Unter der Überschrift „Jesus stirbt am Monreberg – PASSIONSSPIELE – In Kalkar hat die »Calcarer Laienspielschar« von 1924 bis 1934 Freilichtspiele aufgeführt. Tausende kamen, um das Leiden und Sterben Jesu zu verfolgen. Bis die Nationalsozialisten das religiöse Schauspiel 1934 verboten haben.“ berichtete Peter Janssen in Kirche + Leben vom 16. April 2017 über die Passionsspiele in Kalkar.
Passionsspiele in Kalkar in Kirche + Leben
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Siehe auch:
Bericht von Andreas Daams in der NRZ vom 30. März 2013 – Gottes Werk in der Teufels Schlucht
Aktuelles vom 19. April 2014 – „Karl Leisner sah 1930 die ‚Calcarer Passion’“
Bericht von Peter Janssen in der RP Online vom 22. April 2014 – 6000 sehen das Kreuz von Kalkar
Am Ende der folgenden Ausführungen befindet sich ein Glossar zu Orten und Personen.
Beginn der Kalkarer Freilichtspiele mit dem Passionsspiel „Das Leiden Christi“ von P. Wilhelm Wiesebach SJ in der Tonhalle April 1924 – Aufführungen in der Teufelsschlucht bei Kalkar, einem natürlichen Amphitheater in 70 terrassenartig übereinander gestaffelten Sitzreihen für 5.000 Besucher, ab 1925 – Initiator und unermüdlicher Motor der Freilichtspiele in der Teufelsschlucht war Kaplan Karl Esser. Als Text wählte er wie 1924, jedoch unter dem Titel „Calcarer Passion“, den Text von P. Wilhelm Wiesebach SJ und gewann als Spielleiter und Hauptdarsteller den Frankfurter Dramaturgen Philipp Malburg. Später lag sowohl die Leitung als auch die Verkörperung der Titelfiguren bei der Kalkarer Bevölkerung. Die Spiele begannen mit dem Vorspruch:
„Was frommer Schnitzer große Meisterschaft gelang, nichts anderes wollen nun mit ihrer Art die Enkel ihren Zeiten sagen.“
In der St.-Nicolai-Kirche in Kalkar ist das Leiden Christi von großen Meistern bildhaft und lebendig dargestellt.
Folgende Stücke wurden aufgeführt:
1924 Das Leiden Christi – in der Tonhalle
1925 Calcarer Passion – von diesem Zeitpunkt an in der Teufelsschlucht
1926 Paradies und Brudermord (Kain und Abel)
1927 Joseph und seine Brüder
1928 Parsifal
1930 Calcarer Passion
Aus einem Zeitungsartikel zu den Kalkarer Freilichtspielen 1932[1]
[1] Zu diesem Zeitungsartikel fehlen genaue Angaben.
Textausschnitt:
Das ergreifende Spiel der 300 Calcarer Bürger und Bürgerinnen im einzelnen und in seiner Gesamtheit ward zum religiösen und künstlerischen Ereignis und Erlebnis für die immer mehr anwachsenden Scharen, die Sonntag für Sonntag hierher kamen, um zu schöpfen aus dem Born edelster Volkskunst. Die Gesamtzahl der Besucher betrug bisher 150.000.
Die „Calcarer Spielgemeinde“ pflegt das religiöse und speziell das biblische Spiel, weil gerade dieses auf dem großen historischen Hintergrunde der kirchlichen Kunst Calcars als bodenständig und typisch gelten muß. So wird sie denn in diesem Jahre vom 29. Mai bis zum 28. August das große biblische Schauspiel „Paradies und Brudermord“ von Sebastian Wieser zur Aufführung bringen.[1]
1932 Paradies und Brudermord
[1] Dieses Stück hat Karl Leisner bereits 1926 gesehen.
Als nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1934 keine biblischen Stoffe mehr gespielt werden durften, endeten die Spiele mit: Lippl, Alois Johannes: „Das Erler Andreas Hofer-Spiel. Zwölf Bilder aus dem Tiroler Befreiungskampf, Innsbruck 1927.“
1934 Andreas Hofer
Die Freilichtspiele in Kalkar, dem „Oberammergau des Niederrheins“, hatten für Karl Leisner eine große Bedeutung, er hat sie fast alle gesehen.
Am 22. April 1925 kam er in die Sexta b des Gymnasiums in Kleve. Dort war es Brauch, mit der Klasse eine Aufführung der Freilichtspiele in Kalkar zu besuchen. Im Juli 1925 sah er mit seiner Klasse bei den erstmals in der Teufelsschlucht bei Kalkar aufgeführten Kalkarer Freilichtspielen das Passionsspiel „Calcarer Passion“ von Pater Wilhelm Wiesebach SJ.
Zwischen Mai und Juli 1926 sah er mit seiner Klasse Quinta b bei den Kalkarer Freilichtspielen „Paradies und Brudermord (Kain und Abel)“, Biblisches Schauspiel von Sebastian Wieser, aufgeführt von der Kalkarer Spielgemeinde mit über 200 Mitwirkenden.
Tagebucheinträge
Kleve, Dienstag, 10. Juli 1928
Wir fuhren nach Kalkar, stellten dort […] unsere Räder unter, und wohnten mit dem Gymnasium dem Parsifalspiel[1] bei. Bis jetzt habe ich alle Kalkarer Freilichtspiele gesehen.
1. Spiel 2. Spiel
1925 1926
Sexta b Quinta b
Passionsspiel Kain und Abel[2]
3. Spiel 4. Spiel
1927 1928
Quarta b Untertertia g
Joseph und seine Brüder[3] Parsifal[4]
[1] eine volkstümliche Umarbeitung des mittelhochdeutschen Epos des Wolfram von Eschenbach aus der Feder von Peter Macholin
[2] Es war das Schauspiel „Paradies und Brudermord“ von Sebastian Wieser. Dieses Spiel sah auch Augustin Wibbelt, damals Pastor von Mehr am Niederrhein, mit dem Mehrer Jünglingsverein.
Augustin Wibbelt:
Es wurde das Schauspiel „Paradies und Brudermord“ von Sebastian Wieser gespielt. Eigentlich sind es zwei Stücke, von denen das eine den Sündenfall, das andere den Brudermord Kains darstellt; doch besteht eine innere Verbindung zwischen den beiden Stücken, wie zwischen Aussaat und Ernte. Die Sünde des Abfalles von Gott im ersten Teile kommt im zweiten Teile zur vollen Auswirkung und eröffnet weite Perspektiven auf die Menschheitsgeschichte. Das Symbol des Grales, das Zeichen des Friedens, steht in beiden Teilen verbindend und beherrschend im Mittelpunkte. Die schmale Talsohle mit grünem Rasen und blühenden Blumen stellte anmutig den Paradiesgarten vor, und dahinter hob sich, den Hang hinansteigend, die schwindelnd hohe Himmelstreppe, nach oben sich verjüngend, durch Terrassen unterbrochen und vor dem säulengetragenen, mit einem gelben Vorhange geheimnisvoll verschlossenen Himmelstore endigend. Von dort kommen und dahin verschwinden die langen Engelreihen in weißen Gewändern und feiern auf der mittleren Terrasse, auf der ein schlichter Altar steht, ihre himmlische Liturgie, der die rot gekleideten Teufel nach dem Falle und nach dem Forttragen des Grales eine höllische Liturgie entgegensetzen, wie ja bekanntlich Satan der Affe Gottes ist. Diese Treppe, aufsteigend zwischen grünem Gebüsch, mit dem Himmelstor hoch oben vor der tiefen Bläue der Luft, gibt ein ungemein eindrucksvolles Bild. Mehrstimmiger Gesang eines unsichtbaren Chores begleitet die Handlung, die im einzelen zu schildern zu weit führen würde, die ja auch in ihren wesentliche Zügen aus der Bibel genügend bekannt ist. Das Publikum folgte mit gutem Verständnis und unverkennbarer Andacht, und für die notwendige Entspannung des Ernstes sorgten die grotesken Teufelsszenen, die bei alt und jung lauten Anklang fanden. Es ist ein gesunder Grundsatz, auch in ernsten religiösen Stücken dem Humor sein Plätzchen zu gönnen, wenn nur, wie hier, der weihevolle Eindruck des Ganzen gewahrt bleibt. Es wurde so gut gespielt, daß ich erstaunt war, zu hören, daß auch die schwierigen Hauptrollen nicht von Berufsschauspielern, sondern von einheimischen Kräften gespielt wurden. Es steckt eben viel verborgener Kunstsinn und Kunsttrieb im Volke, und es ist ein gute Sache, ein Dienst an wahrer Kultur, diese verborgenen Quellen zu wecken. In der Pause, während meine sehr komplette Nachbarin ihre Kirschensteine in das Paradies hinunterspuckte, habe ich bei mir gedacht: Wie wundervoll muß sich auf solcher Bühne und mit solchen Kräften ein Mysterium von [Pedro] Calderon spielen lassen! (Wibbelt, Augustin: Nur ein Viertelstündchen, Essen 1930: 113f.).
[3] Biblisches Schauspiel von Louis Parker in der Neubearbeitung von Sebastian Wieser
[4] Ursprünglich wollte man, um in der Tradition der biblischen Stoffe zu bleiben, das biblische Mysterienspiel „Das Opfer“ in der Bearbeitung von Ludwig Nüdling aufführen, spielte dann aber Parsifal von Peter Macholin.
Juni 1930
Passionsspiele 1930 in Kalkar[1]
Auch in diesem Jahr fuhren wir wieder mit der Schule hin.[2] Es war ein Erlebnis! – Wie wundervoll natürlich die Kalkarer Laienspieler ihre Rollen spielten, ist nicht zu sagen. Die Hohenpriester echte, haßerfüllte Gegenspieler Jesu. Die besten Spieler waren unzweifelhaft Judas und Pilatus. – Die Verzweiflung dieses Judas gab der Spieler einfach hinreißend wieder. – Pilatus kehrte den Römer, der die Juden verachtet, einen echten Markierer, fein heraus. Er konnte wohl mit am besten gefallen. Auch Jesus spielte ergreifend. – Einzelne Szenen wirkten besonders schön und ergreifend. 1. Die Abendmahlszene, 2. die Szenen mit dem großen Volksandrang, 3. der Kreuzweg mit der Kreuzigung. – Wann ich da war, weiß ich nicht, da ich mir’s nicht aufgeschrieben habe. Aber auf’s Datum kommts ja nicht an, sondern auf das Erleben eines solchen Schauspiels. Kalkar darf sich meiner Ansicht nach mit Recht „Niederrheinisches Oberammergau“ nennen. Denn was die Kalkarer Laienspieler uns dort vorführten und wie, das hätten ihnen so meisterhaft nicht die besten Berufsspieler nachgemacht. – Bis jetzt war ich noch jedesmal in Kalkar und es hat mir noch immer sehr gut gefallen. Jetzt folgen drei Ansichtskarten von dem Spiel:
[1] Zur Aufführung kam die „Calcarer Passion“, eine Sonderbearbeitung der Oetigheimer Ausgabe des Oberammergauer Textes, zu der im Sommer 1930 jeden Sonntag bis zu 6.000 Besucher kamen.
In der allgemeinen patriotischen Begeisterung über die anstehende Rheinlandbefreiung (30.6.1930) wollte man ursprünglich das Theaterstück „Wilhelm Tell“ von Friedrich von Schiller aufführen, berief sich dann aber auf die Wurzeln der Spielgemeinde und die Herkunft der Besucher aus dem gläubigen katholischen Volk des Niederrheins und der niederländischen Grenzprovinzen an Maas und Waal.
[2] s. Tagebucheintrag 10.7.1928
Drei Ansichtskarten:
Calcarer Passion 1930 – Jesus vor Pilatus
Calcarer Passion 1930 – Jesus vor dem hohen Rat
die dritte Karte fehlt
Rheinische Post vom 1. März 1951
RP_1951 (1)
Hans-Karl Seeger:
Karl Leisners Erlebnisse in Kalkar. In: Kalender für das Klever Land auf das Jahr 2002, Kleve 2001: 102–107
Kalender
Glossar
Esser, Karl
Karl Esser (* 4.11.1886 in Veen, † 4.12.1955) – Eintritt ins Collegium Borromaeum in Münster Ostern 1908 – Priesterweihe 8.3.1913 in Münster – Kaplan in Kalkar 8.1.1921 bis 15.8.1933 – danach Pfarrer in Mehr/Rees – Initiator u. unermüdlicher Motor der Freilichtspiele in Kalkar
Lippl, Alois Johannes
Alois Johannes Lippl (* 12.6.1903 in München, † 8.10.1957 in Gräfelfing) – Schriftsteller u. Theaterleiter – Verfasser spezieller Werke für die Laienspielbewegung
Macholin, Peter
Peter Macholin (* 1877, † ?) – Autor des Bühnenweihefestspieles „Parzival“ in drei Aufzügen 1928
Malburg, Philipp
Philipp Malburg (* ?, † ?) – Frankfurt/M. – Dramaturg, Spielleiter u. Hauptdarsteller bei den Kalkarer Freilichtspielen 1925
Monreberg bei Kalkar
Lage im Südwesten der Stadt – Höhe ca. 68 m ü. NN – Verlegung des dortigen Kollegiatsstiftes nach Kleve 1341
Nüdling, Ludwig
Ludwig Nüdling (* 26.2.1874 in Poppenhausen/Rhön, † 4.7.1947 in Motzlar) – Priesterweihe 1897 – Heimatdichter – Pfarrer von Aufenau 1907–1919
Parker, Louis
Louis Parker (* ?, † ?) – Autor des Biblischen Schauspiels „Joseph und seine Brüder“.
Schiller, Friedrich von
Johann Christoph Friedrich von Schiller (geadelt 1802) – (* 10.11.1759 in Marbach, † 9.5.1805 in Weimar) – Dichter, Dramatiker, Philosoph u. Historiker – Er schrieb 1799 „Das Lied von der Glocke“, 1801 „Die Jungfrau von Orleans“, 1803 „Die Braut von Messina“ und 1803/1804 „Wilhelm Tell“ sowie zahlreiche in der Lebens-Chronik erwähnte Gedichte.
Karl Leisner – Tagebücher und Briefe – Eine Lebens-Chronik, 5 Bände, Herausgegeben von Hans-Karl Seeger und Gabriele Latzel im Auftrag des Internationalen Karl-Leisner-Kreises (IKLK) unter besonderer Mitarbeit von Christa Bockholt, Hans Harro Bühler und Hermann Gebert, Kevelaer 2014
St. Nicolai in Kalkar
Errichtung der dreischiffigen Hallenkirche mit zwei parallelen Chören u. einem eingebauten Westturm 1230 – Brand 1409 – Einwölbung des Chores 1421 – umfassende Restaurierung um die Wende vom 19. Jh. zum 20. Jh. – nach dem Zweiten Weltkrieg Behebung der schweren Kriegsschäden
Teufelsschlucht bei Kalkar
Laut Legende entstand die Teufelsschlucht, als der Teufel mit einem Sack Sand über die Dörfer zog und ein Mensch ihm den Sandsack aufschnitt.
Wibbelt, Augustin
Dr. phil. Augustin Wibbelt (* 19.9.1862 in Vorhelm bei Ahlen, † 14.9.1947 ebd., beigesetzt in der Wibbeltkapelle auf dem Hof Wibbelt ebd.) – Eintritt ins Priesterseminar in Münster Ostern 1887 – Priesterweihe 26.5.1888 in Münster – Pfarrer in Mehr bei Kleve 1906–1935 – Pfr. i. R. in Vorhelm 3.5.1935 – Heimatdichter – Am 30.12.1997 wurde der Jakobus-Karl Leisner-Weg vom Schwesternhaus St. Michael Ahlen über die Wibbeltkapelle nach St. Jakobus Ennigerloh eingeweiht.
Wiesebach, Wilhelm
Pater Wilhelm Wiesebach SJ (* 14.2.1878 in Aachen, † 8.2.1929 in Frankfurt/M.) – Eintritt in die Gesellschaft Jesu 12.4.1899 in Blijenbeek/NL – Priesterweihe 25.8.1912 in Valkenburg/NL – Letzte Gelübde 2.2.1914
Wieser, Sebastian
Sebastian Wieser (* 1879, † 1937) – Neubearbeitung des Biblischen Schauspieles „Joseph und seine Brüder“ von Louis Parker – Aufführung bei den Kalkarer Freilichtspielen 1926
Wolfram von Eschenbach
Wolfram von Eschenbach (* um 1160/1180, † um 1220) deutschsprachiger Dichter – „Parzival“ gilt als sein berühmtestes Werk.
Quelle der Fotos: Karl Leisner-Archiv