Marienthal bei Wesel gilt als das älteste Augustinerkloster im deutschen Sprachraum. 1256 wurde die erste Kirche geweiht. 1345 wurden Kirche und Kloster etwas weiter nördlich an die Issel verlegt. Augustiner-Eremiten haben bis zur Auflösung des Klosters 1806 dort gelebt. 1839 wurde eine Pfarrei errichtet. Um 1925 begann die katholische Jugend aus allen deutschen Gauen, nach Marienthal zu pilgern.
Dank des Pfarrers Augustinus Winkelmann erlangte Marienthal während der ersten Hälfte des 20. Jh. hervorragende Bedeutung im Bereich der modernen sakralen Kunst. 1986 übernahmen Karmeliten der Niederdeutschen Ordensprovinz die Pfarrseelsorge.
Was den aufmerksamen Besuchern von Kirche, Kloster und Friedhof sofort ins Auge fällt, sind die zahlreichen Kunstwerke vor allem aus den 1920er und 1930er Jahren. Künstler, die Augustinus Winkelmann in das ehemalige Augustinerkloster holte, brachten neues Leben in die alten Mauern. In den noch erhaltenen Mönchszellen wohnend, sich inspirieren lassend von der ruhigen klösterlichen Atmosphäre des Ortes und in einem fruchtbaren Dialog mit Augustinus Winkelmann stehend, hinterließen sie zahlreiche Werke christlicher Kunst. Diese Werke mit ihrer tiefen Symbolik regen auch heute noch viele Besucher zur Meditation an.
U. a. wurden auch die Mönchszellen ausgemalt und bekamen dementsprechende Namen. Karl Leisner erwähnt z. B. die Versöhnungs-Zelle und die Franziskus-Zelle.
Kirche + Leben vom 21. Februar 2016 berichtet vom Leben in einer Klosterzelle in Marienthal, die heute größer ist als jene Zelle, in der Karl Leisner in den 1930er Jahren während einiger Aufenthalte schlief.
Kirche + Leben vom 21. Februar 2016
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Aus dem Fahrtenbericht zur Spielfahrt der Jugendgruppe Kleve 1930 von Ferdinand Falkenstein:
Isselburg, Donnerstag, 14. August 1930
Endlich gelangten wir auf die bessere Landstraße bei Brünen, um 21.00 Uhr waren wir in Marienthal. 21.45 Uhr Abendgebet in der Kirche [St. Mariä Himmelfahrt], um 22.00 Uhr beim Bauern Hartmann[1] ins Stroh.
[1] Eheleute Johann Heinrich Hartmann in Marienthal bei Wesel (* 7.9.1872, † ?) (Bauer) u. Franziska Anna Hartmann, geb. Schwaik (* 13.12.1874, † 15.9.1959) – Heirat 26.5.1903 – Auf deren dem Kloster Marienthal nächstliegenden Bauernhof haben zahlreiche Jugendliche übernachtet, vor allem als die Gestapo 1941/1942 den Flur im Kloster mit den ausgemalten Mönchszellen versiegelte. In den 1970er Jahren wurde der Landwirtschaftsbetrieb aufgegeben. Heute befinden sich in den Räumen des ehemaligen Betriebs Geschäfte.
Vom 12. bis 18. Mai 1932 fand in Marienthal ein Bundestag des Katholischen Wandervogels statt.
Tagebucheinträge

Das Lager von Marienthal – Seitenansicht – vom Eingang aus gesehen
Marienthal, Sonntag, 15. Mai 1932, Pfingstsonntag, 4. Tag
Um 6.00 Uhr weckt uns ein Trompetengetröte. – Waschen in der Issel. Dann geht’s in langem Zuge zur Kirche. Wir beten die Meßgebete gemeinschaftlich [als Gemeinschaftsmesse[1]]. Willi und ich dienen. – Der Bundespriester [Dr. Albert Nobel[2]] hält eine feurige Pfingstansprache. Pfingsten soll hineinleuchten in den grauen Alltag!
Um 18.00 Uhr in die Kirche; dort Maiandacht.
[1] Chorherr Pius Parsch CRSA feierte am 25.5.1922 die erste Gemeinschaftsmesse. Eine Stille Messe unterschied sich von einer Gemeinschaftsmesse dadurch, daß die Gläubigen Privatgebete oder eine Kommunionandacht verrichteten. In der Gemeinschaftsmesse betete die Gemeinde die Meßtexte z. B. mit Hilfe eines Schott-Meßbuches mit, zum Teil auch laut, während der zelebrierende Priester den lateinischen Text leise las. Romano Guardinis Anliegen in der Liturgischen Bewegung war: „Nicht in der Messe beten, sondern die Messe beten“ (Papst Pius X.).
[2] Dr. phil. Albert Nobel (* 12.8.1897 in Büsbach bei Stolberg, † ?) – Priesterweihe 18.2.1923 in Köln – Kaplan in Aachen St. Elisabeth 28.2.1923 – Kaplan in Düsseldorf St. Paulus 13.11.1925 – Beurlaubung wegen Krankheit 17.6.1930 – Geistlicher Lehrer in Neunkirchen 28.1.1931 – Versetzung in den Ruhestand 22.3.1932 – laut Personalschematismus 1935 wohnhaft in Berlin-Wilmersdorf – seitdem keine Erwähnung mehr im Schematismus od. Amtsblatt

Wir woll’n zu Land ausfahren! – Marsch durch die Felder zur Kirche
Marienthal, Montag, 16. Mai 1932, Pfingstmontag, 5. Tag
Um 5.30 Uhr Aufstehen. Um 7.00 Uhr Messe wie gestern. – Pfarrer Winkelmann predigt.
[…]
Alsdann zogen alle zum Lager, wo der Schlußthing abgehalten wurde. Dr. Nobel und Willi Janssen[1] sprachen noch einmal kernige, „pfingstgeistvolle“ Abschieds- und Schlußworte. – „Traget den Pfingsttag hinein ins Volk! – Der Pfingsttag kennt keinen Abend[2]. Wärmende Liebe!!“
[1] Willi Janssen (* 15.4.1904 in Essen, † 3.6.1982 in Hamburg) – Köln-Poll, An den Maien 16 – Mitglied des Jungkreuzbundes – später des Katholischen Wandervogels (KWV)
[2] Anklang an die Aufschrift am Tabernakel der Kirche St. Mariä Himmelfahrt in Marienthal.
Hermann Schell:
Der Pfingsttag kennt keinen Abend, denn seine Sonne, die Liebe, kennt keinen Untergang (Schell, Hermann: Christus. Das Evangelium und seine weltgeschichtliche Bedeutung, Mainz 1903: 208).
Kleve, Samstag, 18. Juni 1932
In Marienthal mit Walter [Vinnenberg] zusammen
Treffahrt nach Marienthal
[…]
Bald waren wir in Marienthal. Pfarrer Winkelmann erklärte Walter und den andern gerade die Kirche. – „MORS PORTA VITAE“ [Der Tod ist das Tor zum Leben] steht als herrlicher Torspruch an der [von Regierungsbaurat Georg Hertel entworfenen und von Wilhelm Frenck aus Wesel ausgeführten] Pforte zu Friedhof und Kirche. „Stirb und werde“, wie Goethe es ausdrückt.[1] –
[1] Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Diwan, Stuttgart 1946: 18
Das Innere des Gotteshauses ist eine wundervolle Vereinigung von alter Gotik und neuer Kunst. Es klingt einig und wirkungsvoll zusammen: Die alte Augustinerkirche in ihrer schlichten Gotik mit ihren neuen Fenstern und dem einfachen in Kreuzesform aufgebauten Altar. Ein seltenes Kunstwerk neuer Kunst ist der Tabernakel: Vorne eine strahlensendende Taube und der Spruch: „Der Pfingsttag kennt keinen Abend“. – Rechts Engel, die in Demut singen: „Gratias agimus tibi propter magnam Gloriam Tuam“ [Wir danken dir wegen deiner großen Herrlichkeit[1]]. Das tiefste, demütigste, göttlichste Dankgebet der Menschheit an Gott. – Links eine Sonne![2] Usw.
[1] Text aus dem Gloria der Eucharistiefeier. Auf dem Tabernakel steht der deutsche Text.
[2] Der Engelgesang befindet sich auf der linken Tabernakelseite. An die Sonne erinnerte Karl Leisner vermutlich die strahlensendende Taube auf der Vorderseite des Tabernakels.
Ansichtskarte:
Niederrheinische Kunst. Verkündigung und Weihnacht. Seitenfenster von A. [Anton] Wendling in der Pfarrkirche zu Marienthal bei Wesel
Modernes Kirchenfenster in Marienthal. Links: Die Verkündigung. – Rechts: Die Geburt. (Entworfen von Professor Wendling)

Gästebuch von Marienthal
Montag, 5. Juni 1933, Pfingstmontag
[Am] 5. 9.00 Uhr ab zur Heimfahrt nach Marienthal [Singekreistagung].
Marienthal, Dienstag, 6. Juni 1933
In Marienthal!
Marienthal, Sonntag, 2. Juli 1933
Ich schlafe in der Versöhnungs-Zelle (der verlorene Sohn – siehe Bild)[1] Eine Ia Bude! Ich penne gut.
Sonntagmorgen 7.30 Uhr werde ich wach. Um 9.00 Uhr ist Kirche. Walter [Vinnenberg] hält eine ganz feine, tiefe Predigt über das Fest Mariä Heimsuchung [vgl. Lk 1,39–56]: Wie Maria so ganz selig mit Gott unterm Herzen, so froh, so innig in Zwiesprache mit dem Kinde daherschreitet zu ihrer Base Elisabeth und dort so wunderbar empfangen wird. Wie sie in jauchzender Freude den schönsten Lobgesang, den die Kirche hat, das Magnificat, anstimmt.[2] So sollen wir auch Christusträger werden in der heiligen Kommunion und so werden wir feine, frohe Menschen. Nach der heiligen Messe Morgenfrühstück.
[1] Es handelt sich um ein Fresko von Ludwig Baur.
[2] Das Evangelium des Festes Mariä Heimsuchung war damals Lk 1,39–47.
Von 10.15 Uhr bis Mittag besprechen wir auf der Franziskus–Zelle[1] (wo Walter gepennt hatte) die Fahrt im Herbst.
[1] In dieser Zelle befindet sich ein Fresko mit einer Darstellung des hl. Franziskus von Ludwig Baur.
Kleve, Montag, 3. Juli 1933[1]
Da trafen wir Klever [… Jungen] uns mit Walter am 1./2. Juli in Marienthal. Am Samstag, den 1.7., abends gegen 21.15 Uhr landeten wir in Marienthal und krochen nach einer guten Stärkung ein jeder in seine Zelle. Gut ausgeruht ging’s am Sonntagmorgen in die 9.00-Uhr-Messe, die Walter hielt und in der er eine feine Predigt über das Fest des Tages: Mariä Heimsuchung – hielt. Nachher setzten wir uns in der Franziskus-Zelle zusammen und berieten über die Herbstferienfahrt 1933.
[1] Der folgende Eintrag ist eine Zusammenfassung der Ereignisse vom 1. bis 29.7.1933.
Münster, Samstag, 23. November 1935
Das Auto bringt uns nach Marienthal, wo wir Fräulein W. [Wilhelmina Sondermann] „abladen“ und die Kirche und den Kreuzgang beschauen. Neues bringt mir das: 1) die Altar-Vorschrift: (siehe Karte!) und den feinen heiligen Josef[1]. Der Pfarrer [Augustinus Winkelmann] selbst und dann der kleine „rote“ Küster [Johannes Dücker[2]] erklären.
[…]
Altarspruch in Marienthal:
Die heilige Feier des Todes und der Auferstehung des ewigen Kreislaufes des unendlichen Lebens, in dem der Höchste zum dienenden Lebensbrote wird, um alle zur Höhe dieser heiligsten Liebesgemeinschaft emporzuziehen, in der jeder sich stirbt, um allen zu leben.
[1] 1930 erteilte Pastor Augustinus Winkelmann dem Künstler Josef Rübsam den Auftrag, eine Plastik des hl. Josef zu gestalten. Die lebensgroße Lindenholzfigur bekam 1931 ihren Platz im Kreuzgang.
Jutta Pitzen:
Der ernste Heilige erscheint im schlichten Gewand, lebensvoll wie soeben aus der Arbeit gerissen. Die riesigen Hände gehören keiner süßlichen Heiligenfigur, sondern einem zupackenden Handwerker. Im Bildwerk des Zimmermanns bleiben die Spuren der Holzbearbeitung sichtbar. Rübsams Namenspatron hat nichts von den zu seiner Zeit durchaus üblichen sentimentalen Darstellungen des Nährvaters Christi. Die Lilie ersetzt er durch das Beil (Pitzen, Jutta: Jupp Rübsam 1896–1976, Krefeld 1991: 82).
[2] Augustinus Winkelmann:
Die kirchenmusikalische Kunst fand in Marienthal dadurch einen Aufschwung, daß der Palestrinakreis der Universität Münster unter dem leider nun verstorbenen Joseph Kemper hier in den Jahren seiner Entstehung seine Heimat fand. Er ließ in der Kirche zuerst die tief ergreifenden, mächtigen Weisen von Ludwig Weber erklingen, der selbst öfters zu uns kam und später auf der benachbarten Burg Gemen bis zu seinem frühen Tode lebte. Der Palestrinakreis gab auch unserem späteren, hochbegabten Organisten und Chorleiter Hans Dücker die ersten Anregungen, die er später sowohl in der musikalischen Gestaltung unseres Gottesdienstes in seinem guten Choralchor als auch bei der Leitung vieler Sängertreffen der Jugend in Marienthal und auswärts fruchtbar machte, besonders in der deutschen Volkschaft, die nach dem Kriege in Marienthal aus der Taufe gehoben wurde (Ramackers, Johannes: Marienthal. Des ersten deutschen Augustinerklosters Geschichte und Kunst. Rheinisches Bilderbuch Nr. 6, Würzburg 31961 1961: 172f.).
s. Berkenfeld, Bernhard: Christlicher Realismus: Bericht vom ersten Treffen der „Deutschen Volkschaft“ in Marienthal am Niederrhein, Heidelberg: Verlag Kemper 1946
Bürgermeister Dr. Josef Stapper hielt zu Karl Leisners Beerdigung eine Ansprache und sagte unter anderem:
In einer kleinen Klosterkirche Westfalens [Marienthal bei Wesel], die auch Du oft besuchtest, steht ein silberner Altarschrein [Tabernakel], der den Leib des Herrn birgt. Wenn die Kerzen leise brennen, leuchtet auf diesem silbernen Schrein das Bild der strahlenden Sonne auf und ein Spruchband verkündet erhaben und groß die tiefste Weisheit: „Der Pfingsttag kennt keinen Abend, denn seine Sonne, die Liebe, kennt keinen Untergang“ [Hermann Schell].
Der Pfingsttag, das ist in der Kirche die Vollendung der geistigen Erneuerung, zu der der Meister in die Welt kam. Und dies ist Dein Vermächtnis an uns, daß wir alle mitbauen am Dom der Liebe, daß wir alle mitbauen an dem Reiche der geistigen Erneuerung, in dem es keinen Abend gibt, weil seine Sonne die Liebe, keinen Untergang kennt. Mein toter Bruder, wir bauen mit.
Karl Leisner und Marienthal – Zusammenstellung aus seinen Tagebüchern
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Michael Grottendieck berichtete in den „Westfälischen Nachrichten“ vom 24. Dezember 2014 über Augustinus Winkelmann und dessen Bedeutung für Marienthal.
2016_03_25_Marienthal_Winkelmann-WN-24.12.2014_PDF
Siehe auch Aktuelles vom 19. Juni 2014
und
Link zur RP-ONLINE vom 1. Mai 2014.
Impressionen von Marienthal
Fotos Gabriele Latzel, Marienthal und IKLK-Archiv