Vreden: Karl-Leisner-Straße

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Am 4. März 1965 beschloss der Rat der Stadt Vreden die Straßen in dem Baugebiet „Im Vree“ nach Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus zu benennen. Eine Ringstraße und drei davon abgehende Straßen wurden nach Karl Leisner benannt.

Ergänzt wurde der Beschluss um folgenden Hinweis: „Bei Anbringung der Straßen­schilder sollen Hinweisschilder angebracht werden, die in kurzer, knapper Form auf das Leben des Namensträgers hinweisen.“ Derzeit gibt es diese vorgeschlagenen Ergänzungen zu den Straßennamen nicht.
Im Rahmen der Bauplanung wurde bereits in der Ratssitzung vom 11. August 1964 der Vorschlag gemacht, für die Straßen im Baugebiet „Im Vree“ Namen aus der Wider­stands­bewegung zu verwenden.
Es liegt eine „Bekanntmachung“ des Stadtdirektors der Stadt Vreden vom 6. April 1965 vor, mit der die nach Widerstandskämpfern benannten 10 Straßennamen mitgeteilt werden. Angefügt wurden Erläuterungen zu jeder Person. Unter Karl-Leisner-Straße steht: „geb. 28.2.1915 in Rees – Kath. Jugendführer, Student, Widerstandskämpfer, Priesterweihe 17.12.1944 im KZ Dachau – gest. 12.8. 1945 im Waldsanatorium in Planegg, Grabstätte in Kleve[1]

[1] Am 20.8.1945 wurde Karl Leisner auf dem Friedhof an der Merowingerstraße in Kleve beigesetzt. Am 30.8.1966 wurden die Gebeine Karl Leisners in Kleve exhumiert und am 3.9.1966 in der Krypta des Xantener Domes beigesetzt.

Mit der Stadt Vreden wird Karl Leisner Erinnerungen an die jungen Menschen verbunden haben, die er durch seine Jugendarbeit als Diözesanjungscharführer kennengelernt hat, z. B. Mitglieder der Familie Stroetmann[1], Franz Nienhaus[2] und Franz Brocks[3], aber auch Wilhelm Wissing[4], Heinrich Tenhumberg[5] und Anton Völkering[6].

[1] Stroetmann, Familie
1. Generation:
Eheleute Arnold u. Sophie Stroetmann (beide † beim Luftangriff auf Vreden 21.3.1945) – Gastwirtschaft in Vreden – großes Engagement in der Vredener Jugendar­beit – Das Wohn­zimmer der Familie diente in der NS-Zeit oft als geheimer Treffpunkt der Jung­führerrunde unter Kaplan Bernhard Mäkel. Karl Leisner war manchmal zu Gast bei Familie Stroet­mann. Während der geführten Gespräche wurde Sohn Ludwig zum Klavier­spielen ins Wohn­­zimmer geschickt.
2. Generation:
Wilhelm (Wilm) Stroetmann (* 1920, † ?) – Freund von Heinrich Tenhumberg
Ludwig Stroetmann (* 1927, † ?)
[2] Feldwebel Franz Nienhaus (* 2.3.1915 in Vreden, † gefallen November 1941 in Rußland) – Sein Bruder Jupp starb am 5.7.1996. Wegen seines Engagements in der Jugendarbeit und seiner antinazistischen Einstellung verlor Franz Nienhaus ebenso wie sein Vater seine Arbeitsstelle bei der Firma Hüsker in Vreden. Sein Vater wurde als Hilfsküster beschäftigt.
[3] Franz Brocks (* ?, † gefallen 1945) – Vreden, Aechterhook 32 – Er war als Jugendlicher sehr enga­giert in der Jugendarbeit.
[4] Dr. theol. h. c. Wilhelm (Welm) Wissing (* 31.1.1916 in Köckelwick/Vreden, † 12.11.1996 in Coesfeld) – Eintritt ins Collegium Borromaeum in Münster 1.5.1936 – Priester­weihe 21.12.1946 in Münster – Ka­plan in Coesfeld St. Lam­berti 1947–1949 – Leiter des Päpstli­chen Werkes der Glaubens­verbreitung (Mis­sio) in Aachen 1970–1985 – Er schickte Pakete für Karl Leisner ins KZ Da­chau.
[5] Bischof Heinrich (Heini) Tenhumberg (* 4.6.1915 in Lünten, † 16.9.1979) – Eintritt ins Collegium Borromaeum in Münster 1.5.1934 – Karl Leisners Schön­stattgruppen­führer im Collegium Borromaeum in Münster – Priesterweihe 23.9.1939 in Münster – Mi­litärdienst als Sanitäter (1943 in Stralsund) u. englische Kriegsgefangenschaft 1942–1945 – Vikar in Frecken­horst 1945–1947 – Dom­vikar 1947 – Domkapitular 1954 – Bi­schofs­weihe zum Weihbischof für das Bistum Münster 20.7.1958 – Bi­schof von Mün­ster 7.7.1969 bis 16.9.1979
[6] Anton (Tönne) Völkering (* 11.8.1912 in Ammeloe/Vreden, † 6.1.2007) – Eintritt ins Collegium Borromaeum in Münster 1.5.1934 – Priesterweihe 6.8.1939 in Münster

Wilhelm Wissing:
„Die oft nicht leichten Situatio­nen in der Vredener Jugend wären ohne den Schwung [Karl] Leisners, seine Be­geisterung und seine Bereitschaft zum Leid, auch das Äußer­ste gegen den Staat zu wagen, nicht durchgestanden worden. Er verabscheute das un­wahre System und sagte es offen in der Führerrunde“.[1]

[1] Wissing, Wilhelm: Gott tut nichts als fügen. Erinnerun­gen an ein Leben in bewegter Zeit. Karl R. Höller (Hg.), Mainz 2001, S. 24

Am 5. Mai 1934 war Karl Leisner in das Collegium Borromaeum in Münster eingezogen, um Priester zu werden. Mit ihm traten auch Heinrich Tenhumberg aus Lünten, einem Kirchdorf von Vreden und Anton Völkering aus Vreden ein. Bereits im ersten Semester schloß sich Karl Leisner einer Münsteraner Schönstatt-Theologen­gruppe an, einem Zusammenschluß von 12 Studienanfängern im Collegium Borromaeum. Zu den Mitgliedern gehörten Anton Völkering und Heinrich Tenhumberg, der auch die Leitung der Gruppe übernahm[1]. Darüber hinaus verbrachten Heinrich Tenhumberg und Karl Leisner häufig gemeinsam ihre Freizeit. In seinen Tagebüchern bezeichnet Karl Leisner Heinrich Tenhumberg als seinen Freund.

[1] Siehe hierzu auch den Rundbrief des IKLK Nr. 48 vom August 2003 – Heinrich Tenhumberg und Karl Leisner in ihrer Schönstattgruppe Sacerdotem oportet offerre et offerri [Ein Priester muss opfern und geopfert werden].

Münster, Sonntag, 17. Juni 1934, 4. Sonntag nach Pfingsten
Nach dem guten Mittags­mahl geht’s um 13.20 Uhr mit fünf Schönstättern los zur Werse. Ich keure mit Heini Tenhumberg über unsern Klever Bezirk, viel­leicht etwas zu stron­zerhaft! – Aber begeistert bin ich doch. Den ganzen Mittag wird geba­det, geschwommen und gesonnt.

Münster, Montag, 16. Juli 1934
Von 20.00 bis 20.40 Uhr ge­ruht und bei Heini Tenhumberg „Juschawerkheft“ [„Jungschar-Werk­heft“] 8/9[1] geholt.

Vermutlich hat Karl Leisner 1935 als Diözesanjungscharführer auf einem Jungschar­tag in Vreden gesprochen.

Am 3. Januar 1999 berichtet Theo Wissing[2], der Bruder von Wilhelm Wissing, aus Vreden an Hans-Karl Seeger:
Begegnung mit Karl Leisner 1935
Ein Jahr aus der Schule, 16 Jahre alt, Führer einer Jungschar­gruppe.
Heute zum Besuch des Diözesanjungscharführers: Jungschartag und Be­kenntnisstunde der Jungschar in Vreden. Alle Jungschargruppen der Stadt treffen sich im Jugendheim. Karl Leisner wird zu uns nach Vreden kom­men.
An die 100 Jungen im Alter von 10 bis 15 Jahren, alles Jungschärler, spielen auf dem Kirchplatz, warten auf sein Kommen.
[…]
Plötzlich erschallt der Ruf: „Er kommt! Er kommt!“
Alle stürmen in die Gasthausstraße. Ein „Hallo! Treu Heil!“ der stür­misch begeisterten Jugend. Sie umringen Karl und heben ihn spontan auf ihre jungen Schultern und tragen ihn in jubelndem Zuge ins Jugendheim.
Schnell ist der Raum gefüllt. Auf den Bänken an den Wänden finden viele Platz, andere stehen in der Runde. Karl greift zur Klampfe. Ein fro­hes Fahrtenlied wird gesungen. Karl berichtet von den vielen Jungschar­grup­pen in der Diözese, von Fahrten, Zeltlagern, Abenden am Feuer, von Nächten auf einsamer Lagerwache. Er erzählt von einem Jugendreich der Freude. Dann wieder ein Lied zur Klampfe und er übt mit uns das Lied (ich werde es nicht vergessen): „Kameraden, wir marschieren, wollen fremdes Land durchspüren … Ka­meraden, fremde Welten singen leis von unserm Land.“
Karl berichtet von ersten Behinderungen der Jugendarbeit durch den Nazi-Staat. Katholische Jugendgruppen werden bedroht, bedrängt und über­wacht, bis hin zu der Überwachung durch die allgewaltige Gestapo.
Begeistert berichtet er von der Treue der katholischen Jugend zu Christus und seiner Kirche. Mancher hat schon die Begegnung mit den Andersden­kenden gemacht in der Schule [und] in der Freizeit. Karl er­muntert zur Treue und zum Durchhalten. Ein Trutz- und Treuelied unter­streicht noch mal sein Wort.

[1] Die Jungschar, Werkschriftreihe des Katholischen Jungmännerverbandes, Pater Heinrich Horst­mann SJ (Hg.), 8./9. Werkheft, Düsseldorf 1933: Jungen, wie sie sind – Bücher, die sie lesen, ein Werk­heft von P. Horstmann SJ und Rektor Meurer
[2] Theo Wissing (* 22.10.1919 in Vreden) – Vreden, Schelver Diek 45

Münster, Freitag, 24. Januar 1936
Mit Heini T. [Tenhumberg] und unserem Fachschaftskreis [der Theologen] nach Telgte und Freckenhorst. […] Nachher Kaffee bei Rektor [Heinrich] Krampe. Warendorfer und Ahlener Führer getroffen zur Vorbereitung eines Wochenendes. In froher Laune nach Hause.

Münster, Donnerstag, 13. Februar 1936
Feine Karte von Theo Reck­haus (BJsf [Be­zirksjungscharführer] von Bottrop) „Wir stehen wie die Ei­chen“ – und Wilm Wissing. Das gibt Mut.

In Karl Leisners Tagebüchern taucht der Ortsname Vreden erstmalig am 19. Oktober 1936 in einem Brief an den Diözesanpräses Heinrich Roth auf, in dem Karl Leisner ihm die Planung für die künftige Jungschararbeit in der Diözese und den neuen Diözesan­jungschar­führer Wilhelm Wissing aus Vreden, der am 1.5.1936 in das Collegium Borromaeum eingetreten war, vorstellt.

Montag, 19. Oktober 1936
Grüß Gott, Hochwürden, lieber Herr Diözesanpräses!
[…] Für den Niederrhein soll Josef Tenhaef aus Kevelaer sich der Jungschar besonders widmen. Für den Ruhr­mündegau Peter Maaßen, für den Industriegau Theo Reckhaus, für das west­liche Münsterland Wilh. Wissing, für das östliche Münsterland Franz Horst­kemper aus Warendorf. Nähere Einzelheiten möchte Wil­h. Wissing, der zu­gleich auch der neue Diözesanführer der Jungschar sein soll, Ihnen am Montag, dem 26.10., spätnachmittags gegen 18.00 Uhr, berichten und um Ihre Zusage „werben“; denn ohne dem dürfte es natürlich nicht so gemacht werden. Am Freitag, dem 27., morgens gegen 10.00 Uhr, möchten Wilh. W. [Wilhelm Wissing] und ich gerne dem Hochwürdigsten Herrn [Bischof Cle­mens August Graf von Galen] einen kurzen Besuch ab­statten[1], um ihm über die bisherige Jungschararbeit und von den Zukunfts­plänen etwas zu berich­ten.
[…]
Da ich im WS [Wintersemester] wieder gerne nach Freiburg
/Br. möchte und anschlie­ßend wohl der RAD für ein halbes Jahr „steigt“[2], hätte es wirklich keinen Sinn mehr, die Jungschararbeit in der Diözese weiterzutun. Und Wilh. W., denke ich, und sein „Führerstab“ wird es sicher gut und noch besser machen. – Auf frohes Wiedersehen – mit treuen Grüßen!
Ihr Karl L.
Die Anschriften der vorgesehenen Jungscharführer in den Gauen:
1) Gau Münsterland (West) + DF [Diözesanjungscharführer]:
Wilh. Wissing, Vreden i. W., [Bauernschaft] Köckelwick, im Semester: Coll. Borr.
[Münster]

[1] Zu dem Besuch konnte Karl Leisner wegen seiner Rippenfellentzündung nicht kommen.
[2] Karl Leisner kam am 1.4.1937 zum Reichsarbeitsdienst.

Sonntag, 1. November 1936
Wilhelm Wissing und Theo Reckhaus aus Bottrop an Karl Leisner in Kleve:
Grüss Gott, Karl!
Gruss vom Gautreffen in Bottrop. 42 Kerle waren da und wir haben zu­sammen gearbeitet um unsere Jungschar. Karl, es steht doch besser, als wir [am 18.10.1936] in Kevelaer vermutet hatten. Schreib mir doch bitte die Adressen [der Bezirksjungscharführer] und die anderen Dinge.

Münster, Samstag, 13. November 1937
Am Samstag sollte ein Studiertag sein – und es wurde ein Tag der Ausspra­che. Abends mit Wilm W. [Wissing] – das war ganz herrlich, sehr ernst. Was ist der reif.

17. November 1937, Buß- und Bettag
Bischof Clemens August Graf von Galen predigt in Vreden, eine Maschinenabschrift der Predigt findet sich im Nachlaß von Karl Leisner. Er schreibt dazu am 2. Dezember 1937 in sein Tagebuch:
Die Predigt unseres Hochwürdigsten Herrn Bischofs [Clemens August Graf von Galen] vom 17.11. in Vreden ist herrlich. Das ist Sprache, klar und männlich!

Münster, Donnerstag, 6. Januar 1938
Abends mit Wilm W. [Wissing] eben bei Domvikar [Diözesanpräses Heinrich] Roth. – Er ist krank. – Nachher noch mit Heini Tnbg. [Tenhum­berg] sehr tief und ernst über das Priestersein gespro­chen. Eine Gnaden­stunde!

Münster, Donnerstag, 27. Januar 1938
Gestern predigte Heini Tnbg. [Tenhumberg]. – Die beste Predigt, die ich je im Bau hörte!

Münster, Sonntag, 17. April 1938, Osternacht
Heinrich Tenhumberg schrieb in Karl Leisners Tagebuch:
„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es für sich allein; ist es aber gestorben, so bringt es viele Frucht.“
Joh. 12,24ff.                         Dein H. Tenh.

Münster, Montag, 18. April 1938, Ostermontag

Karl Leisner und Heinrich Tenhumberg bei Familie Dolff

Karl Leisner und Heinrich Tenhumberg bei Familie Dolff

Um 16.20 Uhr bei Hans Dolff und seiner lieben jungen Frau [Cläre] zu einem net­ten Osterkaffee. – Kritik: Bei der Begrüßung Frau Dolff nicht gleich frohe Ostern gewünscht und Heini Thbg. [Tenhumberg] nicht vorg e­stellt.
[…]
Schön wurde es dann, als wir zur Klampfe Lieder sangen. Das feinste war „Rosenstock, Holderblüh’“ mit den feinen „Freiübungen“ dazu, die uns Matthias Op de Hipt mal gelehrt hat. – Wir merkten gar nicht, wie die Zeit vorbeistrich. – Es war wirklich fein. – Ganz Mensch und zugleich ganz Prie­ster sein, mit letzter Freude und tiefster Ehrfurcht beides!

 

Münster, Mittwoch, 8. Juni 1938
Nach der Vesper ziehn wir (HeiTen [Heinrich Ten­humberg] und ich per Straßenbahn) los zu Hans Dolff und Frau [Cläre]. Wir haben rechte Freude mit’nander. Die liebe junge Frau hat reizend den Tisch gedeckt. Dann spü­len die Männer. Und dann wird nach Herzenslust gesun­gen und gespielt.
Heute mittag lag ich mit Heini Ten [Tenhumberg] am [Dortmund-Ems-]Ka­nal. Sonne – Natur! Heiho! Nur keene [keine] Treibhauspflanze nich! –
So jetzt: buona notte! [Gute Nacht!] Schön war der Besuch mit Heini Tenbg. [Ten­humberg] bei Dr. [Josef] Höfer. Wir kamen näher ins Gespräch. Ein pracht­voller Mann!

Münster, Dienstag, 28. Juni 1938
Die heiligen Exerzitien für die heiligen vier Niederen Weihen.
Mit meinem Freund Heini [Tenhumberg] war ich bei Familie E. [Heinrich Eyink] kurz zu Gast. – Ein wenig hat’s uns beide wohl schon ge­packt: Der Ernst der Entscheidung [vor dem Empfang der Niederen Weihen] zu­mal in dieser so gewaltigen Stunde der Welt und der Kirche. Ein wenig möchten wir verzagt werden, wenn wir das Menschliche – Allzumen­schliche an uns selbst vor allem und an unserer lieben Mutter, der Kirche, so nackt und nüchtern sehen.

Mittwoch, 21. September 1938
Karl Leisner aus Kleve an seinen Bruder Willi:
Gerad ist Wilm Wissing aus Vreden hier, er läßt fragen, wann er Dich alten Kumpel noch mal wiedersieht. Auf frohes Wiedersehen! Dein Karl

Vermutlich am Samstag vor Pfingsten, dem 27. Mai 1939, wurde bei Karl Leisner eine offene Lungentuberkulose festgestellt und er kam am 5. Juni 1939 zur Heilung in das Lungensanatorium Fürstabt-Gerbert-Haus in St. Blasien. Dort blieb er bis zu seiner Verhaftung am 9. November 1939.

15. Dezember 1939
Karl Leisner aus dem Gefängnis in Freiburg/Br. an Heinrich Tenhumberg:
Mein lieber Heini!
Aus dem lieben alten Freiburg
/Br., unserer alten Studentenstadt – seligen Ge­den­kens! –, Dir einen ganz zünftigen, frohen Brudergruß. Ich weile hier – welch plötz­liche Veränderung – seit 9.11. abends – in carcere [im Gefäng­nis]. Also er­schrick bitte nicht allzusehr und fasse Dich, wie auch ich mich gefaßt habe „nel spiritu del schecco bianco!“ [„im Geiste der Blanko­voll­macht!“] Ich wurde von Mitpati­enten angeschuldigt, woraufhin mich die Ge­stapo in Schutzhaft nahm. Nachdem man mich von St. Blasien hierher beför­dert hatte, führe ich nun hier als Euer frater absens aegrotus captivus­que [abwesender, kranker und gefangener Bruder] ein „monaden­haftes Dasein mit eremitischem Einschlag“. Die sechste Woche beginnt heute schon. Die Zeit ist dank der Hilfe Gottes schön und gut und nützlich ver­bracht wor­den. – Ob mir das Christkind die Freiheit beschert, oder was kommt, weiß ich ge­nauso wenig wie Du. Also wollen’s ganz getrost dem guten Vater im Him­mel und unsrer lieben Mta und der Gestapo überlassen, wie’s wird. Es wird schon recht werden. Hier und da fällt’s einem schon mal nicht leicht, durch die Gitterstäbe den Himmel anschauen zu müssen – und was Gott damit will, denkt man schon mal in seinem Spatzenhirn …, aber meine Gesamt­lage ist – vor allem seelisch – frisch und froh.
Ich lerne hier sehr vieles und nütze jede Minute. Du kennst mich ja, und kannst Dir’s denken, wie ich’s mache. – Für Deine liebe Kolping-Karte, die mir hierher nachgesandt wurde, herzlichen Dank. Grüße alle Brüder von mir! Frohe Weihnacht und guten Spurt ins neue Jahr und Jahrzehnt!
Dein „alter“ Karl

Sonntag, 11. August 1940
Karl Leisner aus dem KZ Sachsenhausen, Block 17, an seine Familie in Kleve:
So oft denke ich an Euch und all unsre lieben Verwandten, Freunde und Mitbrüder, an die Kame­raden der Front zumal. Alle, alle grüßt viel tausendmal! Besonders die lieben Gocher, W. [Weseler], D. [Dortmun­der], N. [Neußer Ver­wandten], Heini Thbg. [Tenhumberg]

In seinen Briefen aus dem KZ Dachau bittet Karl Leisner immer wieder darum, Verwandte, Freunde und Bekannte zu grüßen, darunter sind neben Heinrich Tenhumberg auch die „Vredener“ Wilhelm Wissing, Familie Stroetmann, Franz Brocks und Franz Nienhaus.

Sonntag, 6. April 1941, Palmsonntag
Karl Leisner aus Dachau, Block 28/1, an Hein­rich Tenhumberg:
Lieber Heini!
Dir und allen lieben, treuen Mitbrüdern und Ka­meraden in Treuen ein früh­lingshelles Heil aus Dachau. Gnadenreiches Ostern Dir und allen. Was macht Ihr, wo steckt Ihr? Ich denke oft an Euch. Danke Euch für Euer Bruder­gedenken. Ich spür’s jeden Tag. Unsere gute Mutter [Mta] sorgt für uns alle, für den verlorenen Sohn besonders. Beim Blankoscheck bleibt’s. Allen Kursus­kameraden frohe Ostergrüße.

Sonntag, 4. Mai 1941
Karl Leisner aus Dachau, Block 28/1, an seine Familie:
Könnt mir auch ruhig mal einmal mehr schreiben oder auch mal jemand anders zwischendurch, zum Beispiel Heini T. [Tenhum­berg].

Samstag, 31. Mai 1941
Karl Leisner aus Dachau, Block 28/1, an seine Familie in Kleve:
28.[5., das Fest des hl. Wil­helm,] war ein prachtvoller Tag hier.
[…] Das Brevier betete ich für unsere Willis an diesem Tag.[1]
[…] Auch an Wilm Wissing und [Kaplan Wil­helm] Hetterix nachträg­lich [zum Namenstag].

[1] Vater Wilhelm Leisner in Kleve, Bruder Willi in Berlin, Vetter Willi Väth in Dortmund und Onkel Willi Falkenstein in Neuss

Sonntag, 29. Juni 1941
Karl Leisner aus Dachau, Block 28/1, an Hein­rich Tenhumberg:
Lieber Heini!
Zu Deinem Namensfest Dir Heil und Gnade!
[…]
Was machen die Vredener [u. a. Franz Brocks, Franz Nienhaus, Wilhelm Stroet­mann] alle, besonders Wilm Wis­sing? Ihnen allen herzli­che Grüße! Von mir kann ich Dir nur das Beste er­zählen. Es geht mir Ia. Schreib mir doch bitte mal her.

Sonntag, 10. August 1941
Karl Leisner aus Dachau, Block 28/1, an seine Familie:
Ver­gan­gene Nacht träumete mir von Primiz und Weihe. Ach, herrlich! Am 6.[8.] hatte Willi [Meyer] zweijähriges [Priester-]Jubiläum. Und Heini [Tenhum­berg] am 23.9. Na, Heini [Tenhumberg], Du wirst ja Freude daheim brin­gen, wo fast alle unsere jungen Tauben [Mädchen] ausgeflogen sind.

Freitag, 22. August 1941
Karl Leisner aus Dachau, Block 28/1, an seine Familie in Kleve:
Schade, daß Heini Thbg. [Tenhumberg] nicht [in Ferien kommen] konnte. Alles hat sich mit­gefreut an seinem Brief. 1000 Grüße allen Getreuen! […]
Allen Vrede­nern, besonders auch Familie Stroet­mann.

Sonntag, 25. Januar 1942
Karl Leisner aus Dachau, Block 26/3, an seine Familie in Kleve:
Für Familie [Johannes] Schöttler auch mein Bei­leid noch zu Cläres tragischem Tod. […] Ebenso an Heini T. [Tenhum­berg] zum Tod von Franz Nienhaus [im November 1941 in Rußland].

Samstag, 7. Februar 1942
Karl Leisner aus Dachau, Block 26/3, an Hein­rich Tenhumberg als Soldat:
[…] Auch Franz N’hs’. [Nienhaus] Tod [im November 1941] traf mich.

Samstag, 2. Mai 1942
Karl Leisner aus Dachau, Block 26/3, an Wil­helm Wissing als Soldat:
Lieber Wilhelm!
Von Heini T. [Tenhumberg] hast Du wohl ab und zu von mir gehört. Zu Dei­nem diesjährigen Namenstag [am 28.5.] möchte ich Dir persön­lich in frohem Ge­den­ken an gemeinsame Taten Glück und Gnade wünschen. Immer wieder ver­weilen meine Gedanken bei den frohen Jahren der Jugend und eilen zu Dir und Euch allen, die Ihr [im Krieg] in hartem Männerkampfe steht. Die Pa­role ist die gleiche wie einst, nur der Kampfplatz noch härter und schwe­rer. Grüße gelegentlich alle lieben Freunde von mir, besonders unsere Vredener [u. a. Franz Brocks, Wilhelm Stroet­mann]! So man­cher liebe Kamerad ist gefallen. Aus treuem Herzen Dir Heil und Sieg!
Dein Karl

Samstag, 14. November 1942
Karl Leisner aus Dachau, Block 26/3, an Hein­rich Tenhumberg als Soldat:
Lieber Heini!
Gratuliere zum Gefreiten. Das Jahr geht zur Neige. Bald ist Advent. Am 8.12. stehe ich in starker Einheit mit Euch al­len, voll freudiger Erinne­rung an hei­lige münstersche Stunden.[1] In bereiter Fiat-Haltung wollen wir den Advent begehen. Zu Weihnachten Dir, Ornd [Ar­nold Mente], Bernd [Leus­der], Alois [Hegemann], Heini Ennemann [En­neking], Jupp Brink, Tönne [Anton Völkering] und allen im Kurs treue Bruder­grüße, Friede und Freude im Herrn! Ebenso auch für Bernhard Mäkel und [Bern­hard] Burdewick, für Wilm Wissing, Franz Brocks, die Stroet­manns und alle prächtigen Kerle in Vreden! Dir, lieber Heini, danke ich besonders für Dein stetes, treues Geden­ken beim heili­gen Opfer. Jeden Morgen lege ich mein Herz mit auf Deine Patene.

[1] Der 8.12., Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens, war vermutlich von besonderer Bedeutung für die Münsteraner Schönstatt­gruppe. Am 8.12.1934 war in Münster in der St. Magdalenenkirche eine Mta-Kapelle eingeweiht worden.

Vom Spätherbst 1942 an konnten die Häftlinge Lebensmittelpakete erhalten. Karl Leisner bedankt sich in seinen Briefen bei den Spendern.

Freitag, 26. Februar 1943
Karl Leisner aus Dachau an seine Familie in Kleve:
An Paketen landeten inzwischen:[…] Familie [Johann] Tenhumberg – Lünten bei Vreden in Westfalen, […] dann Euer schönes mit den Beigaben der Vredener

Samstag, 2. Oktober 1943
Karl Leisner aus Dachau, Block 26/3, an Heinrich Tenhumberg als Soldat:
Grüß’ mir jeden einzelnen [Kursgenossen:] Alois [Hegemann], Bernhard [Leus­der], Heini [Enne­king], Ornd [Arnold Mente], Tönne [Anton Völke­ring] usw. und auch Bernhard Burde­wick sowie [Rudolf] Klein-Arke­nau.
[…] Und was stel­len die Vre­dener [u. a. Franz Brocks, Wilhelm Stroet­mann] an? Sind noch viele gefallen? Manch­mal des Abends kom­men mir alle vor die Seele. Und ich werde immer froh dabei.

Samstag, 1. April 1944
Karl Leisner aus Dachau an seine Familie in Kleve:
Danke Euch für die feinen Pakete. Es kamen an Nr. 9 und Nr. VI (Dank an Barian!) Je ein Päckchen von Familie [Johann] Tenhum­berg, Lünten;

Samstag, 22. April 1944
Karl Leisner aus Dachau, Block 26/3, an Heinrich Tenhumberg:
Grüße bitte alle Kurs­kameraden [der Schönstatt-Theologengruppe aus Mün­ster] und die alte Vredener Garde bei Gele­genheit von mir.

Freitag, 26. Mai 1944
Sammelbrief von Familie Wilhelm Leisner aus Kleve an Karl Leisner:
Da bist Du platt, Karl, daß ich mich hier anschließe, was? Ebenso platt wie Deine Eltern und Schwestern, als ich heute morgen plötzlich als „blauer Knabe“ [Marinesoldat] vor ihnen stand. Ich freue mich sehr, daß ich in diesem meinem Urlaub, der leider am 31.5. schon zu Ende ist, mei­nen Vorsatz verwirklichen konnte. Unsere gemütliche Plauderei geht gleich weiter. In herzlichem Gedenken, Karl, grüßt Dich Dein Heini [Tenhumberg]

Am 17. Dezember 1944 wurde Karl Leisner heimlich im KZ Dachau zum Priester geweiht und am 26. Dezember 1944 feierte er dort Primiz, seine erste und einzige heilige Messe.

Samstag, 30. Dezember 1944
Karl Leisner aus Dachau, Block 26/3, an Heinrich Tenhumberg:
Lieber Heinrich!
Am Stefanstag [26.12.] von 8.30 bis 10.00 Uhr früh habe ich Primiz gefeiert. Zum ersten Mal allein das heilige Opfer am Altar, in unserer Kapelle hier [in Block 26]. Ihr wart alle im Geiste mit dabei. Nach über fünf Jahren Betens und Wartens Stunden und Tage selig­ster Erfüllung. Daß Gott uns auf die Fürsprache Unserer Lieben Frau so über­aus gnädig und einzigartig erhören würde, – ich kann es noch immer nicht fassen. Seit 14 Tagen kann ich nur noch er­griffen beten: Gott, was bist Du groß und gut. Für uns alle waren es Stun­den unbe­greiflichen Glückes und hoher, hellster Freude, die uns für viele dunkle Stun­den reich entschädigten. – Nach der heiligen Wandlung war ich für einige Sekunden tief ergriffen und gerührt, sonst sehr ruhig und konzen­triert. Stun­den seligster Weihnachtsfreuden und feinster, innigster Stim­mung. Dir und allen Kameraden den Segen des Allerhöchsten für das kom­mende Jahr. Voll Jubel und Dank grüßt Dich und alle: Glückauf 1945!
Dein Karl

Montag, 8. Januar 1945
Heinrich Tenhumberg an Karl Leisner:
Lieber Karl!
Es wird endlich Zeit, daß Du wieder von mir hörst, damit Du nicht in Sor­gen bist, mich auch schon zu den Vermißten rechnen zu müssen. In den letzten Wochen, besonders an Weihnachten, habe ich besonders oft und herzlich an Dich gedacht. Dein Brief mit der frohen Nachricht Dei­ner bevorstehenden [Priester]Weihe kam nämlich gerade vor Weihnach­ten bei mir an. Ich danke Dir, auch im Namen des Kursus [der Münsteraner Schön­stattpriestergruppe], für den Primizsegen. Nun sind wir im heili­gen Opfer noch tiefer und inniger verbunden, und wir dürfen uns alle wohl von Her­zen dankbar freuen, daß man Dir diese Weihe dort möglich gemacht hat.
[…] Gestern abend, bzw. heute mor­gen ging ein Paket für Dich nach Kiel (mit nahr­haften Sachen). Hoffentlich hast Du es bald in Händen. Hast Du auch meine November- und Dezem­berpäckchen erhalten? Dem letzten legte ich einige Weihnachtskerzen bei!
[…] Habe ich Dir schon geschrieben, daß nun Wilm Stroetmann auch im Osten vermißt ist? Vorgestern bekam ich einen Brief von Franz Brocks, der jetzt mit einer Oberschenkel- und Oberarmverletzung in einem ober­italieni­schen Lazarett liegt. Er hat mal wieder tolle Sachen hinter sich. Nach­dem er schon einmal nach sieben­tägiger Gefangenschaft den Russen wieder entkommen war, ist er in Italien einer polnischen Legion, die ihn dort gekrallt hatte, wieder ausgekratzt. Der Kerl ist eben nicht un­terzukriegen. Du wirst Dich ja auch nicht wundern, weil Du ihn zur Genüge kennst.
[…] Wie geht es Dir eigentlich gesundheitlich, Karl? Wenn ich Dir irgend etwas besonderes schicken soll, so schreib es doch bitte. Gib bitte auch an, ob die Päckchen heil ankommen. Ich kann hier noch manches be­kommen, das sonst in Deutschland nicht mehr zu haben ist. Wenn heute nur der Transport auf der Bahn sicherer wäre!

Donnerstag, 8. Februar 1945
Heinrich Tenhumberg an Karl Leisner:
Lieber Karl!
Soeben habe ich ein Päckchen an Dich auf die Feldpost gegeben. Inhalt: ca. ein Pfund Speck und ein Pfund Butter. Ich hoffe sehr, daß diese bei­den nahrhaften Sachen bald und gut an Dich ankommen. Gib mir dann bitte gleich Nachricht. Über Deine Weihe habe ich so viele Beweise freu­diger Teilnahme erhalten, […]
Alle sprechen Dir ihren herzlichen Glückwunsch aus und bitten Dich von Herzen um den Primizsegen.

Am 29. Oktober 1937 wurden die Tagebücher Karl Leisners und weitere Auf­zeichnungen von ihm durch die Gestapo beschlagnahmt. Einige davon wurden im Juli 1945 im Gestapohaus in Münster gefunden.

Sonntag, 16. September 1945
Elisabeth Schulenkorf[1] aus Vreden/Westf., Oldenkotterstraße 11, an Familie Wil­helm Leisner in Kleve:
Sehr geehrte Familie Leisner!
In diesen Tagen kam ich von Schönstatt zurück. Man hatte mir da im Juni und jetzt wieder von Ihrem Sohn Karl erzählt. Ich möchte nun gern anfra­gen, was Sie von ihm wissen, um auch meinen Angehörigen [Familie Heinrich Eyink] in Münster Nachricht über ihn zu geben. Während der Jahre im Borro­maeum und auch im Priesterseminar kam Karl fast regel­mäßig mit H. [Hein­rich] Tenhumberg zu uns. Es gab dann einen gemütli­chen Familienkaffee und für meine Neffen ein paar tolle Stunden. Unser „Großer“ [Karl-Heinz Eyink] war wie­derholt mit ihm auf Fahrt.
Wir haben mit der ganzen Familie viel, viel an Karl gedacht und durch H. Tenhumberg und Schönstatt immer von ihm gehört. Daß er aus dem Lager noch herauskam und in der Nähe von München in einem Krankenhaus [Waldsanatorium Planegg] bleiben mußte, wurde uns gesagt. Sollte nicht doch sein Wunsch nach voller Gesundung noch in Erfüllung gehen kön­nen? Un­sere münstersche Schönstatt-Jugend und noch ein Kreis betet und opfert in diesem Sinne. Also hoffen wir! Würden Sie so gut sein und mir antworten in absehbarer Zeit?
Ich habe im Juli [1945] von jemand in Münster drei Tage- und Fahrten­bü­cher von Karl bekommen, die er beim Durchsuchen des Gestapohauses in Mün­ster fand. Vom münsterischen Gericht aus waren die Juristen näm­lich damit beauftragt, die Akten etc. aufzuräumen. Nun war der Bruder von einer Bekannten aus der Schö.[nstatt]-Jugend dabei. Er nahm die Hefte an sich und so bekam ich sie dann. Ich möchte sie Ihnen zustellen, sobald es geht.

[1] Maria Elisabeth Schulenkorf (* 25.5.1904 in Altenberge, † 9.7.1953) – Lehrerin in Vre­den – Sie gehörte zum Verband der Frauen von Schönstatt und wohnte eine Zeitlang in Mün­ster bei Familie Heinrich Eyink.

Link zum Rundbrief des IKLK Nr. 48 vom August 2003 – Heinrich Tenhumberg und Karl Leisner in ihrer Schönstattgruppe Sacerdotem oportet offerre et offerri

Imperessionen zur Karl-Leisner-Straße

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Text und Fotos Christa Bockholt