In der Feldbergklinik Dr. Asdonk, der Nachfolgeeinrichtung des Fürstabt-Gerbert-Hauses[1], an der Todtmooser Straße 48 in St. Blasien[2], wird Karl Leisner u. a. durch ein Foto und eine Beschreibung seines Lebens- und Leidensweges geehrt.
[1] Eröffnung des Sanatoriums Fürstabt-Gerbert-Haus am 6.12.1930 als Lungenfachklinik – seit 1983 Feldbergklinik Dr. Asdonk (Lymphologie), aufgrund des Rückgangs der Tuberkulose
Auszug aus dem Hausprospekt des Fürstabt-Gerbert-Hauses aus den 1930er Jahren:
Heilanstalt für Lungenkranke
Über der Talsohle des Kurortes gelegen, 826 m über dem Meeresspiegel, eine der modernsten und schönsten Anstalten Süddeutschlands. Ärztliche Leitung: Dr. med. E. Melzer, Facharzt für Lungenkranke.
1939, während des Aufenthalts von Karl Leisner im Fürstabt-Gerbert-Haus, befand sich dort bereits ein Lazarett. Von 1945-1950 stand das Haus unter französischer Besatzung.
[2] Die Stadt St. Blasien mit ca. 3.700 Einwohnern entstand um das Kloster St. Blasien – erstmalige Erwähnung 858 – Erhebliche Bedeutung des Klosters mit Fürstabt Martin Gerbert, der ihm 1764-1793 vorstand. In Erinnerung an den ab 1764 dort tätigen Abt führte die Stadt Fürstabt-Gerbert-Tage ein und setzte ihm 1982 im Kurgarten ein Denkmal. 1771 Bau der klassizistischen Kuppelkirche (drittgrößte seiner Art in Europa)– 1881 Bau einer Lungenheilstätte – 1882 Bau des Kurhauses
Das Foto und die Lebensbeschreibung Karl Leisners hängen vor dem Eingang der im dritten Stock liegenden Hauskapelle. Bei den Lebensdaten fehlt seine Seligsprechung am 23. Juni 1996 durch Papst Johannes Paul II.
In der Kapelle befindet sich links vom Altar eine Kerze, auf der in Ketten gefesselte Hände zu sehen sind die einen Kelch emporhalten, darunter steht „Sacerdotem oportet offerre [ein Priester muss opfern]“. Dieses Motiv ist auf einem der drei Primizbilder zu sehen, die Karl Leisner im KZ Dachau von Mitgefangenen zur Primiz geschenkt bekam. Es wurde von dem Niederländer Br. Raphael Tijhuis OCarm gemalt.
Die gefesselten, einen Kelch umfassenden Hände weisen auf die Schönstattgruppe „Victor in Vinculis (Mariae) [Sieger in Ketten (Mariä)] im KZ Dachau hin, zu der auch Karl Leisner gehörte. Neben dem Primizgewand erhält ein Neupriester einen Kelch, mit dem er sein Leben lang zelebriert. Bei seiner Beerdigung wird dieser Kelch mit einer Stola auf den Sarg gestellt. Bereits während seiner Priesterausbildung im Collegium Borromaeum und im Priesterseminar in Münster hatte sich Karl Leisner einer Schönstatt-Theologengruppe angeschlossen die sich das Gruppenideal „Sacerdotem oportet offerre“ gegeben hatte. 1939 ergänzte die Gruppe dieses um „et offeri [und geopfert werden]“. Als Gruppensymbol wählte sie den Kelch.
Am unteren Rand der Kerze steht „Zur Erinnerung an Karl Leisner“, davor ist ein Foto von dem Seligen.
Ein weiteres Foto, auf dem Karl Leisner im Priestergewand zu sehen ist, befindet sich am Schriftenstand in der Kapelle.
Karl Leisners Zimmer 201 war mit Blick auf die Vorderfront das erste von links im zweiten Stock
vermutlich Patienten des Waldhauses – Karl Leisner in der Mitte sitzend
Ende Mai 1939 wurde bei Karl Leisner eine offene Lungentuberkulose festgestellt und er kam am 5. Juni 1939 zur Heilung in das von Vinzentinerinnen geleitete Lungensanatorium Fürstabt-Gerbert-Haus in St. Blasien. Anfänglich war er im 10 Betten umfassenden Waldsanatorium, auch Wald- oder Gartenhaus genannt, untergebracht. Später wurde er in den 2. Stock, Zimmer 201, des Hauptgebäudes verlegt.
Karl Leisner aus St. Blasien am 6. Juni 1939 an Elisabeth Ruby jun. in Lückerath (Eifel):
Vor Pfingsten ließ ich mich wegen eines langen hartnäckigen Hustens ärztlich untersuchen. Ergebnis: Beide Lungenspitzen Tbc angegriffen. (Wohl noch in Zusammenhang mit der Rippenfellentzündung vor zweieinhalb Jahren.) Jetzt heißt’s hier: stille halten und ein frohes Herze bewahren. Es wird einige Monate dauern, bis es ausgeheilt ist. Hoffe aber, daß die Weihe Weihnachten sein kann.[1]
[1] Die Priesterweihe war für den 23.12.1939 vorgesehen.
Verwandte, Freunde, Kurskollegen und Mitbrüder aus der Heimat und aus Freiburg besuchten Karl Leisner im Sanatorium.
Karl Leisner aus Dachau am Samstag, 30. Oktober 1943, an Familie Joseph Ruby in Freiburg/Br.:
Und ebenso das Jahr 1939. Ja, Mutti [Elisabeth Ruby], so gesund wie damals möchte ich noch mal mit Ihnen im Café Ell in St. Blasien [Hauptstraße 15] sitzen.
Am 24. Juni 1939 bekam Karl Leisner einen Pneumothorax[1].
[1] Bei einer Tuberkulosebehandlung wurde bis in die 1950er Jahre ein therapeutischer Pneumothorax angewendet. Zwischen den inneren und äußeren Lappen des Brustfells wird Luft eingeführt. Dadurch wird ein befallener Lungenflügel ruhiggestellt. Die Lunge atmet weniger, der gesunde Lungenflügel wird vor Infektion geschützt, und der Krankheitsherd kann abheilen. Nach der Behandlung wird der Pneumothorax wieder entfernt. Karl Leisners Pneumothorax musste alle acht Tage mit Luft nachgefüllt werden.
Karl Leisner aus St. Blasien am 2. August 1939 an seinen Bruder Willi Leisner in Schlesien:
Jetzt ein wenig von hier: Die Sache geht beharrlich bergauf. Freitag [28.7.1939] war Röntgenaufnahme. Am Montag [31.7.1939] Plattenbesprechung. Das ergab folgendes: Der „Pneu“ [Pneumothorax] sitzt gut, nur wird die Stelle, wo das „Loch“ sitzt, noch vor dem völligen Zusammenschrumpfen durch einige kleine Gewebefäden gehindert. […] So Gott will, kommst Du dann in diesem Monat mal von Stuttgart rüber. Ich freue mich schon sehr drauf. Bis dahin werden weitere Fortschritte gemacht sein.
Karl Leisner aus St. Blasien am 14. September 1939 an Walter Vinnenberg in Emmerich:
Die Kur läßt einem wenig Zeit; man wird dazu „von Beruf müde“. – Von hier kann ich gute Nachricht bringen. Bin seit drei Wochen „negativ“. – Das ist der erste entscheidende Erfolg, den ich nun bis Ende Oktober zu erhalten und vertiefen hoffe. Ein Teil des Hauses ist für Soldaten geräumt. Der andre bleibt wahrscheinlich für die Kranken erhalten. – Habe jetzt „schon“ täglich eine halbe Stunde Spaziergang, den ich mit Wonne in den herrlichen Wäldern ringsum auskoste. Langsam und zäh ist der tägliche Kleinkrieg an dieser eigenartigen „Front“. – Aber, wenn ich an die Opfer unserer Kameraden draußen denke, reißt’s mich täglich hoch. Habe dazu das Glück, täglich im Hause der heiligen Messe beiwohnen zu können. So ist’s recht erträglich. […] Und so hoffe ich mit Zuversicht, die heilige Weihe an Weihnachten [23.12.] zu empfangen. Dann heißt’s allerdings: ein Jahr äußerste Schonung und noch ein Jahr „langsam treten“.
Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 wollte man mit der Priesterweihe nicht bis zum 23. Dezember warten. Die Diakone wurden aus den Ferien nach Münster zurückgerufen und am Samstag, dem 23. September, geweiht.
Dr. Ernst Melzer[1] im Seligsprechungsprozess (S. 1451):
KL [Karl Leisner] hatte den Wunsch, im September 1939 entlassen zu werden, vermutlich weil er gern in seinem Kursus die Priesterweihe empfangen hätte. Ärztlicherseits konnte zu diesem Termin die Entlassung noch nicht verantwortet werden.
[1] Dr. med. Ernst Melzer (* 22.11.1900 in Frankenstein/Schlesien/Ząbkowice Śląskie/PL, † 10.11.1981 in Waldshut-Tiengen, beigesetzt in St. Blasien) – Chefarzt (Obermedizinalrat) – Facharzt für Lungenkrankheiten im Lungensanatorium Fürstabt-Gerbert-Haus in St. Blasien 1933–1966 – Im Seligsprechungsprozeß für Karl Leisner hat er als Zeuge ausgesagt.
Willi Leisner arbeitete vom 18.8. bis 29. September 1939 bei der AEG in Stuttgart als Werkstudent. Im Anschluss daran besuchte er seinen Bruder Karl in St. Blasien.
Samstag, 30. September 1939, Willi Leisner im Jungmannskalender:
7.13 Uhr nach Stuttgart Hbf. […] 17.06 Uhr ab nach Titisee an 18.30 Uhr – Karl angerufen wegen der Unterkunft – 20.06 Uhr nach Seebrug an 20.45 Uhr – mit der Kraftpost nach St. Blasien an 21.15 Uhr – [von Karl] abgeholt und zum Restaurant zum Löwenbräu – 21.45 Uhr Falle
Sonntag, 1. Oktober 1939, Willi Leisner im Jungmannskalender:
6.00 Uhr raus! 6.30 Uhr hl. Messe im Dom – Kaffee – Karl holt mich ab – über den Kalvarienberg zum Fürstabt-Gerbert-Haus – Regen! Im Ruhesessel geplaudert und Karten geschrieben bis 12.30 Uhr – zum Restaurant zum Essen – Sonnenschein, los auf den Berg – Sanatorium – Sandboden – Windbergfälle – 15.30 Uhr zu Karl – Waldhaus – ½ Std. Spaziergang zum Feldbergblick – 17.00 Uhr Andacht – Liegekur – 19.00 Uhr Abendessen im Löwenbräu – 20.00 bis 21.30 Uhr bei Flasche Wein [Liebfrauenmilch] geplaudert – 22.00 Uhr Falle
Es war die letzte Begegnung von Karl und Willi Leisner. Willi Leisner fotografierte seinen Bruder am Feldbergblick in St. Blasien. Es ist das letzte Foto von Karl Leisner in Freiheit.
Karl Leisner aus St. Blasien am 30. Oktober 1939 an Elisabeth Ruby jun. in Radolfzell:
Von Muttis [Elisabeth Ruby] Besuch hier hast Du ja sicher den Kartengruß, vielleicht inzwischen auch mündlichen Bericht erhalten. Das war schön! Gerade, weil’s so unerwartet kam. […]
In einem Monat hoffe ich gesund von hier ins [Priester-]Seminar nach Münster heimzufahren. Und ich glaube, daß der Bischof [Clemens August Graf von Galen] dem Gesuch an den Regens [Arnold Francken], mich schon im Advent [am 23.12.1939] zu weihen, Gehör geben wird. So kann ich dann hoffentlich an Weihnachten das Primizopfer feiern. Fange jetzt schon hier an zu studieren (welch eine Wohltat, nach so langer Ruhezeit wieder!) und werde dann privat vom Herrn Regens vorbereitet die drei Wochen des Dezember. – Also hoffen und beten wir weiter! ‘s wird „scho recht!“
Karl Leisner aus St. Blasien am 5. November 1939 an seine Familie in Kleve:
Vom Hochwürdigen Herrn Regens [Arnold Francken] bekam ich am Vorabend des Namenstags bejahenden Bescheid.[1]
[1] vermutlich zur Priesterweihe am 23.12.1939 in Münster
Am Mittwoch, den 8. November 1939, ereignete sich das Attentat von Georg Elser auf Adolf Hitler im Bürgerbräukeller in München, das dieser, weil vorzeitig abgereist, unbeschadet überstand. Karl Leisner erfuhr erst am nächsten Morgen davon.
Am 9. November 1939 nahm Karl Leisner um 6.00 Uhr in Soutane an der Schwesternmesse in der Hauskapelle des Fürstabt-Gerbert-Hauses teil und begleitete die Lieder am Harmonium.
Kapelle im Fürstabt-Gerbert-Haus – Harmonium in dieser Kapelle
Nach dem Gottesdienst ging Karl Leisner in sein Zimmer Nr. 201, wohin ihm Schwester Almarich Huber das Frühstück brachte. Karl Leisner bewohnte, wie auch Johann Krein[1], ein Einzelzimmer, gemeinsam aber teilten sie die Terrasse.
Johann Krein aus Trier am 12. März 1946 an P. Otto Pies SJ in Rottmannshöhe:
In jenem furchtbaren November erfuhren wir auf der Terrasse die Nachricht von dem mißglückten Attentat auf Hitler. Ich kann mich erinnern, alles war in Aufregung und ich selbst wie alle ehrlich glücklich, daß Hitler nichts passiert war. In dieser Stimmung trat ich auch in das Zimmer von Herrn Leisner. Ich teilte ihm ohne irgendeinen Hintergedanken das Geschehen mit, mußte jedoch feststellen, daß er bereits unterrichtet war. Er sagte dann: „Schade, daß er nicht dabei gewesen ist.“ Ich vergesse diese Worte nie. Ich weiß auch heute, wie richtig sie waren. Was wäre uns an Leid erspart geblieben, wenn Hitler damals umgekommen wäre. Der Wahrheit die Ehre: Ich weiß aber auch, daß ich mich damals entsetzte; wenn ich auch seine Abneigung gegen Hitler kannte, so hatte ich doch nicht geglaubt, daß er in dieser Situation diesen Wunsch aussprechen würde. Ich verließ erregt das Zimmer.
[1] Johann Krein (* 21.1.1911 in Karthaus bei Trier als Sohn katholischer Eltern, † 29.6.1947 in Heidelberg) – Er kam im Juni 1939 von Saarbrücken aus in die Lungenheilstätte Fürstabt-Gerbert-Haus in St. Blasien und war Mitpatient von Karl Leisner und Kaplan Alexander Stein. Unter den drei Patienten herrschte ein reger und vertrauter Gedankenaustausch. Weihnachten 1939 wurde er entlassen. Erst 1946 erfuhr er vom Schicksal Karl Leisners.
Obwohl Johann Krein Karl Leisners Einstellung kannte, war er über dessen Äußerung zum Attentat entsetzt. Etwas später fanden sich einige Zimmernachbarn auf der Terrasse ein und sprachen über das Attentat. Jeder beteuerte auf seine Art, wie verachtenswert diese Tat gewesen sei. Ihnen fiel auf, wie einsilbig Johann Krein blieb. Sie fragten ihn nach seiner Meinung und er sagte, dass nicht alle der gleichen Meinung seien und wies dabei mit dem Kopf auf Karl Leisners Zimmer. Auf Drängen „eines Herrn aus dem Magdeburgischen“ teilte er ihm mit, was Karl Leisner gesagt hatte. Dieser eilte direkt nach St. Blasien, Herr Krein lief ihm nach, um ihn davon abzuhalten, aber unter der Androhung, ihn anzuzeigen, begleitete er den Herrn zur Ortsgruppe, wo er das bestätigte, was der Herr vortrug.
Verhandlungszimmer im Fürstabt-Gerbert-Haus
Der Kreisleiter der Partei in Neustadt, Benedikt Kuner, und Ortsgruppenleiter Adolf Wehrle erschienen im Fürstabt-Gerbert-Haus mit zwei Beamten der Polizei. Karl Leisner, noch in Soutane, wurde von seinem Zimmer zum Verhör ins Empfangszimmer, welches zugleich Bibliothek für die Kranken war, geholt. […] Das Verhör, das gegen 9.00 Uhr begonnen hatte, dauerte nicht sehr lange. Johann Krein musste wiederholen, was Karl Leisner gesagt hatte, und Karl Leisner stritt nichts ab, sondern stand zu seiner Aussage. Damit war gegen 10.00 Uhr alles beendet.
Karl Leisner wurde abgeführt und kam in das Gefängnis in Freiburg/i.Br. Laut Gefangenenbuch wurde er um 18.30 Uhr eingeliefert, zuständige Behörde war die Gestapo, der Haftgrund Schutzhaft. Am 15.2.1940 wurde Karl Leisner in das Gefängnis Mannheim verlegt und von dort am 6.3.1940 in das KZ Sachsenhausen überstellt. Am 14.12.1940 kam er als Schutzhäftling in das KZ Dachau.
Zur Vernehmung und Verhaftung Karl Leisners siehe auch den Link „Interpretation einer Verhaftung“
Über die Ehrungen Karl Leisners in der Feldbergklinik hinaus gibt es auf dem Friedhof in St. Blasien eine Karl-Leisner-Stele. Siehe Link Karl-Leisner-Stele
Text und Fotos Christa Bockholt und IKLK-Archiv