Forschungen zu „Bau und Ausstattungen westfälischer Kirchen“ von Tobias Schrörs

 

Tobias Schrörs beschreibt unter anderem die Kapelle im Collegium Borromaeum in Münster und erwähnt das von dem Bildhauer Heinrich Bäumer aus Münster für die Lagerkapelle im KZ Dachau gefertigte Kreuz. Beide Kapellen waren für Karl Leisner zeitweise eine geistige Heimat.

 

 

 

 

 

 

 

 

Tobias Schrörs
Forschungen zur Volkskunde Heft 64
Bau und Ausstattung westfälischer Kirchen als Zeugnis der Volksfrömmigkeit
Münster 2017

 

 

 

 

Die Geschichte der Hauskapelle im Collegium Borromaeum und ihre Vorläufer, Seite 150–180

Collegium Borromaeum

Heinrich Bäumer, Seite 206f.

Dachau

 

Da die PDF-Dateien Ausschnitte aus dem Gesamtopus sind, stimmt die Bezifferung der Fußnoten nicht mit dem Original überein.

Hauskapelle im Collegium Borromaeum in Münster

 

Inneres der Kapelle 1914                                                                       1931

1954                                                                                             heute

Collegium Borromaeum in Münster
1563 hat das Konzil von Trient Bestimmun­gen für die Erziehung von Klerikern festge­setzt. 1853 wurde in Münster am Domplatz das ent­sprechende Haus dazu gegründet, das Colle­gium Borromaeum. Der Neubau von 1912–1915 umfaßte ca. 200 Einzelzimmer, die man zum Teil auch als Doppelzimmer einrichtete. Nach sei­ner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg erfuhr das Haus ver­schiedene Umbauten. Die Studenten nannten es auch Kasten oder Bau; denn damals bekamen sie keinen Haus­schlüs­sel für das abends und nachts ge­schlossene Gebäude.
2003 zog das Priesterseminar in das Haus. 2005 haben das Collegium Borro­maeum und das Priesterseminar fusioniert zum Bischöflichen Priesterseminar Borromaeum.

Willi Astrath:
Tagesordnung:
5.00 Uhr wird aufgestanden
5.30 Uhr Morgengebet – Meditation
6.00 Uhr hl. Messe
6.30 Uhr Kaffe – freie Zeit
7.00–10.00 Uhr Besuch der Vorlesungen, respektive striktes Silentium
10.00–10.30 Uhr Butterbrot, freie Zeit
10.30–12.00 Uhr Vorlesungen, freies Silentium
12.00–12.45 Uhr freie Zeit, sofern nicht Gesangstunde
12.45–13.00 Uhr Examen conscientiae particulare [Gewissenserforschung], Lesung der Hl. Schrift
13.00 Uhr Mittagessen
13.30–15.00 Uhr (Donnerstag und Dienstag 13.30–16.00 Uhr) freie Zeit zum Spazie­ren gehen
15.00–16.00 Uhr freies Silentium im Garten oder [angrenzenden Landes-]Museum
16.00–17.00 Uhr Kaffee und freie Zeit
17.00–19·30 Uhr striktes Silentium im Museum
19.30–20.00 Uhr Abendessen
20.00–20.30 Uhr freie Zeit (Wasserholen)
20.30–21.30 Uhr freies Silentium (Vorträge)
21.30–22.00 Uhr Gebet, Puncta, Schlafengehen sub silentio [unter Schweigen].[1]

[1] Astrath, Wilhelm: Die Geschichte des Collegium Borromaeum von seiner Gründung 1854 bis zum Wieder­aufbau nach dem 2. Weltkrieg. In: 100 Jahre Bischöfliches Collegium Borromaeum zu Münster 1854–1954, Münster 1954: 39–106, hier 59

Tagebucheinträge zur Kapelle im Collegium Borromaeum[1]

[1] Aufgeführt sind nur die Stellen, in denen der Begriff „Kapelle“ ausdrücklich vorkommt. Nicht erwähnt sind die Einträge, in denen von Gottesdiensten in der Kapelle die Rede ist.

Münster, Sonntag, 6. Mai 1934
Nun, mein liebes Tagebuch, ich habe dir allerlei Neues zu berichten. Seit gestern abend stecke ich im Collegium Borromaeum zu Münster.
[…]
Um 20.15 Uhr in der Kapelle, die mir einzig gefällt, eine feine Predigt des Direk­tors über das Wort des Philipper­briefes: „Ich ver­gesse, was hinter mir liegt, und strecke mich aus (oder „jage nach“) auf das, was vor mir liegt [Phil 3,13]“.

[…]
19.00 Uhr Abendbrot. Anschließend Plätzever­teilen in der Kapelle.[1] Da­nach eben bis 20.00 Uhr auf dem Domplatz.[2] 20.00 Uhr An­dacht mit Abend­­gebet und sakramentalem Segen.

[1] Die Studenten hatten sowohl in der Kapelle als auch im Speisesaal in alphabe­tischer Reihenfolge angewiesene Plätze.
[2] Bis in die 1960er Jahre hatten die Studenten keinen Haustürschlüssel. Nach dem Abendessen war ein Spaziergang auf dem Domplatz möglich.

Münster, Samstag, 16. Juni 1934
Ich erhalte einen Brief vom Oberpräsiden­ten der Rheinprovinz[1]
[…]

Nette Sache! – Na, denk’ ich, der Herrgott hat bis jetzt geholfen. Er hilft auch weiter! Ich bete auf der Kapelle.

[1] Es ging um die Zuerkennung der Hochschul­reife. In der NS-Zeit war neben dem bestandenen Abitur auch die Anerkennung der Hochschul­reife durch den Oberpräsidenten notwendig. Karl Leisner bekam sie erst nach seinem am 22.3.1934 bestandenen Abitur vom Ober­präsidenten der Rheinprovinz in Koblenz, Her­mann Freiherr von Lüninck, mit obigem Datum.

Münster, Donnerstag, 5. Juli 1934
Abends Herz-Jesu-Betrachtung [Puncta] beim „Chef“ [Direktor Franz Schmäing]. Kapelle prächtig geschmückt [zum Herz-Jesu-Freitag].

Münster, Freitag, 6. Juli 1934, Herz-Jesu-Freitag
Hochamt zu Ehren des heiligsten Herzens Jesu: XI. missa und I. Credo. – Tageslosung: „Die Liebe deines heiligsten Herzens durchglühe uns, o Jesu!“ – Ein großer Sühne- und Danktag! Ich kam dem Wesen der Herz-Jesu-Ver­eh­rung näher: Der gewaltigen Liebe Jesu![1]

 

Hier: Unser ALTAR auf der Kapelle in Herz-Jesu-Freitag-Schmuck (6. Juli)

[1]  Sühnegebet zum heiligsten Herzen Jesu
Gütigster Jesus! Deine Liebe ergießt sich wie ein reicher Strom über die Menschen. Und doch vergessen, vernachlässigen und verachten sie dich und lohnen dir alles mit schmäh­lichstem Undank. Siehe nun, wir knien vor deinem Altare nieder, um ihre sündhafte Lau­heit und das Unrecht, das sie deinem liebreichsten Herzen allüberall zufügen, durch ganz besondere Verehrung zu ersetzen.
Aber leider haben auch wir uns solch häßlichen Undankes schuldig gemacht. Schmerzer­füllt flehen wir deshalb zu dir um Erbarmen. Sieh uns bereit, durch freiwillige Sühne die Frevel zu tilgen, die wir selber begingen. Aber auch für jene bitten wir dich, die sich weit vom Wege des Heils verirrten. Statt dir, ihrem Hirten und Herrn, zu folgen, verharren sie im Unglauben oder werfen das süße Joch deines Gesetzes ab und treten ihre Taufgelübde mit Füßen.
Wer sollte über solche Sünden nicht trauern! So nehmen wir uns vor, sie alle zu sühnen und dir dafür besonders Ersatz zu leisten, daß so viele in ihrem Leben und in ihrer Klei­dung das Schamgefühl und ihre Würde schmählich verletzen, der Unschuld der Seelen Schlingen der Verführung legen, die Sonn- und Feiertage entheiligen, dich und deine Hei­ligen lästern, deinen Statthalter auf Erden und die Priester der Kirche schmähen und selbst das Sakra­ment der göttlichen Liebe verachten oder durch schrecklichen Gottesraub ent­weihen. Wir wollen es sühnen, daß sich sogar ganze Völker durch Widerstand gegen die heiligen Rechte und das Lehramt der Kirche, die du gegründet hast, offenkundig vergehen.
Könnten wir doch alle diese Sünden mit unserem eigenen Blute tilgen! Da wir es aber nicht vermögen, schenken wir dir als Genugtuung für den Raub an deiner göttlichen Ehre die Sühne, die du deinem himmlischen Vater einst am Kreuze geleistet hast und noch täg­lich auf den Altären erneuerst. Wir vereinigen sie mit der Genugtuung, die deine jungfräu­liche Mutter, alle Heiligen und frommen Christgläubigen dir jemals geleistet haben. Wir geloben dir von Herzen, die Sünden, die wir oder andere früher begangen haben, und die Ver­schmähung deiner übergroßen Liebe, soviel an uns liegt, mit deiner Gnade wieder gut­zu­machen durch Treue im Glauben, Reinheit der Sitten und vollkommene Beobachtung der Gebote des Evangeliums, zumal des Gebotes der Liebe. Wir versprechen dir auch, mög­lichst viele zu deiner Nachfolge anzuspornen und nach Kräften zu verhindern, daß dir wei­terhin Unrecht geschehe.
Nimm an, o gütigster Jesus, so bitten wir dich durch die Fürsprache der allerseligsten Jung­frau Maria, unserer Mittlerin, diese dir willig geleistete Sühne. Erhalte uns durch die Gnade der Beharrlichkeit in deinem heiligen Dienste treu bis zum Tode, auf daß wir alle in die ewige Heimat gelangen, wo du mit dem Vater und dem Heiligen Geiste lebst und re­gierst, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
(Diözesangebetbuch 1939: 218–220)

Münster, Freitag, 13. Juli 1934
Messe für Mutter und das Lager sowie für meinen Beruf aufgeopfert.
[…]
21.15 Uhr Abendge­bet allein auf der Kapelle.

Münster, Montag, 23. Juli 1934
16.45 bis 17.00 Uhr kurze Visi­tatio [Besuch zum Gebet in der Kapelle].

Josef Perau:
Im September 1934 ernennt Bischof Clemens August [Graf] von Galen ihn [Karl Leisner] zum Diözesanjungscharführer.
Von Kleve bis Wilhelmshaven warten nun die Gruppenführer mit ihren Jungen auf seinen Besuch und Beistand. Ein reger Schrift­ver­kehr muß bewältigt werden. Wir sahen nur seinen rastlosen Einsatz, sahen ihn oft lange in der Kapelle knien, niemand fand das aber be­sonders bemer­kens­wert. Es gab im Borromaeum eine ganze Reihe origineller und mar­kanter Typen, die mehr Aufmerk­samkeit auf sich zogen.[1]

[1] Perau, Josef: Chronik einer niederrheinischen Familie. Wurzelgrund und Lebensraum, Goch 2004: 48f., s. auch: Perau, Josef: Biographie Karl Leis­ners zur Seligsprechung 1996, (Typoskript): 79

Jakob Lomme aus Weeze am 5. Dezember 1976 an Heinrich Kleinen in Uedem:
Ich kam mit Karl Leisner aus Kleve auf dasselbe Zimmer und hatte Gelegenheit, ihn aus der Nähe zu beobachten.
[…]
Auffällig war sein intensives Gebets- und Glaubensleben. Ich hatte den Eindruck, daß sein Beten „sprechender Glaube“ war.
[…]
Auch die meditative Form des Betens lag ihm. Nach dem Vor­trag des Spi­rituals (P. Bernardin [Goebel OFMCap]) blieb er, in Gebet und Betrach­tung versunken, häufiger auf seinem Platz zurück und verließ dann nicht selten als letzter die Kapelle.

Münster, Freitag, 7. Dezember 1934
Jungscharführerkursus für den Gau Oldenburg in Vechta vom 7. bis 9. De­zem­ber 1934
[…]
Geweckt, gewirkt, geistig „gebastelt und gefeilt“, angeregt, vollgesogen habe ich mich Tage vorher in vielen Stunden oft bis tief in die Nacht hinein – ja ich glaub’ sogar, daß ich davon durchgeträumt habe. Im Gebet vor dem euchari­stischen Heiland in [St.] Servatii [in Münster] und auf der Kapelle [im Col­legium Borromaeum], in nächtlicher Anbetung [beim Ewigen Gebet am 10.
/11.11.] und sonst – kam die Vertie­fung, die Arbeit nach innen, die Re­chen­schaft vor meinem heiligen und ober­sten König – vor Christus. Und er sandte mir Seine Gnade, Seinen Heili­gen Geist.

Münster, Donnerstag, 30. Mai 1935, Christi Himmelfahrt
Gerade komm’ ich von meinem Herrn und Gott, meinem Erlöser und König: von der nächtlichen Anbetungsstunde auf der blumengeschmückten Kapelle. Rot und weiß: dunkle Rosen tiefer Liebe, helles Weiß strahlender Reinheit schmücken den Altar, und vor dem Heiland knien wir in dieser reinen Lie­besgesinnung, wenigstens dem Willen nach! Wir, die Er in Seiner unaus­sprechlich mäch­tigen Gnade aus Not und Nacht der Sündigkeit (ach ja, wenn ich an manches denke – ich schäme und reue mich tief, tief!) berufen will zu Seinem heiligen Priestertum.
Johannes Wesselmann[1] betete vor: Herrliche Betrachtung über die Eucha­ri­stie als das Unterpfand der Einheit, das vinculum caritatis et unita­tis [Band der Liebe und der Einheit] – mit allen Kommunizierenden wird jeder einzelne – ein Leib.
Una fides, unum baptisma, una eucharistia. [Ein Glaube, eine Taufe, eine Eucharistie. (vgl. Eph 4,5)] – Dann das präch­tige Euchari­stie­gebet aus der „didac“[2] und der Sonnengesang des heiligen Franz[3] – neue Lichter der Gnade und der Kraft Christi sind mir aufge­gan­gen. Eucha­ristische Lebensgestaltung, Tagesgestaltung, Gei­stes­haltung. Als ewig lieben­de, opfernde Kraft!
Versprochen hab’ ich dem Heiland, meinem Retter und Freund: Haltung des Silentiums bis zu den Ferien nach besten Kräften!
Das will ich halten und – Jesus hilf mir, ich bin so schwach.
Gebetet hab’ ich für die großen Anliegen der Kirche und der Menschheit (pax unitatis! [Frieden der Einheit!]), für unser Volk und Vaterland, für unsre münstersche Kirche, für unser Jugendreich in der Verfolgung, für unsre Jungschar in der Diözese, für unsere Familie und all die Lieben und Ver­wandten – welch herrliches Gefühl der Kraft und der Einheit! Auch für meine Anliegen: Priesterliches Beispiel im Leben, gute Todesstunde, rechte Füh­rerkraft; starke Lebensgestaltung und Haltung, Gesundheit an Leib und Seele, aufopferndes Studium, helle Geistes- und tiefe Glaubenskraft – hab’ich zu Christus im Sakrament gesprochen, für unsere Theologengemein­schaft, das Feriendiakonat[4] usf.
Erneuert bin ich im Geiste! Jetzt apostoli­sche Lebenshaltung, Tat!

[1] vermutlich Gustav Wesselmann
[2] Die Didache enthält im Kapitel 9 und 10 Eucharistische Gebete.
[3] s. Gotteslob 1975 Nr. 285, Gotteslob 2013 Nr. 559 u. 19,2
[4] Im Nachlaß von Karl Leisner befindet sich ein vervielfältigtes Typoskript von 1935: Junge Kirche – Ein Bericht zur Vorbereitung auf das Feriendiakonat.

Münster, Freitag, 31. Mai 1935
Ordnung herein in die täglichen kleinen feinen Dinge:
[…]
Morgens das Kreuzzeichen in Ehrfurcht und Kraft nach kraftvollem Erhe­ben, dann auf der Kapelle: pünktlich da, Sammlung, tief atmen zu Beginn, gewär­tig werden; Prim devote [fromm] beten[1], in Sammlung und Wachheit. Das Meßopfer als Morgen- und Tages­opfer, Heiligung zum Tagewerk mit all sei­nen Klippen und Härten und Lockungen und Unvorhergesehenem.

[1] vermutlich die Prim aus dem lateinischen Psalterium Romanum

Münster, Sonntag, 27. Oktober 1935, Christ-Königs-Fest
Bei der Christkönigsgemeinschaftsmesse der Jugend [in Kleve] war ich im Geiste mit dabei, während wir Gemeinschaftsmesse auf der Kapelle [im Collegium Borro­maeum] feierten mit P. [Friedrich] Kronse­der [SJ][1]: Der jüngste Kursus, die „auswärtigen Vor-Exerzitanten[2] und wir von der 2. Kompanie [vom zweiten Kurs]“, die wir heute am Tage der Feier des Königtums Jesu Christi ein philosophisches Examen bauen sollten. O Graus!

[1] Bei P. Friedrich Kronseder SJ machte Karl Leisners Studienkurs vom 30.10. bis 2.11.1935 Exerzitien.
[2] Vermutlich die Studenten in den Außensemestern, die vor Semesterbeginn ihre Exerzitien in Münster machten.

Münster, Mittwoch, 30. Oktober bis Samstag, 2. November 1935
Abends 20.00 Uhr sakramentale Andacht auf der Kapelle. Es beginnen die Geistlichen Übungen bei P. Kronseder.

Münster, Montag, 24. Februar 1936, Rosenmontag
Mündliches Examen [bei den Professoren Arnold Struker und Peter Wust]. Komme kurz vor Mittag dran. Grade war ich Meta­physik noch am Durch­blättern, da stürzt Arnold M. [Mente] mir auf die Bude: „Schnell, tempo! Sonst kommst du zu spät.“ – Ich renne – Kaffeepause. Inzwischen kommt der Hochwürdigste Herr [Bischof Clemens August Graf von Galen]. Ein klein wenig „Herzbubbern“ hab ich trotz aller äußeren Ruhe. Aber nach kurzem Gebet der Sammlung auf der Kapelle werd’ ich beim Warten „ante portas“ [vor den Toren des Prüfungszimmers] immer ruhiger.

Münster, Sonntag, 24. Oktober 1937
Der herzhafte Ent­schluß, gleich am Sonntag, [dem] 24.[10.,] zu beichten und bei P. [Ludwig] Esch [SJ] um ein Nikodemus­stündchen[1] zu bitten. Was war das schön und so einfach in jener Abendstunde. Noch ein­mal einen kurzen Überblick, und dann das gütige klare Prie­sterwort zu die­ser letzten Ent­schei­dung. Gottes Geist sprach aus uns beiden – was war das schön. Ganz ergrif­fen kniete ich nachher in der nur vom Ewigen Licht er­leuchteten Kapelle [des Collegium Borromeum] und dankte dem Herrn, grüßte Ihn als Meinen Herrn fürs Le­ben im Priesterstand.
Still und ergriffen legte ich mich zur Ruhe. Und schlief herrlich trotz der rheumatischen Schmer­zen.

[1] s. Joh 3,1–13: Der Pharisäer Nikodemus kam aus Furcht vor den Juden in der Nacht zu einem Gespräch zu Jesus. 

Münster, Donnerstag, 12. Mai 1938
12.45 bis 13.00 Uhr Ado­ra­tio in sacello [Anbetung in der Kapelle] – 13.00 bis 14.00 Uhr Pause. – 14.00 bis 14.30 Uhr: Via crucis [Kreuzweg].

* * * * *

Lagerkapelle im KZ Dachau

1940 fanden Verhandlungen zwi­schen der Deut­schen Reichsregierung – Bischof Heinrich Wien­ken in Berlin war der Mittelsmann – und dem päpstli­chen Nuntius Cesare Orsenigo über die Lage der katholi­schen Priester in den Konzentrati­onslagern statt.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonfe­renz Adolf Kardinal Bertram am 26. März 1940 an den Reichsminister für die kirchlichen Angele­gen­heiten Hanns Kerrl:
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonfe­renz
Breslau, den 26. März 1940
C. A. 1925
Am 22. Juli 1938 habe ich an das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin namens der Oberhir­ten aller Diözesen Deutschlands die Bitte ge­richtet, anzuordnen, daß in den Konzen­trations­lagern für die katholischen Schutzhäftlinge regel­mäßiger katholischer Gottesdienst und Seel­sorge eingerich­tet werde, sowie insbesondere seelsorgliche Besuche der Kranken und Spen­dung der Sterbesakramente auf rechtzeitige Verständigung des zuständigen Geistlichen zu­gelassen werden. Dabei habe ich auf Art. 28 des Reichskonkordats[[1]] Bezug genommen und noch mehr auf das seelsorgliche Bedürfnis der Inhaf­tierten, zu dem noch besonders der versöh­nende Einfluß der Religion und ihrer Gnaden­mittel hinzutritt. Laut Schreiben des Reichskir­chenministeriums vom 30. August 1938 G. II. 4565 ist dieses Gesuch abgelehnt aus sicher­heitspolizeilichen Gründen, obwohl ich die Er­füllung der Pflicht der Bischöfe, für die Beob­achtung aller Ordnungsvorschriften ihrerseits Sorge zu tragen, zugesagt habe. Da ich mir nicht denken kann, daß auf die Dauer den Schutzhäftlingen selbst jene seelsorgliche Hilfe verweigert bleiben könne, deren selbst die schwersten Ver­brecher in Zuchthäusern – si­cher nicht zum Nachteil der staatlichen Interes­sen – sich erfreuen, so bitte ich das Reichskir­chenmi­nisterium, diese Angelegenheit erneuter Prüfung unterziehen zu wollen. Es ist mir nicht möglich, bei jenem Bescheid mich zu beruhigen. Habe ich doch von Kindheit an und in der katho­lischen Volksschule und im katholischen Gym­nasium, dem ich meine Ausbildung verdanke, stets den Grundsatz gehört und befolgt gese­hen, daß man bei aller Treue zur eigenen reli­giösen Überzeu­gung stets pietätvolle Achtung und Rücksicht dem religiösen Innenle­ben An­dersdenkender zu erweisen verpflichtet sei: ein Grundsatz, den man doch auch im Bereiche der nationalsozi­ali­stischen Weltanschauung nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch zu beo­bachten bestrebt sein wird. Und hat doch noch in den letzten Mo­naten das Oberkommando der Wehrmacht in verständiger Würdigung des Ein­flusses religiö­ser Übung entgegenkommende Vergünstigung gewährt für Gottesdienst und Seelsorge der Kriegsgefangenen, insbesondere der in schwe­rer Erkrankung befindlichen. Wenn ich den Be­richt der Kommandantur des Konzen­trationsla­gers Buchenwald d. d. Weimar-Bu­chenwald d. 3. Februar 1940 über die Krankheit und das Ende des früher zu meiner Diözese ge­hörenden Erz­priesters Paul Polednia lese, wirkt es geradezu er­schütternd, zu denken, wie ein Greis in so ent­setzlichem Krankheitszustande selbst alles seel­sorglichen Trostes entbehren mußte.
Meine Bitte geht dahin, das Reichskirchenmi­ni­sterium wolle gütigst vermitteln, daß
1. wenn nicht regelmäßiger, doch periodischer Gottesdienst und Seelsorge in Konzentrations­lagern gestattet werden möge;
2. daß bei lebensgefährlicher Erkrankung das zuständige Pfarramt, bez. ein von staatlicher Seite zugelassener benachbarter Geistlicher rechtzeitig zwecks Spendung der Sterbesakra­mente verständigt werde;
3. daß den inhaftierten Geistlichen die stille Per­solvierung des Breviergebets gestattet bleibe und nicht behindert werde, aus der sie gerade in seelisch schweren Stun­den Kraft zu geduldiger Ausdauer und seelisches Gleichgewicht schöp­fen; und
4. daß die Erdbestattung für die Leichen derjeni­gen Inhaftierten gestattet bleibe, die vor ihrem Ende, oder in deren Vertretung die Angehörigen solche verlangen.
Es würde angesichts der schweren Prüfung, die das Konzentrationslager jedem Inhaftierten bringt, versöhnend und für die Angehörigen be­ruhigend wirken, wenn wenigstens in diesen Stücken aus Gründen humaner Behandlungs­weise Entgegenkommen geübt würde.
gez. A. Card. Bertram[2]

[1] Der Artikel 28 garantierte:
In Krankenhäusern, Strafanstalten und sonstigen Häusern der öffentlichen Hand wird die Kirche im Rahmen der allgemeinen Hausordnung zur Vor­nahme seelsorgerlicher Besuche und gottes­dienstlicher Handlungen zugelassen. Wird in sol­chen Anstalten eine regelmäßige Seelsorge einge­richtet und müssen hierfür Geistliche als Staats- oder sonstige öffentliche Beamte eingestellt wer­den, so geschieht dies im Einvernehmen mit der kirchlichen Oberbehörde.
[2] Freiburger Diözesanarchiv Nr. 4288

Hanns Kerrl am 9. November 1940 an Kardinal Bertram:
Berlin W 8, den 9. November 1940. Leipziger­straße 3.
II 5431/40.
An den Herrn Erzbischof von Breslau Kardinal Bertram in Breslau.
Betrifft: Behandlung der Geistlichen im Konzen­trationslager.
Dortiges Schreiben: C. A. 1925 vom 26. März 1940.
Nach einer Entscheidung des Reichsführers SS und Chefs der Deut­schen Poli­zei [Heinrich Himmler] werden nunmehr sämtliche bisher in verschiedenen Konzentrationslagern unterge­brachten Geistlichen im K.L. Dachau zusam­mengefaßt werden. Dort werden sie nur mit leichten Arbeiten beschäftigt. Auch wird ihnen Gelegenheit gegeben, täglich die Messe zu le­sen oder zu besuchen. Die erforderlichen Meß­geräte nebst Zubehör stehen zur Verfügung.
Wie mir der Chef der Sicherheitspolizei und des SD [Sicherheitsdienstes] weiterhin mitteilt, kann jedoch von der Einäscherung der Leichen von im Konzentrations­lager verstor­benen Geist­lichen wie bei allen anderen Schutzhäftlingen aus grundsätzlichen Erwägungen nicht abgese­hen werden.
Im Auftrage, gez. [Josef] Roth.[1]

[1] Freiburger Diözesanarchiv Nr. 15154

Im KZ Sachsenhausen wurde eine Kapelle in Block 57 eingerichtet, so daß die Häftlinge ab Montag, dem 5. August 1940, dem Fest Ma­ria Schnee, dort jeden Mor­gen die heilige Messe feiern konnten. Einen Meßkof­fer hatte die Lager­kommandantur zur Verfü­gung ge­stellt.

P. Otto Pies SJ:
Auf Himmlers Befehl hin mußten den Geistli­chen in den Kon­zentrationslagern Zulagen zur Ver­pflegung und andere Erleich­terungen gege­ben werden. Ja, man wollte es nicht glauben und überhaupt für möglich halten, aber es wurde Tatsache. Himm­ler gab sogar Befehl, daß den Geistlichen ein Raum als Kapelle zu übergeben sei für die Feier von Gottesdiensten. Und wirk­lich fand in den Novembertagen [1940[1]] zum er­stenmal in einem Baracken­raum ein Gottes­dienst statt. Es war wie in den Katakomben. Verfolgte, gehetzte, dem Tode geweihte Men­schen – es waren nur Priester zugelassen – standen dicht gedrängt um den Not­altar, der auf einer Kiste errichtet und mit einem Bettlaken überspannt war. Betend und opfernd feierten sie das Kreuz­opfer Jesu Christi: Das Geheimnis des Lebens mitten im Grauen des Todes. Und bei der heiligen Wandlung war Christus in be­bender Priesterhand gegenwärtig mitten im KZ, der Hochburg Satans, der Herrschaft dämonischer Mächte.[2]

[1] Otto Pies war nicht im KZ Sachsenhausen und hatte vermutlich keine Unterlagen, aus denen er den 5.8.1940 als Tag der ersten offiziellen Eucharistie­feier im KZ Sachsenhausen ersehen konnte.
[2] Pies, Otto: Stephanus heute. Karl Leisner. Prie­ster und Opfer, Kevelaer: 11950: 114, 72008 (kommentiert von Hans-Karl Seeger): 106

P. Josef Fischer SAC:
Das Sicherheitsamt [Reichssicherheits­hauptamt] Berlin verfügte, daß die Kleriker aus allen Konzentrationslagern nach Dachau über­führt werden sollten. Am 7.12.1940 war die An­kunft der Priester von Buchenwald in Dachau, am 8.12.1940 die der Priester von Gusen und Maut­hausen, am 14.12.1940 die der Prie­ster aus Sachsenhausen.[1]

[1] Fischer, Josef: Dokumentation über den Gründer Schönstatts [P. Joseph Kentenich SAC] und die Schönstattgemeinschaften im KZ Dachau 1941–1945, 3 Bde., (Typoskript um 1964, Kopie; Original im Priesterhaus Berg Moriah, Simmern Ww.), hier Bd. I: 65

P. Johann Lenz:
15 Dezember [1940]. Auch die Priester aus dem KZ Sachsenhausen kommen heute zu uns. Sie bringen zwei Militärmeßkoffer mit.[1]

[1] Lenz, Johann: Christus in Dachau oder Christus der Sieger. Ein religiöses Volksbuch und ein kirchen­geschichtliches Zeugnis (mit 100 Bildern). Für Priester und Volk, Wien 61957: 77 (zit. Lenz 1957)

Im KZ Dachau wurde die Lagerkapelle erst auf Grund des ange­kündigten Besuches von Heinrich Himmler einge­richtet.

Mittwoch, 22. Januar 1941
An diesem Tag feierte der polni­sche Lagerkaplan Paul Prabutzki die erste heilige Messe in der fertig­gestellten Lagerkapelle. Anfangs durfte nur er jeden Tag zelebrieren. Wie gerne hätte jeder Priester zelebriert, aber das war erst gegen Ende der Lager­zeit möglich.

Ein Tisch aus der ausgeräumten Stube 1 von Block 26 diente als Altar. Die SS stellte Bettü­cher als Al­tardecken zur Verfügung. Eine Schub­lade diente einstweilen als Ta­bernakel.[1]

[1] s. Arthofer, Leopold:  Als Priester im Konzentrationslager. Meine Erlebnisse in Dachau, Graz/Wien 1947: 48f.

P. Johann Lenz:
Der erste Lageraltar! Wer kann unser Glück er­fassen – trotz aller Armut von Bethlehem. Chri­stus war bei uns in Lagerhaft! Christus, die Krone der Märtyrer, Christus, das Licht der Be­kenner, Christus, die Wonne aller Heiligen – Er selbst – unser Mitgefangener. Freiwillig war Er uns nachgegangen in die Not, in den Tod des Lagers! Nicht nur mit Seiner göttlichen Gnade – auch als Gott und Mensch, mit Fleisch und Blut, mit Leib und Seele. Und täglich kommt Er wie­der, Tag und Nacht bleibt Er hier, nichts kann Ihn abschrecken, unsere Not zu teilen. Dort in der kleinen Hostie – im armseligen Tabernakel – auf dem ersten Lageraltar – dort wohnt unser Christus in Dachau![1]
Das war die erste Ausstattung unseres Hei­lig­tums in Dachau, vorab des Altares: Armut vom Stalle in Bethlehem. Der beschei­dene Inhalt ei­nes Meßkoffers war es. Er stammte, soweit sich ermitteln läßt, aus Warschau, vom Heeresbi­schof daselbst. Bei Errichtung der Ka­pelle in Sachsenhausen wurde diese Einrichtung den Priestern geliehen (5. August 1940) und im fol­genden Dezember nach Dachau mitgebracht.
Diese erste Ausstattung war: ein kleines Kreuz und zwei Kerzen­leuchter aus Metall, zwei Meßkännchen, drei Gebetstafeln. Das einzige Meßkleid zeigte auf der einen Seite die Farben Weiß und Rot, auf der anderen Violett und Schwarz. Es genügte somit zur Not für alle mög­lichen Fälle. Der Altartisch war ein Lagertisch aus unserer Wohnstube. Um diesen Altar nun mit seinem allseitigen Notbehelf versammelten sich, im frischgetünchten Barackenraum, am 22. Jänner 1941 Hunderte von gefangenen Prie­stern zur ersten heiligen Messe. Diese Armut blieb bis zum 15. Oktober 1941.[2] Eine andere Meßgar­nitur war überhaupt nicht gestattet.[3]

[1] Lenz 1957: 184
[2] Johann Lenz schildert nicht, was sich am 15.10.1941 änderte.
[3] Lenz 1957: 183

Nun galt es, die noch fehlenden liturgischen Gegen­stände und Geräte zu beschaffen und die Einrich­tung der Kapelle zu gestalten.

April 1942
P.
Johann Lenz:
April – Die schwere Karwoche für die polni­schen Geistlichen. Erstes größeres Altar­kreuz – (Kreuz von P. Karl Schmidt verfertigt, Kor­pus von Ka­plan Johann Steinbock model­liert).[1]

[1] Lenz 1957: 178

Reinhold Friedrichs kümmerte sich unter anderem auch um die Gestaltung der Lagerkapelle.[1]

[1] s. Link zu Reinhold Friedrichs – „Blockvater im KZ Dachau auch für Karl Leisner (2)“

P. Johann Lenz
27
Februar 1944 – 1. Fastensonntag: Weihe des neuen Altarkreuzes aus Münster. Es war ver­mittelt durch H. Reinh. Friedrichs, den Fa­sten­prediger dieses Jahres.[1]

[1] Lenz 1957: 316


P.
Léon de Coninck SJ:
Das Kreuz des Hochaltars war eine naive, auch im Lager entstandene Skulptur; später [Februar 1944] wurde es Prozessions­kreuz, als aus Mün­ster ein herrli­ches Kunstwerk, ein Geschenk der Katholischen Aktion, ankam.[1]

[1] de Coninck, Léon Priestergespräche in Dachau. Da­chau, Konzentrationslager für Priester. In: Stimmen der katholischen Welt. Überblick und Auslese, Heft 2, 1946: 67–85: hier 877

Gerda Bockholt am 20. August 1990 an Wilhelm Haas:
Mein Vater erhielt es [das Bild von der Kapelle des KZ Dachau] von Herrn Domka­pitular Fried­richs zugesandt als Beweis, dass das von mei­nem Vater übersandte Kreuz in der Ka­pelle sei­nen Platz gefunden hat.
Das Kreuz wurde in Münster von dem Bild­hauer Bäumer entworfen und in seiner Werkstatt ausgeführt. Der Sohn des Herrn Bäumer – auch Bildhauer – wohnt in Münster, Am Kano­nengra­ben 5 – In meiner Gegenwart wurde das Kreuz in ein extra angefertigtes Holzkästchen gelegt und da es unauffällig und schmal sein mußte, lassen sich die Querbalken mit den Ar­men durch eingelassene Holzdübel lösen und lagen eng an dem Mittelbalken. Ob das Päck­chen direkt an das KZ Dachau an Herrn Fried­richs gesandt wurde, kann ich nicht sagen, ich weiß wohl, dass Herr Präses – wie wir ihn nannten – zeitweilig in der Poststelle des KZ eingesetzt war und wie er mir erzählt hat – ich war von 1946 bis 1948 bei ihm Sekretärin – ei­nige Aufseher den Raum verlassen hätten, wenn mal besondere Post kam.

Gerda Bockholt am 26. August 1990 an Wilhelm Haas:
[…] denn ein Paket in der Breite des Kreuzes einzupacken und zu übersenden wäre unmög­lich gewesen. Auch die Haltung des Kopfes wurde damals be­sprochen, denn es ist nicht die übliche Haltung „Es ist vollbracht“ [Joh 19,30], sondern zeigt Hoffnung.

 

 

Vor diesem Altar empfing Karl Leisner die Priesterweihe

 

P. Otto Pies SJ:
Der Weihekandidat, bleich, aber aufrecht und gesammelt, sitzt auf einem Holzschemel vor dem einfachen Notaltar mit dem schönen aus Holz ge­schnitzten Kruzifix. Es war wie in den Katakomben, ergreifender als in einem festlich geschmückten Dom[1].[2]

[1]  P. Johann Lenz:
Hinter diesem Sakramentshäuschen ragt ein Kru­zifix empor, 1.25 × 0.72 × 0.08 m groß. Eine Spende der Männerkongregation aus der Mün­ste­raner Künst­lerschule. Es ist ganz aus Ei­chenholz und etwas zu dunkel gebeizt (Lenz 1957: 188).
[2] Pies, Otto: Stephanus heute. Karl Leisner. Prie­ster und Opfer, Kevelaer: 11950: 169, 72008 (kommentiert von Hans-Karl Seeger): 158

 

Das Kreuz hängt heute im Refektorium des Karmel Heilig Blut in Dachau.