Was bedeuten Zeugenaussagen?
Was bedeuten Einträge in Kirchenbücher?
Am Leben Karl Leisners wird deutlich, wie schwer zu ergründen ist, was, wann, wo, wie geschah.
Schon bezüglich Karl Leisners Firmung zeigt sich, daß sogar kirchlichen Dokumenten nicht ohne weiteres zu vertrauen ist. Das gilt auch für Zeugenaussagen im Seligsprechungsprozeß.
Aus den von der Staatspolizeistelle abgeschriebenen Briefen an Karl Leisner und aus der Krankheitsgeschichte Planegg geht hervor, daß Karl Leisner in den Semesterferien 1936 an Rippenfellentzündung erkrankt war.[1]
Von dieser Krankheit berichten im Seligsprechungsprozeß mehrere Personen, ordneten sie aber zeitlich zu spät ein:
[1] Krankheitsgeschichte Planegg:
Herbst 1936 feuchte Rippenfellentzündung rechts. (1 × punktiert)
Mutter Amalia Leisner:
Als Karl aus dem Arbeitsdienst zurückkam, erkrankte er an einer nassen Rippenfellentzündung (Seligsprechungsprozeß: 144).
Maria Leisner:
Ich habe einige Male erlebt, dass Karl krank war. […] Später nach dem Arbeitsdienst hatte er eine Rippenfellentzündung (Seligsprechungsprozeß: 255).
Elisabeth Haas:
Offenbar wurde die genannte Tätigkeit [Jugendarbeit] Karls von seinen Vorgesetzten geschätzt. Ein Zeichen dafür war m. E. der Besuch des Diözesanjugendpräses [Heinrich] Roth bei uns, als Karl mit einer Rippenfellentzündung krank zu Hause lag. Das war m. W. im Winter 1937/38, obwohl doch Karl schon 1936 das Amt des Diözesanjungscharführers aufgegeben hatte (Seligsprechungsprozeß: 1125).
Elfriede Mütter:
Bald nach der Diakonatsweihe [im März 1939] wurde bei Karl eine schwere Lungen-Tbc festgestellt. Diese muß wohl durch eine Rippenfellentzündung entstanden sein, an der Karl nach seiner Arbeitsdienstzeit im Emsland litt. Ich erinnere mich, daß Karl damals krank im Schlafzimmer seiner Eltern lag und ich ihn besuchte. Er begrüßte mich in seiner frohen Art und schien voll Optimismus an eine baldige und vollständige Heilung zu denken (Seligsprechungsprozeß: 656).
Paul Dyckmans:
Als ich ihn nach seiner Arbeitsdienstzeit Herbst 1937 in seinem Elternhaus besuchte, wo er mit einer Rippenfellentzündung zu Bett lag, […] (Seligsprechungsprozeß: 676).
Elisabeth Haas bestätigte im nachhinein, Karl Leisner sei im Oktober/November 1936 an Rippenfellentzündung erkrankt, habe im Bett seiner Mutter gelegen und Besuch von Diözesanpräses Heinrich Roth bekommen. Karl Leisner selbst hat einen Besuch von P. Eucharius Zenzen OSB während seiner Krankheit erwähnt.
Karl Leisner am 1. Juli 1938 während eines Rückblicks vor den Niederen Weihen:
In den Herbstferien[1] überschlägt’s sich: ich werde stolz und übermütig, ich sehe meine Grenzen nicht mehr! – Es kommt die Strafe: Krankheit! – Vier Wochen krank und schlapp. Ernste Besinnung. – Bücher und Menschen helfen mir. Kaplan [Ferdinand] St. [Stegemann] und P. M. [? P. Markus Müßig OFMCap] – Gertrud von Le Fort: „Die ewige Frau“[2]. Ich bin in Gefahr!
Wie mag es zu den unterschiedlichen Aussagen gekommen sein?
1937 mußte Karl Leisner sein Studium zur Ableistung des Arbeitsdienstes unterbrechen. Im moorigen Emsland, wo er die meiste Zeit tätig war, konnte man sich durchaus eine Rippenfellentzündung zuziehen.
von links: zweiter Karl Leisner, vierter Walter Flämig, fünfter Franz Schöndorf
Unmittelbar nach dem Arbeitsdienst wurden Karl Leisners Tagebücher bei einer Hausdurchsuchung durch die Gestapo beschlagnahmt. Außerdem überwachte ihn die Gestapo bereits seit 1936. Auch Vater Leisner stand im Visier der Nationalsozialisten. Vom 23. bis 29. März 1943 befand er sich wegen eines angeblich von ihm geschriebenen anonymen Briefes in Haft, doch das Verfahren wurde eingestellt.
Angesichts dieser ganz natürlichen Ablehnung des Nationalsozialismus von Familie Leisner kam vermutlich leicht die Vorstellung auf: „Adolf Hitler hat unseren Karl krank gemacht.“