Seit Karl Leisners Verhaftung 1939 befand sich in der Krippe unter dem Weihnachtsbaum bei Familie Leisner ein Foto ihres Sohnes Karl.
Weihnachten 1943 bei Familie Leisner
Montag/Dienstag, 20./21. Dezember 1943
Willi Leisner im Taschenkalender:
19.00 Uhr zum Potsd. [Potsdamer] Bahnhof – 22.23 Uhr nach Duisburg – Eckplatz – mit 2½ Std. Verspätung um 10.43 Uhr nach Kleve – an 13.00 Uhr – Vater an der Bahn
Mittwoch, 22. Dezember 1943
Willi Leisner im Taschenkalender:
7.45 Uhr Christ König[-Kirche Messe] – 11.00 Uhr nach Hommersum [zu Familie Theodor Lamers] – Gans holen – 15.00 Uhr zurück
Willi Leisner aus Kleve am 22. Dezember 1943 an Franziska Sauer in Rothenbuch:
[…]
Die Tage vor dem Fest gilt es nun, die Vorbereitungen zum schönen Gelingen zu treffen. Heute morgen habe ich mich auf’s Rad geschwungen und in unserer ländlichen Umgebung nach einer Fahrt durch unseren prächtigen Reichswald [nach Hommersum] einen guten Weihnachtsbraten in Form einer Gans abgeholt. Morgen werden die Krippe und der Christbaum zurechtgemacht.
Donnerstag, 23. Dezember 1943
Willi Leisner im Taschenkalender:
7.40 Uhr Stiftskirche Meßbube – mit Franz u. Karl Straeten zu [Johannes] Kammann […] Jupp van Eimern da. Abends zu Gerritzen und Matthäi
Freitag, 24. Dezember 1943
Willi Leisner im Taschenkalender:
7.40 Uhr Stiftskirche Meßbube. Besorgungen gemacht. Mittags mit Vater zum Spyckkloster [? zur Beichte]
Samstag, 25. Dezember 1943
Willi Leisner im Taschenkalender:
2.30 Uhr raus – 3.30 Uhr Stiftskirche bis 4.00 Uhr Choral und Hirtenlieder der Mädel – Amt und 2 hl. Messen bis 6.15 Uhr heim – Festkaffee – dann Krippenfeier – Bescherung und Musizieren – 9.45 Uhr zu Bettray – 11.00 Uhr Hochamt in der Unterstadt[kirche] – 13.00 Uhr Essen – Schlafen bis 16.30 Uhr – zu [Ehepaar Heinrich und Karolina] Otten und [Familie Eduard] Bettray – Abends Singen und Musizieren daheim mit [Johann und Minchen] Pollmann – 23.30 Uhr Falle
Willi Leisner aus Kleve am 28. Dezember 1943 an Franziska Sauer in Rothenbuch:
Am Feste der unschuldigen Kinder
Grüß Gott, meine liebe Franziska!
[…]
Ich bin seit Dienstag, den 22.12. in Kleve. Vor Weihnachten gab es noch allerlei zu tun, um die Tage schön zu gestalten. Einige kleine Geschenke mußte ich noch auftreiben (in Berlin war mir das nach den Angriffen nicht mehr möglich), die Weihnachtsgans mußte in der ländlichen Umgebung abgeholt werden und Christbaum und Krippe mußten hergerichtet werden. Am Weihnachtsmorgen ging’s um 2.45 Uhr raus. Um 3.30 Uhr war unsere ganze Familie zur Christmette in der Stiftskirche, die in vollem Lichterglanz der elektrischen Beleuchtung – die Kerzen mußten halt gespart werden – erstrahlte. Bis zum Beginn des festlichen Hochamtes um 4.00 Uhr sang ein Mädelchor Choral und Hirtenlieder zur Einstimmung des Weihnachtsfestes. Im Amt hielt einer unserer drei Kapläne die Festpredigt.[1] Er tat uns die Freude kund, die allem Volke, das guten Willens ist, zuteil wird. Erst der Krieg führte uns wieder ganz auf das Festgeheimnis zurück, da er uns zwang, den vielen äußeren Tand abzulegen. – In der 2. und 3. Messe stimmten dann die Gläubigen die schönen Weihnachtslieder an und viele vereinten sich in der Gemeinschaft des Brotbrechens zur lebendigen Pfarrfamilie. Um 6.15 Uhr gingen wir durch den nebligen Morgen heim. […]
Nach dem Festkaffee feierten wir die Krippenfeier „Lasset uns nach Bethlehem gehen“ von Leonhard Küppers.[2] Dies ist ein feines Spiel, das durch Lieder aus dem [Liederbuch Das] Singeschiff umrahmt ist. Mit unserer sechsköpfigen Familie mit Flöten- und Klampfenspiel war das die rechte Feierstunde im trauten Kreise. Über die nun folgende Bescherung waren wir freudig überrascht. Denn jeder hat mit viel Liebe und Mühe doch noch allerlei zusammengetragen.
[1] In Kleve waren damals in St. Mariä Himmelfahrt (Stiftskirche) die Kapläne Ludwig Deimel, Albert Heistrüvers und Ferdinand Stegemann tätig.
[2] Küppers, Leonhard: Krippenspiel „Lasset uns nach Bethlehem gehen“, Düsseldorf 1940
Maria Leisner aus Kleve am 25. Dezember 1943 an Familie Magnus Weber in Alpseewies:
Sehr geehrte liebe Familie Weber!
Sehr lange hörte ich nichts mehr von Ihnen. Hoffentlich sind Sie noch alle gesund, besonders auch Ihre lieben Soldaten, wo man ja immer die meisten Sorgen darum hat.
Zum Festtag des Herrn wünsche ich Ihnen besonders auch in Karls Namen die Gnaden und den Segen des göttlichen Kindes. Für das Jahr 1944 viel Glück und Gottes besonderen Schutz.
Wir sind heute außer Karl alle beisammen. Karl geht es ein wenig besser. Zur Zeit war es sehr schlecht um seine Gesundheit bestellt.
Daß die anderen (Willi aus Berlin, meine Schwester [Paula] aus Frankfurt/M.) gesund heimgekommen sind nach all den [Bomben-]Angriffen, darob sind wir besonders froh und dem Herrgott recht dankbar.
Anfang November [am 17.11.1943] ist Urban Peiffer gefallen. Er war mit Karl und unserm Vetter Willi Väth zusammen bei Ihnen [im August 1938]. Kurz vorher hatte er noch an Karl geschrieben. Unserm Vetter geht es noch gut. Er war vor kurzem [im November] noch bei uns. In jedem Urlaub denken so Jungens an all die schönen Stunden, die sie beim Fahrten- und Wanderleben verbracht haben. Da wird dann Ihre Familie nicht zuletzt genannt.
Wir sind jetzt froh, zusammen zu sein und die herrlichen Weihnachtslieder singen und mit unsern Instrumenten begleiten zu können. […]
Ihre Maria Leisner
Willi Leisner fügte hinzu:
Ich bin froh, mal einige Tage aus Berlin zu sein und die hohen Festtage daheim feiern zu können. Recht frohen Gruß Ihnen
Ihr Willi Leisner
Tannenbaum und Krippe in der Wohnung von Familie Leisner Weihnachten 1942 mit Foto von Karl Leisner 1939 (links in der Krippe)
Während der letzten Begegnung von Karl und Willi Leisner am 1. Oktober 1939 fotografierte Willi Leisner seinen Bruder am Feldbergblick in St. Blasien. Es ist das letzte Foto von Karl Leisner in Freiheit.
Weihnachten 1943 im KZ Dachau
Hans Carls:
Auf Block 26 wurde der Weihnachtstag festlich vorbereitet. Die Kapelle war wundervoll geschmückt. Eine Weihnachtskrippe war aufgebaut, der ganze Raum mit Tannenzweigen ausgestattet. Am Festtage selbst wurde ein feierliches Hochamt gehalten, in dem der Chor unter Begleitung eines Orchesters sang. Die Kapelle war bis auf den letzten Platz besetzt. Auch Laienkameraden hatten sich trotz schärfster Kontrolle eingefunden. Auf dem Nachbarblock 28 standen die polnischen Priester auf der Blockstraße und hörten zu. Die Lagerstraße zeigte ebenfalls eine große Zahl von Zuhörern. Soweit mir erinnerlich ist, wurde dieser Festtag nicht von der SS gestört.[1]
[1] Hans Carls in: Stimmen von Dachau, 15. Dezember 1947 – Nr. 12: 44
P. Josef Fischer SAC aus Dachau am 1.1.1944 an seine Verwandten:
Am Heiligen Abend hatten wir abends 5.30 Uhr feierliche Matutin und Choralamt. Anschließend saßen wir bis 11.00 Uhr froh beisammen. Am 1. Weihnachtstag morgens gegen 9.00 Uhr Hirtenmesse mit deutschen Liedern, anschließend Predigt von Heinz [Dresbach]. Dann feierliches Levitenamt mit Orchestermesse von [Heinrich] Huber. Am Spätnachmittag hatten wir noch feierliche Vesper, dann eine stimmungsvolle Weihnachtsfeier in der Stube. Seht, was alles möglich war![1]
[1] Josef Fischer: Dokumentation über den Gründer Schönstatts, 1964 Bd. III: 20
Ferdinand Maurath:
Besonders schön war das Weihnachtsfest 1943. Ich hatte für 53 Kranke (andere Kollegen bis zu 100!), die keine Pakete hatten, einen Gabenteller mit Plätzchen, Nüssen, Äpfeln, Zigaretten (sie durften dieses eine Jahr rauchen und sogar in der Stube!) hergerichtet. Ein wunderbarer Tannenbaum im Schmuck gab uns die weihnachtliche Stimmung. In der Ansprache betonte ich, daß die Geburt Christi eine neue Zeit brachte, daß wir hier die Heimat ersetzen wollen, daß wir nichts als selbstverständlich hinnehmen. Fritz Zeilinger aus Wien und Heinrich Commercon aus der Pfalz, die ein Jahr später im Bombensuchkommando zerrissen wurden, wollten sich erkenntlich zeigen. Sie haben den riesigen Herbert Schwind völlig nackt mit Fußpuder eingerieben schneeweiß, ihm kleine Flügel gemacht und ihn mit einer Adresse vom Himmel geschickt zu mir. Betroffenes Staunen löste sich bald in herzlichem Gelächter und die Stimmung war absolut ungestört, war doch durch die Art der Behandlung oder die Lauskontrolle der Anblick des Nackten nichts Ungewöhnliches.[1]
[1] Ferdinand Maurath: Bericht von Ferdinand Maurath, Pfarrvikar. In: Freiburger Diözesan-Archiv 1970: 125–153, hier 144
Ferdinand Maurath aus Dachau am 1. Januar 1944 an seine Familie in Lörrach:
Liebe Verwandte und Bekannte!
Auf Euren frohen Weihnachtsbrief hin, muß ich natürlich zuerst nüchtern alle die vielen Pakete aufzählen, die angekommen sind, damit Ihr Euch in meine reinste Freude einfühlend gebührend bedanken könnt. Worte können es nicht ausdrücken, was überhaupt an Segen im Lager durch sie gestiftet werden kann. Ich habe auf dem Pfarrerblock gebührend abgekocht (wie es in der Lagersprache heißt) und konnte 59 Pakete [für das Revier] machen. Das hat die Feier mit Christbaum, weißgepudertem Engel und meiner Ansprache erst erfolgreich gemacht.
[…]
Wie wohl kein Domchor dieses Jahr hatten wir die Orchestermesse (mit Presbyterassistenz) von Heinrich Huber Salve regina pacis in voller Besetzung und gestern Geistliche Konzertstunde mit Lied: Kommet ihr Hirten von Höfer und Flötenbegleitung.[1] Dann J. B. In dulci jubilo von [Johann Sebastian] Bach mit Geige, Cello, Harmonium. Dann Solo Es wird scho glei dunkel, Salzburger Hirtenlied [von Anton Reidinger]. Improvisationen. Lieb Nachtigall, wach auf! Postludium von Bach!
[1] Die übliche Zuordnung dieses Liedes: Worte: Karl Riedel, Weise: Altböhmische Weise
Samstag, 1. Januar 1944
Karl Leisner aus Dachau an Ferdinand Stegemann und an seine Familie in Kleve:
[…]
Meine Lieben daheim!
Weihnachten ist vorüber. Gott sei Dank. Ich habe dieses Mal, das fünfte [Weihnachten], das erste Mal schweres Heimweh gehabt. Aber schön war’s doch; denn die innere Gnade des Festes kann uns ja durch nichts – es sei denn durch eigene Schuld – abgehen. Einer von uns hatte sogar ein wunderbares Krippchen modelliert, vor dem ich Euch jetzt schreibe. Ihr habt sicher schön gefeiert in trauter Runde. War Willi aus Berlin rechtzeitig da? Gottes besonderer Schutz möge ihn uns bewahren.[1] Für des Christkindes überreiche Gaben aus Euren und so vielen Wohltäter Händen danke ich aus frohem Herzen. Es kamen an: Euere Pakete Nr. 1 und Nr. 3. Von [Familie Ludwig] Krekeler – Neuß, von Tante Paula – Dortmund, von Tanten [Maria und Julchen] – Goch, von Hannes Pollmann je ein Paket. Am meisten hat mich Willis Päckchen aus Berlin gefreut mit dem Ia Kaffee. Allen des Christkindes Dank und Segen. […] Allen und Euch vor allen Glückauf 1944! Heil Euch!
Euer Karl
Willi Leisner aus Kleve am 2.1.1944 an Franziska Sauer in Oberbessenbach:
Mit großer Freude warte ich auf Dein liebes Weihnachtspäckchen, das ich in Berlin vorzufinden hoffe, falls meine Bude nach dem letzten Angriff noch steht. Den vor Weihnachten überstanden meine Hausbewohner gut und so erhoffe und erbitte ich auch fürderhin Gottes Schutz und Segen.
OKW-Bericht vom 24.12.1943:
Britische Bomber führten in den frühen Morgenstunden des 24. Dezember wieder einen Terrorangriff gegen die Bevölkerung von Berlin. In einigen Stadtteilen entstanden erhebliche Schäden (Die Berichte des Oberkommandos der Wehrmacht 1939–1945, München 2004, Bd. IV: 325).