Reinhold Friedrichs – Blockvater im KZ Dachau auch für Karl Leisner (34)

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Reinhold Friedrichs‘ bedeutsame Priesterpersönlichkeit vor allem im KZ Dachau manifestiert sich in seinen eigenen Berichten sowie in Mitteilungen von Zeitzeugen, insbesondere in zahlreichen Zeugnissen von überlebenden KZ-Häftlingen.

 

 

 

Brief von Rudolf Hubert[1] an Reinhold Friedrichs

[1]  Rudolf Hubert (* 24.6.1896 in Zwitte/Svitava/CZ, † ?) – Priesterweihe am ? – Er kam wegen Schul­un­ter­richtes, Pre­digten und Pri­vat­ge­sprä­chen am 2.6.1944 ins KZ Dachau und wurde auf dem Evaku­ie­rungs­marsch vom 26.4.1945 befreit.

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Laudetur Jesus Christus [Gelobt sei Jesus Christus].
Carissime! [Teuerster!]                                          Kryry [/CZ (dt. Kriegern)] 28. Juli 1952.
Hochwürdiger Herr Domkapitular!
Endlich finde ich Zeit [dem] hochwürdigen Herrn Domkapitular, Dir, [dem] lieben Kazetkameraden und sehr verehrten Stubenältesten, eine eingehendere Nachricht vom Tode des seligen Hieronymus Bochnia[1] zu senden.
Als im März 1945 der selige Bochnia aus dem KL Dachau entlassen wurde, da sagte er den Abend vorher bei Tisch: „Wenn ich morgen entlassen werde, wo gehe ich hin?“ In seine alte Geburtsheimat nach Oberschlesien konnte er nicht, als er verhaftet wurde, war er Administrator, die Pfarre war besetzt, für einen anderen Posten konnte er sich nicht entschliessen, da habe ich ihn gebeten, gehe nach Kriegern in meine Pfarre und grüsse alle von mir, dort bleibst Du, solange es Dir gefällt. So kam Bochnia in meine Pfarre.
Am 26. April war der Transport aus dem Lager.[2] Wendolsky[3] und auch andere rieten mir ab, Kontrolle war keine und so manche verschwanden wieder auf dem Block. Mich beseelte nur der eine Gedanke, hinaus aus dem Drahtverhau, dann weiss ich schon, was ich tun werde. Erst am 30. April gerade um Mitternacht konnte ich innerlich aufjubeln, ich bin wieder frei. Anfangs hatte ich die Absicht, ich wandere weiter nach Tirol, sind nur noch an die hundert Kilometer und dort habe ich aus meiner Militärzeit genügend Bekannte. Die Leute rieten mir aber ab, da an die zwei Meter hoch der Schnee lag, dann wurde in den Bergen immer noch gekämpft. Auf einmal packte mich am 3. Mai das Heimweh und so nahm ich Direktion — Kriegern. Habe einen Fußmarsch von 700 Kilometern zurückgelegt. Meine Wanderung ging über München, Freising, Regensburg, gegen den Böhmerwald nach Marienbad, Karlsbad und die letzten 58 Kilometer [bis] Kriegern. Habe mich die ganze Zeit so durchgebettelt. Gab unseren Mitbrüdern so Gelegenheit — Werke der Barmherzigkeit zu üben. Als ich in Freising eine Herberge suchte, traf ich dort einen alten Kameraden aus dem KL Dachau. In einem Waisenhaus fand ich eine Bleibe. Dort hatte ich noch ein Erlebnis. Ich wurde zum hochwürdigsten Herrn Generalvikar [Ferdinand Buchwieser[3]] der Diözese gerufen. Stellte mich vor und erzählte von meiner Heimwanderung. Der hochwürdigste Herr Generalvikar bot mir sofort eine Seelsorgestelle an und riet mir ab nach Böhmen zurückzukehren, da dort die Deutschen aus dem Lande ausgewiesen werden.
Im KL Dachau hatte ich schon von tschechischen Mitbrüdern so etwas reden gehört, offengestanden konnte ich mir aber nicht vorstellen, dass es so etwas geben kann, dass die Menschen von Haus und Hof verjagt werden können, jetzt im zwanzigsten Jahrhundert.
Mir lies es keine Ruhe, ich wanderte frohgemut weiter. Je näher ich der Grenze kam, traf ich immer wieder auf Menschen, die schon flüchteten. Die grausigen Berichte konnten mich von meinem Ziel nicht abhalten. Wohl sah ich schon manches bestätigt auf meiner Wanderung, gerade am letzten Mai traf ich in meiner Seelsorgsgemeinde ein, hielt noch die letzte Maiandacht.
Bochnia und einen anderen Flüchtlingsgeistlichen traf ich in meiner Pfarrei an. Die weitere Zeit Dir, hochverehrter Stubenvater, zu schildern, würde ein starkes Buch ausmachen.
Seit Juli 1945 habe ich sieben Pfarrgemeinden zu betreuen. In zwei Pfarrgemeinden half mir ja der selige Hieronymus [Bochnia] aus, wie es ihm gesundheitlich möglich war. Seit 1947 war er jedes Frühjahr an Lunge oder Herz erkrankt. 1947 habe ich tatsächlich beobachtet, wie ihn ein mir bekannter Arzt aus den Klauen des Todes entrissen hat.
Er hatte gerade das Bewusstsein beim Versehen, dann war er mehr drüben [im Himmel] als hier. Der Arzt wandte alle seine Erkenntnisse an, nach drei Tagen trat Besserung ein. Weihnachten 1950 setzte am 26. Dezember ein Herzkollaps ein. Er hatte abends im Krankenhaus in der Bezirksstadt ausgeholfen. So war zum Glück durch die Ärzte gleich fachmännische Behandlung da, die geistlichen Schwestern betreuten ihn ja auch mit aller Aufopferung. Mir fiel auf, dass er am 27. Dezember nicht zurückgekommen war. Am 28. Dezember riefen mich die Schwestern an, ich möchte gleich hinkommen. Hieronymus wollte diesmal nicht im Krankenhaus bleiben. Es war sehr kalt und lag ziemlich hoch Schnee. Am 29. Dezember fand ich ein Auto und holte ihn ab. Er musste an die hundert Schritte bis zum Auto zu Fuss gehen, damals fürchtete ich schon, dass er mir stirbt. Das Asthmaleiden plagte ihn furchtbar. Silvester noch in der Nacht holte ich mir aus der Kirche die hl. Öle. Gott sei Dank erholte er sich wieder.
Im Mai dieses Jahres [1952] war er in der Residenz zu einer Schulung. Es waren gerade recht kalte Tage, da hat ihn oft gefroren und [er] kam mit starkem Husten zurück. Es ging ihm wieder besser. Am zehnten Juni musste ich die hiesige Ärztin rufen, da hatte er starke Herzschmerzen, doch waren es die Ausstrahlungen von der erkrankten Leber und Niere. Die Ärztin riet sofort Krankenhauspflege an. Ich schaffte ihn ins Krankenhaus. Besuchte ihn am anderen Tag, da war es besser, doch war es nur die Auswirkung der Injektion. Am 14. Juni war ein alter Studienfreund bei ihm, da konnte er mit ihm noch sprechen, musste aber schon die Worte zusammensuchen. Sonntag, am 15. Juni, war er recht apatisch. Am 16. Juni um 5 Uhr nachm. schied er von dieser Welt.
Wie gern wollte er nochmals zu seinen noch lebenden Schwestern nach Polen, doch gab es immer Schwierigkeiten bei der Beschaffung eines Passes.
Elf Mitbrüder waren zur Beerdigung gekommen. Die Beteiligung und Trauer um den eifrigen Seelsorger besonders aus den zwei Gemeinden, wo er mir ausgeholfen hat, war ausserordentlich gross.
Mir kommt der liebe Hieronymus sehr zum fehlen.
Mit inniger Verehrung hing er an Dir, wie freute ihn jedes Mal eine Nachricht von Dir. Der liebe Herrgott ist ihm der reichste Vergelter.
Eine eigene, selbstständige Pfarrei mochte der selige Hieronymus nicht, es war auch gut so, was hätte er hungern müssen, denn mit Geld konnte er nicht umgehen. Was er halbwegs übrig hatte, verschenkte er.
An mich wirst Du, lieber Blockvater, Dich nicht mehr so erinnern können. Ich kam auf den Block [26 im] März 1944. Mit meinem kranken, operierten Magen war ich übel daran. In liebenswürdigster Weise sagten mir damals liebe Mitbrüder, mach Dich bekannt mit dem Kamin [des Krematoriums]. Zweimal war ich recht elend, bin aber nie in einer Krankenbaracke gelegen.
Wenn ich den Vergleich ziehe die Anforderung bei Euch in der Seelsorge und was ich hier über habe. Bin jetzt dreissig Jahre in der Seelsorge. Vom Jahre 1924 hatte ich bis zu meiner Verhaftung 1944 zu meist 40 Unterrichtsstunden in der Woche und an die hundert Kilometer Wege. Jeden Sonntag Bination [zwei Messen] auch bisweilen Trination [drei Messen].
Seit zwei Jahren darf ich hier wieder unterrichten, wöchentlich 36 Unterrichtsstunden und dreissig Kilometer Wege. Sonntag Trination, 6 Predigten, da wir seit vorigem Jahr auch wieder deutsch predigen dürfen für die Reste, die noch da sind, und zumeist 50 Kilometer Wege per Rad oder zu Fuss.
Seit Mai habe ich bisweilen viermal zu zelebrieren. Um halb sieben Uhr fahre ich auswärts, vor halb acht kommen Gläubige zur hl. Beicht, 8 Uhr hl. Messe. Dann 3 Kilometer weiter in eine andere Pfarrei, dort nach 9 Uhr, zurück in meine Pfarrei um halb elf Uhr. In zwei weiteren Ortschaften ist wirklich religiöses Interesse, ich fühle mich in meinem Beruf verpflichetet, dieses wach zu halten, da fahre ich dann nach ein Uhr nochmals auswärts, eine Ortschaft ist 6 Kilometer und die andere Pfarrei fünfzehn Kilometer von hier entfernt. Hier wird abgewechselt.
Bis 1945 hatte ich in meiner Seelsorgsgemeinde nur Katholiken. Kriegern dreitausend. Seit Juni 1945 habe ich aber hier alle möglichen Confessionen, von der einstigen Bevölkerungszahl dürften nur an die 50% jetzt da sein, davon an die sechshundert Katholiken.
Offengestanden muss ich dem lieben Herrgott innigst danken, dass er mich so stärkt in meiner Arbeit. 75–80 Arbeitsstunden bringe ich in der Woche in meinem Beruf zusammen. Bitter ist nur für mich, dass ich nicht perfekt die tschechische Sprache beherrsche. Ich kann mich verständigen, doch für die Predigt gehört schon eine Feinheit der Sprache. Die Gläubigen verstehen mich und sind mit mir zufrieden.
Ich sehnte mich nach einer Ausspannung. Meine Brüder sind alle fort, die habe ich seit 8 Jahren nicht mehr gesehen. Habe mich um einen Pass bemüht, doch ist zur Zeit keine Hoffnung.
Carissime [Teuerster]! Lieber Blockvater, schliesse mich öfters in ein Memento [Gebetsgedenken] ein.
Von den alten, bekannten Kl Kameraden ist meines Wissens nur noch Augst[4] hier, der ist
körperlich auch ganz aufgearbeitet.
Nun Gott befohlen! Grüsse mir all die lb. KL Kameraden.
In der Liebe und Gnade unseres göttlichen Meisters grüsst Dich , lieber Blockvater, in dankbarer Verehrung Dein
Rudolf Hubert, dhs

Deinen Brief vom 27. Juni 1952 erhalten.
Ich sende Dir eine Aufnahme von meiner Kirche mit. Mich selbst kannst Du nicht sehen. Bin Celebrant – auf den beiden anderen Aufnahmen zumeist rückwärts.

Rudolf Hubert
Pfarrer
Kriegern – Podesau [Podersam]
Diöz. Leitmeritz (CSR)

[1] Hieronymus Bochnia (* 29.9.1889 in Stefanshein/PL, † 16.6.1952) – Priesterweihe am ? – Er kam wegen Polenseelsorge und Sorge für polnische Kriegsgefangene am 31.1.1941 ins KZ Dachau und wurde am 4.4.1945 entlassen.
[2] Evakuierungsmarsch aus dem KZ Dachau
Reichsdeutsche und sowjetische Häftlinge mußten sich am 26.4.1945 im KZ Dachau zum Ab­marsch aufstel­len. Dieser wurde durch verlang­samte Ausgabe der Proviantratio­nen ver­zögert. Offensicht­lich blieb aber im Lager, wer wollte, ganz abgesehen von den Kranken. Viele versteckten sich in den Revierbaracken, wel­che die SS-Leute aus Furcht vor An­steckung mie­den. Um 21.00 Uhr begann der Abzug des Evakuierungsmarsches aus dem Lager Dachau, nach­dem schon um 9.00 Uhr der Befehl ausgegeben wor­den war: „In drei Stun­den hat das ganze Lager marschfertig auf dem Ap­pellplatz anzutre­ten.“ Zwi­schen 21.00 und 22.00 Uhr verließen laut Lager­schreiber von den mehr als 30.000 Häftlin­gen 6.887 Per­sonen das KZ Dachau in Richtung Ötztal in Gruppen zu je 1.500, unter ihnen ca. 120 Prie­ster. Der erste Nacht­marsch ging über Allach, Unter­men­zing, Pasing, Lochham, Gräfelfing, Planegg, Krailling, Gauting und Leutstetten. Die Fortsetzung des Marsches er­folgte in der nächsten Nacht um 21.00 Uhr über Starn­berg, Percha, Berg, Auf­kirchen, Hohenrain und Wolfratshausen bis ca. 3 km süd­lich Richtung Beuerberg. In Bad Tölz wur­den die Häftlinge am 30.4.1945 von den Ame­rikanern befreit.
[3]    Rudolf Wendolsky (* 19.11.1887 in Dittersbach/Stašov/CZ, † ?) – Priesterweihe am ? – Er kam wegen Warnung vor deutschen Soldaten am 7.8.1942 ins KZ Dachau und wurde 29.4.1945 befreit.
[3]    Ferdinand Buchwieser (* 10.10.1874 in Soroca/MD, Erzbistum Lemberg/Lwiw/UA, † 16.12.1964 in München) – Priesterweihe 29.6.1899 in Frei­sing – Dom­kapi­tular im Erzbi­stum München und Freising 1.4.1924 – Generalvikar von Michael Kardinal von Faulhaber 15.9.1932 – Auch Joseph Kardinal Wen­del ernannte ihn zu seinem Gene­ralvikar. Am 9.9.1953 wurde er emeritiert.
[4]  Josi/Josef Augst (* 29.1.1909 in Maffersdorf/Vratislavice nad Nisou/CZ, † 18.10.1984) – Priesterweihe 1935, Primiz  23.6.1935 – Er kam wegen Religionsunterrichts in der Kirche am 2.9.1942 ins KZ Dachau und wurde am 4.4.1945 entlassen.

Foto und Brief IKLK-Archiv