Ob Karl Leisner dieses Buch gefiele?

NibelungenBuch

Steinfest, Heinrich: Der Nibelungen Untergang
Mit einem Storyboard von Robert de Rijn
120 S. 60 Ill.
Geb. mit Schutzumschlag. Format 16 x 24 cm
ISBN: 978-3-15-010949-6
EUR (D): 19,95

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Unter der Überschrift „Die Sage, in der Siegfried zum Zwerg wurde. Der Schriftsteller Heinrich Steinfest, bekannt für seine Krimis, hat das Nibelungenlied nacherzählt. Dafür hat er sich allerlei Beistand geholt, von Tom Cruise bis zu Michael Jackson. Und die Tarnkappe erklärt er zum Fetisch. Kann das gutgehen?“ rezensierte Joachim Heinzle das Buch von Heinrich Steinfest in der F.A.Z. vom 29. Januar 2015 und kommt zu dem Schluß: „Das Fazit bleibt trübe. Steinfest hat nicht nur Siegfried geschrumpft, er hat das ganze Epos verzwergt. Mag sein, dass er damit einen Nerv getroffen hat. Jede Zeit hat das Nibelungenlied, das sie verdient.“

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Karl Leisner und Siegfried
Xanten gilt als einer der Geburtsorte des legen­dären Siegfried. So lernte es auch Karl Leisner in der Schule und schrieb am 28. Januar 1932 fol­genden mit gut bewer­teten Aufsatz:
6. Klassenaufsatz.
Eine Gestalt aus dem Nibelungenlied.
Das Nibelungenlied ist das schönste, furcht­bar­ste, das deutscheste der deut­schen Helden­lieder. Die lieblichste und zugleich furchtbarste Gestalt des Liedes ist Kriemhild. Der Dichter versteht es meisterhaft, uns die liebende, trauernde und ra­che­­­dürstende Frau lebendig vor Augen zu füh­ren.
Kriemhild, die Tochter des Burgunderkönigs [Dankrat], wächst zu einer herrlichen, blühenden Jungfrau heran. Zunächst will sie von Liebe nichts wissen; denn ihre Mutter hat ihr gesagt, Liebe endige immer in Leid. Als aber der tapfere Siegfried um sie wirbt, vergißt sie all ihre Beden­ken und entbrennt in Liebe zu ihm. Allen hatte sie bis dahin widerstanden. Nur ihm kann sie sich nicht versagen. So sehn wir sie als glückliche Braut und Gattin Siegfrieds. Sie zieht mit ihm nach Xanten und erlebt an seiner Seite Jahre reinsten Glücks. Sie gebärt Siegfried einen Sohn, und so ist ihr letztes Sehnen erfüllt. Aber nicht lange mehr sollte ihre Gatten- und Mutterfreude dauern. Nachdem sie schon zehn Jahre vom Hofe der Burgunder fern war, lädt ihr Bruder, der König Gunther, auf Drängen seiner Frau Brun­hilde Siegfried und Kriem­hild ein, zu kommen. Sie stimmen zu und reisen an den Hof nach Worms. Hier werden sie in Liebe und mit Freuden emp­fangen. Zu ihren Ehren wer­den Festspiele ver­an­staltet. Dabei aber kommt es zum Streit zwi­schen Brun­hild und Kriemhild, wer schöner und stärker sei, Gunther oder Siegfried. Mit diesem Streit be­ginnen sich dunkle Wolken des Neides und Has­ses in Brunhildens Herz zu­sammenzu­ballen. Sie ahnt, daß sie von Gunther betro­gen wurde, und erfährt es auch bald aus Kriemhilds Munde wäh­rend des erregten Wort­wechsels vor der Kirchtür. Hiermit ist Brunhilde auf das al­ler­tiefste belei­digt, und jetzt sinnt sie auf Rache, auf Siegfrieds Ermordung. Hierzu gibt sich der ihr treu­ergebene grimme Hagen her. Durch seine Ränke, durch seine Hand fällt Siegfried, Kriem­hildens über alles geliebter Mann. Als die Nicht­ahnende ihn von feigen Mörders Hand erschla­gen sieht, ist sie ganz untröstlich. Man möchte mitweinen und kla­gen, wenn man die Tieftraurige an der Bahre ihres Gatten zusammenbrechen sieht! – Sie trau­ert Jahre hindurch um ihn, aber aus ihrem ohn­mächtigen Schmerz ent­wickelt sich immer stärker der Ge­dan­ke, Siegfried zu rächen. Als dann der Hunnenkönig Etzel um sie werben läßt, willigt sie ein, weil sie in der Heirat mit ihm die einzige Möglichkeit sieht, ihre Rache zu ver­wirklichen. Sie lebt nun als Königin der Hunnen am Hofe Etzels. Aber nicht ihm gehört ihr Herz, ihr Herz gehört ihrem ersten Gatten, und sie sinnt nur auf eins, auf blutige Rache. Dem Gedanken der Rache lebt sie, und er gibt ihr Mut wei­terzu­leben. Endlich schreitet sie zur Tat, indem sie in erheu­chelter Freund­lichkeit die Burgunden an ihren Hof lädt. Sie kommen, – sie die ihr ihr Kleinod, ihren höchsten Schatz, raubten, – ihren Siegfried. – Jetzt kann sie sich und ihn rächen, jetzt hat sie die Macht dazu. Ihr Herz wallt in satani­scher Freude und Lust auf. Jetzt hat sie die in ihren Klauen, die ihr des Le­bens Glück und Freude nahmen. Wie eine wilde Löwin rächt sie sich an ihren eigenen Ver­wandten. Erst, als sie dem letz­ten Burgunder, ihrem Tod­feind Hagen, mit eige­ner Hand das Haupt abgeschla­gen hat, ist ihr Rache­durst gestillt. – So wurde aus der zartfüh­lenden, edlen Jungfrau Kriemhild durch das Schicksal eine rasende Teufelin, eine wilde Be­stie, die selbst vor dem schrecklichsten Verbre­chen, dem Mord, nicht zu­rückschreckt.

zweite Seite des Aufsatzes

zweite Seite des Aufsatzes

Bei der Viktortracht in Xanten 1936 wurde das Laienspiel „Die Ritterweihe Sieg­frieds“ von Franz Johannes Weinrich aufgeführt.[1] Aus dem Jahr 1936 sind im Nachlaß von Familie Leisner kaum schriftli­che Unterlagen vorhanden. Insofern ist nicht klar, ob Karl Leisner dieses Spiel gesehen hat. Aber er hat sicherlich darüber in der Zeitschrift Am Schei­de­wege gelesen.
[1] Weinrich, Franz Johannes: Die Ritterweihe Sieg­frieds. In: Das Xantener Domspiel, Frankfurt/M.: St. Georgs-Verlag 1936, S. 41–50.
Das Xantener Domspiel enthält sechs Teile: 1. Teil Die Legende vom Stabe des heiligen Petrus, S. 5–17 – 2. Teil Das Martyrerspiel, S. 18–32 – 3. Teil Helena, Kaiserin und Herbergswirtin, S. 33–40 – 4. Teil Die Ritterweihe Siegfrieds, S. 41–50 – 5. Teil Das Spiel vom hl. Bonifatius, S. 51–69 – 6. Teil Das Zeugnis der Zeiten und Geschlechter, S. 70–80

Siegfried

 

 

Szene aus dem Xantener Domspiel „Die Ritterweihe Siegfrieds“

 

 

 

 

Im Spiel spielen, sprechen und singen: Sieg­fried, der Bischof, der Priester Gerold, der Diakon, der Subdiakon, vier Gefährten Sieg­frieds, Gefolge und Sängerknaben.

Schueler_1936

 

 

Xantener Domspiel „Die Ritterweihe Siegfrieds“: Die Sängerknaben

 

 

 

 

Das Spiel griff den Siegfried-Mythos auf und stellte in äußerst pathetisch-nationalistischer Wei­se Sieg­fried als Beschützer der (katholischen) Kirche gegen die heidnischen Hunnen unter König Etzel dar.

In seiner Predigt am 6. September 1936 ging Bischof Clemens August Graf von Galen auf die Thematik Viktor und Siegfried ein:
„Victor“ heißt auf deutsch „Sieger“. Als Held, als Sieger wurde St. Victor hier verehrt, lange ehe die deutsche Sage ihrer schönsten Helden­gestalt, dem edlen Siegfried, Xanten als Hei­mat gab. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die dichtende Sage gerade darum Xanten zur Heimat Siegfrieds gemacht hat, weil alle deut­schen Gaue davon wußten, daß in Xanten tat­sächlich einst ein Held, ein Sieger gelebt hat, und weil damals schon Jahrhunderte lang St. Victor, der sieghafte Held in Xanten, die höch­ste Verehrung genoß.[1]
[1] Löffler, Peter: Bischof Clemens August Graf von Galen, Akten, Briefe und Predigten 1933–1946. 2 Bde., Pader­born 21996: Bd. I, S. 439f.

Gegen die Siegfriedsage stellte der Bischof die Grabfunde im Dom als wissenschaftlich bewiese­nes, christliches Martyrertum.

Dr. Michael Knieriem vom Stadtarchiv Xanten am 21. Juni 2012 an Hans-Karl Seeger:
Erst nachdem das Nibelungen-Lied (um 1780 durch Jakob Hermann Obereit [1725–1798]) entdeckt worden war und sein Wert als Zeug­nis der aufscheinenden deutschen Natio­nal­lite­ratur erkannt wurde und in einer Über­tragung von Karl Simrock [1802–1876] popularisiert wurde, begann die Stadt Xanten selbst sich der Wer­bewirk­samkeit Siegfrieds zu Be­ginn des 20. Jahrhunderts und dann vollends im Dritten Reich bewusst zu werden. Aber bereits im 19. Jahrhundert gab es Ver­suche, auf Siegfrieds Heimat hinzuweisen. (Vgl. den Aufsatz von Friedrich Engels: Sieg­frieds Hei­mat (Hamburg 1840), wobei nicht uninter­essant ist, dass Engels als Erster vom St. Viktors Dom in der Literatur spricht).

Spuren der Siegfriedsage finden sich in Xanten noch in den Namen von Straßen und Gebäuden:

  1. Siegfriedmuseum (ehemals Nibelungen(h)ort), Kurfürstenstraße 9
  2. Kriemhildmühle
  3. Nibelungenrelief in der Nähe der Kriemhild­mühle
  4. mehrere Straßenbenennungen (Siegfriedstraße, Kriemhildstraße, Guntherstraße, Brunhild­straße)
  5. Siegfriedbrunnen auf dem Marktplatz
  6. Steinskulptur „Nibelungentor“ auf dem Nibe­lungen­platz (Kreisverkehr in der Nähe des Ein­gangs zum Archäologischen Park)
  7. Hotel Nibelungenhof, Niederstraße 1
  8. ehem. Nibelungenbad der Freizeitzentrum Xanten GmbH in Xanten-Wardt

Laut Auskunft von Dr. Michael Knieriem und Klaus Haan vom Stadtarchiv Xanten stammen alle genannten Straßenbezeichnungen und Ge­bäude­­namen aus dem 20. Jahrhundert. Es gibt weder archäologische noch archivalische Über­reste, Spuren oder Belege bezüglich der Existenz eines historischen Siegfrieds. Alle Namen sind Se­kun­därbildungen, die an ein Ereignis bezie­hungs­weise an Personen erinnern. Lange Zeit geisterte auch der Irrtum durch die Literatur, das Relief des St. Vik­tor vor dem Dom stelle Sieg­fried dar.[1]
[1] Seeger, Hans-Karl: Karl Leisner und der Xantener Dom, Rees 2012, S. 17 – 26