Wie sich die Zeiten ändern!

2014_07_12_Scheffel

Foto Wikipedia

Scheffel-Denkmal am Scheffelplatz in Karlsruhe. Geschaffen 1892 von Hermann Volz

 

Joseph Victor von Scheffel (* 16.2.1826 in Karlsruhe, † 9.4.1886 ebd.) – Dichter und Ver­fas­ser bekannter Studentenlieder – bekannteste Erzäh­lung: „Ekkehard“ – Sie befindet sich im Nachlaß von Karl Leisner.

 

2014_07_12_EkkehardBuch

 

 

Victor von Scheffel: Ekkehard. Eine Geschichte aus dem zehnten Jahrhundert, Berlin W 50 o. J.

 

 

 

 

Am 3. Juli berichtete Rüdiger Soldt in der F.A.Z. in der Rubrik Streifzüge einleitend:

2014_07_12_FAZ

Schon früh wurde Karl Leisner mit dem Stoff der Ekkehard-Erzählung konfrontiert. Am 4. März 1932 war sie Thema einer Klassenarbeit:
Klassenaufsatz.
Wie Ekkehard, der lebensfremde Mönch,
zu einem lebensnahen Dichter wurde.
Nach Victor von Scheffels „Ekkehard“.
Lebendig sehen wir ihn vor unsern Augen, den frommen, weltweisen, doch – ach so wenig noch lebenserfahrenen Benediktinermönch Ekkehard. Ja, er ist fürwahr ein gelehrter, weiser Mensch; denn er hat viele, von Weisheit trie­fende Bücher gelesen und studiert. Er überragt an Gelehrsamkeit, Bil­dung und Geistesschärfe alle andern Mönche. In der Klosterschule ist er den heranwachsenden Mönchlein ein kluger, sicherer Führer durch die „gefähr­li­chen, rauhen Hohlwege“ alter lateinischer Schriften. Er weiß die Schüler vortrefflich über die Schwierigkeiten Vergils und Aristoteles’ hin­wegzubrin­gen. Kurz, er ist ein Mönch, wie er sein soll, eine Zierde des Klo­sters. Nur, – ach, nur einen Fehler besitzt er, er ist ein Stubengelehrter, der die Welt nur aus Büchern kennt. – Das wird ihm denn auch zum Verhäng­nis, zum Schick­sal. Hierin liegt die Tragik seines Lebens, aber es ist auch wieder eine glück­liche Tragik; denn durch dieses Verhängnis, durch dieses Schicksal wird er zum Dichter. Wir sehen, wie das Leben, das warme, frohe, spru­delnde Leben ihm in Gestalt einer jungen, schönen und stolzen Witwe, in Gestalt Hadwigs, der Herzogin von Schwaben, entgegentritt. Sie ist es, die an seinem jugend­lich schönen Körperbau, an seinem frohgemuten Antlitz und seinen strahlen­den Blauaugen Gefallen findet. Sie ist sein Schicksal, an dem er zu einem echten, lebensnahen Dichter heranreift. Wir erleben mit, wie das Wohlge­fallen an Ekkehard in der Herzogin Herz zu einer tiefen Liebe wird, wie sie Ekkehard zu sich auf die Burg nimmt, um mit ihm, dem hoch­gelehrten, viel­belesenen Mönch den Vergil zu lesen; vor allem aber um ihn bei sich zu haben. Ekkehard ist zunächst noch der unbefangene, nüch­terne Mönch, aber schon bald kommen auch in ihm Gedanken und Empfin­dungen hoch, die er bis dahin nicht kannte. Es entbrennt ein heißer Kampf in seinem Herzen, seiner Seele. Die erste Zeit behält die jahrelang geübte Mönchszucht noch die Oberhand, doch langsam, aber um so sicherer schmilzt in ihm der Eis­block der Askese, der die Gefühle seines Herzens umgibt. Langsam, doch immer stärker steigt in ihm seine Natur empor, im­mer stärker, immer mäch­tiger wird die Zuneigung zu ihr, der Herzogin. Er kämpft mit sich, in sich einen unsäglich schweren Kampf, den Kampf der Natur gegen den Geist, gegen das Gelübde, das er als Mönch mit freiem Willen abgelegt, das Gelüb­de der ewigen Keuschheit. Er hätte in seine ein­same Zelle zurück­keh­ren müssen, aber er tut es nicht, er kann nicht. Er sieht, wie die Herzogin ihn aus tiefstem Herzen liebt, doch er gibt noch nicht nach, noch nicht – aber …! Noch siegt der Geist in ihm, noch das Gefühl der Pflicht gegen Gott und Menschen; auch noch an dem Karfrei­tagmorgen, wo Hadwig ihm als die liebende Frau entgegentritt und ihm das kostbare Schwert ihres früheren Gatten schenkt. Er möchte, und schon sieht es so aus, als ob er nachgeben wollte; doch, nur für einen Augenblick scheint es so; dann aber erinnert ihn ein Blick auf das Kreuz, das vor ihm an der Wand hängt, an seine Pflicht, seine harte, grau­same Pflicht.
Noch einmal sehen wir ihn als gottesbegeisterten Prediger bei seiner Pre­digt vor der Hunnenschlacht. Später aber kann er seine Liebe nicht mehr verber­gen und so umschlingt er schließlich die Herzogin mit seinen Armen und küßt sie, er, der Mönch, die Herzogin. Feindesaugen, die Augen seines Hassers Rudimann, sehen es. Er hat sich damit gesellschaftlich unmöglich gemacht, er muß aus der menschlichen Gesellschaft weichen, er flieht. Aber Gottes Hand führt ihn ins Gebirge, zu den kraftvollen, naturhaften Bergbe­wohnern. Hier, in dem majestätischen Schweigen der Berge, unter den ker­nigen Naturmenschen gewinnt er Abstand zu dem Geschehenen. Er wird zu einem ernsten, abgeklärten Mann, der die Welt und die Menschen in ihren „Höhen und Tiefen“ kennt. Jetzt ist er reif, ein gereifter Mann. Aus dem rei­chen Schatz der Natur, aus den Tiefen seines Herzens schöpft er nun. Er wird zum Dichter. Er wird zum echten, wahren, lebenserfahrenen, lebens­nahen Dich­ter. Jetzt sprudelt es aus ihm hervor, was er schaffen sollte, das Walthari­lied[1], das nur ein echter Dichter schaffen konnte.
So reifte Ekkehard, der stille, weltabgeschiedene Mönch, durch sein Schick­sal zu einem lebenswarmen, echt deutschen und großen Dichter heran.
Gut

[1] Durch einen Dichtermönch des Klosters Weißenburg entstand vermutlich in der zweiten Hälfte des 9. Jh. die lateinische Dichtung Walthari poesis. Sie erzählt in ca. 1.500 Hexametern die Ge­schichte des Königssohnes Walther von Aquitanien und der Königstochter Hilde­gunde von Burgund.

Bei der Werkwoche des Katholischen Wandervogels im Ratinger Landheim spielt der Ekkehard eine Rolle.

27. Dezember 1932, 1. Tag
Den Tag mit Spiel, Vor­berei­tun­gen hingebracht. Abends Singen (Jungenschaftslieder und alten „Kram“). „Der Abend kommt und der Herbstwind weht“ aus Scheffels Ekkehard. – Gegen 22.15 Uhr ins „Bett“ (Matratzen im warmen Tages­raum).

Joseph Victor von Scheffel, Ekkehard:
Der Abend kommt und die Herbstluft weht, 
Reifkälte spinnt um die Tannen, 
O Kreuz und Buch und Mönchsgebet – 
Wir müssen alle von dannen. 
Die Heimat wird dämmernd und dunkel und alt, 
Trüb rinnen die heiligen Quel­len: 
Du götterumschwebter, du grünender Wald, 
Schon blitzt die Axt, dich zu fällen! 
Und wir ziehen stumm, ein geschlagen Heer, 
Erloschen sind unsere Sterne – 
O Island, du eisiger Fels im Meer, 
Steig auf aus mächtiger Ferne. 
Steig auf und empfah unser reisig Geschlecht – 
Auf geschnäbelten Schiffen kommen 
Die alten Götter, das alte Recht, 
Die alten Nordmänner geschwommen. 
Wo der Feuerberg loht, Glutasche fällt, 
Sturmwogen die Ufer umschäumen, 
Auf dir, du trotziges Ende der Welt, 
Die Winternacht woll’n wir verträumen!
(9. Kapitel, Die Waldfrau: 100)

Bei der Baltrumfahrt 1933 ist der „Ekkehard“ mit im Gepäck.

Karl Leisner am 4. Juli 1933 aus Kleve an Walter Vinnenberg in Münster:
Für die acht Tage auf Baltrum bringen wir etwa fol­gende Bü­cher mit: „Tom Sawyer“ und „Huckleberry Finn“[1]; – die „Spiel­­mann­bände“ [von Ernst Weber]: Blumen und Bäume, Tierwelt, Riesen und Zwerge, Fa­bel­reich; [Victor von] Scheffels „Ekkehard“ (werden im Rundbrief [an die Teilnehmer] ange­geben!).

[1] Twain, Mark: Tom Sawyers Aben­teuer und Streiche, Stuttgart 1921, u. Huckle­berry Finn. Ein neuer Mississippi-Roman, Potsdam 21940

In Karl Leisners Tagebucheintrag vom 29. August 1932  fehlt ein Foto, unter das er geschrieben hat:

2014_07_12_Tgb

Alt Heidelberg Du feine! Du Stadt an Ehren reich, am Neckar und am Rheine, kein’ andre kommt Dir gleich! (Victor von Scheffel)[1]

[1] Das Gedicht „Alt-Heidelberg du feine“ ist Bestandteil von Scheffels Versepos „Der Trompeter von Säkkingen“ (1854), das einen autobiographischen Hinter­grund aufweist. So handelt es sich bei dem Trompeter – in dem Scheffel offenbar sich selbst sieht – um einen gescheiterten Jurastudenten, der im Alkohol seinen Trost sucht. Dem Epos zufolge brachte der Trompeter Werner Kirchhoff der Kur­fürstin, die zur Mittagszeit auf dem Schloßbalkon weilte, ein schmachtendes Liebeslied dar. Daraufhin wurde er zum Rektor der Universität zitiert. Auf Grund seines unbefugten Ständchens mit Gesang und Trompete, mußte er innerhalb von drei Tagen Heidelberg verlassen. Am vierten Tag verließ er die Kurpfalz und er­reichte den Schwarzwald, wo er einem Pfarrherrn begegnete. Im Gespräch mit diesem schwärmte er von seiner Heimat in Form des Gedichts, das als Alt-Hei­delberg du feine berühmt wurde (URL http://www.sino.uni-heidelberg.de/ students/tjuelch/Dichtung/Scheffel.htm – 28.4.2011).