Welchen Standpunkt bezöge Karl Leisner im Streit um den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche?

2014_02_10_Garnisonskirche

Einweihung des Barockbaus als Militärkirche ohne den 88,4 m hohen Turm 1732 – Fertigstellung des Turmes 1735 – Aus­stattung mit dem 40-stimmigen Glockenspiel 1736 – mit Re­gie­rungsantritt Friedrich Wilhelms III. 1797 Melodie zur vollen Stunde „Lobe den Herren“ u. zur halben Stunde „Üb’ immer Treu und Redlichkeit“ – Zerstörung des Glockenspiels durch Bom­ben­angriff 14./15. April 1945 – Nachbau des Glockenspiels 1987 – Übergabe der Kirche an die Stadt Potsdam 14. April 1991 – Den Nationalsozialisten diente sie als Kulisse für den Aufmarsch am 21. März 1933, dem sog. Tag von Potsdam. Unter der SED-Führung von Walter Ulbricht fiel sie 1968 der Welle von Sprengungen historischer Ge­bäude zum Opfer. Inzwischen ist man bemüht um den Wiederaufbau. Seit dem 25. Juli 2011 gibt es hinter dem ehemaligen und zukünftigen Standort der Garnisonkirche eine temporäre Kapelle mit einer Pfarrstelle.

„Ein verheerendes Signal“ – Umstritten wie kaum ein anderes Projekt zuvor: Der Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche. So lautet die Überschrift eines Artikels in Zeitschrift Publik-Forum Nr. 1/2014:35.

2014_02_10_GarnisonskircheArtikel

Auf seiner Rügenfahrt 1929 kam Karl Leisner u. a. auch nach Berlin. Auf dem Weg zum Schloß Sanssouci streifte er unter den zahlreichen Sehenswürdigkeiten in Potsdam auch die Garnisonkirche. In seinem Tagebuch heißt es:

Berlin, Mittwoch, 21. August 1929, 19. Tag
Nach dem Mittagessen gings, unter Führung von Heri­bert’s [Po­ell­mann] Onkel, zum Bahnhof Fried­richstraße und von dort mit dem Vorort­zug nach Potsdam. – Im Bahnhof Friedrichstraße stand eine Weltzeituhr und ein elek­trisches Voll­bahnlo­komotivmodell. – Die Türen des Vorortzugs gingen auto­matisch zu. – Vom Potsdamer Bahnhof gings über die Havelbrücke am [Pots­damer] Stadtschloß, an der Garnisonkirche (Glockenspiel), an der Nikolai­kirche und durchs Holländi­sche (sogenannte) Viertel und durch’s (Pots­damer) Bran­den­burger Tor über Alleen nach Schloß Sans­souci.

Für Karl Leisner kam die Garnisonkirche immer wieder mit dem „Tag von Potsdam“ in den Blick. Am 21. März 1933 schrieb er in sein Tagebuch:
Nationalfeiertag! Staatsakt in Potsdam im Radio in der Schule. Reichstag in der Garnisonkirche.

62 Jahre nach der ersten Reichstagssitzung im Kaiserreich am 21. März 1871 wurde am 21. März 1933 der erste Reichstag nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten eröffnet. Ganz bewußt wählten sie nach dem Reichstagsbrand Potsdam als Traditionsort preußischer Geschichte für die feierliche Konstituierung.

Am 30. August 1935 hielt Karl Leisner Rückblick und schrieb in sein Tagebuch:
Und nun hob’ ein gewaltiges Ringen an um des deutschen Volkes Seele. Reichstagsbrand [27.2.1933] – Neuwah­len [5.3.1933] – Sieg der Rechts­front – Kommunalwahlen [12.3.1933] – Tag von Potsdam [21.3.1933] – Tag der Arbeit [1.5.1933]. All das brach mit solcher Wucht und Neuheit auf uns nieder wie nie geahnt. Gott sei Dank kam dann nach dem Ermächti­gungs­gesetz [24.3.1933] bald der Abschluß des Reichs­konkordates [10.9.1933], das end­lich die Spannung zwischen der NS-Bewegung und der Kirche zu beseiti­gen schien. Ein Jahr so voll Kampf und bitterer und doch herrlicher Stun­den – voll Bewegung und freiem Mut und harter Arbeit hab’ ich nie er­lebt.

Hans Dieter Jaene:
Der neue Reichstag ist dann, ohne Kommunisten, in der Potsdamer Gar­ni­sonkirche am 21. März 1933 feierlich eröffnet worden, es war „der Tag von Potsdam“, auch in Kreiensen war an diesem Dienstag schulfrei. Als der neugewählte Reichstag nach der Eröffnung in Potsdam in der Berli­ner Krolloper zur ersten Arbeitssitzung zusammentrat, beantragte die SPD-Fraktion, neun ihrer Mitglieder, die in „Schutzhaft“ genommen waren, sollten zur Sitzung freigelassen werden, damit sie ihre Mandate wahrneh­men könnten.
Der Antrag wurde von den Regierungsparteien – NSDAP und Deutsch­na­tionale Volkspartei – abgelehnt. Es sei unzweckmäßig, „die Herren des Schutzes zu berauben, der ihnen durch die Verhängung die­ser Haft zuteil geworden ist“. Die deutsche Zentrumspartei und die ande­ren bür­gerlichen Parteien stimmten nicht etwa für ihre parlamentarischen SPD-Kollegen, sondern enthielten sich der Stimme.[1]

[1] Jaene, Hans Dieter: Wie wir Hitler fanden. Familiengeschichten für Spätgeborene, Berlin 1998: 113

Victor Klemperer:
21. März
Tag des „Staatsaktes“ in Potsdam. Schade, daß wir kein Radio haben. – Fürchterlichste Pogrom-Drohungen im „Freiheitskampf“ nebst gräßlichen, mittelalterlichen Judenbeschimpfungen. – Abgesetzte jüdische Richter. Einsetzung einer Kommission zur Nationalisierung der Universität Leip­zig.[1]

[1] Klemperer, Victor: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933–1945. Walter Nowojski (Hg.), Berlin 1998 Bd. 1: 13

Am 21. März 1933 erschien in den Münchener Neuesten Nachrichten folgen­der Bericht:
Ein Konzentrationslager für politische Gefangene in der Nähe von Dachau.