Ökumene in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau

 

Am Sonntag, dem 18. März 2018, wird um 14.00 Uhr in der „Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen“ die Ausstellung „‚Religion: Evangelisch‘. Protestanten im Konzentrationslager Sachsenhausen 1936-1945“ eröffnet.

 

 

Einladung

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Sowohl im KZ Sachsenhausen als auch im KZ Dachau zeigte sich, geboren aus der Notsituation der Gefangenschaft, eine Ökumene, wie wir sie heute nicht einmal in Freiheit erleben; ähnlich wie auch, vor allem im KZ Dachau, Europa bereits intensiver gelebt und verwirklicht wurde als heute. Nachfolgend einige Zeugnisse für die „brüderliche Ökumene“ bei Karl Leisners Priesterweihe am 17. Dezember 1944 und bei seiner Primiz am 26. Dezember 1944 im KZ Dachau:

Priesterweihe und Primiz – ein ökumenisches Ereignis

Ernst Wilm aus Espelkamp am 3. Januar 1976 an Wilhelm Haas in Kleve:
Wir evangelischen Pfar­rer hatten es uns aber zur besonderen Ehre ange­rechnet, [am Primiz­tag] dem neuge­weihten Prie­ster, seinem Bi­schof und den Assi­stenten und Conzelebranten ein schlichtes Essen auf gedeck­tem Tisch, soweit man das im Lager heranschaf­fen bzw. „organi­sieren“ konnte, zu bereiten. Und ich weiß noch, wie sich Bruder Leisner über diese brüderlich-ökumenische Gastfreund­schaft gefreut und da­für ge­dankt hat.[1]
[1] Haas, Wilhelm: Christus meine Leidenschaft. Karl Leisner. Sein Leben in Bildern und Doku­menten, Kevelaer 11977, 21981, 31985: 57

Ernst Wilm:
So haben wir evangelischen Pfarrer – ich war zu der Zeit Senior der evan­gelischen Geistlichen im Konzentrationslager Dachau – an dieser Prie­ster­weihe und Primiz lebendig und mittragend teil­genommen. In das Hochamt mit der Priester­weihe konnten wir nicht gehen, weil unsere La­gerkapelle schon die katholischen Confra­tres nicht fassen konnte, aber wir haben un­sere Teil­nahme an dieser Priesterweihe unse­res Confra­ters und damit un­sere Ver­bundenheit mit ihm dadurch bezeugt, daß wir für ei­nen klei­nen Kreis der an der Weihehandlung unmittelbar Beteilig­ten in Stu­be 3 einen Tisch festlich (Blu­men, Tischtuch, Geschirr wurden dazu „organi­siert“) deckten und den Feiernden ein Mahl be­rei­te­ten.[1]
[1] Seligsprechungsprozeß: 1466f.
Ähnlich äußerte sich Ernst Wilm beim Besuch von Papst Jo­hannes Paul II. in Münster 1987, s. Kirche + Le­ben 1987 – Nr. 44 vom 1.11.1987: 20

P. Léon de Coninck SJ:
Fügen wir noch, um vollkom­men zu sein, hinzu, daß die protestanti­schen Geistlichen in großer Zahl ka­men, der Feier beizuwohnen, und sich an­bo­ten, mittags dem Primizianten ein üppiges Festmahl zu be­reiten, was eine ungeheure Aus­nahme von dem mehr als be­scheidenen Alltag be­deu­te­te.[1]
[1] de Coninck, Léon: Priestergespräche in Dachau. Da­chau, Konzentrationslager für Priester. In: Stimmen der katholischen Welt. Überblick und Auslese, Heft 2, 1946: 67–85, hier 72f.

Christian Reger:
Ich habe noch in Erinnerung, daß ich zur Feier des Tages aus der SS-Kü­che Porzellan durch Schliche besorgt habe und auf die Bitte eines anderen katholischen Geistlichen aus der Erzdi­özese Freiburg Rosenkohl kochte und ser­vierte. Es gab sogar Tischkarten und auf die Karte des Bischofs hatte einer geschrieben: „Reverendis­simus …“ [Hochwürdigster …]. Nach der Priester­weihe kam Karl Leisner in die Stube mit roten Backen, einem sichtbaren Zeichen des Fort­schritts seiner Krankheit, um den Se­gen zu ge­ben. Ich stand am Ofen mit einem Schürha­ken in der Hand und habe den Segen auf diese Weise dankbar empfangen.[1]
[1] Seligsprechungsprozeß: 1263

Heinz Römer:
Eine besondere Freude war es uns, daß Pfarrer Christian Reger als Ver­treter der evan­g. Kirche [nach Xanten] gekommen war; hatte er doch am Tag der denkwürdigen Prie­sterweihe [Primiz] Karl Leisners wesentlich zur Gestal­tung der „sollemnitas ex­terna“ [äußeren Fest­feier], so­weit man im KZ von ei­ner solchen sprechen kann, beigetragen, indem er aus der SS-Küche an­ständiges Geschirr or­ganisierte, so daß der Neuge­weihte und sein Konsekrator einmal nicht aus dem Blech­napf sich ver­pflegen muß­ten.[1]
[1] Heinz Römer in: Stimmen von Dachau, 1966/67 – Nr. 7: 1

Johannes Sonnenschein aus Ahaus am 22. November 1995 an Hans-Karl Seeger:
Die evangelischen Mitbrüder haben wohl eine Glückwunschadresse un­ter­schrieben. Nach dem Primizamt luden sie Karl ein, auf Stube 3 [von Block 26] zu ei­nem „Festfrühstück“, das sie gemeinsam aus ih­ren Paketen zusam­menge­stellt hatten.

Auf ihren Glück­wunsch­brief ist eine Art Andenkenbild­chen aus Karton geklebt, auf den in schwarz-roten Farben der Evan­gelientext Mk 13,35–36 ge­druckt ist:
„So wachet nun, denn ihr wisset nicht, wann der Herr des Hauses kommt. Ob er kommt am Abend oder zur Mitternacht oder um den Hah­nenschrei oder des Morgens, auf daß er nicht schnell komme und finde euch schla­fend.“

Ihre Widmung lautet:
Zu deiner Priesterweihe erbitten und wünschen wir dir, lieber Karl Leis­ner, Gottes Gnade, den Frieden unsres Herrn Jesus Christus und den Bei­stand des Heiligen Geistes, deine evangelischen Mitbrüder: Am 3. Sonn­tag im Advent 1944

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Hermann Scheipers:
Am 26.12.1944 feierte der DG [Diener Gottes Karl Leisner] seine erste und einzige Messe. Die evange­lischen Geistlichen auf unserer Stube drei haben dem DG das Frühstück bereitet.[1]
[1] Martyrerprozeß: 151

Matthias Mertens:
In der Stube III waren inzwischen die evangeli­schen Pfarrer liebevoll be­müht gewesen, einen den Umständen nach glänzenden Frühstücks­tisch herzurichten. Nicht nur ein weißes Tisch­tuch und Porzellan zierten ihn – vorher nie ge­sehener Luxus im Lager –, sondern kostbarste Leckerbis­sen, die die Pfarrersfrauen geschickt hatten, luden den Neu­priester, den Bischof und den engsten Freundeskreis zu einer wohlver­dienten Stär­kung. Danach wurde es bald schon die höchste Zeit, dass der Kranke wie­der zur Krankenstube und damit zur Ruhe kam.[1]
[1] Mertens, Matthias: Prie­sterweihe hinter Stacheldraht. Aus dem Kon­zentrationslager Dachau. Von Kaplan Matthias Mertens, Arosa. In: Neue Zürcher Nachrichten vom 28., 29., 30., 31.3. u. 1.4.1949. Ab­druck in: Gaesdoncker Blätter 1988: 14–26, hier 25