Reinhold Friedrichs‘ bedeutsame Priesterpersönlichkeit vor allem im KZ Dachau manifestiert sich in seinen eigenen Berichten sowie in Mitteilungen von Zeitzeugen, insbesondere in zahlreichen Zeugnissen von überlebenden KZ-Häftlingen.
Karl Leisner aus Dachau am 19. September 1941 an seine Familie in Kleve
Ihr Lieben daheim!
Euern lieben Brief vom 14.9. las ich gestern abend mit großer Freude. Besonders [Regens] Franckens[1] Gruß aus Münster. Grüßt ihn und unsern verehrten Chef [Bischof Clemens August Graf von Galen[2]] herzlichst von uns[, den Priestern aus dem Bistum Münster im KZ Dachau]. Besonders hat es mich gefreut zu hören, daß es meinem lieben Kamerad Friedrichs von dort so gut geht.[3] Durch ihn grüßt obige und auch Roth[4] herzlich.
[1] Prälat Dr. h. c. Arnold Francken (* 6.8.1875 in Kervenheim, † 31.3.1954) – Priesterweihe 9.6.1900 in Münster – Subregens im Priesterseminar in Münster 1908–1933 – Regens 8.11.1933 bis 1948 – Domkapitular 1923 – Päpstlicher Hausprälat 1936 – Apostolischer Protonotar 1948 – Bei seiner Beerdigung waren ca. 400 Priester an seinem Grab versammelt. Er schickte Pakete für Karl Leisner ins KZ Dachau.
[2] Clemens August Graf von Galen (* 16.3.1878 auf Burg Dinklage i. O., † 22.3.1946 in Münster) – Priesterweihe 28.5.1904 in Münster – Bischofsweihe zum Bischof für das Bistum Münster 28.10.1933. Am 18.2.1946 wurde er zum Kardinal ernannt und am 9.10.2005 in Rom seliggesprochen.
[3] Reinhold Friedrichs:
Als ich selbst am Namensfest der Muttergottes, am 12. September 1941, nach Dachau kam, war er [Karl Leisner] der erste, der sich besorgt meiner annahm. Heimlich drückte er mir fünf Mark in die Hand, damit ich mir das Notwendigste kaufen könne, und holte mir sein Stück Brot aus dem Spind. Almosen spendend wie ein Stephanus, ein Vater der Armen! (Friedrichs, Reinhold: Priesterweihe in Dachau. In: Hofmann, Konrad / Schneider, Reinhold / Wolf, Erik: Sieger in Fesseln. Das christliche Deutschland 1933–1945, Freiburg/Br. 1947: 32–38, hier 33, s. auch: Münchener Kirchenzeitung, Bistumsblatt der Erzdiözese München und Freising, Jahrgang 41, Nr. 26 vom 27.6.1948).
[4] Prälat Heinrich Roth (* 12.8.1899 in Oberhausen-Osterfeld, † 23.4.1972) – Priesterweihe 22.12.1923 in Münster – Mitglied des Reichsvorstandes des KJMVD 1932–1934 – Diözesanpräses des KJMVD 9.4.1934 – Domvikar 8.6.1934 – Wohnung 1936 Münster, Aegidiistr. 48 – Diözesanjugendseelsorger 1937/1938 – Rektor im Josefshaus in Münster 1941 – Spiritual im Priesterseminar in Münster 3.10.1949 – Generalassistent der Marienschwestern von Schönstatt 1959
Karl Leisner aus Dachau am Samstag, 30. Dezember 1944, an Bischof Clemens August Graf von Galen in Münster
Exzellenz, hochwürdigster Herr!
[…]
Die großen, heiligen Tage sind vorüber. Noch ist das Herz voll des neuen Glücks. Am Gaudetesonntag, 17.12., empfing ich hier in unserer Kapelle [im Block 26] die heilige Priesterweihe. Nach über fünf Wartejahren eine selige Gnadenstunde der Erfüllung. Aus ganzem Herzen danke ich nächst Gott Ihnen, daß Sie mir durch Ihr Jawort dies ermöglichten. Bischof Gabriel [Piguet[1]] von Clermont weihte mich. Der Hochwürdigste Herr Kardinal [Michael von Faulhaber[2]] hatte alles Nötige gesandt. Archidiakon[3] war Reinhold Friedrichs. Von 8.15 bis 10.00 Uhr früh dauerte die heilige Handlung.
[1] Bischof Gabriel Emmanuel Joseph Piguet von Clermont (* 24.2.1887 in Macon-sur-Saône/Saône-et-Loire/F, † 3.7.1952) – Priesterweihe 2.7.1910 in Paris (St. Sulpice) – Bischofsweihe zum Bischof für das Bistum Autun/Saône-et-Loire 27.2.1934) – Bischof von Clermont 11.3.1934 – Obwohl Verehrer von Marschall Philippe Pétain, widersetzte er sich während der deutschen Besatzung (1940–1944) den Nationalsozialisten. Er wurde am 28.5.1944 verhaftet und kam über das Gefängnis in Clermont-Ferrand und das KZ Natzweiler-Struthof am 6.9.1944 ins KZ Dachau und wurde am 4.5.1945 befreit.
[2] Dr. Michael Kardinal von Faulhaber (als bayerischer Bischof geadelt) – (* 5.3.1869 in Klosterheidenfeld, † 12.6.1952 in München) – Priesterweihe 1.8.1892 in Würzburg – Bischofsweihe zum Bischof für das Bistum Speyer 19.2.1911 – Wahlspruch „Vox temporis Vox Dei! – Der Ruf der Zeit ist Gottes Ruf!“ – Erzbischof von München und Freising 1917 – Kardinal 1921 – Später trug er entscheidend zur Durchführung von Karl Leisners Priesterweihe im KZ Dachau bei.
[3] damals Bevollmächtigter des Bischofs – heute lediglich Ehrentitel
Da P. Otto Pies SJ[1] Anfang 1945 wegen des Flecktyphus im KZ Dachau keinen Zugang zum Revier hatte, schrieb Karl Leisner ihm am Mittwoch, 3. Januar 1945, folgenden Brief nach Block 26 und ließ ihn durch einen Boten überbringen:
Mein lieber Otto!
[…]
NB Versuche bitte (über Bl Ä [Blockältesten[2] von Block 26 Reinhold Friedrichs] oder [Block-]Schreiber [Georg Schelling[3]]) für „blgd.“ frz. Confr. [auf beiliegendem Zettel genannten französischen Mitbruder] (hier auf St. [Stube] 4) Brev. [Brevier] und Missale aus Effekt. [Effektenkammer zu besorgen].
[1] Pater Dr. Johannes Otto Pies SJ (* 26.4.1901 in Arenberg bei Koblenz, † 1.7.1960 in Mainz) – Eintritt in die Gesellschaft Jesu 14.4.1920 – Priesterweihe 27.8.1930 – Am 31.5.1941 wurde er wegen eines Protestes gegen die Klosteraufhebung von der Gestapo verhaftet und am 2.8.1941 aus dem Gefängnis in Dresden ins KZ Dachau gebracht. Dort teilte er sich einen Spind mit Karl Leisner und kümmerte sich intensiv um den jungen Diakon. Von P. Otto Pies’ zahlreichen Veröffentlichungen sind die Biographie „Stephanus heute“ über Karl Leisner und das Gebetbuch „Im Herrn“ die bekanntesten.
[2] Blockälteste waren KZ-Häftlinge. In der ersten Zeit wurden für den Priesterblock Kommunisten für diese Aufgabe bestimmt.
Bedřich Hoffmann:
Von den Blockältesten hing es ab, ob sie den Häftlingen das Leben im Lager erleichtern oder es auf dem Block zu einer wahren Hölle machen wollten. Es gab eine Zeit, da wurden als Blockälteste und Stubenälteste der Pfarrerblocks die schlimmsten Leute ausgesucht. Da nahm das Schikanieren kein Ende. Wenn nach dem Abendappell die hungergequälten Häftlinge nach der Arbeit eines ganzen Tages sich kaum auf den Beinen halten konnten, fand Exerzieren eines ganzen Blocks statt. Die Geistlichen mußten marschieren und singen. Laufschritt machen, in die Hocke gehen, in der Hocke hüpfen usw. Unterdessen wunderte man sich auf den anderen Blocks, warum man diese Pfarrer wieder so herumjagt. Ein Verbot jagte das andere. Man durfte sich nicht auf dem Wege vor dem Block niederlassen, man durfte nicht rauchen, man durfte keinen Kantinenkauf machen. Dabei wußte man nicht, was dies alles sollte. Irgendein Vorwand fand sich ja immer. Die Blockgewaltigen waren Sadisten. Mit Vorliebe setzten sie den Geistlichen zu in Wort und Schlag (Übersetzung aus dem Tschechischen: Bistumsarchiv Speyer, Nachlaß Römer Nr. 58).
[3] Georg Schelling (* als Sohn eines Bergbauern 26.9.1906 in Buch bei Bregenz/A, † 8.12.1981 in Nenzing/A) – Priesterweihe 29.6.1930 in Innsbruck/A – 1934 wurde er mit der Redaktion des Vorarlberger Volksblattes betraut und auf Grund dessen am 21.3.1938 verhaftet. Er kam am 31.5.1938 ins KZ Dachau und dort in die Strafkompanie. Am 27.9.1939 kam er ins KZ Buchenwald und dort ebenfalls in die Strafkompanie. Am 8.12.1940 kam er erneut ins KZ Dachau, wurde dort am 16.(17.)3.1943 dritter Lagerkaplan als Nachfolger von Franz Ohnmacht und am 1.10.1944 Lagerdekan, außerdem war er Blockschreiber. Am 10.4.1945 wurde er aus dem KZ Dachau entlassen. Im Seligsprechungsprozeß für Karl Leisner hat er 1982 als Zeuge ausgesagt.
Reinhold Friedrichs kümmerte sich unter anderem auch um die Gestaltung der Lagerkapelle. Bei Karl Leisners Priesterweihe spielte er eine wichtige Rolle.
Johann Lenz[1]:
27. Februar 1944 – 1. Fastensonntag: Weihe des neuen Altarkreuzes aus Münster. Es war vermittelt durch H. Reinh. Friedrichs, den Fastenprediger dieses Jahres.[2]
[1] Pater Johann Nepomuk Lenz (* 7.4.1902 in Graz/A, † 16.7.1985 in Villach/A) – Eintritt in die Gesellschaft Jesu 7.9.1923 – Priesterweihe 26.7.1935 – Er kam als Dollfußanhänger und wegen der Reden gegen das Regime am 9.8.1940 ins KZ Dachau und war dort, mit einer kurzen Unterbrechung im KZ Mauthausen und im KZ Gusen, bis zur Befreiung am 29.4.1945. Die Gewährung seiner Bitte um Entlassung aus der Gesellschaft Jesu zog sich aus verschiedenen Gründen von 1940 bis zum 24.4.1950 hin. Am 23.6.1950 kam er ins Noviziat der Kalasantiner und legte am 25.6.1951 Ewige Profeß ab. Im August 1954 trat er aus der Gemeinschaft aus, um Weltpriester zu werden, aber keine Diözese konnte ihn recht verwenden. Er behielt den Titel Pater für sich persönlich bei. Zuletzt wirkte er als Einsegnungspriester in der Erzdiözese Wien. Ab Frühjahr 1979 lebte er bei einer befreundeten Arztfamilie in Villach. In seiner Todesanzeige heißt es: „Pater Johannes Maria Lenz, Ordenspriester und katholischer Schriftsteller“; das Direktorium der Erzdiözese Wien gedenkt seines Todes mit dem Vermerk „P. Johannes M. Lenz, Einsegnungspriester i. R.“.
[2] Lenz, Johann: Christus in Dachau oder Christus der Sieger. Ein religiöses Volksbuch und ein kirchengeschichtliches Zeugnis (mit 100 Bildern). Für Priester und Volk, Wien 61957: 316
Gerda Bockholt, Sekretärin von Reinhold Friedrichs in Münster 1946–1948, am 20. August 1990 an Wilhelm Haas[1]
Mein Vater erhielt es [das Bild von der Kapelle des KZ Dachau] von Herrn Domkapitular Friedrichs zugesandt als Beweis, dass das von meinem Vater übersandte Kreuz in der Kapelle seinen Platz gefunden hat.
Das Kreuz wurde in Münster von dem Bildhauer Bäumer[2] entworfen und in seiner Werkstatt ausgeführt. Der Sohn[3] des Herrn Bäumer – auch Bildhauer – wohnt in Münster, Am Kanonengraben 5 – In meiner Gegenwart wurde das Kreuz in ein extra angefertigtes Holzkästchen gelegt und da es unauffällig und schmal sein mußte, lassen sich die Querbalken mit den Armen durch eingelassene Holzdübel lösen und lagen eng an dem Mittelbalken. Ob das Päckchen direkt an das KZ Dachau an Herrn Friedrichs gesandt wurde, kann ich nicht sagen, ich weiß wohl, dass Herr Präses – wie wir ihn nannten – zeitweilig in der Poststelle des KZ eingesetzt war und wie er mir erzählt hat – ich war von 1946 bis 1948 bei ihm Sekretärin – einige Aufseher den Raum verlassen hätten, wenn mal besondere Post kam.
[1] Wilhelm (Willy) Haas (* 17.11.1914 in Rindern, † 27.12.1993 in Kellen) – Ab 1950 war er an der Overbergschule in Kellen (1969 Hauptschule) tätig, von 1959 bis zur Pensionierung am 1.7.1977 als Rektor. Er verlobte sich am 29.9.1946 mit Karl Leisners jüngster Schwester Elisabeth (* 14.8.1923, † 9. 9. 2014) und heiratete sie am 28.5.1947. Sie haben 9 Kinder. Neben zahlreichen anderen ehrenamtlichen Aufgaben wurde er 1975 Geschäftsführer des IKLK. Schon früh sammelte er Dokumente über Karl Leisner. Vor allem nach seiner Pensionierung setzte er im IKLK seine ganze Kraft für die Seligsprechung seines Schwagers ein.
[2] Heinrich Bäumer (* 8.9.1874, † 20.12.1951) – Münster, Am Kanonengraben 5 – Bildhauer – Er schuf vor allem religiöse Kunst und westfälische Volkskunst, darunter 1909 den im Zweiten Weltkrieg zerstörten Lambertibrunnen vor der gleichnamigen Kirche in Münster und das Kreuz für die Lagerkapelle im KZ Dachau.
[3] Heinrich Bäumer (* 9.9.1920, † 23.2.2011 in Münster) – Münster, Am Kanonengraben 5 – Bildhauer u. Bildschnitzer – Er schuf u. a. 1956 den neuen Lambertibrunnen.
Gerda Bockholt am 26. August 1990 an Wilhelm Haas
[…,] denn ein Paket in der Breite des Kreuzes einzupacken und zu übersenden wäre unmöglich gewesen. Auch die Haltung des Kopfes wurde damals besprochen, denn es ist nicht die übliche Haltung „Es ist vollbracht“ [Joh 19,30], sondern zeigt Hoffnung.
Das Kreuz hängt heute im Refektorium des Karmel Heilig Blut in Dachau.
* * * * *
Reinhold Friedrichs hat 1950 das Karl-Leisner-Jugendheim in Kleve eingeweiht.
Bericht der Rheinischen Post vom 24. Oktober 1950
Kalle-1
Fotos und Urkunden IKLK-Archiv