Ochtrup: Karl-Leisner-Straße

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Die Karl-Leisner-Straße in Ochtrup ist eine Sackgasse, die von der Dietrich-Bonhoeffer-Straße, einer Ringstraße, abzweigt. In diesem Wohngebiet gibt es weitere Straßennamen zu Ehren von Widerstandskämpfern: die Geschwister-Scholl-Straße, Maximilian-Kolbe-Straße, Anne-Frank-Straße, Alfred-Delp-Straße und Claus-von-Stauffenberg-Straße.

Laut Mitteilung der Stadtverwaltung Ochtrup vom 24. September 2015 wird es „so gewesen sein, dass der Heimatverein Ochtrup die Namensvorschläge unterbreitet hat“. Die Straßenbenennungen in diesem Wohngebiet erfolgten „ca. 1999/2000“.

Die Entscheidung des Rates der Stadt Ochtrup, eine Straße nach dem Seligen Karl Leisner zu benennen, mag auch mit dem Leben und Wirken des gebürtigen Ochtruper Prälaten Hermann Scheipers[1] zusammenhängen.

[1] Prälat Hermann Scheipers (* 24.7.1913 in Och­trup) – Theologiestudium in Münster 1932–1936 – Wechsel ins Priesterseminar des Bistums Meißen in Schmochtitz bei Bautzen 1936 – Priesterweihe 1.8.1937 in Bautzen – Kaplan in Hubertus­burg 1937–1941 – Er kam am 28.3.1941 wegen Polenseelsorge ins KZ Dachau und entfloh auf dem Evakuierungs­marsch vom 26.4.1945. Nach dem Zweiten Welt­krieg arbeitete er in der ehemaligen DDR, seit 1983 lebt er in Ochtrup. 2003 er­hielten er und seine Zwillings­schwester Anna das Bun­desverdienstkreuz am Bande wegen ihres unerschrockenen Ein­sat­zes für Men­schenwürde. Im Seligsprechungsprozeß 1981 und Martyrerpro­zeß 1990 für Karl Leisner hat er als Zeuge ausgesagt.

Scheipers_PersonPrälat Scheipers war mit Karl Leisner im Priesterblock des KZ Dachau inhaftiert und hat ihm bei der Priester­weihe die Hände aufgelegt. Auf einem Glückwunschzettel, den 30 Priester aus der Diözese Münster in latei­nischer Sprache unterschrieben haben, ist sein Name aufgeführt, daneben hat er auf einer Glück­wunsch­karte mit einem allgemei­nen Bischofswappen und dem Wahlspruch[1] des Bischofs von Münster Clemens August Graf von Galen[2] unterschrieben sowie in einer Gratulationsmappe mit den Unterschriften von 239 Priestern. Prälat Scheipers nahm auch an der Primiz Karl Leisners teil, seiner ersten und einzigen heiligen Messe. Er lebt seit 1983 wieder in Ochtrup und ist der letzte deutsche lebende Priester des KZ Dachau.

[1] Nec laudibus nec timore – Weder für Lob noch aus Furcht
[2] Clemens August Graf von Galen (* 16.3.1878 auf Burg Dinklage i. O., † 22.3.1946 in Münster) – Priesterweihe 28.5.1904 in Münster – Bischofsweihe zum Bischof für das Bistum Mün­ster 28.10.1933. Am 18.2.1946 wurde er zum Kardinal ernannt und am 9.10.2005 in Rom se­ligge­sprochen.

Scheipers_BuchHermann Scheipers beschreibt in seinem Buch „Gratwanderungen – Priester unter zwei Diktaturen“ seine Begegnung mit Karl Leisner, als er im KZ Dachau auf dem Invalidenblock war und auf seinen Abtransport zur Vergasungsanstalt im Schloss Hartheim wartete:
Am nächsten Tag [Ende Juli 1942[1]] konnte Dr. [Bernhard] Wensch[2] schon vor Schwäche nicht mehr kommen; aber er schickte mir durch Karl Leisner das wahre Brot des Lebens, Christus den Herrn, verborgen in einer Tabletten­schachtel. Einige Juden, die auf dem Weg von Buchenwald zur Verga­sung nur kurz in Dachau waren, standen dabei Schmiere. Keiner von die­sen Todgeweihten ahnte, daß mir da durch den Stacheldraht hin­durch die heilige Kommunion gereicht wurde.

[1] Zeitangabe von Hermann Scheipers
[2] Dr. theol. Bernhard Wensch (* 7.7.1908 in Berlin, † 15.8.1942 im Block 7 im KZ Da­chau)

Bernhard Wensch hatte seinen Platz in meiner Stube [3 im Block 26] am Nebentisch von Karl L. [Leisner]. Sicher haben die beiden über meine aussichtslose Si­tuation gesprochen, und Karl übernahm gern den gefähr­li­chen Gang am Abend, um mir den Leib des Herrn zu bringen – wie alle glaubten, zum letzten Mal vor meinem Abtransport zur Vergasung.
In dieser Zeit des Wartens auf die Gaskammer begegne ich ein zweites Mal Karl Leisner. Wir Invaliden wurden zum Bad geführt, ein trau­riger Zug ausgemergelter Gestalten, die sich zum Teil kaum noch vor­wärts be­wegen konnten. Während sich die Arbeitskommandos in den Werk­stätten und auf der Plantage aufhielten, waren die Lagerstraße und der Appell­platz leer. Karl steht mit ein oder zwei Gefangenen in der Nähe des Kran­kenreviers. Als er mich im Zug entdeckt, löst er sich aus der Gruppe, kommt auf mich zu und begleitet mich fünf oder zehn Me­ter. Auch das war für ihn schon gefährlich. Er flüstert mir zu: „Denk an die drei Jüng­linge im Feuerofen“ [Dan 3,1–97].
Mit diesem Wort wollte er mir sagen, wie er dies ganze furchtbare Ge­schehen im Lichte des Glaubens sah. […] Karl wollte mir offenbar damals sagen: Hab keine Angst. Du bist jetzt zum Feuer verurteilt, aber Gott ver­mag doch alles. So wie er einst seine Getreuen aus dem Feuer­ofen des Königs von Babylon errettet hat, kann er auch dich vor dem Feuer­ofen der Gaskammer retten, und so wie ihnen kann er auch dir sei­nen retten­den Engel schicken. – Er hat es getan! – Der rettende Engel war meine Zwil­lingsschwester [Anna].[1]

[1] Hermann Scheipers, Gratwanderungen, Priester unter zwei Diktaturen, Leipzig 1997: 61f.

Karl Leisner erwähnt in seinen Briefen aus dem KZ Dachau Ochtrup im Zusammenhang mit seinem Kurskollegen Bernhard Leusder[1]. Sowohl Bernhard Leusder, als auch dessen Familie in Ochtrup, schickten Karl Leisner mehrfach Lebensmittelpakete ins KZ.

[1] Schönstattpriester Bernhard (Bernd) Leusder (* 11.10.1912 in Och­trup, † 26.4.1988) – Abitur am Gymnasium Paulinum in Münster – Eintritt ins Collegium Borromaeum in Mün­ster 1.5.1934 – Priesterweihe 6.8.1939 in Münster – Preisträger der Katholisch-Theo­lo­gi­schen Fakultät in Münster 1938 – Kaplan in Everswinkel 25.9.1939 bis 13.10.1941 – Dort wurde er von der Gestapo ins Visier genommen, 1941 wegen Predigten verhört und aus dem Rheinland, Westfalen und Hannover ausgewiesen. – Vikar in Delmenhorst 13.10.1941 bis 1943 – Kaplan auf Wangerooge 15.5.1943 bis 18.12.1943 – Vertreter des Vikars in Delmenhorst 18.12.1943 bis 1944 – Vikar in Wilhelmshaven 27.2.1944 bis 1953 – Er schickte Pakete für Karl Leisner ins KZ Dachau. Im Seligsprechungsprozeß für Karl Leis­ner hat er 1981 als Zeuge ausgesagt.

Freitag, 12. März 1943
Karl Leisner aus Dachau an seine Familie in Kleve:
Gestern schickte mein Kurs­genosse Bernhard Leusder, Delmenhorst in Oldenburg, Louisenstraße 30, ein prachtvolles west­fälisches Wurstpaket. Ihm und sei­nen Eltern herzlichen Dank.

Freitag, 26. März 1943
Karl Leisner aus Dachau, Block 26/3, an seine Familie in Kleve:
Pa­kete: 1. Familie Leus­der, Ochtrup in Westfalen, Wester 30

Samstag, 13. November 1943
Karl Leisner aus Dachau an seine Familie in Kleve:
Dazu kam ein sehr reichhaltiges Paket von Bern­hard Leusder aus Wangerooge, Haus Mee­res­stern.

Freitag, 4. Februar 1944
Karl Leisner aus Dachau an Bernhard Leusder auf Wangerooge:
Mein lieber Bernhard!
Die gnadenreiche Weihnachtszeit verklingt. Da sollst Du lieben Dankgruß von mir haben, der Du so treu an mich denkst. Deine reichen Inselpakete [von Wangerooge] ließen jedes Mal frohe Erinnerung an die schöne Studi­enzeit aufklingen. Wie fühlst Du Dich dort, geistlicher Inselchef? Wie sagt das Meer Dir Landratte zu?
[…]
Wie schaut’s daheim in Ochtrup aus? Auf das Wiedersehn mit Dir und den anderen freu’ ich mich jetzt schon. Bis dahin bleiben wir verbunden in treuer Opfer- und Gebetsge­meinschaft. In froher Hoffnung!
Dein Karl

Impressionen zur Karl-Leisner-Straße

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Text und Fotos Christa Bockholt und IKLK-Archiv