Seit dem Beginn der Fastenzeit 1997 ist im Chorumgang des Münsteraner Doms[1] ein Kreuzweg von dem Künstler Bert Gerresheim[2]. Bei der fünften Station hat er Simon von Cyrene durch den Seligen Karl Leisner ersetzt.
[1] Errichtung einer dreischiffigen Basilika als geschlossene Ordensanlage (monasterium) mit Kreuzgang, Klausur, Wohnungen für Kleriker und Wirtschaftshof auf dem Horsteberg durch Ludgerus 792 – Grundsteinlegung des heutigen Domes 1225 – Weihe auf das Patrozinium des Apostels Paulus 30.9.1264 – fast völlige Zerstörung im Zweiten Weltkrieg – Wiederaufbau 1946-1956
[2] Bert Gerresheim (* 8.10.1935 in Düsseldorf) – Düsseldorf – Bildhauer – Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf 1956–1960 – Studium der Kunstgeschichte, Archäologie u. Germanistik an der Universität in Köln 1960–1963 – Staatsexamen für das Lehramt an Höheren Schulen 1963 – Deutsch- und Kunstlehrer am Lessing-Gymnasium in Düsseldorf bis 1990, zuletzt als Studiendirektor – Er widmet sich ganz seiner Arbeit als Bildhauer. Unter zahlreichen weiteren Auszeichnungen erhielt er 1978 den Kunstpreis „Zeitgenössisches Menschenbild“ des Unesco-Komitees. Auf vielen seiner Kunstwerke hat er u. a. auch Karl Leisner dargestellt.
Nach dem Wiederaufbau des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Paulusdoms fehlte viele Jahre ein Kreuzweg. Auf Wunsch des Domkapitels schuf Bert Gerresheim einen Kreuzweg aus Vollbronze, der den Leidensweg Christi dem heutigen Betrachter veranschaulichen soll. Als Vorstudie und Muster fertigte der Künstler für das Domkapitel Bleistiftzeichnungen zu den einzelnen Stationen des Kreuzwegs.
Dabei wählte der Künstler als Begleitfiguren auch Personen aus der Geschichte des Bistums Münster und der Weltkirche. Dazu gehören neben Karl Leisner Papst Johannes Paul II., Kardinal Clemens August Graf von Galen, Schwester Maria Euthymia, Niels Stensen, Mutter Teresa und Anna Katharina Emmerick. Sie sollen den Bezug zur Gegenwart, zu unserem Hier und Jetzt darstellen, unsere Fragen zum Leben und Sterben Jesu, zu seiner Auferstehung ins heutige Licht rücken.
Der Kreuzweg wurde an den Innenwänden des Chorumgangs aufgestellt.[1] Die Darstellungen der Figuren und Attribute wurden auf das Wesentliche reduziert.
[1] Gegenüber liegen vier nachträglich angebaute Kapellen, drei davon werden die „Galenschen Kapellen“ genannt, weil Bischof Christoph Bernhard von Galen, dessen Grabmal dort ist, diese im 17. Jahrhundert anbauen ließ. Ebenso ist dort das Grab von Kardinal Clemens August Graf von Galen (*16.3.1878 – † 22.3.1946), der am 9.10.2005 seliggesprochen wurde. Sein Bildniskopf steht zwischen den Kreuzwegstationen.
Die 5. Station: Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen
Unverkennbar ist Karl Leisner als Simon von Cyrene dargestellt. Kahlgeschoren und in Häftlingskleidung – vom 9. November 1939 bis zum 4. Mai 1945 war Karl Leisner in Haft – stützt er mit einem kräftigen Arm den Balken, den linken Arm als Gegengewicht in die Hüfte gestemmt. Trotz der langen KZ-Zeit ist Karl Leisner nicht gebeugt, wirkt nicht gebrochen, sondern folgt Jesus bewußt nach, weiß ihn an seiner Seite. Die Gestalt Jesu wirkt erschöpft, mit hängenden Armen, den Blick nach unten gerichtet, beinahe teilnahmslos.
Bert Gerresheim hat Karl Leisner bisher sieben Mal als Simon von Cyrene dargestellt: Als Zeichnung in der Kapelle der Katholischen Hochschulgemeinde im Carl-Sonnenschein-Haus in Düsseldorf[1] und aus Bronze in der St. Antoniuskirche in Kevelaer, in der St. Johannes-Baptistkirche in Mönchengladbach, in der Martinikirche in Wesel, in St. Josef in Hamborn und seit 2011 in der Deutschen Kapelle in Krakau-Łagiewniki[2].
[1] Rundbrief des IKLK Nr. 29 von August 1994, Darstellung der 5. Station auf dem Titelblatt
[2] Die Beiträge zu diesen Kreuzwegen werden nach und nach unter Erinnerungsstätten abgelegt.
Seit dem 17. Jahrhundert bestanden die Kreuzwege in der Regel aus 14 Stationen, heute gibt es häufig eine 15. Station mit einer Darstellung der Auferstehung Jesu. Die 15. Station im Paulusdom zeigt Jesus als kraftvolle, aufgerichtete Gestalt, die eine Siegesfahne trägt und Adam und Eva aus den aufbrechenden Felsen die Hand zur Neuwerdung reicht. Die Liebe besiegt den Tod.
Im Rundbrief des IKLK Nr. 35 vom Juli 1997 wird der Kreuzweg im Paulusdom vorgestellt und die 5. Station mit einer Statio verbunden, die am Karfreitag 1997 auf einer Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela gehalten wurde.
Rundbrief des IKLK Nr. 35 – Juli 1997: Firmung Karl Leisners vor 70 Jahren: 61-64
RDBR35
1998 gab das Domkapitel zu diesem Kreuzweg das Buch „Weg der Hoffnung“ heraus mit Bildern, Gebeten und Meditationen zu den einzelnen Stationen sowie Erläuterungen zum Künstler und seinem Werk.[1]
[1] Weg der Hoffnung – Kreuzweg im St.-Paulus-Dom Münster, herausgegeben vom Domkapitel, Münster 11998, 22013 ISBN 3-933144-05-1
In dem Buch „Der Dom zu Münster – Rundgang durch die Kathedralkirche St. Paulus“ beschreibt Dr. Udo Grote in einem Exkurs den Kreuzweg mit den einzelnen Stationen. Bei der fünften Station geht er auf das Leben Karl Leisners ein, seine Gefangenschaft und besonders auf das einmalige Ereignis seiner Priesterweihe im KZ Dachau.[1]
[1] Der Dom zu Münster – Rundgang durch die Kathedralkirche St. Paulus, Udo Grote / Stephan Kube (Fotos), Münster 2014 ISBN 978-3-402-13088-9
siehe Link zu Aktuelles vom 7.12.2014
Bereits in früher Jugend besuchte Karl Leisner Münster. Auf der Westfalenfahrt im August 1928 machten die Jungen von Telgte aus eine Tagestour nach Münster und besuchten auch den Dom.
Telgte, Freitag, 17. August 1928
Heute standen wir früh auf, da wir nach Münster wollten. Gegen 9.00 Uhr fuhren wir dorthin mit Male Wetmar. Vom Bahnhof gingen wir zum Schloß, das uns Hans Würmeling, der dort wohnte [und] im Lager war, zeigte. Dann besichtigten wir das Rathaus und den Weinkeller [das „Stadtweinhaus“]; hierauf den herrlichen Dom, mit dem großen Christophorus[1], den zwei Marmorgruppen [Pieta und Kreuzabnahme] von [Wilhelm] Achtermann[2], der wunderbaren [astronomischen] Uhr[3], die wir schlagen hörten.
[1] U. a. Patron der Pilger und Nothelfer gegen einen plötzlichen Tod. Früher herrschte die Vorstellung, ein Mensch sterbe an dem Tag, an dem er eine Abbildung des hl. Christophorus gesehen habe, nicht ohne Sakramentenempfang. Damit man den Heiligen leicht sehen konnte, wurde er oft überdimensional dargestellt, so auch 1627 im Dom zu Münster.
[2] Wilhelm Achtermann (* 15.8.1799 in Münster, † 26.5.1884 in Rom) – wohnhaft in Rom ab 1839 – Bildhauer – Zu seinen Hauptwerken zählen eine Pieta und eine Kreuzabnahme im Dom zu Münster; beide wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört. Eine Kopie der Pieta steht heute wieder im Dom zu Münster.
[3] Die Astronomische Uhr oder Dreikönigsuhr ist 7 m hoch und 4 m breit, wurde 1408 fertiggestellt und 1534 durch die Wiedertäufer zerstört. Konstruktion einer neuen, nach einer Renovierung bis heute funktionierenden astronomischen Uhr 1540-1542. Tägliches Schauspiel: Beim Stundenschlag 12.00 Uhr öffnet sich oben in der Uhr eine Tür, und die Heiligen Drei Könige huldigen der Gottesmutter und dem Jesuskind, begleitet von der Melodie des Liedes „In dulci jubilo“.
Endlich besichtigten und bestiegen wir noch die [St.]-Lamberti-Kirche. Zuletzt noch das ganz vorzügliche Landesmuseum und die Überwasserkirche, diese von außen. Zu Mittag aßen wir in der Fischhalle für 40 Pfennig. Nachmittags wurde der Zoo besichtigt. Hierbei kriegten wir viel Spaß.
(Wir besuchten morgens [den aus Kleve stammenden] Hein Oomen [im Priesterseminar]). Gegen Abend fuhren wir wieder nach Telgte zurück.
Auf der Rückseite einer Ansichtskarte vom Dom in Münster steht:
Dom von Münster auf der Westfalenfahrt 1928 von innen und außen besichtigt. 17.8.1928
1930 gingen die Jungen auf „Spielfahrt“. In verschiedenen Orten am Niederrhein bis ins Münsterland wollten sie mit dem Kasperlepuppenspiel die Fahrt und darüber hinaus Anschaffungen für ihr Heim finanzieren. Dabei gaben sie auch in Münster Kasperlevorstellungen. Ob sie bei ihrem Stadtbummel den Dom besichtigten, ist nicht bekannt. Karl Leisners gleichaltriger Onkel Ferdinand Falkenstein hat einen Fahrtenbericht geschrieben.
Billerbeck, Montag, 25. August 1930
[…] über eine Apfelstraße ging es dann über Roxel nach Münster. Unterwegs ging uns der [Leiter-]Wagen kaputt. In Münster begegnete uns gegen 19.30 Uhr Clemens [Schulz], um 21.00 Uhr gingen wir zur [Jugendherberge in der] Hermannschule schlafen.
Münster, Dienstag, 26. August 1930
Um 7.30 Uhr Aufstehen, danach Kaffee trinken. Wir machten eine ausgiebige Stadtbesichtigung. Zu Mittag aßen wir in der Fischhalle. Danach machten wir noch einen Stadtbummel, abends gaben wir eine Kaspervorstellung, Einnahme RM 5,90. Dann gings schlafen.
Münster, Mittwoch, 27. August 1930
7.30 Uhr Aufstehen. Nach dem Frühstück gaben wir die erste Vorstellung im Gesellenhaus. Karl [Leisner] und ich zahlten dann Reichsmark 60,00 Saalmiete, nach dem Abendessen verließen wir fluchtartig Münster. Wir zogen weiter nach Telgte.
Karl Leisners Tagebuch Nr. 5 beginnt mit stichpunktartigen Notizen, die vermutlich Erledigungen für seinen Bruder Willi betreffen.
Für WILLI ein Bild vom Münsterschen Dom besorgen!
Von der Teutofahrt 1931, die erneut in Telgte endete, gibt es nur einige Aufzeichnungen von Karl Leisner.
Kleve, Freitag, 31. Juli 1931
Mit letzter Kraft über Darup – Nottuln – nach Münster. Auf der Landstraße M – T [Münster – Telgte] Walter [Vinnenberg][1]
[1] Prälat Dr. phil. Walter Vinnenberg (* 8.6.1901 in Lippstadt, † 1.12.1984 in Bocholt) – Priesterweihe 27.2.1926 in Münster – Kaplan in Kleve St. Mariä Himmelfahrt u. Religionslehrer am Gymnasium in Kleve in allen Klassen v. 1.4.1926 bis Pfingsten 1929 – Außerdem unterrichtete er Hebräisch und Sport und leitete eine religionsphilosophische Arbeitsgemeinschaft. Er gewann Karl Leisner für die Jugendarbeit und gab den Anstoß zur Gruppenbildung. Mit den Jungen unternahm er zahlreiche Fahrten auch noch nach seiner Tätigkeit in Kleve.
In der Osterwoche 1932 besuchten Karl Leisner, sein Bruder Willi und Hermann Mies Walter Vinnenberg in Münster und bummelten erneut durch die Stadt.
Münster, Mittwoch, 30. März 1932
Wir pennten uns aus, kochten uns einen „Eimer“ voll Maggi, schlürften ihn leer … Dann bummelten wir in der Stadt rum und fielen Walter etwas lästig. Walter stiftete uns ein Mittagessen in der Fischhalle.
Im Sommer 1932 war das Fahrtenziel der Kotten[1] in den Bockholter Bergen. Von dort fuhren die Jungen mehrfach nach Münster und gaben dort auch Kasperlevorstellungen. Am Sonntag, dem 7. August, stand Karl Leisner früh auf, um an einer Priesterweihe im Dom in Münster teilzunehmen.
[1] Ein Kotten ist ein kleines Bauernhaus oder ein kleiner Bauernhof, der in der Regel von einem Kötter bewirtschaftet wurde. In den Bockholter Bergen war ein Kotten in ein Landheim umgebaut, in dem die Jugendlichen oft ein Lager abhielten. Das Grundstück wurde 1922/1923 von den Kamillianern aus Münster-Sudmühle erworben. Der Kotten diente u. a. als Eremitage, in der die Ordensstudenten ihre Erholungstage verbrachten und einzelne Patres sich für einen Tag zum Studium, zur Erholung oder Ähnlichem zurückzogen. Das Gelände wurde nicht ständig bewirtschaftet. 1934 brannte der Kotten bis auf die Grundmauern ab, vermutlich Brandstiftung durch die Nationalsozialisten. Auf Grund der drohenden Enteignung durch die Nationalsozialisten wurde das Grundstück 1934 dem Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, grundbuchrechtlich übertragen.
Kotten, Sonntag, 7. August 1932, 11. Tag
Ich wollte einmal eine Priesterweihe sehen. In Münster war um 7.00 Uhr Weihe von rund 50 zu Neupriestern. Gegen 4.00–4.30 Uhr wurde ich wach – es mußte ohne Wecker gehn. – Leise stand ich auf, putzte mir meine Schuhe und machte mich fertig. Gegen 5.30 Uhr setzte ich mich auf’s Stahlroß und fuhr [mit Alfred Stecken] zu Bernd Grevener [Degener]. Der lag noch in der Falle. Gegen 7.15 Uhr waren wir im Dom. Die vorbereitenden Zeremonien waren schon angefangen. – Der Weihbischof [Johannes Scheifes[1]] las in vollem Schmuck [Bischofsornat (Mitra, Stab und Brustkreuz)] die heilige Messe.[2] – Immer näher rückte der heilige Augenblick. – Ich sah Norbert Enste unter den Kandidaten (Weißgewandeten![3]). Der [Weih-]Bischof legte jedem einzelnen schweigend die Hände auf und flehte die Gnade des Heiligen Geistes auf jeden herab. Das war ungeheuer schön. Jeder war danach Priester des Herrn. Auch von den andern geistlichen Herren bekam jeder die Hände aufgelegt. Ruhig und fest und voll tiefer, echter Freude gingen sie alle an ihren Platz zurück, nunmehr geweihte, gesalbte Priester Gottes, und lasen mit dem Bischof gemeinsam die Messe zu Ende. Bei der Kommunion trank jeder aus dem Kelch das von ihm mitgeweihte Blut des Herrn.[4] Macht und große, schwere Last hat der Priester des Herrn. – Ich dachte bei mir, schön ist’s, Priester zu werden, aber schwer, fast zu schwer, und nur wen Gottes große Gnade dazu beruft, der soll es werden. Nach einigen feierlichen Zeremonien und einer Predigt des hochwürdigen [Weih-]Bischofs war die herrliche Gnadenstunde zu Ende.
[1] Weihbischof Dr. theol. h. c. Johannes Scheifes (* 1.3.1863 in Aldekerk, † 30.10.1936) – Priesterweihe 17.12.1887 in Münster – Bischofsweihe zum Weihbischof für das Bistum Münster u. Titularbischof von Cestrus durch Bischof Johannes Poggenburg 24.4.1921
[2] Gegen Ende seines Lebens war Bischof Johannes Poggenburgs Gesundheit sehr angegriffen, so daß er sogar die Weihe seiner Diakone zu Priestern seinem Weihbischof übertrug.
[3] Die Weihekandidaten trugen die Albe mit der schräg angelegten Diakonenstola.
[4] Vor der Liturgiereform gab es keine Konzelebration. Die Priesterweihe war eine Ausnahme.
1933 fahren die Jungen nach Baltrum. Auf der Hinfahrt machen sie für zwei Tage am Kotten in den Bockholter Bergen Station. Von dort fahren sie nach Münster, wo sie auch den Dom besuchen.
Kotten, Freitag, 4. August 1933
Am 4.8. stehen wir vier um 6.00 Uhr auf und rücken Walter in Münster auf die Bude, um mit ihm die Dinge der Zukunft zu besprechen. Den Vormittag strolchen wir alleine in der Stadt rum; vorher brachten wir allerdings erst wieder Fränz’ Rad zum Flicken weg. 12.00 Uhr sind wir im Dom –, wo unser lieber Bischof Dr. Johannes Poggenburg[1] jetzt ruht, – um den 12.00-Uhr-Schlag zu sehen.
[1] Erzbischof Dr. theol. Johannes Poggenburg (* 12.5.1868 in Ostbevern, † 5.1.1933) – Priesterweihe 15.6.1889 – Bischofsweihe zum Bischof für das Bistum Münster 16.10.1913 – Ernennung ehrenhalber zum Titularerzbischof von Nicopsis/Krim 1930
Am 5. Mai 1934 zieht Karl Leisner in das Collegium Borromaeum in Münster ein, um Priester zu werden und damit wird auch der Dombesuch für ihn zur Selbstverständlichkeit. Hierzu einige Tagebuchauszüge:
Münster, Sonntag, 6. Mai 1934
Nun, mein liebes Tagebuch, ich habe dir allerlei Neues zu berichten. Seit gestern abend stecke ich im Collegium Borromaeum zu Münster.
Ruhig und sicher habe ich von 21.50 Uhr bis 6.00 Uhr gepennt. […]. 9.30 Uhr Hochamt im Dom.[1]
[1] Neben der Frühmesse im Collegium Borromaeum, in der kommuniziert wurde, gingen die Studenten sonntags auch ins Hochamt in den Dom.
Münster, Samstag, 12. Mai 1934
17.00 Uhr (oho!) – im Dom bei P. Jakobus [Schneider OFMCap] (Großpönitentiar![1]) gebeichtet. Schlicht und kurz!
[1] Der vom Bischof bestellte Pönitentiar hat die Vollmacht, von Sünden loszusprechen, deren Vergebung dem Bischof vorbehalten ist. Im Volksmund sprach man in Münster vom „Pater unter der Uhr“, denn sein Beichtstuhl stand in der Nähe der Astronomischen Uhr im Dom.
Münster, Donnerstag, 31. Mai 1934, Fronleichnam
Hochamt. Schön klappt’s! – Um 10.00 Uhr Prozession mit Dompfarre. Gegen Kleve wenig![1] (Der dritte Altar durfte auf Anordnung des Herrn Regierungspräsidenten [Kurt] Matthaei nicht am Regierungsgebäude [am Domplatz] aufgebaut werden. Ein Bote teilte es dem Bischof [Clemens August Graf von Galen] am Abend vorher mit!) Nette Zustände. Nachmittags Vesper um 15.00 Uhr im Dom mit wunderbarem mehrstimmigem Gesang des Domchors! „O salutaris hostia“[2] etc.
[1] Der Klever Fronleichnamsprozession entspricht in Umfang und Ausmaß in Münster die sogenannte Große Prozession oder Brand- und Pest-Prozession.
Am Fronleichnamstag macht in Münster jede Pfarrei für sich eine Prozession.
[2] 5. und 6. Stophe aus dem Hymnus „Verbum supernum“ von Thomas von Aquin zur Laudes an Fronleichnam
Münster, Sonntag, 3. Juni 1934, in der Fronleichnamsoktav
Hochamt: IIX. Messe [8. Choralmesse „De angelis“]. – 12.00 Uhr Betstunde im Dom[1]. Der Chor singt das „Heilig“ von [Franz] Schubert [Deutsche Messe in F-Dur] und das „O bone Jesu“ von Palestrina[2]. (Ich im ersten Baß!)
[1] vermutlich während des auch heute noch in Münster im Dom am Sonntag nach Fronleichnam begangenen sogenannten Ewigen Gebetes
[2] O bone Jesu miserere nobis, quia tu creasti nos, tu redemisti nos sanguine tuo pretiosissimo. – O gütiger Jesus, erbarme dich unser, da du uns erschaffen und mit deinem kostbaren Blut erlöst hast.
Dieses Stück wurde früher Giovanni Palestrina zugeschrieben, stammt aber von Marco Antonio Ingegneri (um 1545–1592).
Münster, Montag, 9. Juli 1934, Große Brandprozession[1]
8.05 am Dom. Alles fertig, – die Studentenverbindungen im „Dress“ und (CV en couleur [Farben tragend]). Domkapitel – Professorenschaft in feinster Tracht. Gegen 8.15 Uhr los! – [St.-] Aegidii-Kirche, wo der Bischof [Clemens August Graf von Galen] selbst den Segen gibt! – Überwasser – [St.] Martini – [St.] Lamberti – [St.] Servatii – [St.] Ludgeri – Dom. Große Beteiligung! – Jugend mit Bannern, Bischof in cappa magna! – Großartig. Überall Altäre oder Altärchen, Fahnen, Baum- und Blumenpracht. – Im Dom Bannerwald der Jugend. (Sie stehen schon zwei Stunden da!) – Bischof zieht hinter dem vom Weihbischof [Johannes Scheifes] getragenen Sakrament in cappa magna ein – segnend. – Nachher Marsch der Banner zum bischöflichen Palaishof. Als der Bischof den Dom verläßt brausende Heilrufe – gewaltige, spontane Begeisterung: Volk, Jugend und Klerus sind eins! Der Bischof segnet, er ist gerührt!
[1] An dieser Prozession nahmen ca. 14.000 Gläubige teil.
Karl Leisner bekommt Besuch aus Kleve.
Münster, Mittwoch, 18. Juli 1934
Klever auf Besuch (JMV)[1]
Nach dem Essen kommt Kurt Tillmann – Kleve mich „holen“. Am Dom haben sie sich postiert die andern vier, echte „Landstreicher“ – sie schämen sich fast vor mir – ich denke an eigene „Vagabundenfahrten“ zurück: Köstlich! – Hein Vehreschild, F. [Everhard] Kempkes, Jupp Kempkes und Lambert …….?……….[2] Zunächst besichtige ich mit Hein und „F“ [Everhard Kempkes] die Uni und das Borromaeum. – Dann ist der Dom los und wir machen eine kleine Rundschau. „Was konnten die Leute! Was hatten die Opferkraft und Geduld!“ –
[1] Überschrift aus dem Inhaltsverzeichnis Tgb. 13, 184
[2] Vermutlich wollte Karl Leisner den Familiennamen Euwens nachtragen.
Münster, Sonntag, 16. Dezember 1934, Gaudete!
Frohe Melodien in unserm Hochamt [im Collegium Borromaeum] und ganz fein war’s im Dom. Perlender, hellfließender, echter Choral: Gaudete!
Münster, Montag, 17. Juni 1935
Heute 4.30 Uhr endlich raus (4.00 bis 4.30 Uhr ging der Wecker). Platon gelesen – Erlebnis. Polite…a [Politeia – Der Staat]. – Immer weiter gelesen und gelesen … den halben Morgen.
[…]
So jetzt Falle: Fein war’s auf dem Domherrenfriedhof Platon zu lesen! Geist der Katholizität!
Münster, Sonntag, 10. November 1935
Es klingen die Glocken von allen Türmen der stolzen, alten Stadt [Münster]: Tag des Herrn, Tag der Sonne, des Lichtes, der Auferstehung heute! Ein wenig zur Besinnung kommen, heimkehren zu den tiefsten Sehnsüchten meines Herzens möchte ich. Deshalb hab’ ich mir die Zeit des Hochamtes im Hohen Dom[1] heute einmal als Zeit der stillen Rückkehr und Vorschau gewählt, um mich auf die schon beinahe wieder 14 Tage meines Hierseins zu besinnen und nicht alles das Schöne, was sie mir an Einsicht und Klarheit, an neuem Sinn, an Kraft und Gnade, an Selbsterkenntnis und neuem Lebenssinn geschenkt, zu vergessen oder versinken zu lassen im Auf und Ab des Alltagstumultes.
[1] Einen Sonntagsgottesdienst mit Kommunionempfang hatte Karl Leisner schon am frühen Morgen besucht. Beim Hochamt im Dom war Chorpräsenz Pflicht.
Münster, Freitag, 6. Dezember 1935
18.00 Uhr Schlußandacht im Dom.[1] Wundervoll die Flammenzungen der vielen hundert Kerzen im Hochchor. Fein angepaßt dem Sprung der Bogen. – Gotteslob!
Die Fülle des Lebens in Gott – und die durch Ihn uns geschenkte Fülle des menschlichen Seins, aber auch feine Beschränkung (besonders in mir selbst noch) ging mir so recht auf.
Schätze Gottes, Schätze des Volkes, der Seele, der Sprache – alles hat Sinn und ist voll der Gloria Dei [Ehre Gottes]!
[1] Tagesschlußandacht vom Vierzigstündigen Gebet
Münster, Sonntag, 26. Januar 1936
Der Hochwürdigste Herr Bischof [Clemens August Graf von Galen] predigte im Dom [nach dem Verlesen des Hirtenbriefes der deutschen Bischöfe]. Ein Fanfarenstoß in die Zeit!
Münster, Donnerstag, 4. November 1937, Dies nominalis [Namenstag] Heiliger Karl Borromäus
War das ein Namenstag! – Das Erlebnis des Tages der wundersam feine und tiefe Brief von Elisabeth [Ruby[1]]. Ich staune! Beten soll ich ihr helfen, daß auch sie Entscheidung, Klarheit in ihrem Lebensziel bekommt. In der heiligen Stunde im Dom denke ich ihrer und aller Lieben in der weiten Welt. Ich hab’ sie alle so lieb. Und der Herr soll sie doch alle, alle bewahren und segnen. Was ist doch dies Gefühl des Geheimnisvollen Leibes Christi groß und trostvoll und lebenskräftig.
[1] Elisabeth Maria Ruby (* 24.3.1914 in Berlin, getauft 25.3.1914, † 25.12.1993) – Karl Leisner wohnte 1937 während seines Studiums in Freiburg/Br. bei Familie Joseph Ruby und verliebte sich in die Tochter Elisabeth. Im Seligsprechungsprozeß für Karl Leisner hat sie 1981 als Zeugin ausgesagt.
Karl Leisner aus Münster am 20. April 1938 an Familie Magnus Weber in Alpseewies:
Liebe, werte Familie Weber!
[…]
Jetzt bin ich Seminarist und darf das Priesterkleid [die Soutane] tragen. Die Jüngsten unseres Jahres wohnen aber noch im Theologenkonvikt [Collegium Borromaeum], weil das Priesterseminar überfüllt ist. – Die Kar- und Ostertage feierten wir mit unserm Bischof [Clemens August Graf von Galen] die heilige Liturgie in unserm wuchtigen westfälischen Dom. Das waren ganz wunderbare Feiertage. –
Münster, Donnerstag, 5. Mai 1938
Anbetung, heilige Stunde von 18.00 bis 19.00 Uhr im Dom.[1] – Alles sag’ ich dem Meister.
[1] vermutlich vor dem Herz–Jesu–Freitag Betstunde um Geistliche Berufe
Münster, Sonntag, 8. Mai 1938
Wie schön war das, im Dom (trotz aller eigenen und der andern menschlichen Schwächen) die Vesper und Komplet im Chor zu singen.
Münster, Samstag, 2. Juli 1938, Mariä Heimsuchung
Empfang der Exorzisten- und Akolythenweihe durch Bischof Clemens August Graf von Galen im Dom in Münster
Münster, Samstag, 17. Dezember 1938
Von 7.00 Uhr an war ich bei der heiligen [Priester-]Weihe im Dom zugegen. Alle Unrast, alles Getriebe war zu Ende. Gottes Geheimnis sprach in der Stille der heiligen Stunden.
Münster, Sonntag, 18. Dezember 1938, 4. Adventssonntag
Abends ist im Dom eine wunderbare Feierstunde. Volk und Neupriester, alle stehen wir vor Gott voll Jubel und Dank. Meine Seele singt jubelnd das Te Deum mit als Dank für die Neugeweihten und für die Erneuerung der eigenen Berufsgnade. Alle Schönheit der Erde, alles Leuchten schöner Frauen und Mädchen, alle herrliche Kraft der Natur ist nur ein matter Abglanz der Schönheit, die im Glauben sich uns hier erschließt: die jungfräuliche Schönheit gottbegnadeten jungen Priestertums. – Eucharistia [Danksagung] – Dank sei dem Herrn!
Münster, Sonntag, 25. Dezember 1938
Am ersten hochheiligen Weihnachtstag um 3.00 Uhr geht die Glocke. „Et verbum caro factum est.“ [Und das Wort ist Fleisch geworden. (Joh 1,14)] – Wir beten an.
4.00 Uhr Omnes in Choro. [Alle im Chorgestühl des Domes.] Dominus dixit ad me: „Ego hodie genui te.“ [Spricht der Herr zu mir: „Heute ich dich zeuge.“[1]] – Der Hochwürdigste Herr Weihbischof [Heinrich Roleff] hält das Amt. Am Schluß klingen auf die heiligen Lieder der Deutschen … „Heiligste Nacht“ … Alle Kinderseligkeit und ursprüngliche Gläubigkeit des Herzens jubelt auf. O Wurzel Jesse! O Schlüssel Davids! O Weisheit aus des Höchsten Mund! O Adonai! O Emmanuel![2]
[…] Im Amt um 9.15 Uhr (mit feierlicher Einholung des Hochwürdigsten Herrn Bischofs [Clemens August Graf von Galen][3] und festlicher Terz) bin ich mit Heinz Daams Thuriferar. (Es klappt. Ahaerlebnis!) Wir dürfen dem Bischof beim Anlegen der kostbaren Gewänder helfen.[4] Einmal laufe ich verkehrt um den Altar (nach dem Tuch, was aber nicht da hängt) – haha. Das Inzensieren der Hochwürdigen Herren [im Hochchor des Domes] lockerer, Kleiner! Nicht so gemacht feierlich, sondern schreitend und freudig, mit heiligem Schwung und großer Freude! Dank dir, Herre Christ!
[1] Introitus der Christmette, s. Schott 1932: 42
[2] Anrufungen aus den Magnifikatantiphonen – sogenannte O-Antiphonen – der Vespern ab dem 17.12.
[3] Früher wurde der Bischof vor einem Pontifikalamt von den liturgischen Diensten an seiner Wohnung abgeholt und zum Westportal des Domes geleitet.
[4] Beim feierlichen Pontifikalamt erfolgte das Anlegen der Gewänder nicht in der Sakristei, sondern im Dom.
Münster, Samstag, 4. März 1939
Der Tag der Lebensweihe [Weihe zum Subdiakon] ist in die Geschichte eingegangen. Factum est! [Es ist geschehen!] Verbum – caro. [Wort – Fleisch. (vgl. Joh 1,14)] Was Gott durch die …….[1] Christi in mir als inneren Ruf reifen ließ, das ist Tat geworden heute im Ruf der Kirche, der Braut Christi im Heiligen Geiste.
Diese herrliche Feierstunde werde ich nicht mehr vergessen können. In albis [mit der Albe bekleidet] schreiten wir mit brennenden Lichtern in Händen[2] und gegürtet die Lenden[3] zum Chor des Hohen Domes. Alle Verzagtheit und Anfechtung ist dahin. Das Lebensopfer wird gebracht in Gottes Kraft und Gnade und im Mut des entschlossenen Herzens, das sich jetzt ohne zu fackeln ruhig dem Liebesbrande Gottes weiht.
[1] Beim Seitenwechsel 115/116 hat Karl Leisner vermutlich das Wort Liebe ausgelassen.
[2] Die Kerze ist das Opfer des Weihekandidaten, die er nach der Weihe bei der Gabenbereitung dem Bischof übergibt, ein Sinnbild für seine Hingabe an Christus, in dessen Dienst er sich restlos verzehrt.
[3] Die Albe ist mit dem Zingulum gegürtet, einem „cingulum puritatis et continentiae“ – einem Sinnbild heiliger Reinheit und Enthaltsamkeit. Zu seinem Namenstag 1939 bekam Karl Leisner ein solches von Elisabeth Ruby geschenkt.
Karl Leisner wurde am 25. März 1939 im Dom zu Münster durch Bischof Clemens August Graf von Galen zum Diakon geweiht. Damals nahmen keine Angehörigen an der Feier teil.
Karl Leisner aus Münster am 25. März 1939 an P. Josef Vermeegen SAC in Limburg:
Mein lieber Jupp, Bruder und Priester in Christus!
Heute morgen bei unserer so schönen Diakonatsweihe im Hohen Dom durch die Hand unseres geliebten Bischofs [Clemens August Graf von Galen] war ich in Gebet und Mitfreude bei Dir.
Münster, Freitag, 7. April 1939, Karfreitag
Beim Bischof [Clemens August Graf von Galen] im Dom Diakon. Herrlich geklappt. – Compassio [Mitleiden mit] Christi war’s! Tief ergreifend.
Freitag, 21. März 1941
Karl Leisner aus Dachau, Block 28/1, an seine Familie in Kleve:
Am 25.[3.] bin ich zwei Jahre Diakon. So schnell ist die Zeit der Krankheit und Gefangenschaft vorübergeeilt. Es war eine schöne, große Zeit inneren Wachstums trotz mancher äußeren Härte. In drei Wochen [am 11.4.] ist Karfreitag. Da hatte ich vor zwei Jahren meinen schönsten liturgischen Dienst als Diakon beim Bischof [Clemens August Graf von Galen] im Dom [in Münster].
Link zu Werken von Bert Gerresheim
Text und Fotos Christa Bockholt