Priesterweihe Karl Leisners vor 67 Jahren

Karl Leisners Priesterweihe im KZ Dachau war ein einzigartiges kirchliches, europäisches und ökumenisches Ereignis. Als Termin für die Weihe wählte man den 3. Ad­ventssonntag. Er trägt den Na­men „Gaudete – Freuet euch!“ Das paßte so recht zu der Freude über das bevor­stehende Ereignis.

Auf Initiative von Erzbischof Hippolyte Simon von Clermont im französischen Zentralmassiv, Nachfolger von Karl Leisners Weihebischof Gabriel Piguet, fand am 4. Advent, dem 19. Dezember 2004, in Da­chau anläßlich des 60. Jahrestages ein festlicher Got­tesdienst mit acht Bischö­fen aus vier Nationen und Hunderten von Pilgern, darunter circa 300 Franzosen, statt.

vorne von links: KZ-Priester Jean Kammerer und Hermann Scheipers, Bischöfe Franz Dietl, Benoît Rivière, Engelbert Siebler, Hippolyte Simon, Friedrich Kardinal Wetter, Ignacy Jeż (er sollte 2007 Kardinal werden, starb aber einen Tag vor der Ernennung), Adrianus van Luyn und Reinhard Lettmann, Diakon Peter Pfister

Es war Erzbischof Hippolyte Simon ein großes Anliegen, die Priesterweihe, die vor 60 Jahren geheim bleiben mußte, öffent­lich zu würdigen und so Karl Leisner und allen Inhaftierten das zurückzugeben, was man ihnen damals geraubt hatte. In diesem Sinne hielt er am Ende des Gottesdienstes folgende Ansprache:

Liebe Schwestern und Brüder!
Ich lade Sie zu ei­nem Au­genblick der Besinnung, der Meditation und des Gebe­tes ein. Wir wollen an alle Menschen den­ken, die zwischen 1933 und 1945 in die­sem Lager gelebt, gelitten, gebetet und ihr Leben geopfert haben für die Freiheit ihres Landes und für die Freiheit Europas.

Hören wir nun nach diesem Augenblick der Stille die Worte des Apostels Paulus aus seinem Brief an die Römer (8,35–39):

Was kann uns scheiden von der Liebe Chri­sti? Be­dräng­nis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? In der Schrift steht: Um deinetwillen sind wir den ganzen Tag dem Tod aus­gesetzt; wir werden behandelt wie Schafe, die man zum Schlachten bestimmt hat. Doch all das über­winden wir durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiß: Weder Tod noch Le­ben, weder Engel noch Mächte, weder Ge­genwärtiges noch Zukünfti­ges, weder Ge­walten der Höhe oder Tiefe noch ir­gendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.

Es mag Ihnen merkwürdig erscheinen, an diesem Ort diese Worte des Apostels Paulus zu hören. Wie kann man von Sieg sprechen, wenn wir uns an Men­schen erinnern, die unter den bekannten Um­ständen eingesperrt, gedemü­tigt und vernichtet wurden? Doch sehen Sie sich den Bischofsstab an, den Mgr Piguet bei der Prie­sterweihe von Karl Leisner trug. Schauen Sie sich genau an, was darin eingeschnitzt ist: „Victor in vinculis – Sie­ger in Fesseln“.

Sie sehen, nicht ich spre­che heute von Sieg, sondern der Häftling, der diesen Stab ge­schnitzt hat. Er deutete Karl Leisners Priesterweihe als einen Sieg Christi in Fesseln. Mgr Piguet sieht es ebenso. In seinem Buch „Gefan­genschaft und De­portation“ (S. 105) schreibt er:

Im Block der Priester erreichten die Freude und die Dankbarkeit gegenüber Gott ihren absoluten Höhe­punkt. Genau dort, wo das Priester­tum ge­demütigt worden war und wo es ausge­löscht werden sollte, war die göttli­che Vergel­tung deut­lich sichtbar ge­worden: Ein Prie­ster mehr war zum Priesterstand Christi geboren.

Gewiß haben Sie Bücher über diese Peri­ode des Nationalsozialismus gelesen. Vielleicht haben Sie schon Konzentrati­onslager in Europa besucht. Sie waren darauf eingestellt, daß in diesen Lagern schlechte Behandlungen, Demütigungen und Ge­waltakte stattgefunden haben. Um die Bedeu­tung der Inschrift recht zu verste­hen, bitte ich Sie, über folgende Frage nachzu­denken: Haben Sie jemals an die Siege gedacht, die die Häftlinge täglich errun­gen haben?

Diese Häftlinge waren sehr verschieden. Sie kamen aus allen Ländern Europas und hatten ganz unterschiedliche Religionen und Einstellungen. Unter ihnen befanden sich Deut­sche, Franzosen, Juden, Kom­munisten, Prote­stanten, Katholiken etc…, die unterschiedlichsten Men­schen. Aber eines hat­ten sie alle gemeinsam, sie haben dafür ge­kämpft, ihre Menschenwürde zu bewahren.

Wir laufen Gefahr, immer nur die dunkle Seite, das heißt Gewalt, Lüge und Barbarei zu erken­nen. Es wäre jedoch fatal, wenn wir auf Grund dieser Grausamkeiten nicht die gesamte Wirklichkeit sähen und wenn uns die Entfesselung von Ge­walt an der Menschenfreundlichkeit und Treue Gottes gegenüber seinen Getreuen zweifeln ließe. All das kann zu einer Prüfung unseres Glaubens werden. Aber wir müssen ge­nauer hinschauen. Bliebe unser Blick nur auf die dunkle Seite fixiert, so wäre das in gewisser Weise ein weiterer Sieg für die Henker.

Das ist es, was uns die Priesterweihe, die hier am 17. Dezember 1944 stattgefunden hat, zu ver­stehen gibt.

Natürlich sind alle Deportierten Opfer. Aber be­denken Sie, wenn Frauen, Männer, Erwachsene, Kin­der und Ju­gendliche deportiert wurden, dann geschah dies, weil sie sich geweigert haben, mit dem Nazire­gime zu paktieren. Auf Grund ihres moralischen und intellek­tuellen Unterscheidungs­vermögens, das höchsten Mut er­forderte, haben diese Menschen einen großen Sieg errungen, einen Sieg über Angst und Konfor­mismus, einen Sieg über Propaganda und Lüge.

Nachdem sie dann in diese Lager einge­liefert waren, haben sie allen Versuchen von Vernichtung und Ent­menschlichung widerstanden. Blicken Sie über die Brutalität der Henker hinaus, sehen Sie, wie die Häftlinge ein­fache Gesten der Brüderlich­keit und des Teilens gezeigt ha­ben. Sie wissen, mit solch einer schlichten Geste riskierte man sein Le­ben: Wenn man Kranken half oder ein Stück Brot mit je­mandem teilte. Man konnte in den Stehbunker ge­steckt oder ge­tötet werden, wenn man einem ande­ren Häftling ein Hostienteil­chen gebracht hatte. Obwohl sie sich dieser Kon­sequenz völlig bewußt waren, haben Tausende und Abertausende von Men­schen die Kraft gefun­den, diese Zeichen echter Menschlichkeit zu vollbringen. Und es waren he­roische Taten. Daher wäre es völlig ungerecht, all diese Zeichen, die wie Sterne in der Dunkelheit leuchten, völlig zu vergessen, denn sie sind un­end­lich eindrucks­voll.

An diesen heroischen Wi­derstand der Op­fer zu erinnern, bedeu­tet, ihnen Gerechtig­keit wider­fahren zu lassen, denn ihre so brüderli­che und menschliche Haltung verlangte unter den dama­ligen Existenzbe­din­gungen außeror­dentliche Wür­­­de und Mut. All das läßt uns die Prie­sterweihe, an die wir uns heute erinnern, verstehen. Auf Grund des zeitli­chen Ab­standes wird sie derart leuchtend, daß sie die Dun­kelheit, in der sie gefeiert wurde, überwindet. Diese Weihe zeigt uns die tiefe Be­deutung all des­sen, was inmitten der Kon­zentrationslager gelebt wurde. Sie birgt alle Gesten von Mensch­lichkeit und Brü­der­lichkeit in sich, welche die Op­fer zu Siegern macht. Wie das eu­charistische Brot alles Teilen in unserem täglichen Le­ben in sich birgt, so gibt uns diese Weihe zu verstehen, daß all die kleinen Licht­blicke in der Nacht der Konzentrationslager in Zu­sammen­hang stehen mit dem Sieg Christi über das Kreuz. Die Worte des Apostels Paulus haben sich hier bewahr­heitet:

Was kann uns scheiden von der Liebe Chri­sti? Be­dräng­nis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? In der Schrift steht: Um deinetwillen sind wir den ganzen Tag dem Tod aus­gesetzt; wir werden behandelt wie Schafe, die man zum Schlachten bestimmt hat. Doch all das über­winden wir durch den, der uns geliebt hat.“

In diesem Jahr haben wir uns an den 60. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie erin­nert. Im nächsten Jahr feiern wir den Sieg der Alli­ierten über das Naziregime. Für uns aber ist es wichtig, den 60. Jahrestag der Priesterweihe Karl Leisners zu feiern. Karl Leisner war zwar Opfer des Naziregimes, aber zugleich Sie­ger über dieses Re­gime. Zum einen auf Grund seiner kritischen Hal­tung ge­genüber Adolf Hitler schon im Jahre 1933. Zum anderen auf Grund seines Wi­derstandes, als er sich der Einflußnahme des Regimes auf die katholi­schen Jugendgruppen, für die er verantwortlich war, wi­dersetzte. Mit all sei­nen Landsleuten, die in­haf­tiert wurden, verkörpert er die Ehre und den Sieg des deutschen Volkes. In gleicher Weise verkörpern auch alle anderen Depor­tierten die Ehre und den Sieg ihres eigenen Landes. Ge­mein­sam verkörpern sie die Ehre und den Sieg der Menschheit.

Sehen Sie, wie die Priesterweihe Karl Leisners vorbereitet wurde. Dieses Wider­stands- und Kon­taktnetz, in dem Schwe­ster Imma Mack, die heute nachmittag in die Ehrenlegion aufge­nom­men wird, eine wesentliche Rolle spielte, stellt den Sieg der Kirche über ein Regime dar, das diese zum Schweigen bringen wollte, indem es alles daran­setzte, die Häftlinge ihrer Würde zu berau­ben. Es ist also sehr wichtig, daß wir uns an den spiritu­ellen Sieg dieser Menschen erin­nern. Denn dieser innere Sieg, der in dem Augenblick, als er erlebt wurde, vielleicht unbedeutend erschien, stellt uns deutlich vor Augen, daß der militärische Sieg der Alli­ierten nicht einfach nur ein militärischer war. Es war nicht nur der Sieg einer zahlenmäßig überlege­nen Macht über eine andere, sondern auch ein innerer Sieg, der bereits von all denen errungen war, die dem Ver­such der Zerstörung aller menschli­chen Werte in ganz Eu­ropa wider­standen haben.

Wenn wir heute das außeror­dentliche Pri­vileg genießen, eine Zeit des Friedens und der Versöh­nung in Europa zu erleben, so verdanken wir dies den Menschen, die in den Lagern die Kraft für gegenseitiges Verzeihen und Versöhnen gefun­den ha­ben. In dem Augenblick, als der französi­sche Bischof Mgr Piguet dem deutschen Diakon Karl Leisner in Anwesenheit von Priestern aus ganz Europa die Hände auf­legte, wurde der Keim für ein versöhn­tes Europa gelegt.

Wir wollen Christus danken, der gekom­men ist, un­sere Finsternis zu erhellen und uns vom Tode zu erlösen.