Reinhold Friedrichs‘ bedeutsame Priesterpersönlichkeit vor allem im KZ Dachau manifestiert sich in seinen eigenen Berichten sowie in Mitteilungen von Zeitzeugen, insbesondere in zahlreichen Zeugnissen von überlebenden KZ-Häftlingen.
Brief von Winfried Ernst Riedl[1] an Reinhold Friedrichs
[1] Pater/Bruder Winfried (Ernst) Riedl OSB (* 13.10.1904 in Volgrasdorf – Diözese Königgrätz/Hradec Králové/Tsch/CZ, † ?) – Eintritt bei den Benediktinern – Pater oder Bruder – Er kam wegen Schwächung der inneren Front am 11.7.1942 ins KZ Dachau und wurde beim Evakuierungsmarsch vom 26.4.1945 befreit.
Riedel
Eisenärzt-Neustadln, am 14.10.46
Blockältester 26 !!!!
Lieber Freund und Leidensgenosse von Dachau.
Eine grössere Freude konnte mir wahrhaftig nicht gemacht werden, als dass ich heute ein Schreiben erhielt, wo mir Deine Adresse angegeben wurde. Ich schrieb nach Münster, weil ich wusste, dass etliche Kameraden der Dachauer Zeit von dort waren, aber ich hatte keinerlei Adresse.
Link zu KZlern aus dem Bistum Münster
Somit bin ich glücklich, nun doch eine alte Verbindung mit Euch wieder zu haben. Wie bist du denn nach Hause gekommen?[1] Wie hast Dich wieder eingelebt? Ich selbst bin wie Du Dich etwa noch erinnern kannst, wegen Pf. Lenz[2] am 18. Feber 1945, nachdem ich die 25 erhalten[3] hatte, strafweise nach Blaichach[4] kommandiert worden, von da wurden wir durch die Franzosen befreit.
Am 15. Juli 1945 bin ich in meiner Heimat Karlsbad eingetroffen und leitete als langjähriger Häftling den Antifaschistischen Ausschuss, bis zu meiner am 28. August 1946 erfolgten Aussiedlung, die alle Deutschen betroffen hat.[5] Es war für mich ein schweres Amt, da ich kein Kommunist bin und von der Behörde eben nur als Deutscher gewertet ward.
Wie die Cechen in unserer schönen Heimat gewütet haben und wie sie dieselbe versaut haben, das kann niemand in Worte kleiden.
Wenn man auch beinahe alles verloren hat, so ist es doch ein angenehmes Gefühl unter lauter Deutschen wieder leben zu können.
Diese so herrlich schöne Gegend, in welcher mein jetziger Aufenthaltsort sich befindet, lässt einen den Verlust der Heimat nicht so spüren.[6]
Not und Hunger wird ja bald überall sein und das muss man halt ertragen, es wird ja besser auch wieder werden.
Hast Du keine Ahnung wo sich der Theo befindet? Weisst der Missionär der in Afrika war und dann der Adolf Menz sein Verwandter, er war Professor und hat fleissig Sprachen studiert und war auch auf Block 26. Dann fehlt nur noch der Pf. Reuss. Die alle stammen aus dortiger Gegend.[7]
An Dich hatte ich schon vor einem Jahr mal geschrieben von der Cechei aus. Ich gab den Brief einem Ammy mit nach Deutschland. Der Brief war nach Münster gerichtet natürlich ohne nähere Adresse, leider erhielt ich keine Antwort was nach den damaligen Umständen leicht möglich war, umso überraschter ist mir die heutige Bekanntgabe Deiner Anschrift und ich schreib Dir vor lauter Freude auf der Stelle.
Pf. Bochina Hiro.[8] Ist in Podersam C.S.R. [Tschechoslowakei] und ist schon wieder gut beisammen. Nur ist er halt jetzt sehr cechenfreundlich, was nicht wundert, da er ja Pole von Geburt ist. Pf. Langhans[9] ist in Böhmisch Kamnitz und siedelt nach Österreich aus. Mit Schmitz Richard [* 14.12.1885, † 27.4.1954] aus Wien, dem ehemaligen Bürgermeister aus Wien[, der von 1938 bis zum 4. Mai 1945 im KZ Dachau war,] bin ich in reger Postverbindung und wir gedenken der einstigen alten Devise: Viribus unitis [(lat.) = mit vereinten Kräften].[10] Fest glauben wir dass dies nochmal kommen wird. Die Konturen sind nicht so schwer zu erkennen.
Ich selbst wohne da in einer Einöde und das ist mir recht vorderhand, da kann ich meine Nerven beruhigen denn die Cechenzeit war auch schrecklich.
Solltest Du lieber Freund die alten Wäsche-Kunden von mir mal treffen, so bitte grüsse alle. Wenn ich Dir ausser [in] materieller Hinsicht was helfen könnte, täte ich sehr gerne, doch in jetzigen Verhältnissen und zu dieser momentanen Zeit, ist es mir nicht gut möglich und ich hoffe dass dieses eines Gedenkens meinerseits wie Deinerseits der Freundschaft keinen Schaden hinterlässt. Es ist mir wohl noch in guter Erinnerung dass ich Dein Schuldner noch aus dem Lager bin.
Vielleicht brauchst du Zwirn oder Seidenfaden das habe ich mitgebracht aus der Cechei und auch Schuhdechsen und Gummiabsätze, da kann ich Dir für Deinen persönlichen Gebrauch was abgeben.
Schreibst mir halt mal wie es Dir geht damit ich auch weiss wie es den guten Kameraden gelungen ist sich wieder einzurichten.
Bin noch nicht solange hier aber bei mir treffen sich alle guten Kameraden aus hiesiger Gegend. Sogar von München kommen sie zu mir.
Am Anfang nächsten Monat haben wir bei mir ein kleines Treffen. Ich habe für jetzige Verhältnisse eine große Wohnung und da ist Platz. Kannst Du Dich noch an den Blockältesten Frey Karl[11] erinnern? Der war ja auch mal auf Bl. 26, der kommt öfters zu mir wenn er es satt hat mit dem heutigen Gehetze.
Hast Du schon Deinen K.Z. Pass? Es ist wichtig, dass Du ihn hast, gerade Du für Dich. Wenn Du noch keinen hast und Du es willst, so werde ich Dir ihn versorgen da ich mit der Prüfungsstelle in Verbindung bin.
Nun sei einstweilen auf das beste gegrüsst und lasse bald mal was hören von Deinem
dankbaren Paul Riedel
Riedl
Adresse: P.R. Eisenärzt-Neustadln Nu 4 bei Traunstein Bayern
[1] Reinhold Friedrichs war am 5.4.1945 aus dem KZ Dachau entlassen worden und war zunächst im Benediktinerkloster St. Bonifaz in München, am 7.4. im Kloster St. Clara in Freising, am 11.4. in Haar-Zorneding im Landkreis Ebersberg und am 12.4. in Rosenheim untergekommen, wo er als Subsidiar wirkte. Am 4.10.1945 kehrte er nach Münster zurück.
[2] Pater Johann Nepomuk Lenz (* 7.4.1902 in Graz/A, † 16.7.1985 in Villach/A) – Eintritt in die Gesellschaft Jesu 7.9.1923 – Priesterweihe 26.7.1935 – Er kam als Dollfußanhänger und wegen der Reden gegen das Regime am 9.8.1940 ins KZ Dachau und war dort, mit einer kurzen Unterbrechung im KZ Mauthausen und im KZ Gusen, bis zur Befreiung am 29.4.1945. Die Gewährung seiner Bitte um Entlassung aus der Gesellschaft Jesu zog sich aus verschiedenen Gründen von 1940 bis zum 24.4.1950 hin. Am 23.6.1950 kam er ins Noviziat der Kalasantiner und legte am 25.6.1951 Ewige Profeß ab. Im August 1954 trat er aus der Gemeinschaft aus, um Weltpriester zu werden, aber keine Diözese konnte ihn recht verwenden. Er behielt den Titel Pater für sich persönlich bei. Zuletzt wirkte er als Einsegnungspriester in der Erzdiözese Wien. Ab Frühjahr 1979 lebte er bei einer befreundeten Arztfamilie in Villach. In seiner Todesanzeige heißt es: „Pater Johannes Maria Lenz, Ordenspriester und katholischer Schriftsteller“; das Direktorium der Erzdiözese Wien gedenkt seines Todes mit dem Vermerk „P. Johannes M. Lenz, Einsegnungspriester i. R.“.
[3] Die Gefangenen mußten sich auf den Bock legen und bekamen mit einem Ochsenziemer 25 od. 40 Schläge. Sie mußten selber zählen, verzählten sie sich, mußten sie von vorne beginnen. Viele überlebten diese Tortur nicht. Manche Mithäftlinge opferten ihr kostbares Stückchen Margarine, um damit die Wunden der Geschlagenen zu behandeln.
[4] Blaichach im Oberallgäu war ein Außenlager des KZ Dachau, in dem 730 Männer inhaftiert waren, die für die Bayrischen Motorenwerke (BMW) in der Rüstungsproduktion Zwangsarbeit verrichten mußten.
[5] Siehe Link zur „Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei“.
[6] Eisenärzt-Neustadln liegt im Landkreis Traunstein in Bayern.
[7] Zu den genannten Personen wurden keine näheren Angaben gefunden.
[8] Hieronim Bochnia (* 29.9.1889 in Stefanshein/PL, † 16.6.1952) – Priesterweihe am ? – Er kam wegen Polensorge am 31.1.1941 ins KZ Dachau und wurde am 4.4.1945 entlassen.
[9] Alois Langhans (* 8.5.1902 in Lindau, † ?) – Priesterweihe am ? – Er kam wegen Hetze gegen Partei und Staat am 13.12.1940 ins KZ Dachau und wurde am 6.4.1945 entlassen.
[10] Wahlspruch des Kaisers Franz Joseph I. von Österreich (1830–1916)
[11] Karl Frey, geboren 1900, war bereits 1933 als politischer Gegner im KZ Dachau inhaftiert und wurde im Mai 1935 als „Zweitmaliger“ eingeliefert. Als Stubenältester im Strafblock und als Blockältester im Block 26 (Pfarrer-Block) beziehungsweise im Block 22 genoss er bei seinen Mithäftlingen großes Ansehen. Er versuchte, die Gefangenen zu schützen, und verweigerte auch das von der SS angeordnete Schlagen von Häftlingen auf dem Prügelbock. Wenige Tage vor der Befreiung gelang ihm die Flucht aus dem Lager.
Foto und Brief IKLK-Archiv