Reinhold Friedrichs‘ bedeutsame Priesterpersönlichkeit vor allem im KZ Dachau manifestiert sich in seinen eigenen Berichten sowie in Mitteilungen von Zeitzeugen, insbesondere in zahlreichen Zeugnissen von überlebenden KZ-Häftlingen.
Erster Brief von Heinrich Auer[1] an Reinhold Friedrichs
[1] Heinrich Auer (* 29.4.1884 in Köln, † 15.5.1951) – deutscher Historiker – Direktor der Bibliothek des Deutschen Caritasverbandes im Werthmannhaus in Freiburg/Br. 1911 bis zu seinem Tod – Er kam als politischer Schutzhäftling am 23.7.1943 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Trotz des Verbotes für Laien nahm er des öfteren am Gottesdienst in der Lagerkapelle teil.
Auera
Caritas-Bibliothek Freiburg i. Br., den 24. September 1946.
Freiburg i. Br. Werthmannplatz 4 Werthmannhaus[1]
Hochwürden
Herrn Domkapitular
Reinhold Friedrichs
Münster i. W.
Krummestr. 46
Lieber Freund!
Wie Du Dich erinnerst, hatte man Hans Carls[2] bei unserem Zusammensein in Lüdinghausen gebeten, ein Mitteilungsblatt für die geistlichen Kz-Häftlinge herauszugeben, und ich habe ihm schon mehrfach einiges Material dazu übersandt. Nun schreibt mir aber heute seine nächste Mitarbeiterin, die von begreiflicher Sorge um ihn erfüllt ist, und ohne sein Wissen, folgendes:
„Wenn das Arbeitstempo, welches von uns gefordert und geleistet wird, noch eine Zeit so weiter geht, dann sind wir alle reif für den Friedhof. Unser Herr Direktor Carls kann unmöglich weitere Aufgaben erfüllen, und ich sehe bezüglich seines Gesundheitszustandes mehr wie schwarz. Unser Herr Direktor dürfte sich wirklich nur für die Caritasaufgaben hier zur Verfügung stellen und müßte alles andere beiseite stellen.
Sie können sich gar nicht denken, welche Arbeiten durch den Zustrom der Flüchtlinge von uns gefordert werden. Ich schreibe Ihnen dieses natürlich ohne Wissen des Herrn Direktors. Sie würden aber wirklich ein gutes Werk tun, wenn Sie jede neue Arbeitsbelastung von ihm fernhalten würden.“
In Würdigung dieser Sachlage möchte ich Dich bitten, lieber Freund, die Herausgabe des Mitteilungsblattes selbst in die Hand zu nehmen, und ich hoffe gern, damit auch im Sinne unseres Freundes Hans Carls zu handeln, mit dem Du am besten in dieser Angelegenheit direkt von Dir aus die Verbindung aufnehmen wirst. (Neue Anschrift: Elberfeld, Auer Schulstr. 8.)
In diesem Zusammenhang kann ich Dir gleich eine Adressenänderung mitteilen: Pfarrverweser Maurath[3], Wallbach b/Säckingen (Baden). Er schreibt mir heute, daß er soeben diese kleine, aber feine Pfarrstelle erhalten hat.
Im nächsten Heft Nummer 8 der „Dokumente“ zweiter Jahrgang (1946), deren Auslieferung durch den Verlag Herder in Freiburg i. Br. wie durch die Zentralstelle des Borromäusvereins in Bonn, Wittelsbacherweg 9 erfolgt, wirst Du unter Nummer 43 einen Beitrag finden von Bischof Piquet[4]: Die Geistlichen im Konzentrationslager Dachau.[5] Dieser Beitrag ist leider voller Druckfehler. Der neue Redakteur dieser Sammlung, Alfons Erb[6], den Du sicher dem Namen nach kennst und der jetzt unter der Anschrift: Offenbach, Baden, Weingartenstr. 6 zu erreichen ist, besuchte mich dieser Tage und zeigte mir dieses Druckstück, in dem leider tolle Druckfehler stehen geblieben sind, ganz abgesehen von der sehr mangelhaften Übersetzung durch einen unfähigen Bearbeiter. Er selbst ist daran ganz unschuldig, da er erst vor wenigen Tagen die redaktionelle Arbeit an den „Dokumenten“ übernommen hat. Nicht einmal der Name des Bischofs ist richtig geschrieben.[7] Es ist höchst blamabel, daß der Verlag Herder auf diese ungenügende Übersetzungsarbeit hereingefallen ist und sie in der so ungenügenden Form in Druck gegeben hat. Das betreffende Heft erscheint in den nächsten Tagen. Dies nur zu Deiner Information.
Mit vielen herzlichen Grüßen bin ich
stets Dein getreuer
Auer
[1] Die Zentrale des Caritasverbandes befindet sich im „Werthmannhaus“.
[2] Caritasdirektor Hans Carls (* 17.12.1886 in Metz/Moselle/F, † 3.2.1952 in München) – Priesterweihe 24.6.1915 in Köln – Caritasdirektor in Wuppertal 1924 – Er kam wegen staatsgefährlicher Predigten am 13.3.1942 ins KZ Dachau und dort später wegen Beförderung von Schwarzpost in den Bunker. Am 29.4.1945 wurde er aus dem KZ befreit. 1947 gab er als erster die „Stimmen von Dachau“ heraus.
[3] Geistlicher Rat Ferdinand Maurath (* 28.6.1908 in Bühl/Baden, † 5.7.1993) – Priesterweihe 30.4.1933 in Freiburg/St. Peter – Er kam wegen Sendung von Bibeln an Soldaten am 2.8.1941 ins KZ Dachau, war dort ab 1943 als Hilfspfleger im Krankenrevier, Block 7/2, tätig, wobei ihm sein früheres Medizinstudium zugute kam, und wurde am 9.4.1945 entlassen. Vor der KZ-Zeit hat er vermutlich Exerzitien bei P. Otto Pies SJ gemacht. Im Martyrerprozeß für Karl Leisner hat er 1990 als Zeuge ausgesagt.
[4] Bischof Gabriel Emmanuel Joseph Piguet von Clermont, * 24.2.1887 in Macon-sur-Saône/Saône-et-Loire/Frankreich, † 3.7.1952; Priesterweihe am 2.7.1910 in Paris (St. Sulpice); Bischofsweihe zum Bischof für das Bistum Autun/Saône-et-Loire am 27.2.1934; Bischof von Clermont ab 11.3.1934. Obwohl Verehrer von Marschall Philippe Pétain, widersetzte er sich während der deutschen Besatzung (1940–1944) den Nationalsozialisten. Er wurde am 28.5.1944 verhaftet und kam über das Gefängnis in Clermont-Ferrand und das KZ Natzweiler-Struthof am 6.9.1944 ins KZ Dachau und wurde am 4.5.1945 von den Amerikanern auf der Evakuierungsfahrt vom 24.4.1945 nach Südtirol in Niederdorf/Villabassa/I befreit.
[5] Artikel
[6] Alfons Erb (* 4.11.1907 in Essen, † 24.12.1983 in Freiburg/Br.) – Publizist u. Gründer des Maximilian-Kolbe-Werkes
[7] Hier irrt Heinrich Auer. Die Schreibweise „Piguet“ ist richtig.
* * * * *
Zweiter Brief von Heinrich Auer an Reinhold Friedrichs
Auerb
Caritas-Bibliothek Freiburg i. Br., den 14. Januar 1947
Freiburg i. Br. Werthmannplatz 4 Werthmannhaus
Sr. Hochwürden
Herrn Domkapitular Reinhold Friedrichs
Münster i. /W.
Krummestr. 46
Mein lieber Friedrichs!
In der Fülle der Arbeit, die ich nach den Feiertagen, während deren ich abwesend war, hier vorfand, komme ich leider erst heute dazu, Dir mit herzlichem Dank den guten Empfang Deiner lieben Weihnachtskarte zu bestätigen, und ich beeile mich, diese Wünsche zur Jahreswende aufs herzlichste zu erwidern.
Gern bin ich bereit, Dich in Bezug auf unsere Spezialliteratur auch weiterhin auf dem laufenden zu halten. Hoffentlich hast Du persönlich gute Beziehungen in Frankfurt am Main, dann lasse Dir unbedingt das sehr aufschlussreiche Buch von dort kommen:
Kogon, Eugen: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager.
Verlag: Frankfurt am Main, Verlag der „Frankfurter Hefte“. Preis RM 8, – – [1]
Von Hans Carls ist auch kurz vor Weihnachten sein Buch, das bei J.P. Bachem in Köln erschien, herausgekommen, aber die Auflage war zweimal überzeichnet, da die Erstauflage nur 5000 Stück betrug, sodaß alle Exemplare bereits vergriffen sind, und bei der derzeitigen Papierknappheit besteht wohl auch in der britischen Zone wenig Aussicht darauf, daß das Buch wieder neu herauskommt, aber vielleicht versuchst Du doch einmal bei ihm anzubohren. Seine Anschrift lautet: Caritasdirektor Hans Carls, Wuppertal-Elberfeld, Auerschulstraße 8.
Carls, Hans
Dachau. Erinnerungen eines katholischen Geistlichen aus der Zeit seiner Gefangenschaft 1941–1945, Köln 1946
Um Dir aber entgegenzukommen, möchte ich Dir leihweise gern das beifolgende Buch „Das aufgebrochene Tor“[2] übersenden, das eine Anzahl Predigten enthält, die in Dachau gehalten wurden, mit einer Leihfrist bis zum 1. Februar: d. h. am 31. Januar spätestens muß Du das Buch wieder als eingeschriebene Sendung an mich zurückschicken, da ich ja dauernd um Überlassung solchen Materials gebeten werde.
An der Schwelle des neuen Jahres entbiete ich Dir nochmals meine herzlichen Wünsche für Deine Person wie für Dein priesterliches Wirken und verbleibe in treuer Kameradschaft und mit vielen herzlichen Grüßen
stets Dein getreuer
Auer.
Eugen Kogon: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. Frankfurt/M: 1946
Eugen Kogon: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. München: 1946
Eugen Kogon (* 2.2.1903 in München, † 24.12.1987 in Königstein/Taunus) – Publizist, Soziologe u. Politikwissenschaftler – einer der intellektuellen Väter der Bundesrepublik Deutschland
[2] Martin Niemöller: Das aufgebrochene Tor. Predigten und Andachten gefangener Pfarrer im Konzentrationslager Dachau. München 1946
Martin Niemöller (* 14.1.1892 in Lippstadt, † 6.3.1984 in Wiesbaden) – Heirat mit Else Niemöller, geb. Bremer (* 20.7.1890, † 7.8.1961) 20.7.1919 – evangelischer Theologe – als Seeoffizier Kommandant eines U-Bootes im Ersten Weltkrieg – Theologiestudium in Münster 1919 – Pfarrer in Berlin-Dahlem 1931 – Er rief im Herbst 1933 zur Gründung eines Pfarrer-Notbundes auf, der sich gegen die Ausgrenzung von Christen jüdischer Herkunft aus dem kirchlichen Leben und gegen die Verfälschung biblischer Lehre durch die nationalsozialistischen Deutschen Christen wehren sollte. Aus diesem Notbund ging die Bekennende Kirche hervor. Er zählte zu deren aktivsten Mitgliedern. Die Entlassung von evangelischen Geistlichen jüdischer Herkunft lehnte er ab. Ab 1934 stand er unter Beobachtung der Geheimen Staatspolizei. Er wurde am 1.7.1937 verhaftet, Anfang 1938 zu sieben Monaten Festungshaft verurteilt und anschließend als persönlicher Gefangener Adolf Hitlers ins KZ Sachsenhausen gebracht. Am 11.6.1941 kam er ins KZ Dachau in den „Ehrenbunker“. Am 4.5.1945 wurde er auf der Evakuierungsfahrt vom 24.4.1945 nach Südtirol in Niederdorf/Villabassa/I befreit. Nach Ende des Krieges war er führend an der Neuordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beteiligt. Von 1947–1964 war er Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, 1954 Präsident der Deutschen Friedensgesellschaft, 1961 Präsident des Ökumenischen Rates der Kirchen, und ab 1976 bekleidete er das Amt des Ehrenvorsitzenden dieser Institution. Als überzeugter Pazifist war er bis zu seinem Tod in der Friedensbewegung tätig.
Fotos und Briefe IKLK-Archiv