Tobias Schrörs beschreibt unter anderem die Kapelle im Collegium Borromaeum in Münster und erwähnt das von dem Bildhauer Heinrich Bäumer aus Münster für die Lagerkapelle im KZ Dachau gefertigte Kreuz. Beide Kapellen waren für Karl Leisner zeitweise eine geistige Heimat.
Tobias Schrörs
Forschungen zur Volkskunde Heft 64
Bau und Ausstattung westfälischer Kirchen als Zeugnis der Volksfrömmigkeit
Münster 2017
Die Geschichte der Hauskapelle im Collegium Borromaeum und ihre Vorläufer, Seite 150–180
Collegium BorromaeumHeinrich Bäumer, Seite 206f.
Dachau
Da die PDF-Dateien Ausschnitte aus dem Gesamtopus sind, stimmt die Bezifferung der Fußnoten nicht mit dem Original überein.
Hauskapelle im Collegium Borromaeum in Münster
Inneres der Kapelle 1914 1931
1954 heute
Collegium Borromaeum in Münster
1563 hat das Konzil von Trient Bestimmungen für die Erziehung von Klerikern festgesetzt. 1853 wurde in Münster am Domplatz das entsprechende Haus dazu gegründet, das Collegium Borromaeum. Der Neubau von 1912–1915 umfaßte ca. 200 Einzelzimmer, die man zum Teil auch als Doppelzimmer einrichtete. Nach seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg erfuhr das Haus verschiedene Umbauten. Die Studenten nannten es auch Kasten oder Bau; denn damals bekamen sie keinen Hausschlüssel für das abends und nachts geschlossene Gebäude.
2003 zog das Priesterseminar in das Haus. 2005 haben das Collegium Borromaeum und das Priesterseminar fusioniert zum Bischöflichen Priesterseminar Borromaeum.
Willi Astrath:
Tagesordnung:
5.00 Uhr wird aufgestanden
5.30 Uhr Morgengebet – Meditation
6.00 Uhr hl. Messe
6.30 Uhr Kaffe – freie Zeit
7.00–10.00 Uhr Besuch der Vorlesungen, respektive striktes Silentium
10.00–10.30 Uhr Butterbrot, freie Zeit
10.30–12.00 Uhr Vorlesungen, freies Silentium
12.00–12.45 Uhr freie Zeit, sofern nicht Gesangstunde
12.45–13.00 Uhr Examen conscientiae particulare [Gewissenserforschung], Lesung der Hl. Schrift
13.00 Uhr Mittagessen
13.30–15.00 Uhr (Donnerstag und Dienstag 13.30–16.00 Uhr) freie Zeit zum Spazieren gehen
15.00–16.00 Uhr freies Silentium im Garten oder [angrenzenden Landes-]Museum
16.00–17.00 Uhr Kaffee und freie Zeit
17.00–19·30 Uhr striktes Silentium im Museum
19.30–20.00 Uhr Abendessen
20.00–20.30 Uhr freie Zeit (Wasserholen)
20.30–21.30 Uhr freies Silentium (Vorträge)
21.30–22.00 Uhr Gebet, Puncta, Schlafengehen sub silentio [unter Schweigen].[1]
[1] Astrath, Wilhelm: Die Geschichte des Collegium Borromaeum von seiner Gründung 1854 bis zum Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg. In: 100 Jahre Bischöfliches Collegium Borromaeum zu Münster 1854–1954, Münster 1954: 39–106, hier 59
Tagebucheinträge zur Kapelle im Collegium Borromaeum[1]
[1] Aufgeführt sind nur die Stellen, in denen der Begriff „Kapelle“ ausdrücklich vorkommt. Nicht erwähnt sind die Einträge, in denen von Gottesdiensten in der Kapelle die Rede ist.
Münster, Sonntag, 6. Mai 1934
Nun, mein liebes Tagebuch, ich habe dir allerlei Neues zu berichten. Seit gestern abend stecke ich im Collegium Borromaeum zu Münster.
[…]
Um 20.15 Uhr in der Kapelle, die mir einzig gefällt, eine feine Predigt des Direktors über das Wort des Philipperbriefes: „Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich aus (oder „jage nach“) auf das, was vor mir liegt [Phil 3,13]“.
[…]
19.00 Uhr Abendbrot. Anschließend Plätzeverteilen in der Kapelle.[1] Danach eben bis 20.00 Uhr auf dem Domplatz.[2] 20.00 Uhr Andacht mit Abendgebet und sakramentalem Segen.
[1] Die Studenten hatten sowohl in der Kapelle als auch im Speisesaal in alphabetischer Reihenfolge angewiesene Plätze.
[2] Bis in die 1960er Jahre hatten die Studenten keinen Haustürschlüssel. Nach dem Abendessen war ein Spaziergang auf dem Domplatz möglich.
Münster, Samstag, 16. Juni 1934
Ich erhalte einen Brief vom Oberpräsidenten der Rheinprovinz[1]
[…]
Nette Sache! – Na, denk’ ich, der Herrgott hat bis jetzt geholfen. Er hilft auch weiter! Ich bete auf der Kapelle.
[1] Es ging um die Zuerkennung der Hochschulreife. In der NS-Zeit war neben dem bestandenen Abitur auch die Anerkennung der Hochschulreife durch den Oberpräsidenten notwendig. Karl Leisner bekam sie erst nach seinem am 22.3.1934 bestandenen Abitur vom Oberpräsidenten der Rheinprovinz in Koblenz, Hermann Freiherr von Lüninck, mit obigem Datum.
Münster, Donnerstag, 5. Juli 1934
Abends Herz-Jesu-Betrachtung [Puncta] beim „Chef“ [Direktor Franz Schmäing]. Kapelle prächtig geschmückt [zum Herz-Jesu-Freitag].
Münster, Freitag, 6. Juli 1934, Herz-Jesu-Freitag
Hochamt zu Ehren des heiligsten Herzens Jesu: XI. missa und I. Credo. – Tageslosung: „Die Liebe deines heiligsten Herzens durchglühe uns, o Jesu!“ – Ein großer Sühne- und Danktag! Ich kam dem Wesen der Herz-Jesu-Verehrung näher: Der gewaltigen Liebe Jesu![1]
Hier: Unser ALTAR auf der Kapelle in Herz-Jesu-Freitag-Schmuck (6. Juli)
[1] Sühnegebet zum heiligsten Herzen Jesu
Gütigster Jesus! Deine Liebe ergießt sich wie ein reicher Strom über die Menschen. Und doch vergessen, vernachlässigen und verachten sie dich und lohnen dir alles mit schmählichstem Undank. Siehe nun, wir knien vor deinem Altare nieder, um ihre sündhafte Lauheit und das Unrecht, das sie deinem liebreichsten Herzen allüberall zufügen, durch ganz besondere Verehrung zu ersetzen.
Aber leider haben auch wir uns solch häßlichen Undankes schuldig gemacht. Schmerzerfüllt flehen wir deshalb zu dir um Erbarmen. Sieh uns bereit, durch freiwillige Sühne die Frevel zu tilgen, die wir selber begingen. Aber auch für jene bitten wir dich, die sich weit vom Wege des Heils verirrten. Statt dir, ihrem Hirten und Herrn, zu folgen, verharren sie im Unglauben oder werfen das süße Joch deines Gesetzes ab und treten ihre Taufgelübde mit Füßen.
Wer sollte über solche Sünden nicht trauern! So nehmen wir uns vor, sie alle zu sühnen und dir dafür besonders Ersatz zu leisten, daß so viele in ihrem Leben und in ihrer Kleidung das Schamgefühl und ihre Würde schmählich verletzen, der Unschuld der Seelen Schlingen der Verführung legen, die Sonn- und Feiertage entheiligen, dich und deine Heiligen lästern, deinen Statthalter auf Erden und die Priester der Kirche schmähen und selbst das Sakrament der göttlichen Liebe verachten oder durch schrecklichen Gottesraub entweihen. Wir wollen es sühnen, daß sich sogar ganze Völker durch Widerstand gegen die heiligen Rechte und das Lehramt der Kirche, die du gegründet hast, offenkundig vergehen.
Könnten wir doch alle diese Sünden mit unserem eigenen Blute tilgen! Da wir es aber nicht vermögen, schenken wir dir als Genugtuung für den Raub an deiner göttlichen Ehre die Sühne, die du deinem himmlischen Vater einst am Kreuze geleistet hast und noch täglich auf den Altären erneuerst. Wir vereinigen sie mit der Genugtuung, die deine jungfräuliche Mutter, alle Heiligen und frommen Christgläubigen dir jemals geleistet haben. Wir geloben dir von Herzen, die Sünden, die wir oder andere früher begangen haben, und die Verschmähung deiner übergroßen Liebe, soviel an uns liegt, mit deiner Gnade wieder gutzumachen durch Treue im Glauben, Reinheit der Sitten und vollkommene Beobachtung der Gebote des Evangeliums, zumal des Gebotes der Liebe. Wir versprechen dir auch, möglichst viele zu deiner Nachfolge anzuspornen und nach Kräften zu verhindern, daß dir weiterhin Unrecht geschehe.
Nimm an, o gütigster Jesus, so bitten wir dich durch die Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria, unserer Mittlerin, diese dir willig geleistete Sühne. Erhalte uns durch die Gnade der Beharrlichkeit in deinem heiligen Dienste treu bis zum Tode, auf daß wir alle in die ewige Heimat gelangen, wo du mit dem Vater und dem Heiligen Geiste lebst und regierst, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
(Diözesangebetbuch 1939: 218–220)
Münster, Freitag, 13. Juli 1934
Messe für Mutter und das Lager sowie für meinen Beruf aufgeopfert.
[…]
21.15 Uhr Abendgebet allein auf der Kapelle.
Münster, Montag, 23. Juli 1934
16.45 bis 17.00 Uhr kurze Visitatio [Besuch zum Gebet in der Kapelle].
Josef Perau:
Im September 1934 ernennt Bischof Clemens August [Graf] von Galen ihn [Karl Leisner] zum Diözesanjungscharführer.
Von Kleve bis Wilhelmshaven warten nun die Gruppenführer mit ihren Jungen auf seinen Besuch und Beistand. Ein reger Schriftverkehr muß bewältigt werden. Wir sahen nur seinen rastlosen Einsatz, sahen ihn oft lange in der Kapelle knien, niemand fand das aber besonders bemerkenswert. Es gab im Borromaeum eine ganze Reihe origineller und markanter Typen, die mehr Aufmerksamkeit auf sich zogen.[1]
[1] Perau, Josef: Chronik einer niederrheinischen Familie. Wurzelgrund und Lebensraum, Goch 2004: 48f., s. auch: Perau, Josef: Biographie Karl Leisners zur Seligsprechung 1996, (Typoskript): 79
Jakob Lomme aus Weeze am 5. Dezember 1976 an Heinrich Kleinen in Uedem:
Ich kam mit Karl Leisner aus Kleve auf dasselbe Zimmer und hatte Gelegenheit, ihn aus der Nähe zu beobachten.
[…]
Auffällig war sein intensives Gebets- und Glaubensleben. Ich hatte den Eindruck, daß sein Beten „sprechender Glaube“ war.
[…]
Auch die meditative Form des Betens lag ihm. Nach dem Vortrag des Spirituals (P. Bernardin [Goebel OFMCap]) blieb er, in Gebet und Betrachtung versunken, häufiger auf seinem Platz zurück und verließ dann nicht selten als letzter die Kapelle.
Münster, Freitag, 7. Dezember 1934
Jungscharführerkursus für den Gau Oldenburg in Vechta vom 7. bis 9. Dezember 1934
[…]
Geweckt, gewirkt, geistig „gebastelt und gefeilt“, angeregt, vollgesogen habe ich mich Tage vorher in vielen Stunden oft bis tief in die Nacht hinein – ja ich glaub’ sogar, daß ich davon durchgeträumt habe. Im Gebet vor dem eucharistischen Heiland in [St.] Servatii [in Münster] und auf der Kapelle [im Collegium Borromaeum], in nächtlicher Anbetung [beim Ewigen Gebet am 10./11.11.] und sonst – kam die Vertiefung, die Arbeit nach innen, die Rechenschaft vor meinem heiligen und obersten König – vor Christus. Und er sandte mir Seine Gnade, Seinen Heiligen Geist.
Münster, Donnerstag, 30. Mai 1935, Christi Himmelfahrt
Gerade komm’ ich von meinem Herrn und Gott, meinem Erlöser und König: von der nächtlichen Anbetungsstunde auf der blumengeschmückten Kapelle. Rot und weiß: dunkle Rosen tiefer Liebe, helles Weiß strahlender Reinheit schmücken den Altar, und vor dem Heiland knien wir in dieser reinen Liebesgesinnung, wenigstens dem Willen nach! Wir, die Er in Seiner unaussprechlich mächtigen Gnade aus Not und Nacht der Sündigkeit (ach ja, wenn ich an manches denke – ich schäme und reue mich tief, tief!) berufen will zu Seinem heiligen Priestertum.
Johannes Wesselmann[1] betete vor: Herrliche Betrachtung über die Eucharistie als das Unterpfand der Einheit, das vinculum caritatis et unitatis [Band der Liebe und der Einheit] – mit allen Kommunizierenden wird jeder einzelne – ein Leib. Una fides, unum baptisma, una eucharistia. [Ein Glaube, eine Taufe, eine Eucharistie. (vgl. Eph 4,5)] – Dann das prächtige Eucharistiegebet aus der „didac“[2] und der Sonnengesang des heiligen Franz[3] – neue Lichter der Gnade und der Kraft Christi sind mir aufgegangen. Eucharistische Lebensgestaltung, Tagesgestaltung, Geisteshaltung. Als ewig liebende, opfernde Kraft!
Versprochen hab’ ich dem Heiland, meinem Retter und Freund: Haltung des Silentiums bis zu den Ferien nach besten Kräften!
Das will ich halten und – Jesus hilf mir, ich bin so schwach.
Gebetet hab’ ich für die großen Anliegen der Kirche und der Menschheit (pax unitatis! [Frieden der Einheit!]), für unser Volk und Vaterland, für unsre münstersche Kirche, für unser Jugendreich in der Verfolgung, für unsre Jungschar in der Diözese, für unsere Familie und all die Lieben und Verwandten – welch herrliches Gefühl der Kraft und der Einheit! Auch für meine Anliegen: Priesterliches Beispiel im Leben, gute Todesstunde, rechte Führerkraft; starke Lebensgestaltung und Haltung, Gesundheit an Leib und Seele, aufopferndes Studium, helle Geistes- und tiefe Glaubenskraft – hab’ich zu Christus im Sakrament gesprochen, für unsere Theologengemeinschaft, das Feriendiakonat[4] usf.
Erneuert bin ich im Geiste! Jetzt apostolische Lebenshaltung, Tat!
[1] vermutlich Gustav Wesselmann
[2] Die Didache enthält im Kapitel 9 und 10 Eucharistische Gebete.
[3] s. Gotteslob 1975 Nr. 285, Gotteslob 2013 Nr. 559 u. 19,2
[4] Im Nachlaß von Karl Leisner befindet sich ein vervielfältigtes Typoskript von 1935: Junge Kirche – Ein Bericht zur Vorbereitung auf das Feriendiakonat.
Münster, Freitag, 31. Mai 1935
Ordnung herein in die täglichen kleinen feinen Dinge:
[…]
Morgens das Kreuzzeichen in Ehrfurcht und Kraft nach kraftvollem Erheben, dann auf der Kapelle: pünktlich da, Sammlung, tief atmen zu Beginn, gewärtig werden; Prim devote [fromm] beten[1], in Sammlung und Wachheit. Das Meßopfer als Morgen- und Tagesopfer, Heiligung zum Tagewerk mit all seinen Klippen und Härten und Lockungen und Unvorhergesehenem.
[1] vermutlich die Prim aus dem lateinischen Psalterium Romanum
Münster, Sonntag, 27. Oktober 1935, Christ-Königs-Fest
Bei der Christkönigsgemeinschaftsmesse der Jugend [in Kleve] war ich im Geiste mit dabei, während wir Gemeinschaftsmesse auf der Kapelle [im Collegium Borromaeum] feierten mit P. [Friedrich] Kronseder [SJ][1]: Der jüngste Kursus, die „auswärtigen Vor-Exerzitanten[2] und wir von der 2. Kompanie [vom zweiten Kurs]“, die wir heute am Tage der Feier des Königtums Jesu Christi ein philosophisches Examen bauen sollten. O Graus!
[1] Bei P. Friedrich Kronseder SJ machte Karl Leisners Studienkurs vom 30.10. bis 2.11.1935 Exerzitien.
[2] Vermutlich die Studenten in den Außensemestern, die vor Semesterbeginn ihre Exerzitien in Münster machten.
Münster, Mittwoch, 30. Oktober bis Samstag, 2. November 1935
Abends 20.00 Uhr sakramentale Andacht auf der Kapelle. Es beginnen die Geistlichen Übungen bei P. Kronseder.
Münster, Montag, 24. Februar 1936, Rosenmontag
Mündliches Examen [bei den Professoren Arnold Struker und Peter Wust]. Komme kurz vor Mittag dran. Grade war ich Metaphysik noch am Durchblättern, da stürzt Arnold M. [Mente] mir auf die Bude: „Schnell, tempo! Sonst kommst du zu spät.“ – Ich renne – Kaffeepause. Inzwischen kommt der Hochwürdigste Herr [Bischof Clemens August Graf von Galen]. Ein klein wenig „Herzbubbern“ hab ich trotz aller äußeren Ruhe. Aber nach kurzem Gebet der Sammlung auf der Kapelle werd’ ich beim Warten „ante portas“ [vor den Toren des Prüfungszimmers] immer ruhiger.
Münster, Sonntag, 24. Oktober 1937
Der herzhafte Entschluß, gleich am Sonntag, [dem] 24.[10.,] zu beichten und bei P. [Ludwig] Esch [SJ] um ein Nikodemusstündchen[1] zu bitten. Was war das schön und so einfach in jener Abendstunde. Noch einmal einen kurzen Überblick, und dann das gütige klare Priesterwort zu dieser letzten Entscheidung. Gottes Geist sprach aus uns beiden – was war das schön. Ganz ergriffen kniete ich nachher in der nur vom Ewigen Licht erleuchteten Kapelle [des Collegium Borromeum] und dankte dem Herrn, grüßte Ihn als Meinen Herrn fürs Leben im Priesterstand.
Still und ergriffen legte ich mich zur Ruhe. Und schlief herrlich trotz der rheumatischen Schmerzen.
[1] s. Joh 3,1–13: Der Pharisäer Nikodemus kam aus Furcht vor den Juden in der Nacht zu einem Gespräch zu Jesus.
Münster, Donnerstag, 12. Mai 1938
12.45 bis 13.00 Uhr Adoratio in sacello [Anbetung in der Kapelle] – 13.00 bis 14.00 Uhr Pause. – 14.00 bis 14.30 Uhr: Via crucis [Kreuzweg].
* * * * *
Lagerkapelle im KZ Dachau
1940 fanden Verhandlungen zwischen der Deutschen Reichsregierung – Bischof Heinrich Wienken in Berlin war der Mittelsmann – und dem päpstlichen Nuntius Cesare Orsenigo über die Lage der katholischen Priester in den Konzentrationslagern statt.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Adolf Kardinal Bertram am 26. März 1940 an den Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten Hanns Kerrl:
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz
Breslau, den 26. März 1940
C. A. 1925
Am 22. Juli 1938 habe ich an das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin namens der Oberhirten aller Diözesen Deutschlands die Bitte gerichtet, anzuordnen, daß in den Konzentrationslagern für die katholischen Schutzhäftlinge regelmäßiger katholischer Gottesdienst und Seelsorge eingerichtet werde, sowie insbesondere seelsorgliche Besuche der Kranken und Spendung der Sterbesakramente auf rechtzeitige Verständigung des zuständigen Geistlichen zugelassen werden. Dabei habe ich auf Art. 28 des Reichskonkordats[[1]] Bezug genommen und noch mehr auf das seelsorgliche Bedürfnis der Inhaftierten, zu dem noch besonders der versöhnende Einfluß der Religion und ihrer Gnadenmittel hinzutritt. Laut Schreiben des Reichskirchenministeriums vom 30. August 1938 G. II. 4565 ist dieses Gesuch abgelehnt aus sicherheitspolizeilichen Gründen, obwohl ich die Erfüllung der Pflicht der Bischöfe, für die Beobachtung aller Ordnungsvorschriften ihrerseits Sorge zu tragen, zugesagt habe. Da ich mir nicht denken kann, daß auf die Dauer den Schutzhäftlingen selbst jene seelsorgliche Hilfe verweigert bleiben könne, deren selbst die schwersten Verbrecher in Zuchthäusern – sicher nicht zum Nachteil der staatlichen Interessen – sich erfreuen, so bitte ich das Reichskirchenministerium, diese Angelegenheit erneuter Prüfung unterziehen zu wollen. Es ist mir nicht möglich, bei jenem Bescheid mich zu beruhigen. Habe ich doch von Kindheit an und in der katholischen Volksschule und im katholischen Gymnasium, dem ich meine Ausbildung verdanke, stets den Grundsatz gehört und befolgt gesehen, daß man bei aller Treue zur eigenen religiösen Überzeugung stets pietätvolle Achtung und Rücksicht dem religiösen Innenleben Andersdenkender zu erweisen verpflichtet sei: ein Grundsatz, den man doch auch im Bereiche der nationalsozialistischen Weltanschauung nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch zu beobachten bestrebt sein wird. Und hat doch noch in den letzten Monaten das Oberkommando der Wehrmacht in verständiger Würdigung des Einflusses religiöser Übung entgegenkommende Vergünstigung gewährt für Gottesdienst und Seelsorge der Kriegsgefangenen, insbesondere der in schwerer Erkrankung befindlichen. Wenn ich den Bericht der Kommandantur des Konzentrationslagers Buchenwald d. d. Weimar-Buchenwald d. 3. Februar 1940 über die Krankheit und das Ende des früher zu meiner Diözese gehörenden Erzpriesters Paul Polednia lese, wirkt es geradezu erschütternd, zu denken, wie ein Greis in so entsetzlichem Krankheitszustande selbst alles seelsorglichen Trostes entbehren mußte.
Meine Bitte geht dahin, das Reichskirchenministerium wolle gütigst vermitteln, daß
1. wenn nicht regelmäßiger, doch periodischer Gottesdienst und Seelsorge in Konzentrationslagern gestattet werden möge;
2. daß bei lebensgefährlicher Erkrankung das zuständige Pfarramt, bez. ein von staatlicher Seite zugelassener benachbarter Geistlicher rechtzeitig zwecks Spendung der Sterbesakramente verständigt werde;
3. daß den inhaftierten Geistlichen die stille Persolvierung des Breviergebets gestattet bleibe und nicht behindert werde, aus der sie gerade in seelisch schweren Stunden Kraft zu geduldiger Ausdauer und seelisches Gleichgewicht schöpfen; und
4. daß die Erdbestattung für die Leichen derjenigen Inhaftierten gestattet bleibe, die vor ihrem Ende, oder in deren Vertretung die Angehörigen solche verlangen.
Es würde angesichts der schweren Prüfung, die das Konzentrationslager jedem Inhaftierten bringt, versöhnend und für die Angehörigen beruhigend wirken, wenn wenigstens in diesen Stücken aus Gründen humaner Behandlungsweise Entgegenkommen geübt würde.
gez. A. Card. Bertram[2]
[1] Der Artikel 28 garantierte:
In Krankenhäusern, Strafanstalten und sonstigen Häusern der öffentlichen Hand wird die Kirche im Rahmen der allgemeinen Hausordnung zur Vornahme seelsorgerlicher Besuche und gottesdienstlicher Handlungen zugelassen. Wird in solchen Anstalten eine regelmäßige Seelsorge eingerichtet und müssen hierfür Geistliche als Staats- oder sonstige öffentliche Beamte eingestellt werden, so geschieht dies im Einvernehmen mit der kirchlichen Oberbehörde.
[2] Freiburger Diözesanarchiv Nr. 4288
Hanns Kerrl am 9. November 1940 an Kardinal Bertram:
Berlin W 8, den 9. November 1940. Leipzigerstraße 3.
II 5431/40.
An den Herrn Erzbischof von Breslau Kardinal Bertram in Breslau.
Betrifft: Behandlung der Geistlichen im Konzentrationslager.
Dortiges Schreiben: C. A. 1925 vom 26. März 1940.
Nach einer Entscheidung des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei [Heinrich Himmler] werden nunmehr sämtliche bisher in verschiedenen Konzentrationslagern untergebrachten Geistlichen im K.L. Dachau zusammengefaßt werden. Dort werden sie nur mit leichten Arbeiten beschäftigt. Auch wird ihnen Gelegenheit gegeben, täglich die Messe zu lesen oder zu besuchen. Die erforderlichen Meßgeräte nebst Zubehör stehen zur Verfügung.
Wie mir der Chef der Sicherheitspolizei und des SD [Sicherheitsdienstes] weiterhin mitteilt, kann jedoch von der Einäscherung der Leichen von im Konzentrationslager verstorbenen Geistlichen wie bei allen anderen Schutzhäftlingen aus grundsätzlichen Erwägungen nicht abgesehen werden.
Im Auftrage, gez. [Josef] Roth.[1]
[1] Freiburger Diözesanarchiv Nr. 15154
Im KZ Sachsenhausen wurde eine Kapelle in Block 57 eingerichtet, so daß die Häftlinge ab Montag, dem 5. August 1940, dem Fest Maria Schnee, dort jeden Morgen die heilige Messe feiern konnten. Einen Meßkoffer hatte die Lagerkommandantur zur Verfügung gestellt.
P. Otto Pies SJ:
Auf Himmlers Befehl hin mußten den Geistlichen in den Konzentrationslagern Zulagen zur Verpflegung und andere Erleichterungen gegeben werden. Ja, man wollte es nicht glauben und überhaupt für möglich halten, aber es wurde Tatsache. Himmler gab sogar Befehl, daß den Geistlichen ein Raum als Kapelle zu übergeben sei für die Feier von Gottesdiensten. Und wirklich fand in den Novembertagen [1940[1]] zum erstenmal in einem Barackenraum ein Gottesdienst statt. Es war wie in den Katakomben. Verfolgte, gehetzte, dem Tode geweihte Menschen – es waren nur Priester zugelassen – standen dicht gedrängt um den Notaltar, der auf einer Kiste errichtet und mit einem Bettlaken überspannt war. Betend und opfernd feierten sie das Kreuzopfer Jesu Christi: Das Geheimnis des Lebens mitten im Grauen des Todes. Und bei der heiligen Wandlung war Christus in bebender Priesterhand gegenwärtig mitten im KZ, der Hochburg Satans, der Herrschaft dämonischer Mächte.[2]
[1] Otto Pies war nicht im KZ Sachsenhausen und hatte vermutlich keine Unterlagen, aus denen er den 5.8.1940 als Tag der ersten offiziellen Eucharistiefeier im KZ Sachsenhausen ersehen konnte.
[2] Pies, Otto: Stephanus heute. Karl Leisner. Priester und Opfer, Kevelaer: 11950: 114, 72008 (kommentiert von Hans-Karl Seeger): 106
P. Josef Fischer SAC:
Das Sicherheitsamt [Reichssicherheitshauptamt] Berlin verfügte, daß die Kleriker aus allen Konzentrationslagern nach Dachau überführt werden sollten. Am 7.12.1940 war die Ankunft der Priester von Buchenwald in Dachau, am 8.12.1940 die der Priester von Gusen und Mauthausen, am 14.12.1940 die der Priester aus Sachsenhausen.[1]
[1] Fischer, Josef: Dokumentation über den Gründer Schönstatts [P. Joseph Kentenich SAC] und die Schönstattgemeinschaften im KZ Dachau 1941–1945, 3 Bde., (Typoskript um 1964, Kopie; Original im Priesterhaus Berg Moriah, Simmern Ww.), hier Bd. I: 65
P. Johann Lenz:
15 Dezember [1940]. Auch die Priester aus dem KZ Sachsenhausen kommen heute zu uns. Sie bringen zwei Militärmeßkoffer mit.[1]
[1] Lenz, Johann: Christus in Dachau oder Christus der Sieger. Ein religiöses Volksbuch und ein kirchengeschichtliches Zeugnis (mit 100 Bildern). Für Priester und Volk, Wien 61957: 77 (zit. Lenz 1957)
Im KZ Dachau wurde die Lagerkapelle erst auf Grund des angekündigten Besuches von Heinrich Himmler eingerichtet.
Mittwoch, 22. Januar 1941
An diesem Tag feierte der polnische Lagerkaplan Paul Prabutzki die erste heilige Messe in der fertiggestellten Lagerkapelle. Anfangs durfte nur er jeden Tag zelebrieren. Wie gerne hätte jeder Priester zelebriert, aber das war erst gegen Ende der Lagerzeit möglich.
Ein Tisch aus der ausgeräumten Stube 1 von Block 26 diente als Altar. Die SS stellte Bettücher als Altardecken zur Verfügung. Eine Schublade diente einstweilen als Tabernakel.[1]
[1] s. Arthofer, Leopold: Als Priester im Konzentrationslager. Meine Erlebnisse in Dachau, Graz/Wien 1947: 48f.
P. Johann Lenz:
Der erste Lageraltar! Wer kann unser Glück erfassen – trotz aller Armut von Bethlehem. Christus war bei uns in Lagerhaft! Christus, die Krone der Märtyrer, Christus, das Licht der Bekenner, Christus, die Wonne aller Heiligen – Er selbst – unser Mitgefangener. Freiwillig war Er uns nachgegangen in die Not, in den Tod des Lagers! Nicht nur mit Seiner göttlichen Gnade – auch als Gott und Mensch, mit Fleisch und Blut, mit Leib und Seele. Und täglich kommt Er wieder, Tag und Nacht bleibt Er hier, nichts kann Ihn abschrecken, unsere Not zu teilen. Dort in der kleinen Hostie – im armseligen Tabernakel – auf dem ersten Lageraltar – dort wohnt unser Christus in Dachau![1]
Das war die erste Ausstattung unseres Heiligtums in Dachau, vorab des Altares: Armut vom Stalle in Bethlehem. Der bescheidene Inhalt eines Meßkoffers war es. Er stammte, soweit sich ermitteln läßt, aus Warschau, vom Heeresbischof daselbst. Bei Errichtung der Kapelle in Sachsenhausen wurde diese Einrichtung den Priestern geliehen (5. August 1940) und im folgenden Dezember nach Dachau mitgebracht.
Diese erste Ausstattung war: ein kleines Kreuz und zwei Kerzenleuchter aus Metall, zwei Meßkännchen, drei Gebetstafeln. Das einzige Meßkleid zeigte auf der einen Seite die Farben Weiß und Rot, auf der anderen Violett und Schwarz. Es genügte somit zur Not für alle möglichen Fälle. Der Altartisch war ein Lagertisch aus unserer Wohnstube. Um diesen Altar nun mit seinem allseitigen Notbehelf versammelten sich, im frischgetünchten Barackenraum, am 22. Jänner 1941 Hunderte von gefangenen Priestern zur ersten heiligen Messe. Diese Armut blieb bis zum 15. Oktober 1941.[2] Eine andere Meßgarnitur war überhaupt nicht gestattet.[3]
[1] Lenz 1957: 184
[2] Johann Lenz schildert nicht, was sich am 15.10.1941 änderte.
[3] Lenz 1957: 183
Nun galt es, die noch fehlenden liturgischen Gegenstände und Geräte zu beschaffen und die Einrichtung der Kapelle zu gestalten.
April 1942
P. Johann Lenz:
April – Die schwere Karwoche für die polnischen Geistlichen. Erstes größeres Altarkreuz – (Kreuz von P. Karl Schmidt verfertigt, Korpus von Kaplan Johann Steinbock modelliert).[1]
[1] Lenz 1957: 178
Reinhold Friedrichs kümmerte sich unter anderem auch um die Gestaltung der Lagerkapelle.[1]
[1] s. Link zu Reinhold Friedrichs – „Blockvater im KZ Dachau auch für Karl Leisner (2)“
P. Johann Lenz
27 Februar 1944 – 1. Fastensonntag: Weihe des neuen Altarkreuzes aus Münster. Es war vermittelt durch H. Reinh. Friedrichs, den Fastenprediger dieses Jahres.[1]
[1] Lenz 1957: 316
P. Léon de Coninck SJ:
Das Kreuz des Hochaltars war eine naive, auch im Lager entstandene Skulptur; später [Februar 1944] wurde es Prozessionskreuz, als aus Münster ein herrliches Kunstwerk, ein Geschenk der Katholischen Aktion, ankam.[1]
[1] de Coninck, Léon: Priestergespräche in Dachau. Dachau, Konzentrationslager für Priester. In: Stimmen der katholischen Welt. Überblick und Auslese, Heft 2, 1946: 67–85: hier 877
Gerda Bockholt am 20. August 1990 an Wilhelm Haas:
Mein Vater erhielt es [das Bild von der Kapelle des KZ Dachau] von Herrn Domkapitular Friedrichs zugesandt als Beweis, dass das von meinem Vater übersandte Kreuz in der Kapelle seinen Platz gefunden hat.
Das Kreuz wurde in Münster von dem Bildhauer Bäumer entworfen und in seiner Werkstatt ausgeführt. Der Sohn des Herrn Bäumer – auch Bildhauer – wohnt in Münster, Am Kanonengraben 5 – In meiner Gegenwart wurde das Kreuz in ein extra angefertigtes Holzkästchen gelegt und da es unauffällig und schmal sein mußte, lassen sich die Querbalken mit den Armen durch eingelassene Holzdübel lösen und lagen eng an dem Mittelbalken. Ob das Päckchen direkt an das KZ Dachau an Herrn Friedrichs gesandt wurde, kann ich nicht sagen, ich weiß wohl, dass Herr Präses – wie wir ihn nannten – zeitweilig in der Poststelle des KZ eingesetzt war und wie er mir erzählt hat – ich war von 1946 bis 1948 bei ihm Sekretärin – einige Aufseher den Raum verlassen hätten, wenn mal besondere Post kam.
Gerda Bockholt am 26. August 1990 an Wilhelm Haas:
[…] denn ein Paket in der Breite des Kreuzes einzupacken und zu übersenden wäre unmöglich gewesen. Auch die Haltung des Kopfes wurde damals besprochen, denn es ist nicht die übliche Haltung „Es ist vollbracht“ [Joh 19,30], sondern zeigt Hoffnung.
Vor diesem Altar empfing Karl Leisner die Priesterweihe
P. Otto Pies SJ:
Der Weihekandidat, bleich, aber aufrecht und gesammelt, sitzt auf einem Holzschemel vor dem einfachen Notaltar mit dem schönen aus Holz geschnitzten Kruzifix. Es war wie in den Katakomben, ergreifender als in einem festlich geschmückten Dom[1].[2]
[1] P. Johann Lenz:
Hinter diesem Sakramentshäuschen ragt ein Kruzifix empor, 1.25 × 0.72 × 0.08 m groß. Eine Spende der Männerkongregation aus der Münsteraner Künstlerschule. Es ist ganz aus Eichenholz und etwas zu dunkel gebeizt (Lenz 1957: 188).
[2] Pies, Otto: Stephanus heute. Karl Leisner. Priester und Opfer, Kevelaer: 11950: 169, 72008 (kommentiert von Hans-Karl Seeger): 158
Das Kreuz hängt heute im Refektorium des Karmel Heilig Blut in Dachau.