Auf der „Rügenfahrt“ 1929 machte Walter Vinnenberg[1] mit den Jungen, unter ihnen Karl Leisner, sowohl auf der Hin- als auch auf der Rückfahrt einen Abstecher in die wunderschöne Stadt Stralsund.
Arnold Bartetzky schrieb in der F.A.Z. vom 5. Dezember 2015 einen Bericht über Stralsund mit der Überschrift „Willkommen in der styroporfreien Zone – Stralsund stand 1989 architektonisch auf der Kippe, jetzt glänzt die Stadt wieder“.
Link zur F.A.Z. vom 5. Dezember 2015
[1] Prälat Dr. phil. Walter Vinnenberg (* 8.6.1901 in Lippstadt, † 1.12.1984 in Bocholt) – Priesterweihe 27.2.1926 in Münster – Kaplan in Kleve St. Mariä Himmelfahrt u. Religionslehrer am Gymnasium in Kleve in allen Klassen v. 1.4.1926 bis Pfingsten 1929 – Außerdem unterrichtete er Hebräisch und Sport und leitete eine religionsphilosophische Arbeitsgemeinschaft. Später unterrichtete er auch Französisch. Er gewann Karl Leisner für die Jugendarbeit und gab den Anstoß zur Gruppenbildung. Mit den Jungen unternahm er zahlreiche Fahrten auch noch nach seiner Tätigkeit in Kleve.
Der Autor hebt vor allem die beim Wiederaufbau nach dem Krieg sehr gute Erhaltung des Denkmalbestandes in der Altstadt hervor und begrüßt, daß man bei Neubauten „ein Mindestmaß an urbaner Haltung einfordert“.
Tagebucheinträge:
Donnerstag, 8. August 1929, 6. Tag
Von dort [Rostock] fuhren wir um 17.00 Uhr durch Mecklenburg nach Stralsund. Mit vier Mann spielten wir oft „66“[1]. Um 19.30 Uhr Ankunft in Stralsund.
Von Stralsund gings sofort weiter nach Stralsund-Hafen, wo wir vom Zug aus die Ostsee liegen sahen.
[1] Für das Kartenspiel Sechsundsechzig benötigt man ein 32er Blatt aus dem die Siebenen und Achten herausgenommen werden. Zwei Spieler können teilnehmen.
Montag, 19. August 1929, 17. Tag
Um 16.40 Uhr fuhren wir [von Rügen] nach Stralsund, nachdem wir uns von [Walters Schwester] Else Vinnenberg[1], die ganz mitgelaufen [war] und [meinem Bruder] Willi[2] [wegen seiner Rückgratverkrümmung] den Rucksack getragen hatte, verabschiedet hatten. –
[1] Elisabeth (Else) Vinnenberg (* 18.2.1907 in Telgte, † beim Luftangriff auf Wolfen-Bitterfeld 16.1.1945)
[2] Wilhelm (Willi) Josef Maria Antonius Leisner (* 9.5.1916 in Goch, † 24.8.2010 in Berlin)
In Altefähr mußten wir aussteigen und aufs Trajekt gehen. Die Überfahrt war sauber. Zum letzten Male sahen wir Rügen liegen. –
In Stralsund-Hafen stiegen wir in einen andern Zug, der uns zum Hauptbahnhof Stralsund brachte. Hier landeten wir um 18.00 Uhr. – Ich hatte schon während der Überfahrt Leibschmerzen gehabt und mußte jetzt schrecklich nötig auf den „stillen Ort“ und dafür 0,15 [Reichsmark] bezahlen. – Vom Bahnhof gings über den Küterdamm, der durch den Frankenteich führt, zum Kütertor[1], wo die Jugendherberge war. – Ich trank beim Abendessen nur eine Tasse Kaffee wegen Magenbeschwerden. Als ich im Bett lag, übergab ich mich. Doch das meiste kam in die Taschentücher. Um 21.30 Uhr Schlafen.
[1] Kütertor und Küterdamm: eines der ehemaligen Stadttore – erste urkundliche Erwähnung 1281 – Lage am landseitigen Ende der Heiliggeiststr. zum Küterdamm hin – Namensgebung nach den sog. Kütern – Diese waren Fleischer, die die Innereien der Tiere (Küt) verarbeiteten.
Dienstag, 20. August 1929, 18. Tag
Um 7.30 Uhr Aufstehen. Dann wusch ich auf dem Lokus meine „verkotzten“ Taschentücher und das dreckige Hemd aus. Es wurde so rein, wie mit Persil[1]. Nach dem Bernsteinverteilen[2] und Griesmehlessen gings um 9.50 Uhr in die Stadt. Wir machten, wegen Zeitmangel, nur einen kurzen Rundgang. Wir sahen folgendes:
[1] noch heute eines der bekanntesten Waschmittel
[2] Am Ostseestrand ist Bernstein zu finden.
1. Das Rathaus[1] mit Nikolaikirche[2], 2. das Johanniskloster[3], 3. das Semlower-Tor[4] und alte Giebel, 4. die Bechermacherstraße[5] und 6. die Jacobikirche[6] (auch von innen diese). Alles sind prachtvolle Backstein(gotik)bauten.
[1] Baubeginn im Stil der norddeutschen Backsteingotik um 1250 – Erweiterung im 14. Jh. – Zerstörung großer Teile durch Stadtbrand 12.6.1680 – umfangreiche Umbauten ab 1881 – umfassende Sanierung zu Beginn der 1980er Jahre
[2] evangelisch-lutherische Kirche am Alten Markt – älteste der drei großen Pfarrkirchen der Stadt – Baubeginn einer gewaltigen Hallenkirche 1234 – nach teilweisem Einsturz eines Turmes bzw. nach einem Brand Abriß dieses Bereiches u. Neuerrichtung im Stil französischer Kathedralen – laut Überlieferung Weihe des Hochaltares 1279 – Abriß von Teilen des Vorgängerbaues u. Errichtung einer Basilika im 14. Jh. – Als Ratskirche erhielt sie, vor allem zur Zeit der Hanse, eine reiche und kostbare Ausstattung, an deren Wiederherstellung bzw. Erhalt bis heute gearbeitet wird.
[3] Errichtung nach der Verleihung des Stadtrechtes 1234 als Kloster der Franziskaner 1254
[4] seeseitiges Tor der Stadtbefestigung – erste urkundliche Erwähnung 1277
[5] Namensgebung der Straße in der Altstadt nach dem Gewerbe der Bechermacher (nd. Bekermaker) – Im Gegensatz zum Böttcher stellte der Bechermacher Kleingefäße her, so z. B. auch Zinnbecher für das Geschirr auf Ordensburgen.
[6] erste urkundliche Erwähnung 9.8.1303 – Nach wechselvoller Geschichte von Zerstörung und Wiederaufbau übergab die Stiftung Kulturkirche die Betreibung der Kulturkirche St. Jakobi 2003 an die Trägerschaft des Kreisdiakonischen Werkes Stralsund e. V. Dieses entwickelt dort vielfältige Projekte, u. a. in den Bereichen Kunst, Integration und Ökonomie.
Um 11.00 Uhr waren wir wieder an der Jugendherberge und um 11.25 Uhr fuhren wir vom Hauptbahnhof nach Berlin ab.
Noch im KZ Dachau erinnert sich Karl Leisner an die Rügenfahrt und die Stadt Stralsund.
Karl Leisner am 2. Oktober 1943 aus Dachau an Heinrich Tenhumberg[1] als Soldat und an seine Familie in Kleve:
Dein zweites Paket, Elisabeth[2], kam inzwischen an. Ich bin platt. Danke Dir sehr schön, Du liebes Schwesterlein. Deine Berliner Reise war ja reich und schön. Stralsund, da waren Willi und ich [auf der Rügenfahrt vom 3. bis 23.8.]1929. Ja, die gewaltige See! War das ein Erlebnis, die 10 Tage im Zelt am Strand! Daß Du Heini Tenhumberg[, der in Stralsund als Sanitäter ist,] nicht guten Tag gesagt hast? Vor lauter Freundin [Inge Schröder[3]] vergessen. Na ja. Besorge bitte den Brief an ihn!
[1] Bischof Heinrich (Heini) Tenhumberg (* 4.6.1915 in Lünten, † 16.9.1979) – Karl Leisners Schönstattgruppenführer im Collegium Borromaeum in Münster – Aufnahme in den Apostolischen Bund von Schönstatt 8.9.1936 – Priesterweihe 23.9.1939 in Münster – Domvikar 1947 – Domkapitular 1954 – Bischofsweihe zum Weihbischof für das Bistum Münster 20.7.1958 – Bischof von Münster 7.7.1969 bis 16.9.1979
[2] Elisabeth Juliane Maria Haas, geb. Leisner (* 14.8.1923 in Kleve, † 9.9.2014) – Am 29.9.1946 verlobte sie sich mit Wilhelm Haas und heiratete ihn am 28.5.1947. Sie haben 9 Kinder. Nach dem Tod ihres Mannes (1993) übernahm sie bis 2004 die Geschäftsführung des IKLK. Im Seligsprechungsprozeß 1981 und Martyrerprozeß 1990 für Karl Leisner hat sie als Zeugin ausgesagt.
[3] Elisabeth Leisners Freundin Inge Schröder machte damals in Prerow an der Ostsee ein Praktikum auf einem Gut. Von Berlin aus war Elisabeth über Stralsund dorthin gefahren, um sie zu besuchen.
Impressionen von Stralsund heute
Fotos: Rainer Schweder
Video: „Kleine Stadtführung in Stralsund“
Quelle: privat