Wie hat Karl Leisner Friedrich Nietzsche gelesen?

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Friedrich Wilhelm Nietzsche (* 15.10.1844 in Röcken/Lützen, † 25.8.1900 in Wei­mar) – Philo­soph u. Dichter – ursprünglich preußischer Staatsbürger – staatenlos seit seiner Über­siedlung nach Basel/CH 1869

Quelle des Fotos: Wikimedia Commons / gemeinfrei (abgerufen 15.09.2014)

 

 

 

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James Conant, Friedrich Nietzsche. Perfektionismus und Perspektivismus, Konstanz 2014

Unter der Überschrift „Schluß mit dem Übermenschen-Klischee – Nietzsche und einer seiner Bewunderer: James Conant revidiert das Bild des Philosophen als elitärer Antidemokrat“ besprach Juliane Rebentisch in der F.A.Z. vom 26. August 2014 das Buch „Friedrich Nietzsche. Perfektionismus und Perspektivismus“.

In dem Artikel heißt es u. a.: „Nietzsche aber müsse wie ein Dichter gelesen werden, nicht wie einer, dessen Philosophie für das Leben Geltung beanspruchen kann.“

Link zum Artikel unter Rezensionen bei buecher.de

Er­staunlich ist, was Karl Leisner von Friedrich Nietzsche no­tierte, dessen Werke die Kirche nicht unbedingt empfahl; allerdings standen sie auch nie auf dem Index. Während einer Gymnasiastentagung in Schön­statt, erwähnt er Friedrich Nietzsche zum ersten Mal im Tagebuch.

9. April 1933:
Feine, echte, wahrhaftige, schneidige, tapfere Jungen (ethisch-natürli­ches Leben), nicht Apolo­getik – Vernünftelei. Kein „Gott der Bü­cher“ (Apologetik). Ich würde an den Erlöser glauben, wenn die Erlösten erlöster lebten.[1] (Nietzsche.) Nicht Beweise, sondern Inbrunst und Glut für Gott überwindet Gottlosigkeit. Der andern und unsre innere Schlaffheit.
[1]
Das Zitat lautet wört­lich: „Bes­sere Lieder müß­ten sie mir singen, daß ich an ih­ren Erlöser glauben lerne: erlö­ster müßten mir seine Jünger aussehen.“ Aus Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Über­schrift „Von den Prie­stern“. In: Nietzsches Werke: Kri­tische Aus­gabe, Hrsg. G. Colli u. Massimo Monaeiro, VI.1, Berlin, de Gruyter, 1987, S. 114.

16. Dezember 1935
Es ist kurz vor Mitternacht. Das Problem Nietzsche ließ mich nicht los. Er ist uns großes Gottes Mahnmal zu echtem (nicht wehleidig-buddhistisch-leidselig aufgefaßtem) katholischen Leben!
Herr, verstoß’ ihn nicht – so will ich für [ihn], seiner armen, edlen, vom Wahn geblendeten Seele [gedenkend], beten.

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Karl Leisner las Texte von Friedrich Nietzsche in Sekundärliteratur. Aus dem Buch von Franz Xaver Kiefl[1] zitierte er viele Stellen von und über den Philosophen. Aus diesen Texten läßt sich er­schlie­ßen, was Karl Leisner besonders bewegte. Ein Buch von Friedrich Nietzsche selbst hat er nicht gelesen.
[1]
Franz Xaver Kiefl, Katholische Weltanschauung und modernes Denken, Gesam­melte Essays über die Hauptstationen der neueren Philoso­phie, Regens­burg 2+31922 (zit.: Kiefl).

Das 10. Kapitel (S. 168–221) des Buches von Franz Xaver Kiefl trägt die Überschrift „Nietzsche und das Chri­stentum“ und hat die Un­tertitel:
I. Allgemeine Stellung Nietzsches in der moder­nen Geistesentwicklung, 168
II. Die psychlogische Wurzel von Nietzsches Christushaß, 170
III. Nietzsche kennt nur das Christentum Schopen­hauers und Richard Wagners, 175
IV. Die ästhetische Wurzel von Nietzsches Immo­ra­litätslehre, 183
V. Nietzsches neue Gütertafeln heimlich christlich, 187
VI. Nietzsche und der Ewigkeitsgedanke, 193
VII. Nietzsche und der Gottesglaube, 201
VIII. Nietzsche und Darwin, 208

Bücherlese vom 16. Dezember 1935

In seiner Bücherlese schrieb Karl Leisner den letzten Satz eines Zita­tes von Adelbert Düringer aus dessen Buch „Nietz­sches Philosophie vom Stand­punkte des modernen Rechts.“
„… Reif sein ist nichts, modern sein ist heute al­les.“[1]
[1] Kiefl S. 171. Bücherlese (Tgb. 14) S. 23.

Das gesamte Zitat von Adelbert Düringer lautet:
„Es wird in neuester Zeit so viel über Nietzsche gesprochen und geschrieben, gefabelt und ge­glaubt, daß mancher meint, er dürfe sich nicht zu den Gebildeten rechnen, wenn er nicht auch et­was über Nietzsche zu sagen wüßte. Besonders in allen Zirkeln und Kränzchen, in denen ästheti­sche, literarische und künstlerische Bestrebungen gepflegt werden, bildet Nietzsche den aktuellsten Gegenstand des Interesses. Mit vollem Recht hat man ihn daher den Philosophen der Mode ge­nannt. Wanderredner, welche dieser Strömung Rechnung tragen, ziehen von Stadt zu Stadt. Der düstere Denkerkopf Nietzsches schmückt ne­ben dem heiteren Antlitz eines Goethe und Mo­zart die Schaufenster der Buch- und Kunsthand­lungen. Was modern ist oder modern sein will, wetteifert in der Verherrlichung des neuen Ge­nius. Wer wollte aber nicht modern sein? Reif sein ist nichts, modern sein ist heute alles!“

Karl Leisner setzte einen anderen Spruch dagegen, den er oft in seinen Tagebüchern wiederholte:
Rein bleiben – reif werden!
Dieser Spruch aus dem Erziehungsroman „Der Wan­derer zwischen beiden Welten“ von Walter Flex[1] bewegte ihn besonders. Das Zitat spielte auch in der Jugendbewegung eine bedeutende Rolle.[2]
[1] Walter Flex, Der Wanderer zwischen beiden Welten, Ein Kriegsbericht, München 58 u. 591921.
[2]
Der geistliche Leiter der Frauenju­gend Jakob Cle­mens – geboren 1890, Priesterweihe 1914, gestorben 1963 – überschrieb noch 1947 einen Artikel „Rein­blei­ben und Reichwer­den!“ in: SOS, Hoheneck­verlag 1947:19–22.

Nacht-Einsamkeit:[1]
„Nacht ist es. Nun reden lauter alle springenden Brun­nen. Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen. Nacht ist es. Nun erst erwachen alle Lie­der der Liebenden, und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden.“ (Friedrich Nietzsche)
[2]
[1] Randbemerkung Karl Leisners zum folgenden Nietzsche-Text
[2]
Kiefl 1922: 175

Unerschöpflichkeit und Reichtum des Menschen und der Erde.[1]
„Tausend Pfade gibt es, die noch nie gegangen sind, tausend Gesundheiten und verborgene Eilande des Lebens. Unerschöpft und unentdeckt ist immer noch Mensch und Menschen-Erde.“ (Nietzsche)
[2]
[1] Randbemerkung Karl Leisners zum folgenden Nietzsche-Text
[2]
Kiefl 1922: 192

Sehnsucht nach Leben in Fülle! [1]
„In die Höhe will es sich bauen mit tausend Pfeilern und Stufen, das Leben selber. In weite Fernen will es blicken und hinaus nach seligen Schönheiten. Darum braucht es Höhe. Steigen will das Leben und sich steigend überwin­den. Ich wandle unter Menschen als den Bruchstücken der Zukunft, jener Zukunft, die ich schaue. Euer Kinderland sollt ihr lieben, das neu entdeckte im fernsten Meere. Nach ihm heiße ich eure Segel sichten und suchen. O welche vielen Meere rings um mich, welch dämmernde Men­schenzukünfte! Wie vieles ist noch möglich! Des Menschen Fernstes, Tief­stes, Sternen­höch­stes, feine ungeheure Kraft!“ (Nietzsche)
[2]
[1] Randbemerkung Karl Leisners zum folgenden Nietzsche-Text
[2]
Kiefl 1922: 190

„Das Meer stürmt, alles ist im Meere. Wohlan, wohlauf, ihr alten Seemanns­herzen!“ (Nietzsche)[1]
[1] a. a. O.: 190

Moral: dazu Härte, Selbstbehauptung und Stolz![1]
„Der vornehme Mensch ehrt in sich den Mächtigen, auch den, welcher Macht über sich selbst hat, der zu reden und zu schweigen versteht, der mit Lust gegen sich Strenge und Härte übt und Ehrerbietung vor allem Stren­gen und Harten hat. Der Glaube an sich selbst, der Stolz auf sich selbst gehört zur vornehmen Moral.“ (Nietzsche)
[2]
[1] Randbemerkung Karl Leisners zum folgenden Nietzsche-Text
[2]
Kiefl 1922: 190f.

Veredlung und Stutzung der Leidenschaften![1]
„Gegen die wilden Energien wehren wir uns solange, als wir sie nicht zu benutzen verstehen, und solange nennen wir sie böse.“
[2] (Nietz­sche)
[1]
Randbemerkung Karl Leisners zum folgenden Nietzsche-Text
[2]
Kiefl 1922: 191

Zur Beurteilung! (aus Kiefl: Katholische Weltanschauung und modernes Denken.)[1]
Die Liebe zum Leiden und damit alles, was Nietzsche zur Veredlung seines Ideals herbeizieht, läßt sich einem naturalistischen Fundamente nicht auf­pfropfen. Diese christlichen Begriffe sind aus dem Leben orga­nisch heraus­gewachsen und verlieren jeden Sinn, wenn man dieses Leben selbst von Grund aus umstürzen will.[2]
[1] Randbemerkung Karl Leisners zum folgenden Nietzsche-Text
[2]
Kiefl 1922: 192

Freiheit und Zügellosigkeit. Worte an den Jüngling![1]
Zarathustra spricht zum Jüngling:
„In die freie Höhe willst du, nach Sternen dürstet deine Seele. Aber auch deine schlimmen Triebe dürsten nach Freiheit. Deine wilden Hunde wollen in die Freiheit. Sie bellen vor Lust in ihrem Keller, wenn dein Geist alle Gefän­gnisse zu lösen trachtet. Reinigen muß sich auch noch der Befreite des Gei­stes. Rein muß noch (d)[2]ein Auge werden. Nicht das ist die Gefahr des Edlen, daß er ein Guter werde, sondern ein Frecher, ein Höhnender. Einst dachten sie Helden zu werden. Lüstlinge sind es jetzt. Aber bei meiner Liebe und Hoffnung be­schwöre ich dich, o Jüngling, wirf den Helden nicht weg in deiner Seele!“
[3]
[1] Randbemerkung Karl Leisners zum folgenden Nietzsche-Text
[2]
von Karl Leisner eingefügt
[3]
Kiefl 1922: 192

Der Ewigkeitsgedanke.[1]
Das Mitternachtslied im Zarathustra.[2]
Eins: o Mensch gib acht!
Zwei: was spricht die tiefe Mitternacht?
Drei: ich schlief, ich schlief!
Vier: aus tiefem Traum bin ich erwacht!
Fünf: die Welt ist tief!
Sechs: und tiefer als der Tag gedacht!
Sieben: Tief ist ihr Weh!
Acht: Lust tiefer noch als Herzeleid!
Neun: Weh spricht: vergeh!
Zehn: doch alle Lust will Ewigkeit!
Elf: will tiefe, tiefe Ewigkeit!
Zwölf. (Nietzsche)[3]
(Geniale Zusammenfassung seines Entwicklungsganges: Träumer und Schlafender – Erwachen – Schopenhauer Philosophie: Seine entsetzliche Groß­artigkeit geht ihm auf! – Dann zur Lebensbejahung und Lust. Und end­lich der Schrei nach Licht, Überwindung der Nacht, nach der Sonne des Tages, der Ewigkeit!) (nach Kiefl)[4]
[1] Randbemerkung Karl Leisners zum folgenden Nietzsche-Text
[2]
Kiefl 1922: 193–201, 10. Nietzsche und das Christentum. VI. Nietzsche und der Ewigkeitsgedanke; Zitat a. a. O.: 193
[3]
ebd.
[4]
s. ebd.

„Wenn ich dem Meere hold bin und allem was Meeresart ist; wenn jene suchende Lust in mir ist, die nach Unentdecktem die Segel treibt; wenn eine Seefahrerlust in meiner Brust ist; wenn je mein Frohlocken rief: Die Küste schwand! Nun fiel mir die letzte Kette ab! – das Grenzenlose braust um mich, weit hinaus glänzt mir Raum und Zeit – o ich liebe dich, o Ewigkeit, du hoch­zeitlicher Ring der Ringe! O ich liebe dich, o Ewigkeit!“ (Nietzsche)[1]
[1] Kiefl 1922: 196 aus: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra III, 5.: 290

 

„Wer das Große nicht mehr in Gott findet, der findet es überhaupt nicht mehr. Er muß es leugnen oder schaffen.“ (Nietzsche)[1]
[1] Kiefl 1922: 201–208, 10. Nietzsche und das Christentum. VII. Nietzsche und der Gottesglaube
Zitat a. a. O.: 201
Friedrich Nietzsche:
Wenn ich dem Meere hold bin und Allem, was Meeres-Art ist, und am holde­sten noch, wenn es mir zornig widerspricht:
Wenn jene suchende Lust in mir ist, die nach Unentdecktem die Segel treibt, wenn eine Seefahrer-Lust in meiner Lust ist:
Wenn je mein Frohlocken rief: „die Küste schwand, – nun fiel mir die letzte Kette ab – das Grenzenlose braust um mich, weit hinaus glänzt mir Raum und Zeit, wohlan! wohlauf! altes Herz!“ –
Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem hoch­zeitlichen Ring der Ringe, – dem Ring der Wiederkunft?
Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, es sei denn dieses Weib, das ich liebe: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
(Nietzsche 1980, Bd. 4, Also sprach Zarathustra, 3. Teil, Abschnitt Die sieben Siegel oder das Ja- und Amen-Lied (5.): 290)

„Das Ideal wird nicht widerlegt, es erfriert.“ (Nietzsche)[1]
„Habe ich noch ein Ziel, einen Hafen, nach dem mein Segel läuft? Was blieb mir noch zurück? Ein Herz, müde und frech; ein unsteter Wille, Flat­terflügel, ein gebrochenes Rückgrat! Deine Gefahr ist keine kleine, du freier Geist und Wanderer. Du hast das Ziel verloren; darum hast du auch den Weg verloren. (Nietzsche)
[2]
[1] Kiefl 1922: 208–221, 10. Nietzsche und das Christentum. VIII. Nietzsche und Darwin; Zitat a. a. O.: 221
[2]
ebd.

(Also spricht N. [Nietzsche] im Zarathustra[1] – Er ist es selbst)
[1]
Friedrich Nietzsches Zarathustra ähnelt kaum der historischen Persönlichkeit. Der persische Re­ligi­onsstifter, die Griechen nannten ihn Zoroaster, wurde vermutlich in Raga im West-Iran ge­boren und starb in Baktrien im Ost-Iran. Als weiteren Geburtsort vermutet man Shiz am Ur­miasee im heutigen Aser­beidschan. In der Wissenschaft gibt es keine Einstimmigkeit über Zarathustras Lebenszeit. Einige vermuten zwischen 500 und 1000 v. Chr. G., andere begrenzen den Zeitraum auf zwi­schen 700 und 600 v. Chr. G.
Er soll lachend das Licht der Welt erblickt haben, daher sieht man in ihm auch einen lachenden Propheten und den Verkünder einer optimistischen Lehre.
In einem Rückblick schrieb Karl Leisner 1935 in sein Tagebuch:

Und auf dem Rückweg, wie Wem [Willi] Joosten mir von seinen [? An­gehö­rigen] und seiner Angebeteten erzählt. Er ist doch irgendwie sehn­süchtig und brennt vor Glut, aber Gottes Geist hat ihn zur Zeit nicht mehr ergriffen – er ist Nietzsche und seinen Propheten des Blutes verfallen. Auch Jan [An­sems] – ach, ich muß noch viel inniger für sie beten, für sie – meine toten und lebend-toten Kameraden.

Zur Fahrt ins neue Jahr des Heils 1936:
„Wenn ich dem Meere hold bin und allem, was Meeresart ist, wenn jene suchende Lust in mir ist, die nach Unentdecktem die Segel treibt; wenn eine Seefahrerlust in meiner Brust ist; wenn je mein Frohlocken rief: Die Küste schwand! Nun fiel mir die letzte Kette ab! – Das Grenzenlose braust um mich, weit hinaus glänzt mir Raum und Zeit – o ich liebe dich, o Ewig­keit, du hochzeitlicher Ring der Ringe! O ich liebe dich, o Ewigkeit!“ (Nietzsche).[1]
[1] Karl Leisner hatte diesen Text nach Kiefl 1922: 201 bereits am 16.12.1935 in seine Bücherlese geschrieben.

Bücherlese vom 28. Februar 1937
Am 23. Geburtstag[1]
Wer einstens viel zu künden hat,
schweigt viel in sich hinein.
Wer einst den Blitz zu zünden hat,
muß lange Wolke sein. ([Friedrich] Nietzsche)
[2]
[1] Karl Leisner zählt den Tag der Geburt als ersten Geburtstag.
[2]
Der Anfang des Sinnspruchs aus dem Nachlaß Friedrich Nietzsches lautet:

Wer viel einst zu verkünden hat, …

18. Januar 1938
Erschütternd war, wie Dr. W. [Wolff] ausrief nach seiner Darlegung dessen, was N. [Nietzsche] vergeblich tragisch versuchte, ohne Christus zu leben, zu versu­chen, ob es nicht auch ohne ihn ginge: „N., einer unserer Redlich­sten und Besten, ist diesen Weg stellvertretend gegangen für sein Volk, ja vielleicht für das ganze Abendland! – Und er ist diesen Weg zu Ende ge­gangen in seiner Furchtbarkeit und ist daran zugrunde gegangen.“

Auf dem Weg ins KZ erwähnt Karl Leisner nochmals Friedrich Nietzsche in seinem Brief vom 24. Februar 1940 an seine Familie:
Dann habe ich zum letzten Mal in der Freiburger Luft ge­schla­fen, zum letzten Mal in der Zelle, die mir in der langen Zeit sehr lieb geworden war. Für alles Wun­derbare, was mir in dieser Zeit zuteil wurde, habe ich herzlich gedankt – und dann habe ich erquickend geschlafen bis 4.00 Uhr, wo der Wärter mich weckte. Auf dem sogenannten Schub war’s sehr interessant für den, der zu schweigen versteht und zuzuhören. Diese Gabe ist eine der zahlreichen Früchte, die ich vom Baum des langen Schwei­gens zu Freiburg/Br. gepflückt habe. Das ist eigent­lich das Einzige, was ich ent­behre hier in der sogenannten Gemein­schaftshaft: das köstliche Schwei­gen. Ich spüre etwas von der Wahrheit des Nietzeschen Wortes: „Wer ein­stens viel zu künden hat, schweig tief in sich hinein. – Wer einst den Blitz zu zünden hat, muß lange Wolke sein.“[1]
[1] Der Sinnspruch aus dem Nachlaß von Friedrich Wilhelm Nietzsche lautet genau:

Wer viel einst zu verkünden hat, schweigt viel in sich hinein. – Wer einst den Blitz zu zünden hat, muß lange Wolke sein.

Siehe auch Aktuelles vom 13. Mai 2013 – „Das Schiff, das wir lieben“.