Wußte Karl Leisner vom Antisemitismus Martin Heideggers?

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Die F.A.Z. brachte am 13. März 2014 folgenden Artikel von Jürgen Kaube:
Die Endschlacht der planetarischen Verbrecherbanden
Jetzt liegen auch die Schwarzen Hefte von Martin Heidegger vor, in denen sich seine antisemitischen Notizen finden. Was führte den Philosophen zu ihnen?

Martin Heidegger (* 26. September 1889 in Meßkirch, † 26. Mai 1976 in Freiburg/Br.) – Phi­losoph – grundlegendes Werk „Sein und Zeit“ (1917)

Während Karl Leisner aus den Philosophievorlesungen bei Peter Wust nichts über Martin Heidegger notiert, macht er in der Dogmatikvorlesung von Michel Schmaus eine Notiz.

Münster, Mittwoch, 8. Januar 1936
Im [Professor-Michael-]Schmaus-Kolleg [um 11.15 Uhr] – [Martin] Heideg­ger: „Wir sind dauernd vom Nichts bedroht“.[1]

[1] Martin Heidegger erfand Verben wie „nichten“ und bildete Formulierungen wie „das Nichts nichtet“.

Georgsdorf, Donnerstag, 10. Juni 1937
Abends nach einem Tag Kuhlen hundskaputt. – Morgens aus [Michael] Pfliegler „Vor der Entschei­dung“ (Auseinandersetzung mit [Martin] Heideg­ger[1])

[1] Pfliegler, Michael: Vor der Entscheidung. Überlegungen zur seelischen Bedroht­heit des heutigen Menschen, Salzburg/Leipzig 21936
Kapitel II. Die weltimmanente Entscheidung des Men­schen bei Martin Heideg­ger. 1. Heideggers Ontologie. 2. Heidegger in der Ge­schichte des Denkens. 3. Auseinandersetzung mit Heidegger. 4. Weltimma­nenz

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Fortsetzung des oben genannten F.A.Z.-Artikels von Jürgen Kaube:
War Martin Heidegger ein Nationalsozialist? Die Antwortet lautet schon lange: Ja. Wer wie er am 1. Mai 1933 in die NSDAP eintrat und öffentlich Sätze sagte wie „das Deutsche Volk ist jetzt dabei, sein eigenes Wesen wieder zu finden und sich würdig zu machen eines großen Schicksals“, wer sich außerdem privat notierte, „wir wollen der Bewegung und ihrer Richtkraft Möglichkeiten der Weltgestaltung und der Entfallung vorbauen“, und wer sich einem „geistigen Nationalsozialismus“ zuordnet, dessen Aufgabe es sei, den Geist des Bürgertums zu zerstören – der war offenkundig Nationalsozialist.
War Martin Heidegger Antisemit? Die Antwort lautet spätestens von heute an: Ja. In seinen „Überlegungen“, die Heidegger von 1938 bis 1941 in die sogenannten Schwarzen Hefte eintrug, findet sich eine ganze Reihe von Bemerkungen zum Judentum, die keinen anderen Schluss erlauben (siehe unseren Zitatkasten unten). Wer einer ganzen „Rasse“ nicht nur Eigenschaften wie „Bodenlosigkeit“, „Weltlosigkeit“ und „rechenhafte Begabung“ zuschreibt, sondern das „Weltjudentum“ auch als handlungsfähiges Kollektiv wahrnimmt, das „nach dem Rasseprinzip“ lebe, eine „zähe Geschicklichkeit des Rechnens und Schiebens und Durcheinandermischens“ zeige und im Kampf mit den Deutschen dem Handlungszweck „Entwurzelung alles Seienden aus dem Sein“ folge – der erfüllt hinreichend viele Kriterien für Antisemitismus.

Link zur Online-Version des F.A.Z.-Artikels

Aus den „Schwarzen Heften“ bringt die F.A.Z. folgende Auszüge:

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Dr. Marc Röbel, der mit einer Arbeit über Peter Wust promoviert wurde, erläutert dessen Stellung zu Martin Heidegger.

„Helfen Sie mir in meiner Heideggernot.“
Peter Wust und der „Zauberer von Meßkirch“
Peter Wust hat sich als Professor für Philosophie in Münster auch mit zeitgenössischen philosophischen Konzepten auseinandergesetzt. Dazu gehörte neben der philosophischen Anthropologie Max Schelers und der von ihm sehr geschätzten Existenzphilosophie eines Karl Jaspers selbstredend auch das seinerzeit höchst innovative Denken Martin Heideggers, das viele Zeitgenossen ebenso fasziniert wie beunruhigt hat.[1] Eine ähnliche Wirkung beobachtet Wust auch an sich selbst kurz nach Erscheinen von „Sein und Zeit“. Im Jahre 1929, ein Jahr vor seiner Ernennung zum Philosophieprofessor in Münster, formuliert Wust seine persönlichen philosophischen Irritationen in einem Brief an Fritz Heinemann,[2] den Wust als Fachmann für gegenwartsphilosophische Analysen überaus geschätzt hat: „Heute nun noch eine Frage, die ich schon längst stellen wollte. Es handelt sich um Heidegger. Ich habe jetzt schon alles Mögliche über ‚Sein und Zeit‘ gelesen… Ich habe ferner auch seine kleine Schrift ‚Vom Wesen des Grundes‘ zu lesen versucht und zuletzt seine bei Cohen erschienene Studie über Kant. Nach diesen beiden letzteren Schriften hätten eigentlich bis jetzt alle Kritiker Heidegger falsch gedeutet. Wenn ich auch Heideggers Ansatz und d.h. seinen Willen zu einer echten Lehre vom Sein vorzustoßen, anerkenne, so will mir doch scheinen (diesen Gedanken werde ich nicht los), als wäre das ganze Philosophieren Heideggers nur eine einzige große Schaumschlägerei, aus der kein Mensch klug werden könnte, weil schließlich er selbst nicht weiß, was er nun eigentlich will… Lieber Herr Heinemann, wenn Sie können, so schreiben Sie mir doch einmal über diesen Punkt, d.h. über meine ganze Geistesnot um Heidegger. Mir scheint es bis jetzt etwa so: ein Mann, der mit einer eigenwilligen Sprache eine philosophische Mystifikation betreibt, so daß ich in manchen Augenblicken den Eindruck habe, daß wir alle miteinander genarrt werden… All die Zeit quälte mich in diesen Tagen der Grippe immer dieses eine Problem ‚Heidegger‘, die Sphinx Heidegger. Ich möchte ihm nicht Unrecht tun, gewiß nicht. Aber, wenn ich heute aufgefordert würde, über ihn zu schreiben, dann müsste ich sagen: ich kann es noch nicht. Ich weiß noch immer nicht, wie ich mit ihm daran bin.… Helfen Sie mir in meiner Heideggernot.“[3]
Diese Zeilen sind insofern aufschlussreich, weil Wust bereits 1927 Heidegger das Angebot gemacht hat, das soeben erschienene Hauptwerk „Sein und Zeit“ für die Kölnische Volkszeitung zu rezensieren.[4] In seiner Vorlesung „Der Mensch und die Philosophie“[5], die Wust im WS 1938/39 gehalten hat, thematisiert er den Ansatz Heideggers wesentlich nüchterner [als in der Vorlesung 1934, die Karl Leisner gehört hat]. Die persönliche Haltung, die Heidegger in tagespolitischen Fragen oder in Bezug auf den Antisemitismus einnahm, blieben dabei unberücksichtigt. Die „Heideggernot“ Wusts, der die nationalsozialistische Doktrin vom Grundansatz seiner christlichen Philosophie her rigoros ablehnte, war eher prinzipieller Natur und bezog sich auf den Philosophiebegriff und den Seins- und Existenzbegriff des berühmten Fachkollegen. Im Verlauf der Vorlesungsreihe nimmt Wust eine sachliche und eher knappe Einordnung der Philosophie Heideggers im Kontext des modernen Existenzdenkens vor. Er beschränkt sich darauf, zentrale Grundbegriffe aus „Sein und Zeit“ wie „Vorhandensein“, „Zuhandensein“, oder „Dasein“ anzuleuchten, ohne in eine ausführliche Diskussion einzutreten. Primär geht es ihm in diesem Zusammenhang darum, das Anliegen Heideggers und der modernen Existenzphilosophie insgesamt zu würdigen und verständlich zu machen.

[1]Eine Postkarte Heideggers an Wust ist von Ekkehard Blattmann und Dieter Köhler dokumentiert und kommentiert worden; vgl. D. Köhler/E. Blattmann, Martin Heidegger, in: E. Blattmann (Hrsg.), Philosophenbriefe von und an Peter Wust. Edition Peter Wust. Schriftenreihe der Peter-Wust-Gesellschaft, hrsg. von H. Hoffmann und W. Schüßler, Bd. 4, Berlin 2013, S. 197-211.
[2]Vgl. F. Heinemann, Neue Wege der Philosophie, Leipzig 1929, S. 370-391.
[3]F. Heinemann, ders., Existenzphilosophie, lebendig oder tot (1954), S. 88f.; zit. nach: P. Wust, Der Mensch und die Philosophie, in: ders., Gesammelte Werke, hrsg. von W. Vernekohl, Bd. IV, Münster 1965, S. 457, Anm. 14.
[4]Vgl. D. Köhler/E. Blattmann, Martin Heidegger, a.a.O. (Anm. 1), S. 200f.
[5]Vgl. P. Wust, Der Mensch und die Philosophie, in: ders., Gesammelte Werke, hrsg. von W. Vernekohl, Bd. IV, Münster 1965, S. 311-438.