Mönchengladbach: Karl Leisner in der Kirche St. Marien im Ortsteil Rheydt

Rheydt Kreuzweg 11989 schuf Bert Gerresheim[1] für die Kirche St. Johannes in Rheydt[2] einen Kreuzweg, bei dem der Künstler als Begleitfiguren Personen aus dem 20. Jahrhundert wählte, die die Kreuzigung in die heutige Zeit übersetzen. Bei der fünften Station ersetzte er Simon von Cyrene durch den Seligen Karl Leisner.

[1] Bert Gerresheim (* 8.10.1935 in Düsseldorf) – Düsseldorf – Bildhauer – Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf 19561960 – Studium der Kunstgeschichte, Archäologie u. Germanistik an der Universität in Köln 19601963 – Staatsexamen für das Lehramt an Höheren Schulen 1963 – Deutsch- und Kunstlehrer am Lessing-Gymnasium in Düsseldorf bis 1990 – Er widmet sich ganz seiner Arbeit als Bildhauer. Unter zahlreichen weiteren Auszeichnungen erhielt er 1978 den Kunstpreis „Zeitgenössisches Menschenbild“ des Unesco-Komitees. Auf vielen seiner Kunstwerke hat er u. a. auch Karl Leisner dargestellt.
[2] ursprünglich keltische Besiedlung, in römischer Zeit durch den germanischen Stamm der Ubier – 1856 Stadtrechte – 1907 kreisfreie Stadt – 1929-1933 Vereinigung mit München-Gladbach, Odenkirchen, Giesenkirchen und Schelsen – 1933 Trennung von München-Gladbach auf Veranlassung des aus Rheydt stammenden Joseph Goebbels – seit 1.1.1975 Eingemeindung nach Mönchengladbach

Rheydt Kreuzweg 2Rheydt Kreuzweg 2Rheydt Kreuzweg 3

Die Gestalt Jesu wirkt erschöpft, mit hängenden Armen, den Blick nach unten gerichtet, beinahe teilnahmslos. Karl Leisner, in Häftlingskleidung, stützt mit seinem rechten Arm den Balken, den linken Arm hat er als Gegengewicht in die Hüfte gestemmt. Sein Gesicht ist ernst und gezeichnet. Dennoch wirkt Karl Leisner trotz der langen KZ-Haft nicht gebrochen, er trägt sein Kreuz, folgt Jesus bewusst nach. Gegürtet ist Karl Leisner mit einem Zingulum[1], das an seiner linken Seite herunterhängt und auf dem Boden liegt ein Birett[2], Attribute, die auf das einmalige Geschehen in einem KZ, seine heimliche Priesterweihe am 17. Dezember 1944 und seine Primiz am 26. Dezember 1944, seiner ersten und einzigen heiligen Messe, die er in seinem Leben feierte, hinweisen.

[1] Zingulum von cingulum (lat.) = Gürtel: Gürtel zum Schürzen der Albe

Zingulum Elisabeth Ruby schenkte Karl Leisner zum Namenstag ein selbstgewebtes Zingulum. Das Zingulum sollte zum 4. November 1939, dem Fest des hl. Karl Borromaeus, in St. Blasien ankommen, wo sich Karl Leisner zur Ausheilung seiner Krankheit im Lungensanatorium Fürstabt-Gerbert-Haus befand. Auf Grund seiner Verhaftung am 9. November erhielt er das Päckchen erst im Gefängnis von Freiburg.
[2] Birett von birrus (lat.) Mantelkragen, kurzer Mantel mit Kapuze Þ barettum (mlat.)

Birett viereckige Kopfbedeckung katholischer Geistlicher – Bestandteil der klerikalen Amtstracht in der entsprechenden Farbe des Amtes

Rheydt St. Marien 1Rheydt St. Marien Pieta

Nach der Fusion zur Pfarrgemeinde St. Marien mit der Filialkirche St. Franziskus und der Grabeskirche St. Josef wurde die erst am 2. Februar 1964 eingeweihte Johanneskirche am 25. Oktober 2015 profaniert. Der Kreuzweg sowie der Osterleuchter von Bert Gerresheim kamen in die Kirche St. Marien[1] an der Odenkirchener Straße in Rheydt, in der bereits das Kreuz über dem Altar und eine Pieta von dem Künstler waren.

[1] Errichtung der neugotischen Pfarrkiche St. Marien 1853-1855 im neugotischen Stil – Wiederaufbau und Umbau nach dem Zweiten Weltkrieg – erneuter Umbau 2009

Rheydt Kreuzweg 4aDer Kreuzweg besteht aus 7 Stationen[1]. Der Künstler fertigte für jede Station eine Bronzetafel, die auf der rechten Seite des Kirchenschiffes vom Altar aus beginnend angebracht wurden. Bisher hat Bert Gerresheim Karl Leisner sieben Mal als Simon von Cyrene dargestellt: Als Zeichnung in der Kirche der Katholischen Hochschulgemeinde in Düsseldorf und aus Bronze im St.-Paulus-Dom in Münster. Bronzetafeln sind in der St. Antoniuskirche in Kevelaer, in St. Martini in Wesel, in St. Joseph in Duisburg-Hamborn und seit 2013 in der Deutschen Kapelle in Krakau-Lagiewniki.[2]

[1] Die aus Jerusalem stammende Andachtsform entstand im 14. Jahrhundert und bestand anfänglich aus zwei Statonen, am Haus des Pilatus und bei Golgota, die um weitere, der Bibel und der Tradition entnommene Stationen ergänzt wurden. Die Anzahl variierte zwischen sieben und 43 Stationen, traditionell sind es heute 14, Bert Gerresheim hat zum Beispiel im Dom zu Münster auch eine 15. Station dargestellt.
Was in den sieben einzelnen Stationen dargestellt wird, ist sehr unterschiedlich. In Homberg (Efze) sind es zum Beispiel folgende:
I. Die Geißelung, Joh. 19, 1, Da nahm Pilatus Jesus und ließ ihn geißeln.
II. Die Dornenkrönung, Joh.19, 2a, Die römischen Legionäre flochten eine Krone von Dornen und setzten sie auf sein Haupt
III. Die Verurteilung Matth. 27, 11, 19, 24, 31, Jesus stand vor dem Statthalter Pilatus
IV. Veronika Luk.23, 27, 28, Es folgte Jesum aber eine große Menge Volkes und Frauen
V. Simon von Kyrene, Matth. 27, 32, Wie sie hinauszogen, fanden sie einen Menschen von Kyrene mit dem Namen Simon
VI. Die Kreuztragung Luk. 23, 26, 27, Da die römischen Legionäre Jesum auf dem Kreuzweg hinführten, ergriffen sie Simon von Kyrene und legten ihm das Kreuz auf,…
VII. Golgatha, Joh. 19, 17-19, Die römischen Legionäre führten Jesus hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf hebräisch Golgatha.
Bert Gerresheim hat sieben Tafeln aus seinem 14teiligen Kreuzweg ausgewählt: die 1., 2., 3., 4., 5., 11. und 12., siehe Fotos am Ende.
[2] Die Beiträge zu diesen Kreuzwegen sind auf der Homepage des IKLK unter Erinnerungsstätten abgelegt.

Mit Mönchengladbach wird Karl Leisner seinen Konabiturienten Paul Brückner[1] verbunden haben, aber auch Johannes Maier[2], den er durch den Jungkreuzbund kennenlernte sowie den Sturmscharführer Josef Rommerskirchen[3], genannt Rokki. 1944 erhält Karl Leisner im KZ Dachau ein Paket aus Gladbach.

[1] Paul Brückner (* 12.4.1914 in Mönchengladbach, † im RAD, beigesetzt 20.7.1935) – Schüler des Gymnasiums in Kleve – Konabiturient von Karl Leisner – Er spielte hervor­ra­gend Geige und verstand sich auf das Vortragen von Gedichten.
[2] Johannes (Hans) Maier (* ?, † ?) – Mönchengladbach – Kreisleiter im Jungkreuzbund u. Redakteur der Zeitschrift „Volksfreund“ – Teilnahme an der Eifelfahrt 1928 – Heirat mit Maria Grabowski 23.11.1932 in Kattowitz/Katowice/PL
[3] Josef Rommerskirchen, von den Jungen Rokki genannt, (* 16.2.1916 in Odenkirchen bei Rheydt, † 9.3.2010) – Sturmscharführer – Ausbildung im Verlags- und Zeitschriftenwesen im Jugendführungsverlag 1935–1937 – hauptamtli­cher Mitarbeiter des Jugendhauses in Düssel­dorf 1935 – Privatsekretär von Otto Vieth 1936 – BDKJ-Bundesführer nach franzö­sischer Kriegsgefangenschaft 1947

Karl Leisner führte die Chronik der Jungkreuzbundgruppe St. Werner.

Ohne Datum, vermutlich Samstag, 11. Februar 1928
[Bericht] Kasperlespielen auf der Münze 14.00–16.00–18.30 Uhr.
Carl von Vogelsang und Johannes Maier waren erschienen. Wir sangen neue Lieder. Und es wurde der Gautag auf Nideggen besprochen. – Kasperlespiele – Lieder gesungen – Einnahmen: 17,56 M [Reichsmark].

Kleve, Donnerstag, 5. April 1928, Gründonnerstag
Morgens, am Gründonnerstag, um 7.00 Uhr war in der Kapelle der Münze Ge­meinschaftsmesse der Eifelfahrer mit gemeinschaftlicher heiliger Kommunion. Um 10.30 Uhr trafen wir Eifelfahrer uns auf der Münze. Von hier gingen wir zum Bahnhof Cleve, von wo wir mit dem Zug 10.45 Uhr abfuhren. Wir nahmen unsern Weg über Krefeld – dort hatten wir 20 Minuten Aufenthalt – nach Mönchengladbach. […]

Nideggen, Sonntag, 8. April 1928, Ostersonntag
Nach der Messe gings, nachdem wir die anderen Gruppen [des Jungkreuzbundes] aus Mönchengladbach, Düren, Aachen usw. begrüßt hatten, gemeinsam singend zum Zeltlager auf der Rather Heide.

Auf der Westfalenfahrt im August 1928 besucht Johannes Maier in Telgte die Jungen.

Telgte, Sonntag, 12. August 1928
Hans Maier und ein paar Kreuzfahrer kamen „auf Besuch“. Diese wurden wegen „Landfriedensbruch“ mit Koppelhieben bestraft. […] Um 21.00 Uhr war beim Bauern Kaspertheaterspielen (Jan [Ansems] und ich spielten „Grigi“, wobei Kasper sich die Nase abschlug) und Erzählen von Hans Maier. Um 22.30 Uhr gings in die Klappe.

Kleve, Dienstag, 26. September 1933
Abends 20.00 Uhr Vortrag „De occasione“ [Die Gelegenheit, der günstige Zeitpunkt]. (Pathos – Durchschnitt). Nachher bis 23.00 Uhr mit Paul Brückner und Jan Ansems zusammengestanden und disputiert. Paul ist sehr nervös und leidenschaftlich erregt geworden nach der Krankheit.

Kleve, Dienstag, 27. Februar 1934
Heute morgen hatten wir eine sehr interessante Zeichenstunde. Voriges Mal hatten wir ein Bild zu beschreiben und zu deuten gehabt. Der „Erfolg“ war niederschmetternd (so [Zeichenlehrer Studienassessor] Prechtl!). In einer anschließenden Debatte zwischen Herrn Prechtl und Paul Brückner, Otto Andrae und [Wilhelm] Joosten, Manes [Hermann] (Mies) und mir ergab [sich] für mich folgendes (etwas zu einseitige) Urteil: Der Durchschnittspennäler ist ein Phrasendrescher und ein „So-tun-als-ob-Mann“. […]

2013_07_04_Abiturklasse

 

Abiturfoto der Abiturientia 1934
mittlere Reihe 4. v. l.: Karl Leisner
untere Reihe 5. v. l.: Paul Brückner

 

 

Zum Abitur 1934 fertigten Karl Leisner, Hermann Ringsdorff, Hermann Mies und Paul Brückner eine Abiturkarte, die hintergründig ihre Gesinnung zum Ausdruck brachte. Laut Hermann Ringsdorff wählten sie bewusst den Vers aus dem Hebräerbrief 4,12:
Denn lebendig ist das Wort Gottes, kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert; es dringt durch bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenk und Mark; es richtet über die Regungen und Gedanken des Herzens.

2014_03_22_AbiturkartevornePaul Brückner fertigte die Zeichnung. Dahinter verbarg sich folgende Vorstellung: Der „Fuß“, auf dem Schwert und Spaten stehen, läßt sich auch als Thorarolle ansehen. Die Spaten verkünden: „Su­chet in der Schrift“. Da alle im Hebräischkurs bei Professor Bernhard Peters waren, verstanden sie auch von rechts nach links zu lesen. So folgt nicht nur „Wissen aus Leben“, sondern auch „Leben aus Wissen“. Das zweischneidige Schwert zerteilt das Hakenkreuz.

 

 

Samstag, 29. Juni 1935
Nachtrag / Fortsetzung. (Rückblick auf die Ferien)
Und – o hartes Geschick – der erste aus der Reihe unserer Konabiturienten – unser lieber Paul Brückner, höre ich als erste Nachricht, ist gestorben an seinem bösen Magenbluten. Morgen in Düren Beerdigung. Ich fahr’ also am Samstagmorgen [20.7.] früh 5.00 Uhr mit einigen Kameraden per Autobus (v. Scholz) hin. In Düren zunächst heilige Messe – ich opfere die heilige Kommunion für Pauls Seelenruhe […]

Kleve, Mittwoch, 26. Februar 1936, Aschermittwoch
Mittwochnachmittag in Düsseldorf [„mit lieben Kameraden des Jugendhauses“] verbracht. – Abends im Kolpinghaus gepennt. Mit einem „Privatsekretär“ (Rokki [Josef Rommerskirchen]) (17 [20] Jahre) von Otto Vieth gesprochen abends.

Münster, Sonntag, 9. Januar 1938
„Rokki“ [Josef Rommerskirchen] und ein Jesuitennovize aus Freiburg/Br., itzo Solda­ten hier, zu kurzem Besuch da. – Nächsten Sonntag woll’n wir zusammen los.

Münster, Sonntag, 16. Januar 1938
Am Nachmittag treffen wir uns nach einigen „Hindernissen“ mit Rokki [Josef Rommerskirchen], Hans Tull und Bernd Kox (wir: Wilm W. [Wissing] und ich). – Es wird lebendig. Wir ziehn an der Aa entlang nach [Münster-] Mecklenbeck unter heiter-ernsten Gesprächen. Bei Täppken mieten wir uns eine „Kaffee-Ecke“ und es spinnt sich der Faden des Gespräches weiter fort. – Dann erzählen wir immer tiefer werdend aus RAD und Heer [Wehrmacht]. Inneres und äußeres Erleben. Tiefere Gedanken im Anschluß an [Alighieri] Dantes „Divina comedia“ (il diabolo – visa di S. Trinita [der Teufel – im Angesicht der heiligen Dreifaltigkeit] etc.) bilden den Höhepunkt. Bis Haus Sentmaring wird’s wieder lauter. Wir fahren bis [St.] Lamberti, wo wir uns trennen. R. [Josef Rommerskirchen] erzählt mir von seiner großen Liebe sehr fein. – Was soll das. Wir erzählen vom Wachsen junger Familien.

Karl Leisner aus dem KZ Dachau am Samstag, 6. Mai 1944 an seine Familie:
An Dahmen[1] Gladbach besonders herzlichen Dank für die schönen süßen Sachen.

[1] Zu Familie Dahmen, 1944 wohnhaft in Gladbach, wurden keine näheren Angaben gefunden.

1. Station: Jesus wird zum Tode verurteilt

1. Station: Jesus wird zum Tode verurteilt

2. Station: Jesus nimmt das Kreuz auf

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3. Station: Jesus fällt unter dem Kreuz

3. Station: Jesus fällt unter dem Kreuz

 4. Station: Jesus begegnet seiner Mutter

4. Station: Jesus begegnet seiner Mutter

6. Station: Jesus wird ans Kreuz geschlagen

6. Station: Jesus wird ans Kreuz geschlagen

7. Station: Jesus stirbt am Kreuz

7. Station: Jesus stirbt am Kreuz

Text und Fotos Christa Bockholt und IKLK-Archiv