Kirchenmusik im Konzentrationslager Dachau. In: Der Chorwächter – Zeitschrift für Kirchenmusik – Organ der Schweiz. Cäcilienvereine, 71 (1946): 9f.
Eleonore Philipp schrieb einen Artikel über „Geistliche Musiker im Konzentrationslager Dachau“. In: Josef Focht u. Ursula K. Nauderer, Musik in Dachau, Dachau 2002: 193–203
Unter dem Titel „Musik macht aus Nummern Menschen“ veröffentlichte die F.A.Z. am 3. März 2014 einen Artikel von Irene Bazinger über das „Lebensmittel“ Musik im KZ Theresienstadt.
Errichtung des KZ Theresienstadt nach der Besetzung von Böhmen und Mähren (1939) in der aus Garnisonsstadt u. Kleiner Festung bestehenden Stadt – Einrichtung eines Gestapo-Gefängnisses in der Kleinen Festung 1940 – Errichtung eines Sammel- und Durchgangslagers für die jüdische Bevölkerung Böhmens und Mährens in der Garnisonsstadt November 1941 – Befreiung durch die Rote Armee 8.5.1945