Reinhold Friedrichs – Blockvater im KZ Dachau auch für Karl Leisner (37)

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Reinhold Friedrichs‘ bedeutsame Priesterpersönlichkeit vor allem im KZ Dachau manifestiert sich in seinen eigenen Berichten sowie in Mitteilungen von Zeitzeugen, insbesondere in zahlreichen Zeugnissen von überlebenden KZ-Häftlingen.

 

 

 

Erster Brief von Oskar Müller[1] an Reinhold Friedrichs

[1] Oscar (Oskar) Müller (* 25.6.1896 in Wohlau/Wołów/Schlesien/PL, † 14.2.1970 in Lan­gen/Hessen) – Mitglied der KPD 1922 – Abgeordneter im preußischen Landtag 1924–1933 – Am 22.11.1933 wurde er zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt und war anschließend bis 1939 im KZ Sachsen­hausen. 1944 kam er ins KZ Dachau, wurde dort zunächst zum Zweiten Lager­älte­sten und in den letzten Wochen vor der Befreiung zum Ersten Lagerältesten ernannt.

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Oskar M ü l l e r                                                                       Frankfurt a. M. – Fechenheim, 27.11.57
Baumertstr. 67
Erl. 22/12

Herrn Reinhold Friedrichs, Domkapitular,

M ü n s t e r i. W.
Krummestraße 46
Lieber Kamerad Friedrichs!
Mit Freude teilte mir der Kamerad August Dieckmann aus Münster[1] vor einiger Zeit mit, daß Du selbst seine Tochter getraut hast und er übergab mir am vergangenen Sonntag einige Fotografien von der Trauung. Dabei überbrachte er mir auch die Grüße, die Du mir übermitteln ließest. Hab recht herzlichen Dank dafür! Nun möchte ich Dir anliegend ein Dokumentationswerk[2] übersenden, das sicherlich Dein Interesse finden wird. Nicht nur um des Inhaltes willen, dessen zeitgeschichtlichen Wert bereits verschiedene Kultusministerien begrüßt haben, sondern auch des Verfassers wegen, den Du ja selbst sicherlich, zumindestens dem Namen nach noch kennen wirst. Reimund Schnabel[3] war mit uns zusammen in Dachau und war im Arbeitseinsatzbüro. Ich lernte ihn näher kennen, als ich Lagerältester[4] wurde, und nach einiger Zeit des „Be­riechens“ kam ich zu der Überzeugung, daß er für bestimmte Aufgaben, besonders in den letzten Wochen im Lager, zuverlässig ist. Als kurz vor der Befreiung für den Kameraden Reinhold Schnabel noch die Gefahr bestand, daß er eingezogen würde, hat er sich trotz meines Abratens eine Infektionsspritze mit Typhusbazillen geben lassen, um sich dem zu entziehen. Erfreulicherweise hat er es gut überstanden.
Ich erwähne das deswegen, um Dir eine Vorstellung zu geben, wer Reimund Schnabel ist.
Ich würde mich freuen, wenn Du mir gelegentlich Deinen Eindruck über das Buch mitteilen könntest. Ich fühle mich nicht sehr glücklich bei dem Gedanken, daß ich bis heute immer noch nicht den versprochenen Besuch bei Dir abgestattet habe. Es wird aber Wirklichkeit werden, sobald ich in die Gegend von Münster komme. Ich werde mir dann erlauben, Dich rechtzeitig zu verständigen.
Mit recht herzlichen kameradschaftlichen
Grüßen für heute
Dein
Oskar Müller

 

 

Anlage: 1 Buch
„Macht ohne Moral“

 

 

 

 

[1]  Zu August Dieckmann aus Münster wurden keine näheren Angaben gefunden. Vermutlich war er Häftling im KZ Dachau.
[2]  Reimund Schnabel: Macht ohne Moral. Eine Dokumentation über die SS: Frankfurt 1957
„Stimmen von Dachau“ Nr. 6 August 1958: 9
Moral

[3]  Reimund Schnabel (* 30.4.1915 in Kaltennordheim, † 30.4.1980 in Berlin) – Er war vom 2.9. bis 19.9.1942 als Häftling Nr. 35591 im KZ Da­chau, vom 5.2.1943 bis zur Be­freiung erneut dort inhaftiert und arbeitete als po­litischer Häftling im Arbeitseinsatzbüro des KZ.
[4]  In der Lagerleitung im KZ Dachau entsprach dem Lagerkommandanten in der Verwaltung der SS der Lagerälteste in der Häftlingsselbstverwaltung.

* * * * *

Zweiter Brief von Oskar Müller an Reinhold Friedrichs[1]

[1]  Diesen Brief hat Oskar Müller in Absätzen diktiert.

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OSKAR MÜLLER                                                FRANKFURT A. M. – FECHENHEIM, den 13.1.1959
STAATSMINISTER A. D.                                                                               BAUMERTSTRASSE 67

Erl. 19.I

Herrn
Domkapitular Reinhold Friedrichs
M ü n s t e r /Westfalen
Krummestr. 46
Lieber Reinhold!
Hab recht herzlichen Dank für Deinen Gruß. Bitte entschuldige, dass ich Dir den Neujahrsgruss so formal schicken musste. Aber das hat seine Begründung. Schon lange wollte ich Dir schreiben, bin aber dazu nicht in der Lage gewesen und kann auch jetzt erst bruchstückweise meine Briefe schreiben. Ich liege seit dem 30. Oktober [1958] fest krank. Eine irrsinnig schmerzhafte Gürtelrose, die sich bei mir am Hinterkopf festgesetzt hatte, hat mich ins Bett geworfen. Die Geschichte dauert sehr lange. Die schmerzhafte Periode ist zwar vorbei, aber die Nachwirkungen sind immer noch da und es wird wahrscheinlich noch einige Wochen dauern, bis es ganz vorbei ist. Aber das ist nur die eine Sache, dazu kamen dann sehr starke Schwankungen in meinem Blutdruck, die nicht beseitigt sind und gegenwärtig noch ärztlicherseits bekämpft werden. Das Schlimmste aber ist, dass im Zuge der ärztlichen Inventuraufnahme festgestellt wurde, dass ich einen Herzinfarkt habe, der glücklicherweise vernarbt ist, der mich aber dazu zwingt, sehr vorsichtig zu sein. Z. Zt. also hat der Arzt mein Verhalten genau dosiert und genaue Vorschriften gemacht, ich bekomme laufend Strophantinspritzen und sonst noch alles mögliche Zeug zum Einnehmen, damit sich mein Zustand allmählich wieder bessert. Es wird noch eine geraume Zeit dauern, bis ich wieder einigermaßen arbeitsfähig bin, soweit man davon überhaupt noch sprechen kann. Das waren also die Ursachen, warum ich nicht schon früher an Dich geschrieben habe und warum ich auch noch nicht in einem persönlich gehaltenen Brief Dir zum Jahreswechsel meine Glückwünsche ausgesprochen habe. Ich hoffe, Du wirst das verstehen.
Ich war Mitte Oktober in Brüssel gewesen, anlässlich einer Übergabe einer Urne mit Erde und Asche aus Dachau an die Stadtverwaltung von Brüssel. Ich habe dort viele belgische Kameraden wiedergetroffen, die in Dachau waren. Ich weiss nicht, ob Du Dich noch an den Kameraden Houlaut[1] erinnern kannst, der Mitglied des Internationalen Häftlingskomitees[2] gewesen ist, aber vorher im Revier war. Die Übergabe der Urne im historischen Brüsseler Rathaus, in Anwesenheit eines Vertreters des Königs [Baudouin (1930–1993)] und eines Ministers der Regierung war eine sehr feierliche Angelegenheit. Hoffentlich kann ich Dir nun doch endlich bald mal persönlich darüber und über verschiedenes andere, einiges sagen. Weswegen ich aber besonders an Dich schreiben wollte und was ich jetzt hiermit nachhole, das ist folgendes:
In den „Stimmen von Dachau“ Nr. 6 vom August 1958 las ich u. a. einen Bericht[3] betitelt „Die durch Dachau gegangen sind“, über ein Buch[4] des Kameraden Jan Domagala[5], das ein Verzeichnis aller durch das Lager Dachau gegangenen Geistlichen enthält. Wie Du ja weisst, war Jan Domagala Lagerschreiber[6] in Dachau. Ich kenne ihn sehr gut von damals her. Nachdem ich das gelesen hatte, habe ich mich sofort an den polnischen Verband der Widerstandskämpfer gewandt mit der Bitte um die Angabe der Adresse des Kameraden Domagala sowie um Übersendung des von ihm erwähnten Buches.
Zu meinem Leidwesen erfuhr ich nun von dem polnischen Verband, dass der Kamerad Domagala vergangenes Jahr verstorben ist. Ich bin durch diese Mitteilung sehr schmerzlich berührt worden, weil ich den Kameraden Domagala sehr, sehr hoch eingeschätzt habe, er war ein guter Kamerad und ein guter Mensch und ich hätte mich gefreut, wenn ich nicht nur mit ihm in Verbindung gekommen wäre, sondern wenn ich ihn auch einmal hätte besuchen können, oder vielleicht auch er nach hier gekommen wäre. Nun geht das alles leider nicht mehr. Die polnischen Kameraden haben mir jedoch ein Buch geschickt. Es ist in polnischer Sprache. Nun wollte ich Dich eigentlich fragen, ob Du, bzw. andere Kameraden Geistliche, die an der Herausgabe Eures Nachrichtenblattes beteiligt sind, im Besitz eines solchen Buches sind. Meine eigentliche Absicht war es, dieses Buch fürs Archiv zur Verfügung zu stellen, das in einer Baracke im ehemaligen KZ Dachau errichtet werden soll. Sollte das Buch jedoch nicht in Deinen, bzw. in den Händen anderer Kameraden Geistlicher sein, so wäre ich natürlich gern bereit, das Buch Dir vorübergehend zur Verfügung zu stellen, damit es dann vielleicht noch von Euch ausgewertet werden kann. Ich möchte allerdings bitten, dass ich es dann zurückbekomme, weil ich, wie gesagt, es für das Archiv in Dachau zur Verfügung stellen möchte.
Lieber Reinhold, ich möchte Dich bitten, mir Deine Auffassung mitzuteilen, sobald es Dir möglich ist.
Im übrigen, wirst Du ja sicherlich schon erfahren haben, dass die Verhandlungen über die Erstellung einer Mahn- und Gedenkstätte im ehemaligen KZ Dachau gewisse Fortschritte gemacht haben, die mich natürlich nicht in allen Punkten befriedigen, aber wir müssen daran interessiert sein, dass endlich einmal etwas auf die Beine gestellt wird. Wie Du weisst, werden die Verhandlungen mit der bayrischen Regierung seitens des Internationalen Dachaukomitees mit dem Sitz in Brüssel geführt. Zur Zeit beginnt ein internationaler Künstlerwettbewerb über Entwürfe für das Mahnmal auf dem ehemaligen Appellplatz. Aber wie gesagt, nehme ich an, dass Du darüber im allgemeinen informiert bist, wenn nicht, dann teile mir das doch bitte mit, ich werde dann veranlassen, dass Du darüber von dem Internationalen Dachaukomitee, bzw. von dem Präsidium der deutschen Lagergemeinschaft Dachau nähere Informationen bekommst.
Wie ich der gleichen Nummer der „Stimmen von Dachau“ entnehme, soll in Trier im Laufe dieses Sommers ein internationales KZ-Priester-Treffen stattfinden. Du wirst, lieber Reinhold, verstehen, dass mich das als alter Dachauer sehr stark interessiert. Ich weiss nicht, ob ich Dir schon mal davon geschrieben hatte, dass ich mal in Polen war, und zwar nicht nur in Warschau, sondern auch in Krakau, und dort habe ich verschiedene Priesterkameraden, die in Dachau waren, wiedergetroffen. Es war eine wirklich herzliche Freude des Wiedersehens. Darf ich Dich bitten, mir mal gelegentlich zu sagen, wie gross etwa der Kreis ist, der zu diesem internationalen Priester-Treffen eingeladen werden soll.[7]
Aber vielleicht wird es mir jetzt, wenn ich einigermaßen wieder in Takt bin, doch möglich, einmal bei Dir vorbeizukommen.
Lieber Reinhold, zum Schluss möchte ich noch eine Bemerkung machen: Ich mache mir grosse Sorgen um das, was heute in der Bundesrepublik wieder geschieht hinsichtlich des immer frecheren Auftretens der ehemaligen Nazis, des Antisemitismus, der Rassenhetze usw. Furchtbar ist doch, was sich unsere Gerichte leisten, und was jetzt erst wieder in Hamburg sichtbar geworden ist. Ich glaube, wir müssen alle sehr, sehr aufpassen, damit die nicht wieder Oberwasser bekommen.
Lieber Reinhold, damit möchte ich und muss ich Schluss machen, weil meine Kräfte zu mehr noch nicht ausreichen. Ich muss sowieso in Absätzen diktieren. Ich möchte uns allen wünschen, dass uns dieses neuangefangene Jahr von den Sorgen befreien möge, die auf uns lasten. Und Dir persönlich, lieber Reinhold, wünsche ich noch einmal alles, alles Gute.

In herzlicher kameradschaftlicher Verbundenheit
Dein
Oskar Müller

[1] Zu Houlaut wurden keine näheren Angaben gefunden. Vermutlich war er Häftling im KZ Dachau.
[2] Internationales Häftlingsko­mitee Dachau (IHK) – (frz.) Comité International de Dachau (CID) – Organisation der ehemaligen Häftlinge des KZ Dachau – Die Datumsangaben bezüglich der Bildung des Komitees differieren. Die erste Sitzung fand entweder am Abend des 29.4. oder am 30.4.1945 mor­gens statt. Das Protokoll hat kein Da­tum. Die Tätigkeit des Komitees erfolgte in Zusammenarbeit mit der ameri­kani­schen Leitung des befreiten KZ Dachau.
[3]  Der Hauptteil des Berichtes stammt von KZ-Priester Ferdinand Schönwälder.
Dr. Ferdinand Schönwälder (* 9.12.1912 in Mährisch-Ostrau/Moravská Ostrava/Su­deten­land/CZ, † 7.3.1980 in Gundihau­sen/Landshut) – Priesterweihe 11.6.1938 in War­schau – Er kam am 15.8.1940 ins KZ Auschwitz/Oświęcim/PL, wo er nach einem Schwäche­anfall im Kom­mando „Straßenwalze“ von einem SS-Mann derart verprügelt wurde, daß er sein rechtes Auge verlor. Am 12.12.1940 kam er ins KZ Dachau.
Als SS-Hauptsturm­führer Emil Vogt eines Sonn­tags 1944 mehrere „lebende Blu­men in Dirndl­kleidern“, eine davon im Klei­der­schrank, bei Capo Wolf fand, war dessen Stel­lung in der Verkaufs­stelle der Plan­tage, wo SS und Zivil­personen einkau­fen konnten, erschüttert. Ferdinand Schönwälder löste ihn in der Verkaufsstelle ab, trug dort Zivil­kleidung und war nicht gescho­ren. Über ihn liefen für die Häftlinge hilfreiche Verbindungen zur Außenwelt, u. a. auch für die Vorbereitung von Karl Leisners heimlicher Priesterweihe. Am 29.4.1945 wurde er be­freit und war ab 1958 als Geist­­­licher in Gundihausen tätig.

[4]  Domagała, Johann: Ci, którzy przeszli przez Dachau (Duchowni w Dachau) [Die durch Dachau gingen (Geistliche in Dachau)], Warszawa/Warschau 1952, 1957
[5]  Johann (Jan/Jean) Domagała (* 14.12.1896, † 1958) – Der polnische katholische Kauf­mann betätigte sich im KZ Dachau als Dolmetscher. Unter dessen Namen veröffentlichte der Priester Viktor Jaczewicz SDB das Buch „Ci, którzy przeszli przez Dachau (Duchowni w Dachau) – Die durch Dachau gingen (Geistliche in Dachau), Warszawa/Warschau-Pax 1952, 1957“
P. Viktor Jaczewicz SDB (* 26.10.1909 in St. Petersburg/RUS, † 19.4.1985 in Leslau/ Włocławek/PL) – Eintritt bei den Salesianern – Noviziat in Czerwińsk/PL 1933/1934 – Ewige Gelübde 1939 – Er kam als Salesianerseminarist am 18.4.1940 ins KZ Dachau, am 26.5.1940 ins KZ Gusen, am 8.12.1940 erneut ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 be­freit. – Priesterweihe 29.6.1947

[6]  Der Lagerschreiber im KZ Dachau war in der Kommandantur zuständig für die Verwaltung (Zugang, Abgang, Tod) der Häftlinge – Er erstellte u. a. den Appellplan und teilte die Häftlinge für die Arbeitseinsätze und Kom­man­dos ein.
[7]  Hinweis auf das Treffen in „Stimmen von Dachau“ Nr. 6 August 1958: 9

Trier
Trier_Treffen

 

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