Uwe Soukup (* 1956 in West-Berlin), deutscher Journalist und Buchautor, rollt in einem Artikel unter der Überschrift „Der Brand“ in der F.A.S. vom 11. Mai 2014 den Fall neu auf. Einleitend heißt es dort:
Mehr als 80 Jahre nach dem Reichstagsbrand wissen wir erschreckend wenig über die Hintergründe. Lange dominierte die These von einem Alleintäter die Wissenschaft. Das war verheerend. Denn es hieße im Extremfall, Hitlers Herrschaft hätte sich auf einen Zufall gegründet. Doch die neueste Forschung sieht das anders.
Quelle des Fotos: gemeinfrei
Der Tagesspiegel hatte bereits am 25. Februar 2013 unter dem Titel „Das Rätsel Reichstagsbrand“ einen Artikel von Uwe Soukup veröffentlicht.
Die Frage ist neu zu stellen, ob ein Einzeltäter wie Marinus van der Lubbe (* 13.1.1909 in Leiden/NL, † 10.1.1934 in Leipzig) allgemein als Brandstifter des Reichstagsbrandes in Berlin am 27. Februar 1933 angesehen werden kann? Ob es nicht vielmehr mehrerer Personen bedurfte, ein solches Feuer mit einer derartigen Wirkung zu legen?
Uwe Soukup vertritt die These, nicht die Kommunisten (Kozis), sondern die Nationalsozialisten (Nazis) hätten den Brand gelegt:
Am Tag nach dem Brand unterzeichnete Reichspräsident Paul Hindenburg die Reichstagsbrandverordnung. Reichskanzler Adolf Hitler, der seit gerade einmal vier Wochen regierte, hatte sie ihm vorgelegt. Sebastian Haffner schrieb 1987 über das Frühjahr 1933, der Brand des Reichstags sei das entscheidende Ereignis bei der „Abräumung des politischen Feldes“ gewesen. Die Verordnung setzte die Verfassung in weiten Teilen außer Kraft, schaffte die Grundrechte ab und führte die Möglichkeit willkürlicher Verhaftungen ein. Gut drei Wochen später stimmte der Reichstag dem Ermächtigungsgesetz zu.
Haffner wies auch darauf hin, dass der Brand „bis heute nicht wirklich aufgeklärt“ sei. Es ist absurd, dass wir auch jetzt noch nicht erklären können, wie alles angefangen hat: Historiker streiten seit Jahrzehnten über den Reichstagsbrand. Ist es dem holländischen Anarchisten Marinus van der Lubbe gelungen, den Reichstag allein anzuzünden – und haben die Nazis dann das für sie Beste daraus gemacht? Oder hatten die Nazis selber die Finger im Spiel und benutzten den im Reichstag festgenommenen van der Lubbe als perfekten Sündenbock? Handelte es sich also um einen Staatsstreich der Nazis – quasi gegen sich selbst?
Karl Leisner hat sich bereits wenige Tage nach dem Brand seine Meinung gebildet und schrieb in sein Tagebuch.
Kleve, Donnerstag, 2. März 1933
Die Kozis stecken den Reichstag in Brand. Hellauf lodert die Flamme und zerfrißt mit zerstörender Wut die Pracht und Wucht und Kraft dieses Riesenbaus. Die Kozis sollen dafür und werden dafür bestraft: Rücksichtslos geht man gegen sie vor, verbietet ihre gesamte Presse. Ist das richtig? Nein! – Denn nicht mit Gewalt und Freiheitsknebelung wird man einen so in den Massen lebendigen Gedanken ausrotten können. Nur wer einen noch stärkeren geistigen Gedanken bringt und hat, wird den Bolschewismus in sich und bei den andern Menschen überwinden und vernichten können. Nur allein die lebendige Kraft des Geistes Christi und Gottes kann eine solche Geistesmacht besiegen!
Sind wir katholischen Christen – von den andern weiß ich’s leider nicht, wie’s damit bei ihnen steht – sind wir, bin ich da kämpferisch genug? – Zum Kampf gehört Rüstung! Bin ich da genug aufgerüstet, und habe ich da in mir mit den schlechten Gedanken in jeder Beziehung abgerüstet? Ich muß gestehen: Noch nicht! – Was soll ich da tun, wie mich verhalten?
Zunächst muß ich endlich mal alle Vorurteile gegen andre Geistesrichtungen fallen lassen; nicht mehr so pharisäisch die Richtigkeit meiner Anschauung betonen. Nicht so stolz, nicht so verletzend sein.
Immer alles in Erwägung ziehen, was den Gegner schließlich so gemacht hat, wie er ist. Und das ist schwer, sehr schwer!
Am 30. August 1938 hielt Karl Leisner Rückblick auf sein Leben und machte Stichworte zum Jahr 1933:
Und nun hob’ ein gewaltiges Ringen an um des deutschen Volkes Seele. Reichstagsbrand [27.2.1933] – Neuwahlen [5.3.1933] – Sieg der Rechtsfront – Kommunalwahlen [12.3.1933] – Tag von Potsdam [21.3.1933] – Tag der Arbeit [1.5.1933]. All das brach mit solcher Wucht und Neuheit auf uns nieder wie nie geahnt. Gott sei Dank kam dann nach dem Ermächtigungsgesetz [24.3.1933] bald der Abschluß des Reichskonkordates [10.9.1933], das endlich die Spannung zwischen der NS-Bewegung und der Kirche zu beseitigen schien. Ein Jahr so voll Kampf und bitterer und doch herrlicher Stunden – voll Bewegung und freiem Mut und harter Arbeit hab’ ich nie erlebt.
Beim Berlinbesuch nach der Rügenfahrt 1929 lernte Karl Leisner auch das Reichstagsgebäude ausführlich kennen. In seinem Tagebuch hielt er fest:
Berlin, Mittwoch, 21. August 1929, 19. Tag
Erlebnisse in Berlin, der Reichshauptstadt und drittgrößten Stadt der Welt
Um 7.00 Uhr Aufstehen, Waschen mit gestellter Seife und Handtüchern und Anziehen. Dann gings von der Scharnhorststraße zum Haus der Jugend, wo wir für 0,15 Reichsmark zwei Schnecken und einen Pott voll Kaffee bekamen. Hierbei aßen wir noch gekaufte Brötchen. Dann gings zum Reichstagsgebäude. Dies beschauten wir uns von außen und ebenso beguckten wir das Bismarckdenkmal. Dann gings zur Siegessäule, die wir bis oben bestiegen und besichtigten.
[…]
Von der Siegessäule gings ins Reichstagsgebäude. Dies besichtigten wir unter Führung eines Herrn. Zuerst saßen wir im Erdgeschoß und dann gings in den Arbeitsraum (mit prächtigen Wandgemälden ausgestattet). Von hier durch den Lesesaal und das prachtvolle Restaurant in die Reichspräsidentenhalle, wo die Büsten von [Friedrich] Ebert und [Paul von] Hindenburg standen und ein ganz kostbarer Riesenkronleuchter. Es ging von einem Prunksaal in den andern. Alles war aufs prächtigste und kostbarste ausgestattet. Schließlich kamen wir ins Reichsratzimmer. Auch ein wunderschönes Zimmer. – Schließlich kamen wir in den Mittelpunkt des Gebäudes, in den Plenarsitzungssaal. Hier saßen wir auf den Plätzen von Dr. [Joseph] Wirth, Dr. [Adam] Stegerwald, [Ernst] Thälmann, der seinen Platz voll Tinte hatte, und anderen.
Wir sahen uns alles gründlich an und der Führer erklärte uns alles. Auch standen wir auf dem Rednerpodium usw.