Prof. Dr. phil. Dr. h. c. mult. Josef Pieper (* 4.5.1904 in Elte, † 6.11.1997 in Münster) – Studium der Philosophie, Rechtswissenschaft u. Soziologie an den Universitäten Berlin u. Münster – Soziologe u. freier Schriftsteller – Professor an der Pädagogischen Hochschule in Essen 1946–1972 – Professor für philosophische Anthropologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 1950–1972 – Nach seiner Emeritierung hielt er noch bis 1996 Vorlesungen.
Josef Pieper:
„Die Anwesenheit des Heiligen“
Kevelaer 2017
Link zu Kirche+Leben Netz vom 9. November 2017 – Neues Buch zum 20.Todestag des Philosophen aus Münster – Warum Josef Pieper auch ohne Grund an Gott glaubte
Karl Leisner hat Josef Pieper, der später einen ähnlichen philosophischen Lehrstuhl mit Anbindung an die Kath. Fakultät der Universität Münster wie Peter Wust[1] innehatte, und dessen Schwester Helene persönlich kennengelernt.
[1] Prof. Dr. phil. Peter Wust (* 28.8.1884 in Rissenthal/Saarland, † an Gaumenkrebs 3.4.1940 in Münster) – Philosophieprofessor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 1930–1940 – Er vertrat eine christliche Philosophie unter Einbeziehung augustinisch-franziskanischer Gedanken.
Professor Peter Wust war damals für die Studenten in Münster einer der bedeutendsten Professoren.
Josef Pieper zum Sterben von Peter Wust:
„Ich befinde mich in absoluter Sicherheit“
Eine Erinnerung an Peter Wust (1950)
Es muß sich in der Hinterlassenschaft von Peter Wust auch jenes kleine Notizbuch befinden, in das er während der letzten Wochen seiner so bestürzend qualvollen Krankheit seinen Beitrag zum Gespräch – Fragen, Antworten, Zustimmung, Bedenken – niederzuschreiben pflegte, als das Sprechen ihm schon unmöglich geworden, das Bedürfnis nach Mitteilung aber noch nichts von seiner Vehemenz verloren hatte. Aus der Erinnerung der verschiedenen Partner müßten sich mit Hilfe dieser Eintragungen die letzten Gespräche des Philosophen wiederherstellen lassen.
Auch die Zeile, welche dieser kleinen Notiz vorangestellt ist, wurde einmal in jenes Büchlein eingetragen – in der noch immer energischen, druckstarken Handschrift dieses impulsiv aus dem innersten Personkern philosophierenden Mannes. Der Satz ist sein einziger Beitrag zu jenem Gespräch geblieben, welches übrigens das letzte zwischen uns war. Daß wir beide dies ahnten, gibt der Äußerung ein besonderes Gewicht, fast den Charakter eines Vermächtnisses. Ich wüßte wohl, wie sie, in der unerwartet vollen und kräftigen Sprechweise Peter Wusts, geklungen haben würde.
Zu dem engeren Kreise um Peter Wust habe ich nicht gehört. Es bedurfte aber wohl auch keiner intimeren Kenntnis, um zu wissen, wie sehr der Gegenstand seines geschlossensten und bleibendsten Buches „Ungewißheit und Wagnis“[1] zugleich sein höchst persönliches Thema gewesen sein muß. Dieser von Gestalt kleine, zartgliedrige, fast körperlose, äußerst sensible und nervöse Mensch, dessen Vitalität wie weggesengt war durch die unhemmbare Flamme der denkerischen Leidenschaft, vermochte natürlicherweise die Gefährdungen des Daseins mit der Empfindlichkeit eines Seismographen wahrzunehmen, so daß auch bereits Bedrohungen, die der Durchschnittsmensch kaum zu beachten pflegt, mit Erschütterungen beantwortet wurden, die oft nahe daran schienen, das Gefüge zu sprengen. Ein Nichts genügte, den allzu sehr Verwundbaren völlig zu verstören und aufzuwühlen; nicht selten deutete er eine harmlose Robustheit als gezielte, mit Bedacht ausgeheckte Kränkung; die leisesten gesundheitlichen Störungen wurden mit fast hypochondrischer Übertreibung wichtig genommen; wenn es hieß, Peter Wust sei nicht dazu zu bringen, jemanden zu besuchen, der den Schnupfen habe, so war das zwar sicher eine Legende (die übrigens seine Popularität beweist) – aber sie hat doch die Richtigkeit einer gelungenen Karikatur.
Das alles ist hier nun selbstverständlich nicht gesagt um des unnützen Vergnügens willen, die Erinnerung an das Menschlich-Allzumenschliche wach zu halten. Aber erst von diesem Erscheinungsbild aus wird man es begreiflich finden, daß jene Äußerung bei der letzten Begegnung mir wie etwas nahezu Wunderbares erscheinen mußte. Auch mag so deutlicher geworden sein, wieso gerade der Aspekt der Gefährdung, der Ungesichertheit, des Risikos Peter Wust sozusagen von Natur vertraut sein konnte. Ich erinnere mich gut einer zufälligen Begegnung auf dem Domplatz zu Münster: Wust begann ohne jede Einleitung, fast ohne Begrüßung, von der dreistufigen Ungesichertheit des Menschen zu sprechen – und dies in solcher Hingenommenheit und Versponnenheit, mit solch unbeirrter Ausschließlichkeit des Interesses, daß er darüber die Gepflogenheiten des bürgerlichen Umgangs einfach vergaß.
Während der langen Wochen der letzten Krankheit war ich Peter Wust ein wenig näher gekommen; nie zuvor haben wir uns so regelmäßig gesehen. Im Vorfrühling 1940, es mag Anfang März gewesen sein, besuchte ich ihn zum letzten Mal, und zwar um ihm eine, wie ich meinte, recht tröstliche Nachricht zu überbringen.
Damals war in unserer Stadt ein Fliegeralarm noch etwas sehr Seltenes und folglich etwas sehr Aufregendes. Eines Morgens, zu einer überdies durchaus unüblichen Zeit also, hatte man die Sirenen versehentlich ertönen lassen. Auf meiner militärischen Dienststelle erfuhr ich sehr bald, daß weit und breit kein feindliches Flugzeug festgestellt worden war. Ich dachte sogleich an Peter Wust und stellte mir vor, wie sehr dieser Ängstliche und zudem Hilflose, der sein Bett nicht mehr verlassen konnte, sich mochte beunruhigt haben. So fuhr ich, in einer kurzen Dienstpause, rasch zu ihm hinaus, in der etwas überlegenen Gehobenheit dessen, der eine nur erst ihm selbst bekannte glückhafte Kunde zu übermitteln hat. Ich fand den Kranken auf eine fast heitere Weise ruhig. Und es war mir sogleich klar, daß er meiner Nachrichten nicht sonderlich bedurfte. In einer Art Unbeholfenheit teilte ich sie immerhin mit, schon um meinen hastigen Besuch zu ungewohnter Stunde ein wenig zu rechtfertigen. Darauf machte er mit der Hand eine fröhlich verneinende Gebärde, auf seinem entstellten Gesicht deutete sich ein Lächeln an, er langte nach dem Notizbuch und schrieb seine Antwort nieder. Beschämt und voll bewundernder Verwunderung, plötzlich einen neuen, den eigentlichen Peter Wust erblickend, wie Phaidon am Lager des todgeweihten Sokrates „in einem wunderbaren Zustand und in einer ungewohnten Doppelung, in Freude zugleich und Betrübnis, bedenkend, daß er nun bald sterben werde“[2] – las ich die Worte: „Ich befinde mich in absoluter Sicherheit“.[3]
[1] Wust, Peter: Ungewißheit und Wagnis, München 1937
[2] Platon: Phaidon Bd. I: 732f.
[3] Pieper, Josef: Weistum – Dichtung – Sakrament, Aufsätze und Notizen, München: Kösel 1954: 156–159
Tagebucheinträge
Münster, Samstag, 23. November 1935
Mit Jupp Köckemann gondele ich dann mit [Domvikar Fritz] Larsen und den a. [andern]. – Wir sollen mit nach Raesfeld fahren. (Von den Jungfrauenführerinnen imponierte mir Fräulein [Helene] Pieper[1] durch ihre frohe Art. Nachmittags war Fräulein W. [Wilhelmina Sondermann] auch mit dabei.)
[1] Helene Pieper (* 13.10.1905, † 26.2.1985) – Münster, Metzer Str. – Sportlehrerin – Entfernung aus der Schule durch die Nationalsozialisten – Helferin des Diözesanjugendseelsorgers Heinrich Drath – Referentin für die Seelsorgehelferinnen bis 1.10.1970
Münster, Dienstag, 22. Februar 1938
Heri audivi referatum [orationem] Dr. Josephi Pieper „De vita et Si Thomae Aquinatis [de Sancto Thoma Aquinas]“. [Gestern hörte ich einen Vortrag von Dr. Josef Pieper „Über das Leben und über den heiligen Thomas von Aquin“.]
Für sein Studium diente Karl Leisner auch Literatur von Josef Pieper.
Münster, Samstag, 7. Dezember 1935
Ich habe vor, darüber meine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben, wenn’s gelingt mit Gottes Gnade und meinem Willen.[1] An feinen Büchern lese ich zur Zeit: […] 2) Pieper, Josef „Über die Hoffnung“[2] … […]
Deshalb:
1.) Nie den zweiten Schritt vor dem ersten! Maßhalten, klug sein, gerecht sein und so tapfer weiter ( Pieper „Vom Sinn der Tapferkeit!“[3])
[1] 1938 schrieb Karl Leisner seine Wissenschaftliche Arbeit mit dem Thema: Vom Sinn und Geheimnis des Wachsens im Leben von Natur und Gnade.
[2] Pieper, Josef: Über die Hoffnung, Leipzig 1935
[3] Pieper, Josef: Vom Sinn der Tapferkeit, Leipzig 1934
Münster, Donnerstag, 12. Mai 1938
9.00 bis 10.00 Uhr: Betrachtung und Lesung aus Pieper [Katholische Christenfibel] „De fide“ – et vita mea futura [„Der Glauben“ – und mein zukünftiges Leben[1]]. De Deo Creatore [Der Schöpfergott] – Vorsehung (bis Seite 14)[2] 10.00 bis 12.00 Uhr Dienst. – 12.00 bis 12.45 Uhr De Deo trino [Der dreieinige Gott] (bis Seite 24) – Durch Scheeben und Heilige Schrift ergänzen!
[…]
Christus und du. ( Christi Priestertum. – Pieper Seite 25–65.[3] Bist du berufen? – Dann folge!
[…]
Sonntag: Dies Dominica.
(Dies festivus animae [Festtag der Seele Josef]) Pieper 66–106.[4]
Pieper, Josef / Raskop, Heinz
Katholische Christenfibel, Köln 1938, Kurzausgabe 1939
[1] Christenfibel, Glaube und Leben. S. 5–11
[2] Christenfibel, Ich glaube an Gott den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde. S. 12–24
[3] Christenfibel, Und an Jesus Christus … aufgefahren in den Himmel. S. 25–34; Er sitzt zur Rechten Gottes … und die Toten. S. 34–39; Ich glaube an den Heiligen Geist, … Amen. S. 40–49; Bemerkungen über die Heilige Schrift. S. 50–62; Das Leben des Christen. S. 63–65
[4] Christenfibel, Das Leben des Christen mit der Kirche. S. 66–84; Die Tugenden des Christen. S. 85–104; Die Vollendung des Glaubens und des Lebens. S. 105–106
Quelle der Fotos: privat