Bernhard Boine[1]
Karl Leisner. In: „Der Jüngling im Feuerofen“
Reportage einer Passion in 9 Szenen
Den Freunden gewidmet, die Leben und Freiheit für ihre Überzeugung einsetzten. Typoskript 1967: 41
[1] Bernhard Boine (* 27.9.1912 in Dortmund, † 5.7.1978 in Odenthal-Altenberg) – Dortmund, Paulinenstr. 26 – Volksschule – kaufmännische Ausbildung – Mitglied der Zentrumspartei 1930–1933 – Diözesansekretär des KJMVD u. Diözesanjungscharführer des Erzbistums Paderborn bis 1937 – in der NS-Zeit in Schutzhaft u. Angeklagter vor einem Sondergericht – hohe Geldstrafen u. mehrfacher Verlust des Arbeitsplatzes – Kriegsteilnehmer u. Gefangenschaft bis 1945 – Mitglied der Einheitsgewerkschaft 1945 – danach Mitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) – Leiter der Sozialabteilung auf dem Dortmund-Hoerder Hüttenverein nach 1945 – Mitglied der CDU – Landessprecher der Jungen Union Westfalen – Stadtverordneter in Dortmund 1946–1951 – Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen 5.7.1950 bis 12.7.1958 – Arbeitsdirektor der Edelstahlwerke Krefeld 1951
Sein Hobby war das Schreiben von Theaterstücken, außerdem war er Spezialist für Theateraufführungen. Seine „Reportage einer Passion in neun Szenen. Der Jüngling im Feuerofen“ widmete er „den Freunden, die Leben und Freiheit für ihre Überzeugung einsetzten“. In dieses Stück hat er auch Karl Leisners Lebensschicksal eingearbeitet.
Wilhelm Wissing:
Erwähnen möchte ich noch Bernhard Boine. Er war Bezirksjungscharführer in der Stadt Dortmund. Zu ihm hatten wir enge Verbindungen, und er war vor allem deshalb beliebt, weil er Theaterstücke schrieb, die wir auf Elternabenden aufführen konnten. Mit seiner dichterischen Begabung hat er nationale Lieder umformuliert. Das war ein gefährliches Unterfangen. Wenn bekannt geworden wäre, was er sich damit erlaubte, es hätte Konzentrationslager für ihn bedeutet. Wir konnten seine Texte auswendig, so etwa die Umdichtung der letzten Strophe des Horst-Wessel-Liedes [Die Fahne hoch], wo es heißt: „Kameraden, die Rotfront und Reaktion erschossen, marschieren im Geist in unseren Reihen mit“. Boine machte daraus: „Es hungern immer noch dieselben Volksgenossen, die andern hungern nur im Geiste mit“ (Wissing, Wilhelm: Gott tut nichts als fügen. Erinnerungen an ein Leben in bewegter Zeit. Karl R. Höller (Hg.), Mainz 2001: 33).
Bernhard Boine aus Krefeld am 27. Juli 1967 an Familie Wilhelm Leisner in Kleve:
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Reportage Seite 41
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Karl Leisner erinnerte Hermann Scheipers[1] 1942 im KZ Dachau an die Jünglinge im Feuerofen, als dieser in Schloß Hartheim[2] vergast werden sollte.
[1] Scheipers, Hermann
1. Generation:
N. N. – Vater Postbeamter
2. Generation:
2a. Prälat Hermann Scheipers (* 24.7.1913 in Ochtrup, † 2.6.2016 ebd.) – Theologiestudium in Münster 1932–1936 – Wechsel ins Priesterseminar des Bistums Meißen in Schmochtitz bei Bautzen 1936 – Priesterweihe 1.8.1937 in Bautzen – Kaplan in Hubertusburg 1937–1941 – Er kam am 28.3.1941 wegen Polenseelsorge ins KZ Dachau und entfloh auf dem Evakuierungsmarsch vom 26.4.1945. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er in der ehemaligen DDR, seit 1983 lebt er in Ochtrup. 2003 erhielten er und seine Zwillingsschwester Anna das Bundesverdienstkreuz am Bande wegen ihres unerschrockenen Einsatzes für Menschenwürde. 2012 erhielt er das Bundesverdienstkreuz erster Klasse und am 26.2.2013 zeichnete ihn Konsul Jan Sobczak, Leiter des polnischen Generalkonsulats in Köln, in Ochtrup mit dem Kavalierskreuz des Verdienstordens der Republik Polen aus. Im Seligsprechungsprozeß 1981 und Martyrerprozeß 1990 für Karl Leisner hat er als Zeuge ausgesagt.
2b. Anna Scheipers, verh. Schweppe (* 24.7.1913 in Ochtrup, † 8.12.2007)
[2] Schloß Hartheim bei Linz/A – bedeutender Renaissancebau mit Arkadenhof in Alkoven/A – Errichtung durch Jakob Aspan von Hag um 1600 – Übereignung durch Camillo Fürst Starhemberg (1835–1900) in Form einer Schenkung an den Oberösterreichischen Landeswohltätigkeitsverein 1898 – Einweihung u. Eröffnung der „Behinder- tenanstalt“ Schloß Hartheim für geistig und mehrfach behinderte Menschen 24.5.1898 – Betreuung durch Ordensschwestern des Heiligen Vinzenz von Paul – Enteignung u. Auflösung des Wohltätigkeitsvereins durch die Nationalsozialisten u. Umbau zu einer Euthanasieanstalt 1938/1939 – Der Wirtschaftshof wurde weitergeführt. Die Insassen der Pflegeeinrichtung verteilte man zunächst auf andere Anstalten, später wurden die meisten in Hartheim vergast. Auch die Invalidentransporte aus dem KZ Dachau brachte man dorthin. Die vergasten Häftlinge wurden eingeäschert und als normal verstorben gemeldet. Zwischen 1940 und 1944 ermordeten die Nationalsozialisten dort ca. 30.000 Menschen, die sie als lebensunwert klassifiziert hatten. 1944/1945 versuchte man durch Abbau der Euthanasieeinrichtungen, den vorherigen Zustand wiederherzustellen. Es diente zunächst als Unterkunft für Flüchtlinge.
Im Januar 1942 wurde der erste Priester, Pfarrer Friedrich Karras aus Mayerling, in Hartheim vergast. Diese Vergasungsaktion endete für die reichsdeutschen Geistlichen am 13. August 1942 nach einer mutigen Intervention von Anna Scheipers im Reichssicherheitshauptamt in Berlin für ihren Zwillingsbruder Hermann. Daraufhin kam der Befehl von Berlin, es dürfe kein deutscher Priester mehr vergast werden. Unter den über 3.166 vergasten Dachauer Häftlingen waren 336 Priester.[1]
[1] s. Scheipers, Hermann: Gratwanderungen. Priester unter zwei Diktaturen, Leipzig 1997, 31999: 64–74
Hermann Scheipers:
Am nächsten Tag [Ende Juli 1942[1]] konnte Dr. [Bernhard] Wensch schon vor Schwäche nicht mehr kommen; aber er schickte mir durch Karl Leisner das wahre Brot des Lebens, Christus den Herrn, verborgen in einer Tablettenschachtel. Einige Juden, die auf dem Weg von Buchenwald zur Vergasung nur kurz in Dachau waren, standen dabei Schmiere. Keiner von diesen Todgeweihten ahnte, daß mir da durch den Stacheldraht hindurch die heilige Kommunion gereicht wurde.
Bernhard Wensch hatte seinen Platz in meiner Stube [3 im Block 26] am Nebentisch von Karl L. [Leisner]. Sicher haben die beiden über meine aussichtslose Situation gesprochen, und Karl übernahm gern den gefährlichen Gang am Abend, um mir den Leib des Herrn zu bringen – wie alle glaubten, zum letzten Mal vor meinem Abtransport zur Vergasung.
In dieser Zeit des Wartens auf die Gaskammer begegne ich ein zweites Mal Karl Leisner. Wir Invaliden wurden zum Bad geführt, ein trauriger Zug ausgemergelter Gestalten, die sich zum Teil kaum noch vorwärts bewegen konnten. Während sich die Arbeitskommandos in den Werkstätten und auf der Plantage aufhielten, waren die Lagerstraße und der Appellplatz leer. Karl steht mit ein oder zwei Gefangenen in der Nähe des Krankenreviers. Als er mich im Zug entdeckt, löst er sich aus der Gruppe, kommt auf mich zu und begleitet mich fünf oder zehn Meter. Auch das war für ihn schon gefährlich. Er flüstert mir zu: „Denk an die drei Jünglinge im Feuerofen“ [Dan 3,1–97].
Mit diesem Wort wollte er mir sagen, wie er dies ganze furchtbare Geschehen im Lichte des Glaubens sah. […] Karl wollte mir offenbar damals sagen: Hab keine Angst. Du bist jetzt zum Feuer verurteilt, aber Gott vermag doch alles. So wie er einst seine Getreuen aus dem Feuerofen des Königs von Babylon errettet hat, kann er auch dich vor dem Feuerofen der Gaskammer retten, und so wie ihnen kann er auch dir seinen rettenden Engel schicken. – Er hat es getan! – Der rettende Engel war meine Zwillingsschwester [Anna].[2]
[1] Zeitangabe von Hermann Scheipers
[2] Scheipers, 1999: 61f.