Wie sich die Zeiten gleichen

 

 

Hartmut Leppin
Die frühen Christen – Von den Anfängen bis Konstatin
München 2018-10-20 512 S. – 29,95 €

 

 

 

Unter der Überschrift „Des Bischofs Thron war gar zu hoch – Als noch nicht klar war, was die Mehrheitskirche ist: Der Althistoriker Hartmut Leppin führt geschichtenreich in die vielfältige Welt der frühen Christen ein.“ besprach Roland Kany in der F.A.Z. vom 19. Oktober 2018 das Buch.

Link zum Artikel unter Rezensionen bei bücher.de

Am 17. Juli 180 wurden die „Martyrer von Karthago“ enthauptet. Die Christen erklärten zwar, den Imperator anzuerkennen, meinten aber den „Imperator aller Könige und Völker“ und versagten dem Imperator den geforderten kultischen Akt, der in der Regel im Verbrennen von Weihrauch bestand.

Siehe auch Ökumenisches Heiligenlexikon – Märtyrer von Scili.

Zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland erfuhr Karl Leisner Ähnliches. Er mußte Adolf Hitler anerkennen, der einen Begriff für sich in Anspruch nahm, der unter anderem auch in der Katholischen Jugend­bewegung belegt war. Aber als Führer galt für Karl Leisner nur Christus. In der Jugendbewegung war lange vor und nach 1933 der Titel Führer gebräuchlich. Karl Leisner selbst trug die Titel Gruppenführer, Bezirksjungscharführer und Diözesanjungscharführer.

Georg Wagner:
Wenn wir vom Führer im Jugendreich spre­chen, dann gilt unser Gedanke zuerst dem Präses. Zu unserem Jugendreich gehört heute wie immer: der Priester, der Präses. Den anderen ist es nicht ge­geben, dies zu verstehen. Wir verstehen es. Hinter dem Präses steht der, der ihn gesandt hat, Chri­stus. Christus dux. Christus ist Führer (Jungführer 1928: 105).

In der Regel begann die Gruppenstunde mit einem Lied, einem Schriftwort und dem Füh­rerwort. In dem 1939 erschienenen Buch „Christofer“, S. 30, ist aus dem Führerwort das Leit­wort geworden.

Im April 1933 machte Karl Leisner Exerzitien in Schönstatt. Kurz nachdem Adolf Hitler am 30 Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt worden war und sich Führer nennen ließ, setzten sich die Teilnehmer in den Exerztien mit der neuen Situation auseinander.

Karl Leisner schrieb am 7. April 1933 in sein Tagebuch:
Warum hat Hitler eine Volksbewegung (das Irra­tionale) in der Volks­seele erfaßt – Geheimnis?! Der Materialismus: Entseelung, Sachlich­keit, tot! Le­benswillen – Bewegung. Führer. – (Pendel­schlag nach der andern Seite). – Ergriffenheit, Vitalität in sich. – Führer!!
Kein unwandelbares Programm. Wie auswerten?
Heimatverwurzelung, Volkskirche. – Ideal des Jugendheiligen. – Jetzt Fleisch werden, glutvolle, lebensmäßige Ergriffenheit vom Ideal (klares Pro­gramm!). Von Mensch zu Mensch, Propaganda – Bewegung! Eine Idee darauf konzen­triert.
Wie Bewegung aus Programm! Morgen, die Na­tionalsozialisten kön­nen uns in vielem Vorbild sein.
Was aber wird, wenn der Diktator [Adolf Hitler] (Führer) weg? – Deshalb Programm notwendig.

Auch auf der Baltrumfahrt 1933 klingt das Thema Führer an:

Baltrum, Mittwoch, 9. August 1933
Um 7.00 Uhr weckt Walter [Vinnenberg], der schon um 6.15 Uhr Messe las. – Um 7.30 Uhr beginnt die erste Gemeinschaftsmesse des Zeltlagers. – P. Eliseus spricht vorher ermutigende, weckende Worte zu uns. Wir feiern die Vigil des heiligen Laurentius. Wie er die Peinen des Feuers ertrug, sol­len wir wenig­stens die kleinen Mühen und Schwierigkeiten aus Liebe zu Christus, unse­rm Führer, ertragen. –

In den Tagebucheinträgen zeigt sich immer wieder, daß sich wiederholt, was Hartmut Leppin in seinem Bericht schreibt:
„Die Christen sagten zwar Imperator, meinten am Ende doch den wahren Gott und nicht den Kaiser.“

Freitag, 31. Mai 1935
Hiermit schließe ich ab die erste Jahreshälfte des [Kirchen-]Jahres: RB [Rechenschaftsbericht] fällt mau aus. Als Mensch, als Führer, als Theologe oft kraftlos und feige. Aber Regina apostolorum – ora pro nobis. [Königin der Apostel – bitte für uns.]

Donnerstag, 21. November 1935
Beim DP [Diözesanpräses Heinrich Roth] erfahre ich noch, daß der Gene­ral[präses Ludwig Wolker] „gefunkt“ hat „Nach Haussuchung vorläufig poli­zeilich geschlossen“. Wir bewahren unsere christliche tapfere Ruhe und – unser Streiten und Ringen nimmt uns niemand ab, bis Er es uns gut sein läßt. – Für alle lieben Führer und Freunde opfere ich mein ganzes Tage­werk Gott dem Herrn! „Herr, Du lenkst alles gut!“ – Das ist unser Sieg, der die Welt überwindet. [vgl. 1 Joh 5,4]

Kleve, Montag, 6. Januar 1936, Erscheinung des Herrn
Seltsame Begegnungen und Führungen [im vergangenen Jahr] mit Jungen in ihrer Jugend Auf­bruch, mit jungen Führern voll Glut und Liebe, voll Trotz und Feuer, voll Natur und Gnadenkraft. Begegnungen mit getre­tenen, gefallenen, leidenden Brüdern und Schwestern.
[…]
Hier habt Ihr mich – meiner Jugend Sehnen und Kraft – hier nehmt mich, ich schenke mich Euch, jetzt noch in stiller Bereitung, in flehendem Gebet, in harten Stunden des Kampfes – bald als Priester, der für Euch opfern darf. O, ich danke Euch, daß ich Euch priesterlicher Führer sein darf, jetzt schon danke ich.

Karl Leisner am 6. Februar 1937 an Walter Vinnenberg:
Jan A. [Ansems] ist jetzt in Köln an der Uni und studiert Jura. Am 28.12. [1936] saß ich in Kleve länger mit ihm und einigen Conabitu­rienten im Café Linde. Er ist eine schwere Natur.[1] Aber ich glaube trotz allem –, daß er das Suchen nicht verlernt hat und in etwa versucht, – soweit das seine fanatische zurzeitige „obsessio n-s“ [nationalsozialistische Beses­sen­­heit] zuläßt – ehr­lich und gerecht zu sein. Die ganze Haltlosigkeit der heutigen Rechts­philo­sophie kam mir im Gespräch mit ihm zum Bewußt­sein. „Voluntas ‚ducis‘ haec ius est.“ [Der Wunsch des „Führers“ ist das Recht.], ist so ziem­lich die letzte Formel. „Et ‚dux‘ accipit ultimam aucto­ritatem de volun­tate populi.“ [Und der Führer empfängt die letzte Autorität durch den Willen des Volkes.] (Und dann wird’s „mystologisch“). Ich hab’ versucht, ihm die ganze letzte Grundlosigkeit klarzulegen. Sie nähmen ja einen (si­cher hohen und früher oft unterschätzten) vorletzten Wert als letzte Norm.
[1] Jan Ansems hatte sich von der Gruppe „St. Werner“ gelöst und war zur HJ gegan­gen.

Mittwoch, 3. November 1937
Und an den Tag vor sieben [sechs] Jahren[1], wo der große Entscheidungs­satz mir sich prägte in heißem Sturm und Drang: Entweder Schuft oder Hei­liger!
Sequamur Carolum, Ducem Borromaeum, qui nos ducit ad Christum! [Wir wollen Karl, dem Führer Borromäus, der uns zu Christus führt, folgen!]

[1] Karl Leisner dachte an die Exerzitien vom 5. bis 9.9.1931 in Gerleve.

Donnerstag, 28. April 1938
Herr, schenk uns weitschauende, große Führer! Apostel, Men­schen mit Deiner Glut und Sendegewalt!

Dienstag, 10. Mai 1938
Es ist mir so glücklich und wohl im Gemüte. Alles wilde Tosen der Natur ist wie vergangen. Alles in mir ist ruhig wie nach einem großen Sturm. Als ob Christus selbst mich auf einmal ganz persönlich gepackt hätte und mich bei­seite genommen hätte: So, jetzt bist du bei mir. Ich bin der Herr der Her­zen, und ich liebe die stürmischen, heißen, kämpfenden Seelen. So jetzt du bist jetzt meiner, folge mir. Ich bin jetzt dein Führer. – O Gnade! – So und jetzt leben und handeln, beten und schaffen: ans Werk! Christus hat auch nicht geschrieben, sondern gesprochen, nicht gezaudert, sondern gehandelt, nicht feige verzagt und müde die Hände in den Schoß gelegt, sondern gebe­tet, ge­hofft und für Gott gekämpft. – Christus nach! Ihm leben!
So gesund und naturverbunden, so grad’ und frei, so frisch und froh wie er! Edles Menschentum offenbarte um so liebreizender und liebenswürdiger sein Gottesgeheimnis.
„Lieber, heiliger Christ. Mein Herr und König. Mein Meister und mein Leben, halt mich bei Dir und gib Du mir große Sendung, dazu auch ein glü­hend heilig Herz. Laß mich verstehen und kosten, wie kräftig und süß und stark Deine Wahrheit und Dein Lebensgeheimnis sind. Und das laß uns allen unseren Nächsten in unserer Heimat und unserm Volk künden als Deine Frohboten. Zu uns komme Dein Reich! Amen!“

Am 8. November 1939 ereig­nete sich das Attentat von Georg Elser auf Adolf Hitler im Bürgerbräu­keller in Mün­chen, das dieser, weil vorzeitig abgereist, unbe­scha­det überstand. Karl Leisner erfuhr erst am nächsten Morgen da­von. Seine Äußerung: „Schade, daß er [der Führer] nicht dabei gewesen ist“, kostete ihn letztendlich das Leben.

Ab 14. November 1939 ließ Adolf Hitler sich nur noch Führer und nicht mehr Reichs­kanzler nennen.

Adolf Hitlers Beiname Führer erfuhr durch seine „Verwendung in quasireligiösen Kontexten eine pathetische Überhöhung.“[1]
[1] Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin 2007: 243f

Der Spottname GröFaZ = Größter Führer aller Zeiten für Adolf Hitler bildete sich 1943 nach der Schacht bei Stalingrad.