Karl Leisners Eintritt ins Priesterseminar in Münster vor 80 Jahren

Priesterseminar in Münster – damals und heute
Einrichtung eines Priesterseminars 1563 nach der Bestim­mung des Konzils von Trient, jedes Bistum solle ein Priester­seminar haben – Stiftung eines Neubaus des Diöze­san­klerus zum Dienst­jubi­läum von Bischof Georg Mül­ler 1866–1869 – Er­richtung des Westflügels zwischen Überwas­serkirche u. Rosen­straße im neu­­­romanischen Stil durch Di­özesanbau­mei­ster Emil von Manger (1824–1902) – verein­fachter Wie­der­aufbau nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg – vollständiger Umbau 2003 – Fusion des Collegium Borromaeum in Münster u. des Priesterseminars 2005

Im ehemaligen Priestersemi­nar befindet sich seit März 2006 das Liudgerhaus, ein Tagungshaus.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Fest der Verklärung Jesu am 8.8. ist das Patronatsfest der Priesterseminarkapelle. Dort ist die Verklärung Jesu heute noch als Altargemälde von Friedrich Stummel zu sehen.

Der Kurs der Theologen von 1934 zog am 4. April 1938 aus dem Collegium Borromaeum ins Priesterseminar und trug nun die schwarze Soutane/Toga. Auf Grund der Grö­ße des Kurses standen im Priesterseminar nicht genügend Zimmer zur Verfügung. Daher wohnten einige Jüngere, darunter auch Karl Leisner, weiterhin im Collegium Borromaeum. Karl Leisner hatte vermutlich Zimmer 456 im 4. Stock.

Kleve, Freitag, 1. April, 1938
Alles drängt hin auf den ehrlichen, großen Verzicht. – Audi vocationem! Deus loquitur per res. [Höre den Ruf! Gott spricht durch die Dinge.]

Kleve, Montag, 4. April 1938
Koffer packen fürs neue Semester. Die Fahrt ins Seminar. – Wir bleiben als Jüngste zwar noch im Collegium Borromaeum wohnen …

Karl Leisner und Heinrich Tenhumberg bei Familie Dolff

Karl Leisner aus Münster am 20. April 1938 an Familie Magnus Weber in Alpseewies:
Jetzt bin ich Seminarist und darf das Priesterkleid [die Soutane] tragen. Die Jüng­sten unseres Jahres wohnen aber noch im Theologenkonvikt, weil das Priesterse­minar überfüllt ist.

 

 

 

 

 

Das Jahr 1938 war für Karl Leisner das Jahr der Tonsur und der Niederen Weihen[1].
An den Exerzitien zur Vorbereitung nahm er noch vom Collegium Borromaeum aus teil.
[1] Niedere Weihen – Minores
Vor der Liturgiereform gab es für die Männer, die Priester werden wollten, vier Niedere Weihen: Ostiarier (Tür­hüter/Pfortendienst), Lektor (Vorleser), Exorzist (Teufels­beschwö­rer/Amt der Befreiung von der Gewalt des bösen Feindes) und Akolyth (Altardiener/ Gehilfe des Subdiakons). Vor dem Empfang dieser Weihen machten die Weihekandidaten drei Tage Exerzitien (s. CIC 1917, Can. 1001), danach wurde die Tonsur vollzogen. Nach Empfang dieser Weihen nannte man die geweihten Männer Minoristen. Bis zum Emp­fang der Subdiakonenweihe sollte ein Kirchenjahr vergehen (s. CIC 1917, Can. 978 § 1f.). Seit der Liturgiereform gibt es nur noch die Weihe zum Diakon und als Ersatz für die Niederen Wei­hen eine Beauftragung zum Lektor und Kommu­nion­helfer.

Münster, Dienstag, 28. Juni 1938
Die heiligen Exerzitien für die heiligen vier Niederen Weihen. Im Priesterseminar zu Münster am Vorabend des Festes der Apostelfürsten [Petrus und Paulus] 1938.
(Bei der Aufnahme in den Stand der vom Herrn zu Seinem besonderen Dienst Berufenen.)
Seit langem ein rechter Sommertag mit goldenem Sonnenlicht. Das Herz freut sich an der Fülle des Lichtes und des Lebens in der herrlichen Schöp­fung Gottes. Mit meinem Freund Heini [Tenhumberg] war ich bei Familie E. [Heinrich Eyink] kurz zu Gast. – Ein wenig hat’s uns beide wohl schon ge­packt: Der Ernst der Entscheidung [vor dem Empfang der Niederen Weihen] zu­mal in dieser so gewaltigen Stunde der Welt und der Kirche. Ein wenig möchten wir verzagt werden, wenn wir das Menschliche – Allzumen­schliche an uns selbst vor allem und an unserer lieben Mutter, der Kirche, so nackt und nüchtern sehen. – Aber wir richten unser Auge auf Gott und Sein Reich und die heilige Sendung und die göttlich große Aufgabe, die Er uns über­tragen will. – Was uns so entsetzlich auf die Seele fällt, ist dies vor allem, daß wir das Erstarrte, Verkrampfte, Altmodische und Hinterwäld­leri­sche im äußeren Gebaren der Kirche so scharf durchschauen und so bitter am eige­nen Leib und am Leibe des Herrn vor allem verspüren. Der Geist der Frei­heit, des Vertrauens, der Weite, der Liebe und Größe ist durch diesen alten Klüngel und Krimskrams gehemmt – nicht nur das, sondern manch­mal in Fesseln geschlagen und in eine leben- und glaubenertötende Zwangsjacke gebannt. – Aber wir wollen nicht nörgeln. Was siegt, ist die Kraft der größe­ren Liebe – so sagte uns [Professor] Michael Schmaus heute morgen im Kolleg [um 10.15 Uhr] zu den Kämpfen der Zeit. Und die größere Liebe wird auch die Kraft zur inneren Reform (Erneuerung) der heiligen Kirche finden. Die zähe, klebrige, quallige Geruhsamkeit und Faulheit, das pharisäische Ge­nießer- und Muckertum, das sich hinter den Barrikaden von wohlgetürm­ten Geset­zesklötzen versteckt und versteift – das muß schwinden aus uns, aus dem geistlichen Stande und der ganzen heiligen Kirche. – Schau auf Gott und die große Aufgabe. – Gott weiß alles. Er ist größer als unser kleines, er­bärm­li­ches Herze! [vgl. 1 Joh 3,20] Gib dich Ihm hin, dem Drei-Einen, der dich da gerufen hat zu Seinem heiligen Priestertum auf dieser Erde zur Weihe der Welt.
Consecratio mundi, deificatio terrae! [Weihe der Welt, Ver­göttlichung der Erde!] Und nun wirf dich hinein in die liebend aufgespann­ten Arme dei­nes Herrn, des Erlösers der Welt, der dich in beson­derer Weise zur Fort­set­zung Seines Erlösungs­werkes, zur Fortpflan­zung der heiligenden Kraft Sei­nes gottmenschlichen Lebens gerufen hat.
ΙΧΘΥΣ [Fisch] – das sei deines entrollten Lebensbanners heiliges flam­men­­des Zeichen! Wie hat Er dich seltsame Wege geführt, wie hast du stör­rischer Bock dich noch jüngst gesträubt und jetzt mit einmal: in Seiner Stille wird mir so wohl, so weit, so friedvoll im Herzen. Des bin ich gewiß: Er hat mich gerufen und Er gibt mir das Ausharren bis ans Ende [vgl. Mk 13,13] – und sei es noch so bitter und schwer, sei es ein Kreuzweg täglicher Schmach und Selbstverleugnung, wenn ich nur Ihm vertraue und mich Seiner Hand emp­fehle, dazu auch das Bestmögliche der geschöpflichen Beschaffen­heit in Seines Befehles Obhut gebe!
Ja – der Verzicht auf die Ehe, einen heiligen ewigen Liebesbund in der Kraft der Schöpfung und der Gnade mit einer geliebten Frau, einer von jenen hold­seligen Gehilfinnen, die der Herrgott uns Männern im Paradies dazu­schenkte [vgl. Gen 2,18–24], – dieser Verzicht ist mir verdammt nicht leicht gefallen. Dazu der Verzicht auf den eigenen Stamm, die eigenen Kin­der – und ich weiß, wie gerne ich diese köstlichen Kleinen hab’ und wie sehr mir das Herz danach stehn würde. – Und doch: Es steht da der Herr, der aus göttlichem Samen Geborene, und schaut mich an mit den Augen Seiner ein­zigen Liebe – und Er fordert diesen freigewollten Verzicht um des Gottes­reiches willen. [vgl. Mt 19,12] Auf denn, wir folgen dem Lamme und gleichsam ein neues Lied singend vor Seinem Throne unser Leben hier im Pilgerstand [vgl. Offb 14,4], die Er uns erkauft hat von dieser Erde [vgl. 1 Kor 7,23; 1 Petr 1,18]. Nicht mit Weibern wollen wir uns einlassen, sondern uns hingeben dem himmlischen Bräuti­gam in ungeteilter Liebesglut des jungfräulichen Herzens. – Und das ist meine Bitte heute! Herr, nimm mich hin! Ich glaube. Schenk mir immer tie­fer den Glauben, gib mir und allen, die mir begegnen, Deine Gnade, Dei­nen Frieden, Deine Freude! (
Offenbarung 14,1–5) So sei es!
Friede, Freiheit, Freude im Herrn! Ecce adsum – mitte me!
[Hier bin ich – sende mich! (Jes 6,8)] Justus meus ex fide vivet. [Mein Gerechter möge aus Glauben leben.(vgl. Röm 1,17; Gal 3,11[1])] – Glaubensgeist!
[1] Iustus autem ex fide vivit – Der aus Glauben Gerechte wird leben.

Münster, Samstag, 9. Juli 1938
Als drittes danach der gemeinsame Bierabend zum Schluß des Semesters im Juvenat.[1] Ganz vorzüglich, fröhlich und voller Stimmung, Freude, Saft und Kraft. – „Natz“ [Bernhard Koch], der Erzwitzbold, zieht alle in seiner treff­sicheren, humorvollen Art durch den Kakao. Auch Herr Direktor Schm. [Franz Schmäing] verabschiedet sich von uns. Natz pariert ganz glänzend. Ich krieg’s mit dem Klatsch zu hören: Gedankenstriche, Abklatsch vom Pro­fessor (zu gedankenreich, mal in Italien, mal dort) – Na ja! – Allzu „roman­tisch“. Es ist so: Ich muß mich in straffe Zucht nehmen, sonst werde ich hohl. Ernst und aufs Ziel, mit Freude, Klarheit und Schwung! – Fein! Diözese und „mit großen Leuten verkehren“, das krieg’ ich zu hören – gut so! Hei, das saß! Köstlich! – Demütig, nicht soviel von sich erzählen! – Sonst: ein Mords­spaß und echte Freude. In Dankbarkeit, Zucht und Freude gehn wir ausein­ander! So – jetzt gut’ Nacht.
[1] Vermutlich stand für Karl Leisner und die anderen Jüngeren des Kurses der Um­zug vom Collegium Borro­maeum ins Priesterseminar an; denn dort wurden durch die Priesterweihe am 17.7.1938 Plätze frei.

Karl Leisner aus Dachau am 20.8.1941 an Regens Arnold Francken in Münster:
Sehr verehrter, hochwürdiger Herr Regens!
Heute komme ich mit einer kleinen Anfrage und Bitte zu Ihnen. Sind meine Bücher, Kolleghefte und dergleichen, die ich bei meinem etwas raschen Abschied in der Pfingstwoche 1939 auf dem Zimmer IV, 28 N [Nr. 28 im 4. Stock Nord im Priesterseminar] zurück­ließ, noch dort?

Karl Leisner hat seine sogenannte „Schwarze Reihe“ 1938 nicht fortgesetzt. Ab Tagebuch Nr. 24 haben die Hefte einen anderen Charakter. Wie die Bezeichnungen Vademe­cum spirituale [Geistlicher Wegbegleiter] für Nr. 24, Gedanken in den Exer­zitien für die niederen Weihen für Nr. 25 und Diurnale et [Tagebuch und] Vademecum spirituale für Nr. 26 bereits andeuten, ist der Inhalt spiritueller.

Tagebuch Nr. 25 – Gedanken in den Exerzitien für die Nie­deren Weihen

Quelle der Fotos: Sven-Philipp Glomme, Gabriele Latzel und Karl Leisner-Archiv