Wollte Karl Leisner ein Held werden?

Karl Leisner im RAD

 

 

Unter der Überschrift „Großartige Erregung – Der Krieg als Glücksfall für den Soldaten: In Deutschland entsteht eine neue Kultur des Heldentums“ stellte Gerald Wagner in der F.A.Z. vom 7. Oktober 2016 heraus, daß Deutschland zur Zeit „de facto eine Berufsarmee“ hat.

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Unter anderem stellte er fest, daß es zwar auch den vom Krieg gebrochenen Soldaten gibt, die meisten Veteranen jedoch stolzerfüllt, selbstbewußter und mit einem positiveren Blick auf das Leben zurückkehren.
Wie verhielte sich Karl Leisner wohl heute? Würde er sich freiwillig zum Wehrdienst melden oder ihn eher ablehnen?
In einem offensichtlich für die Zulassung zum Abitur notwendigen Lebenslauf[1] erklärte er seine Absicht, sich zum FAD[2] zu melden. Damals war noch nicht zu durchschauen, wozu dieser sich entwickeln sollte.
[1] Kleve, Freitag, 1. Dezember 1933
Bildungsgang des Oberprimaners Karl Leisner
Kleve, den 1. Dezember 1933

Bevor ich meine langen Schuljahre mit einer Schlußprüfung beschließe, soll ich eine kurze Übersicht über mein bisheriges Leben geben. […] Nach dem Abgang vom Gymnasium möchte ich – so Gott will – katholische Theologie studieren. Wenn eben möglich aber möchte ich vorab das Werk­halbjahr im FAD mitmachen, um dort im Ver­ein mit der schaffenden Jugend für mein Volk zu arbeiten und mich zugleich für den schweren Beruf zu prü­fen und zu festigen.
Als Wahlfach möchte ich Religion nehmen. Ich bitte, auf dem Abgangszeug­nis mein Bekenntnis zu vermerken.
[2] Freiwilliger Arbeitsdienst
Ehrhart Lotter / Arbeitsdienst-Archiv Hamburg am 20.9.2011 an Hans-Karl Seeger:

Der Gedanke eines zivilen Arbeitsdienstes entwickelte sich seit Ende des 19. Jahrhunderts, u. a. bei der Frauenbewegung. Dort ging es darum, einen Ersatz für die Wehrpflicht zu schaffen als Voraussetzung für die Erringung des Wahlrechts.
Nach dem Weltkrieg 1914–1918 fand der Arbeitsdienst-Gedanke insbesondere in Deutschland eine weite Verbreitung. Angeregt vermutlich durch das Erlebnis der „Schüt­zen­graben-Gemeinschaft“ griff die Idee einer „Volksgemeinschaft“ um sich, unterstützt durch das Aufkommen des Werkstudententums. Aus der Jugendbewegung entstanden so u. ä. ab 1926 die „Arbeitslager für Arbeiter, Bauern und Studenten“. Zusätzlich wurde der Gedanke eines Arbeitsdienstes gefördert durch die Überlegung, für die verbotene Wehr­pflicht einen Ersatz zu schaffen – so 1920 zuerst in Bulgarien regierungsamtlich einge­führt.
Der Begriff „Arbeitsdienst“ fand eine derart weite Verbreitung, daß die Regierung Brüning 1931 diesen Namen für eine neue Arbeitsbeschaffungsmaßnahme praktisch miß­brauchte. Als die seit 1926 eingeführten Notstandsarbeiten in der Weltwirtschaftskrise nicht mehr finanzierbar waren, richtete er den sog. „Freiwilligen Arbeitsdienst“ ein. Hier ging es – wie vorher – um 6 Stunden tägliche Arbeit in der 6-Tage-Woche, ergänzt durch volkshoch­schulmäßige Veranstaltungen, die aber von den Arbeitslosen vielfach nicht be­achtet wur­den. Der Arbeitsdienst hingegen war grundsätzlich eine „allgemein-sozialpäd­agogische Einrich­tung“, gemischt aus Arbeit und volkshochschulmäßiger Allgemeinbil­dung, glei­chermaßen an alle Schichten der Bevölkerung gerichtet – nicht nur an die Ar­beits­losen!
Für den Aufbau des Arbeitsdienstes im Nationalsozialismus spielte der ehemalige bayeri­sche Offizier Konstantin Hierl die führende Rolle. Vermutlich entwickelte er aus seinen Er­fahrun­gen im Weltkrieg die Vorstellung, daß die soldatische Gemeinschaft ganz unabhängig von der militärischen Ausbildung an den Waffen auch eine wesentliche Bedeu­tung für das So­zialverhalten hat. So machte er als Offizier in der Reichswehrfüh­rung be­reits 1923 einen ersten Vorschlag zur Einführung eines Arbeitsdienstes, der aller­dings in­folge der Zeitumstände keine Resonanz fand. 1929 wurde er Mitglied der NSDAP. Mit Hitler verband ihn offenbar von Anfang an ein besonderes Vertrauensverhältnis, dessen Ursprung allerdings nicht weiter bekannt ist. Die­ses bemerkenswerte Vertrauensver­hältnis wird weder in den Hitler-Biographien noch in der NS-Geschichtsschreibung er­wähnt, m. E. ein Forschungsdesiderat?! Jedenfalls be­auf­tragte Hitler ihn alsbald nach sei­nem Parteibeitritt mit der Aufgabe, unter den Partei-Mit­gliedern nach geeigneten Per­sön­lichkeiten zu suchen, die als Fachleute für die even­tuelle Übernahme von Minister­ämtern o. ä. in Frage kämen. Ab 1931 anläßlich der Einfüh­rung des FAD widmete sich Hierl dann aber seiner späteren Lebensaufgabe, der Gestaltung sei­ner Arbeitsdienst-Idee – zunächst mit der grundsätzlichen Ablehnung des FAD nur für die Arbeitslosen. Erst im Oktober 1932 änderte er seine Meinung, als in der NSDAP sich Stimmen durchsetzten, die eine Beteiligung am FAD forderten. Man wollte bei dem Gerangel verschie­dener Parteien gege­benenfalls politischen Einfluß auf jüngere Arbeits­lose gewinnen – die dann eventuell später für den Aufbau eines „echten“ Arbeitsdienstes angeworben werden könnten.

Karl Leisner wußte noch nicht, ob er als einer der Jüngsten bereits zum Theo­logiestudium in Münster angenommen würde.[1] Außerdem hatte er noch keine amtliche Bestätigung über die Zuerkennung der Hochschulreife erhal­ten.
Vermutlich hat auch er eine Mitteilung wie folgende, die sich im Nachlaß von Heinrich Tenhumberg[2] befindet, bekommen und sich deshalb zum FAD gemeldet.
[1] Josef Köckemann:
Er [Karl Leisner] gehörte zu den fünfundzwanzig Jüngsten des Kurses [mit 87 Kandidaten] (Seligsprechungsprozeß: 516).
[2] Bischof Heinrich (Heini) Tenhumberg (* 4.6.1915 in Lünten, † 16.9.1979) – Abitur am Gymnasium Paulinum in Münster – Eintritt ins Collegium Borromaeum in Münster 1.5.1934 – Karl Leisners Schön­stattgruppen­führer im Collegium Borromaeum in Münster – Auf­nahme in den Apostolischen Bund von Schönstatt 8.9.1936 – Priesterweihe 23.9.1939 in Münster – Aushilfe in Ossenberg 1939–1940 – Kaplan in Marl-Brassert 9.2.1940 – Einberufung zum Mi­litärdienst als Marinesanitäter 1942 – Einsatz in Stralsund 1943 – englische Kriegsgefangenschaft bis 1945 – Vikar in Frecken­horst 1945–1947 – Dom­vikar 1947 – Domkapitular 1954 – Bi­schofs­­weihe zum Weihbischof für das Bistum Münster 20.7.1958 – Bi­schof von Mün­ster 7.7.1969 bis 16.9.1979

Folgendes ist nur für Dich bestimmt!
Mein Lieber!
Soviel sich hier feststellen ließ bei der Hauptmeldestelle des Arbeitsgaues 20a Münster i. W., Kreuztor 1, kann man sich für das Diensthalbjahr, das für Abiturienten vorgesehen ist, nur melden, nachdem man die Zuerken­nung der Hochschulreife erhalten hat; es genügt also nicht der Besitz des Reifezeugnisses, sondern eine amtliche Bestätigung über die Zuerkennung der Hochschulreife.
Wenn man in jedem Falle den Arbeitsdienst mitmachen will, meldet man sich (aber nicht auf der vorgedruckten Karte!) für den Freiwilligen Arbeits­dienst (FAD); wenn man die amtliche Zuerkennung der Hoch­schul­reife später erhält, wird man nachträglich vom Freiwilligen Arbeits­dienst zum Diensthalbjahr umgeschrieben, wobei die schon abgediente Zeit angerechnet wird.
Für den Fall, daß man sich für den Freiwilligen Arbeitsdienst gemeldet hat und die Hochschulreife wider Erwarten nicht erhält, bleibt man im Frei­willigen Arbeitsdienst.
Falls sich mehrere von unsern Abiturienten für das Diensthalbjahr ent­schließen würden, was jedem freisteht (also nicht Pflicht ist für zukünftige Theologen), so ist es möglich, daß dieselben einem einzigen Lager zuge­schrieben werden; diese mögen mir umgehend Nachricht geben (die Lager in Recke und Dülmen kämen an erster Stelle in Betracht).
Die kirchliche Behörde ist der Ansicht, daß eine Teilnahme am Dienst­halbjahr nur für solche in Betracht kommt, die ihres theologischen Beru­fes nicht gewiß sind, für die anderen also nicht. Nun gib mir recht bald Nachricht darüber, was Du vorhast.
Gott befohlen!
Dein [?] Ko, Prs. Münster i. W. 14.4.1934

Karl Leisner aus Kleve am 11. April 1934 an Walter Vinnenberg[1] in Münster:
Lieber Walter!
Möchte Dir gleich zu Beginn mitteilen, daß ich mich zum FAD gemeldet habe und angenommen bin und zwar nach Mün­ster! Ich erhalte meine Ein­berufung vom Münstergau aus.[2] Ich habe keine beson­deren Wünsche au­ßer folgenden (natürlich nur, wenn sie erfüllbar sind): 1.) Einberufung, wenn eben möglich erst zum 15. Mai, frühe­stens aber zum 1. Mai! 2.) In ein „sauberes“ (!) Lager zu kommen. 3.) Wenn sich das machen läßt: Ferien für das Jung­schar­zeltlager vom 1. bis 15. Au­gust.[3] – Selbstre­dend mache ich diesen halben Monat nach, der da­durch ausfiele.
Du kennst also damit meine – allerdings etwas unbescheidenen – Wünsche bezüglich FAD und kannst sie ja mal angelegentlich diplomatisch bei der betreffenden „Instanz“ andeuten oder durchschimmern lassen, oder noch besser: sie bis zu einem gewissen Grad erfüllen.[4]
[1] Prälat Dr. phil. Walter Vinnenberg (* 8.6.1901 in Lippstadt, † 1.12.1984 in Bocholt) – Priesterweihe 27.2.1926 in Münster – Kaplan in Kleve St. Mariä Himmelfahrt u. Religionslehrer am Gymnasium in Kleve in allen Klassen 1.4.1926 bis Pfingsten 1929 – Außerdem unterrichtete er Hebräisch und Sport und leitete eine religionsphilosophische Arbeitsgemeinschaft. Später unterrichtete er auch Französisch. Er gewann Karl Leisner für die Jugendarbeit und gab den Anstoß zur Gruppenbildung. Mit den Jungen unternahm er zahlreiche Fahrten auch noch nach seiner Tätigkeit in Kleve.
Link zu weiteren Informationen über Walter Vinnenberg
[2] Gau XVI Westfalen-Nord mit Sitz der Arbeitsgauleitung in Münster
[3] Vom 14. bis 25.8.1934 war ein Lager in Groesbeek/NL und vom 27. bis 31.8.1934 ein weiteres in Wetten/Hoenselaerer Mühle geplant.
[4] Vermutlich hatte Walter Vinnenberg als Karl Leisners Mentor die Möglichkeit, eine Beurlaubung für ihn zu erwirken.

Als Karl Leisner nach dem Abitur doch sofort studieren konnte, meldete er sich an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster an und begann sein Theologiestudium am 5. Mai 1934.
Im Außensemester in Freiburg 1936/1937 erreichte ihn der Einberufungsbescheid für den RAD.[1]
[1] Reichsarbeitsdienst
Ehrhart Lotter / Arbeitsdienst-Archiv Hamburg am 20.9.2011 an Hans-Karl Seeger:

Nach Hitlers Regierungsantritt konnte Hierl im Zusammenhang mit der Röhm-Affäre 1934 zu­nächst die Übernahme der FAD-Arbeitsbeschaffungsmaßnahme vom Arbeitsmini­ste­rium in das Innenministerium von Wilhelm Frick erreichen – der Arbeitsdienst war hin­fort trotz der Hakenkreuzbinde formal eine Organisation der Regierung, ähnlich der Poli­zei o. ä. Als Frick 1943 als Reichsprotektor nach Prag ging und Himmler das Innenmini­sterium über­nahm, schied Hierl mit seinem RAD aus und unterstellte sich Hitler praktisch direkt. Hierl zeigte da­mit eine gewisse Distanz gegenüber Himmler?!
Mit dem RAD-Gesetz wurde 1935 die Arbeitsdienstpflicht (zunächst für die männliche Ju­gend) eingeführt, ganz bewußt zwischen Schulpflicht und Wehrpflicht, nicht zwischen Hitler-Jugend und SA! Der RAD sollte gemeinnützige Aufgaben durchführen, angesichts der Hunger­blockade im Weltkrieg und des Verlustes landwirtschaftlicher Nutz­flä­chen in den ab­getretenen Ostgebieten vordringlich bei der Kultivierung von Ödlände­reien, Moorgebieten u. a.

Karl Leisner aus Kleve am 19. Oktober 1936 an Heinrich Roth[1] in Münster:
Da ich im WS [Wintersemester] wieder gerne nach Freiburg/Br. möchte und anschlie­ßend wohl der RAD für ein halbes Jahr „steigt“[2], hätte es wirklich keinen Sinn mehr, die Jungschararbeit in der Diözese weiterzutun.
[1] Prälat Heinrich Roth (* 12.8.1899 in Oberhausen-Osterfeld, † 23.4.1972) – Eintritt ins Collegium Borromaeum in Münster Februar 1919 – Priesterweihe 22.12.1923 in Münster – Mitglied des Reichsvorstandes des Katholischen Jungmännerverbandes Deutschlands (KJMVD) 1932–1934 – Diöze­sanpräses des KJMVD 9.4.1934 – Domvikar 8.6.1934 – Diöze­sanju­gend­­seelsorger 1937/1938 – Rektor im Josefshaus in Münster 1941 – Spiritual im Priester­seminar in Mün­ster 3.10.1949 – Generalassistent der Marien­schwestern von Schön­statt 1959–23.4.1972
[2] Karl Leisner kam am 1.4.1937 zum RAD.

Kleve, Donnerstag, 1. April 1937
Nach den Ostertagen heißt’s: packen! Der März ist zu Ende. Nicht von Frei­burg/Br. bekomme ich mei­nen Stellungsbefehl, wie ich hoffte[1], sondern von Moers[2]. Es geht nach Sachsen! RAD-Abt. 3/157 in Dahlen i/Sa. [Sachsen] – Kreis Grimma-Oschatz. In Oschatz ist eine Kapelle, das erfahr’ ich schon. Dort ist der Seelsorgsbezirk von Pfarrer Max Ge­winner[3].
[1] Karl Leisner hatte sich zum 16.2.1937 an der Universitätsbibliothek und zum 1.3.1937 an der Al­bert-Ludwigs-Universität in Freiburg abgemeldet und war dort noch gemu­stert worden, erwartete also auch von dort seinen Stellungsbe­fehl. Die Musterung galt für RAD und Wehrmacht (Heer).
Am 1.12.1936 hatte er sich in Freiburg/Br. polizeilich gemeldet, da er ab Okto­ber 1936 von der Gestapo in Düsseldorf/Kleve überwacht wurde. Am 26.12.1936 hatte man die Überwachung für Kleve aufgehoben und für Freiburg/Br. empfoh­len.
[2] In Moers am Niederrhein gab es ein Wehrbezirks­kommando. Dieses Melde­amt war offensichtlich für Kleve zustän­dig.
[3] Maximilian (Max) Gewinner (* 8.2.1901 in Kronach/Oberfranken, † 3.1.1986) – Abitur am Gymnasium in Passau – Theologiestudium in München u. Innsbruck/A – Eintritt ins Prie­sterseminar in Schmochtitz (Diözese Meißen) – Prie­sterweihe 1.2.1931 – Pfarrvikar in Hu­bertusburg u. Oschatz 1934–1938 – Im Seligsprechungsprozeß für Karl Leisner hat er 1981 als Zeuge ausgesagt.

Daß der RAD nicht seine Welt war, läßt Karl Leisner in seinen Tagebuchnotizen durchblicken. Nachfolgend zwei Beispiele:[1]
[1] weitere Beispiele s. LINK zum Rundbrief des IKLK Nr. 39 – Februar 1999: Karl Leisner und der Arbeitsdienst

Karl Leisner, Postkarte an seine Familie:
Arbeitsmann Karl Leisner, Dahlen (Sa) Abt. „Max von Hausen“ 3/157
Familie Wilhelm Leisner, Kleve Niederrhein, Flandri­schestraße 11
Dahlen, Sonntag, 4.4.1937
Ihr Lieben daheim!
[…]
Allmählich lernt man sich an das Äußere gewöh­nen; man lernt die Namen, Abzeichen kennen. Vom Nieder­rhein bin ich hier das einzige Kind. Sonst sind neben den Sachsen, die die Mehrzahl stellen, noch Bayern aus der Landshuter Gegend da.

Dahlen, Dienstag, 13. April 1937
Am Abend (es kann auch morgen oder übermorgen gewesen sein) hal­ten die andern „Saufabend“. Franz S.[1], Walter Fl.[2] und ich – uns wird’s zu doof – wir schlei­chen uns hinter die Kammer mit Klampfe und Schiffer­klavier.[3] – Mondnacht – Jugenderinnerun­gen. Unser Ideal – Freund­­­­­­­­schaft – Singen: Das feinste Erlebnis! Wir drei haben uns beglückt ge­funden. Wir halten eine geistige Linie im Trupp hoch. Die Mistviecherei hört auf! – Das Triumvirat beginnt. Faktum est! [Es ist Tatsache![4]] Voll Freude und innerer glücklicher Erho­benheit legen wir uns zur Ruh’. – Hora erat … [Es war die Stunde – Es wurde Zeit.] – Dank Dir, Herr!
„Ihr lieben Kameraden, wir ziehen in die Welt!
Wir haben Not und allen Schaden für heute weggestellt.
Heute sind wir rot – morgen sind wir tot –
Liebe Kameraden, heute muß es sein.“[5]
[1] Franz Schöndorf (*als Sohn eines Schmiedemeisters 22.1.1918 in St. Ingbert, † an den Folgen einer Infek­tion als Assistent bei einer Operation 9.9.1944 im Reserve-Lazarett in Stettin/Szczecin/PL) – 1937 guter Ka­merad von Karl Leisner im RAD – Gaugraf im ND – zwei Jahre Studium der Theolo­gie in Eich­stätt für den Priesterberuf – Medi­zin­stu­dium mit dem Ziel Hirn­spezialist – Sein Vater wäre wegen einer Äußerung gegen Hitler fast ins KZ Dachau gekommen, wenn sich der Bürgermeister von St. Ingbert nicht für ihn eingesetzt hätte (Auskunft seiner Schwester Agnes Schöndorf-Zemann, St. Ingbert, Koh­lenstr. 24).
[2] Dr. phil. Walter Flämig (* 8.10.1918 in Eilenburg, evangelisch getauft) – Abitur u. RAD 1937 – dort intensiver Kontakt mit Karl Leisner – Soldat im Zweiten Weltkrieg – Einsatz im Polenfeldzug – Verwundung in Rußland – Studium der Germanistik, Geographie u. Phi­lo­sophie in Leipzig 1942–1945 – Staatsexamen 1946 – Oberstufenlehrer am Gymna­sium 1946–1953 – Er erkrankte an Lungen-Tbc, wurde mit einem Pneumothorax behandelt, durfte aber nach seiner Gesundung den Lehrerberuf nicht mehr ausüben. Von 1953–1959 arbeitete er mit zwischenzeitlicher Promotion 1957 als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Leipzig. Anschließend war er bis zur Emeritierung 1983 wissenschaft­li­cher Arbeitsgruppen­leiter an der Akademie der Wissenschaften in Berlin.
[3] Ein Arbeitsmann aus einem anderen Trupp spielte das Schifferklavier.
     (Auskunft von Walter Flämig am 25.5.2008 im Gespräch mit Hans-Karl Seeger)
[4] Walter Flämig aus Leipzig am 12.5.2008 an Hans-Karl Seeger:
Als junger unerfahrener Abiturient war mir die Freundschaft erfahrener Stu­denten besonders wert. Die Gespräche und Diskussionen „hinter der Baracke“ haben mir die öde Zeit im Moor sehr erleichtert. Nach unserer Ent­lassung habe ich keine persönlichen Kontakte mehr gehabt – außer der Todes­nachricht von Franz Schöndorf.
Von der Seligsprechung Karl Leisners erfuhr ich durch die Presse, und ich durfte wohl annehmen, daß es sich um „unseren“ K. L. handelte. Aus der glei­chen Quelle habe ich erfahren, daß Papst Johannes Paul II. Karl Leisner zum Märtyrer erklärte. […]
Daß Karl Leisner angenommen hatte, ich wollte Theologie studieren, mag mit meinem allgemeinem „theologischen Interesse“ zusammenhängen, das ja in unseren gemeinsamen Gesprächen immer wieder deutlich wurde. […] Außer­dem bin ich evangelisch getauft, allein daraus könnte man eine mehr „lutheri­sche“ Einstellung erwarten. Gerade darin sehe ich das „spannende Element“ in unseren Emsland-Diskussionen.
[5] Das entsprechende Lied lautet: „Wir lieben Kameraden, wir ziehen in die Welt!“

Am 5. Juni 1939 kam Karl Leisner wegen seiner Tuberkulose nach St. Blasien ins Lungensanatorium „Fürstabt-Gerbert-Haus“. Als am 1. September 1939 der Krieg ausbrach, wurde er wegen seiner Erkrankung nicht zur Wehrmacht einberufen, wohingegen viele seiner Kursgenossen dieser Einberufung folgen mußten. Als Soldat wäre er sicherlich Sanitäter geworden wie sein Freund Heinrich Tenhumberg.
Wegen seiner Äußerung am 9. November 1939 zum Attentat von Georg Elser auf Adolf Hitler vom 8. November 1939 kam er aus dem Lungensanatorium über die Gefängnisse in Freiburg/Br. und Mannheim sowie das KZ Sachsen­hausen am 14.12.1940 ins KZ Dachau. Dort wieder herauszukommen war gegebenenfalls möglich, wenn der Häftling sich zum Militär meldete. Das versuchte auch Karl Leisner, was ihm aber vermutlich wegen seiner Erkrankung nicht gelang.

Hans Schwarz:
Am 15. Oktober 1944, um 15.00 Uhr, wurde der Lagerschreiber [Hans Schwarz] des Kon­zentra­tionslagers Dachau zum Schutzhaftlagerführer [Friedrich Wilhelm] Ruppert gerufen, der ihm eröffnete, daß eine Mel­dung aus Berlin einge­gangen sei, wonach sich die deutschen Häftlinge zur Wehrmacht oder zur SS melden könn­ten. Gleichzeitig fügte er hinzu, daß jeder wüßte, was er zu tun hätte. […] Am Schluß des Meldetermins um 22.00 Uhr waren es 1116 [von 1308 deut­schen politischen Gefange­nen] sich Meldende.[1]
[1] Schwarz, Hans: Wir haben es nicht gewußt; über das KZ Dachau, (Typoskript) o. J.: o. S.

P. Johann Lenz:
Am 16. Oktober 1944 erging plötzlich zur Abendzeit an alle Deut­schen im Lager [KZ Dachau] die Aufforderung, sich freiwillig zum Militärdienst zu melden. Eine ungeheure Erregung ergriff alle Gefangenen. Es winkte ja die heiß­er­sehnte Freiheit. Zur Überlegung waren nur zwei Stunden Zeit gegeben. Dann mußten die Namen in der poli­tischen Schreibstube abgegeben wer­den.
Von den Nichtpriestern meldeten sich fast alle, vorab die Lagerbon­zen. Sie wurden sämtlich zwangsweise zur SS formiert und wir dadurch von ihnen befreit und erlöst. Von den Priestern – etwa 250 kamen in Frage – meldeten sich vorerst nur einige zur Sanität. Man witterte die Falle der SS. Unter Führung unseres Dekans [Georg Schelling] be­schlos­sen wir alle unter Berufung auf das kirchliche Rechtsbuch, daß wir uns nicht freiwillig melden. Bei Zwang jedoch nur für die Sanität, zum Dienst ohne Waffe. Daraufhin hat man auf uns verzichtet. Unser Ansehen aber war mächtig gestiegen infolge der geschlossenen, mutigen und erfolgrei­chen Abwehr, die aus dem priesterlichen Standesbewußtsein heraus ge­schehen war.[1]
[1] Lenz, Johann: Christus in Dachau oder Christus der Sieger. Ein religiöses Volksbuch und ein kirchen­geschichtliches Zeugnis (mit 100 Bildern). Für Priester und Volk, Wien 61957: 208f.

Franz Doppelfeld[1] wurde am 9. November 1944 vom KZ Dachau mit Lager­kapo Karl Wilhelm[2] aus Stuttgart zur Wehrmacht einge­zo­gen.[3]
[1] Franz Wilhelm Doppelfeld (* 19.7.1905 in Essen-Borbeck, † 21.11.1964) – Priesterweihe 6.8.1929 in Köln – Er kam wegen seiner Predigten am 22.8.1941 ins KZ Dachau und von dort (laut Weiler 1971: 205) am 8.11.1944 zur Wehrmacht. 1950 wurde er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen.
Franz Doppelfeld aus Neuss im Januar 1950 an seine Freunde:
Oktober 1944 konnten sich alle reichsdeutschen politischen Häftlinge freiwillig zur Wehrmacht melden. Der Blockschreiber des Polenblocks 28, auf dem ich seit Sommer 1944 als Kantineneinkäufer arbeitete, meldete von sich aus die vier Reichsdeutschen dieses Blocks, da allgemein die Parole ausgegeben worden war (seitens der Häftlings­leitung) „alle melden sich“. Mein Einspruch wurde überhört, auch mein schriftlicher Einspruch, daß ich als römisch-katholischer Geistlicher ohne Erlaubnis des Bischofs mich gar nicht freiwillig melden könnte, wurde nicht beachtet, und so wurde ich mit 194 anderen Dachauer Kameraden am 9.12.1944 im Lager Dachau in SS-Uniform ge­steckt und am 10.12.1944 auf dem Bahnhof Dachau verladen, zur Fahrt in die Slowa­kei, wo ein „Bataillon politischer Häftlinge“ aus verschiedenen Konzentrationsla­gern zu­sammengestellt wurde.
Josef Vogt am 23.7.1975 an Heinz Römer in Haardt:
Franz Doppelfeld war Blockschreiber in einem anderen Block und ließ sich in die Liste der Soldatenanwärter aufnehmen, was nachher nicht mehr rückgängig zu machen war (Original im Bistumsarchiv Speyer, Nachlaß Römer Nr. 65).
[2] Karl Wilhelm (* 21.5.1912 in Stuttgart, † gefallen 12.2.1945 bei Kulm/Chełmno/PL) – Stuttgart – Der konfessionslose Mechaniker kam am 15.11.1937 ins KZ Dachau, bekam die Häftlings-Nr. 13029, war Lagerkapo und wurde am 10.11.1944 zur Wehrmacht ent­las­sen.
[3] s. Stimmen von Dachau, Juni 1947 – Nr. 6: 22, s. auch: Stimmen von Dachau, Oktober 1947 – Nr. 10: 38

Karl Leisner aus Dachau am 21. Mai 1944 an seine Familie in Kleve:
Und jetzt möchte ich Dir, lieber Va­ter, eine prächtige Nach­richt auf den Namenstagstisch legen: Mein Wehrbe­zirkskommando Mann­heim hat mich angefordert[1], und ich wäre wahrschein­lich sogar schon im Wehr­dienst, wenn unser Chefarzt hier mich [am 11.5.1944] hätte tauglich schrei­ben kön­nen. Das ging aber zu mei­nem größten Schmerz noch nicht auf Grund meines der­zeitigen Krankheits­befundes. Ich will nun aber auf jeden Fall und bald­mög­lichst zur Wehr­macht.[2] Deshalb möchte ich Dich bitten, in Mann­heim beim Chef und beim Stabsarzt zwecks folgenden Vorschlags, wenn möglich persön­lich, vorstellig zu werden: Urlaub bzw. Entlassung in ein (Privat)-Sanatorium bis zum Ein­tritt in die Wehrmacht zu erwirken.[3] Das ist nötig, weil ich – wie ich ja schon öfter schrieb – dies rauhe, sehr wetterwen­dische und manchmal neb­lig-moorige Dachauer Klima nicht vertragen kann. Ich brauchte ein ausge­spro­chenes Heilklima, etwa Schwarzwald, und ich wäre in drei bis vier Monaten so weit. Neben der Luft- würde ja auch die Kost- und Umstände­veränderung die gründliche Heilung beschleunigen. Das hiesige Klima kennst Du ja aus eigener Anschauung von Deinen Übungen, die Du hier mit den „Leibern“ [dem Infanterie-Leibre­giment] 1911 machtest, Vater.[4] Für die Kosten, etwa 1.000,00 RM, müßtest Du Dich natürlich der Wehr­macht gegenüber verbürgen, aber das wäre ja das we­nigste, wenn die Sache klappte. Junge, das wäre Sache, endlich die Erfül­lung meines Wun­sches, dorthin als junger Geistlicher zu kommen, wo all meine Kamera­den sind. Ich bitte Dich, Vater, als alten Offizier von 1914–18, tu Deinem Jungen diesen gro­ßen Dienst, ich werde es Dir danken. Alle anderen Organe, Blut und Gesamtkonstitution sind tadellos. Deshalb ist Heilung möglich genau wie [19]39, wo ich viel schlechter war, und mich so staunens­wert schnell und gut in St. Blasien erholte. Professor [Dr. Alexan­der] Theben – Münster und mein damaliges Sanatorium können ja Auskunft geben. Bitte, handle schnell.
[1] Vermutlich lag die Zuständigkeit in Mannheim auf Grund von Karl Leisners dortiger Gefängnishaft (15.2. bis 16.3.1940).
P. Otto Pies SJ am 22.7.1944 an [seine Schwester] Hanna Wieland:
Mannheim müßte bald Ver­setzung errei­chen d. h. Erho­lungs­urlaub, sonst weiß er [Karl Leisner] keinen Rat mehr, da seine eigenen Mittel und Möglich­keiten sehr be­schränkt sind (Seeger, Hans-Karl / Latzel, Gabriele / Bockholt, Christa (Hgg.): Otto Pies und Karl Leisner. Freundschaft in der Hölle des KZ Dachau, Sprockhövel/ Dommershausen 2007: 389f.)
[2] Zu gleichem Tatbestand nahm Arnold Mente in ei­nem Brief aus Frank­reich vom 8.7.1944 Stellung:
Fein, daß Karl vielleicht seinem Verein den Ab­schied geben kann.
Heinrich Tenhumberg hatte ihm von Karl Leisners Vor­haben ge­schrieben. Auffällig ist die vor­sich­tige, etwas verschleierte Ausdrucks­weise; denn auch Soldaten­briefe wurden bisweilen geöff­net und zensiert.
Es war nicht ungewöhnlich, daß auch dem Nationalsozialismus gegenüber abge­neigte Personen sich zur Wehrmacht meldeten, um der Gestapo und der SS zu entgehen. Ab­solute Sicherheit bot dieses Unterfangen jedoch auch nicht, wie z. B. das Schicksal von Franz Doppelfeld bezeugt.
[3] Brief von Vater Wilhelm Leisner vom 18.6.1944 an die Gestapo, Abtei­lung Schutzhaft­ange­le­gen­heiten in Berlin, Prinz Albrechtstraße 8
Ich bitte die Geheime Staatspolizei, meinen Sohn Karl, geboren 28. Februar 1915 zu Rees, Gef. No 22356 Dachau aus dem Konzentrations­la­ger Dachau zu entlassen und zum Dienst in der Wehrmacht freizugeben.
Durch eine Kur von drei Monaten in einem Sanatorium auf meine Ko­sten soll sein Lungenleiden ausgeheilt werden und seine Tauglichkeit für den Wehrdienst erreicht werden. In der Anlage füge ich einen Brief mei­nes Sohnes Karl vom 23.[21.] Mai 1944 über seinen Gesundheitszustand bei.
Am 2. Juni 1944 war ich persönlich beim Kommandeur des Wehrbe­zirks­kommandos Mannheim, der mich an die Leitstelle der Gestapo nach Karlsruhe verwies. Dort wurde mir am 3. Juni erklärt, daß die Entlassung meines Sohnes in Aussicht gestellt sei und zur Entscheidung in Berlin vorliege.
Da ich auf meine Gesuche vom 30.12.1943, 16.4.1944 und 10.5.1944 kei­nen Bescheid erhielt und diese durch Feindeinwirkung in Verlust geraten sein können, erneuere ich meine Gesuche um Freigabe meines Sohnes Karl zum aktiven Wehrdienst und bitte die Geheime Staatspolizei die­sem Gesuch stattzugeben.
Abschriften meiner Gesuche füge ich anliegend bei.
Leisner
Anlagen:
1. Brief meines Sohnes vom 21.5.1944.
2. Gesuch vom 30.12.1943 bzw. 16.4.1944.
3. Gesuch vom 10.5.1944.
[4] Vater Wilhelm Leisner hatte 1910/1911 seinen Wehrdienst in Bayern abgelei­stet und war teilweise auch während des Ersten Weltkrieges in München stationiert.

Karl Leisner aus Dachau am 22. Juli 1944 an Regens Arnold Francken in Münster:
Im Mai sollte ich zur Wehr­macht, aber es reichte gesund­heitlich nicht.

P. Otto Pies SJ[1] aus Dachau am 4. November 1944 an Willi Leisner in Berlin:
Ich weiß kein Mittel mehr, das Erfolg ver­spricht, außer Luftveränderung. Und dafür müßte noch einmal ein Vorstoß gemacht werden. Entlassung vom Militär ist aus­sichts­los[2], aber Sanatori­umsaufenthalt zur Wieder­her­stellung der Ge­sundheit und zur Erlangung der Wehrdienstfähigkeit hätte vielleicht ein wenig Aussicht auf Erfolg. Das letzte Moment könnte stark betont wer­den, da die Einberufung nur an mangelnder Gesundheit schei­ter­te und er sich selbst mehrmals bewarb.[3] Dazu möchte ich Ihnen folgendes emp­feh­len: Wenn es Ihnen noch mög­lich ist, fahren Sie nach München, besu­chen Sie in Oberhaching bei München Schwester Pia[4], suchen Sie deren Fürsprache zu erlan­gen. Keine Empfehlung vorbringen, nur als Grund angeben, ihr Ruf als mütterliche Helferin gebe Ihnen Ver­trauen, ihre Hilfe anzurufen. Sie hat Einfluß und hat schon mehrmals Erfolg ge­habt. Die vorhandene Wehr­freudigkeit müßte vor allem herausgestellt werden. Hier in der Nähe in Planegg ist eine Lungen-Heilanstalt[, das Waldsa­natorium Planegg]. Auf diese Möglich­keit könnte hingewiesen werden, da wohl St. Bl. [Blasien] kaum in Frage kommt.
Neben dem Gebet weiß ich keinen anderen Weg, der noch Erfolg ver­spricht. Ohne Ortsveränderung wird die Krankheit voraussichtlich lang­sam aber ständig fortschreiten und in absehbarer Zeit in ein gefähr­liches Stadium kommen. Wenn Vater [Wilhelm Leisner] in Ro. [Rothenbuch] sein sollte, könnte er vielleicht den Weg auf sich nehmen und den Ver­such machen. Sonst tun Sie es bitte, wenn möglich bald.
[1] Pater Dr. Johannes Otto Pies SJ (* 26.4.1901 in Arenberg bei Koblenz, † 1.7.1960 in Mainz) – Eintritt in die Gesellschaft Jesu 14.4.1920 – Priesterweihe 27.8.1930 – Am 31.5.1941 wurde er wegen eines Protestes gegen die Klosteraufhebung von der Gestapo verhaftet. Am 2.8.1941 brachte man ihn aus dem Gefängnis in Dresden ins KZ Dachau und am 27.3.1945 wurde er ohne Angabe des Grundes und ohne Be­dingung entlassen. Bereits im KZ und auch nach seiner Entlassung setzte er sich unermüdlich für Karl Leisner ein. Ohne ihn wäre es vermutlich nicht zur Priesterweihe im KZ gekommen.
[2] vermutlich Entlassung aus dem Konzentrationslager oder auch Entlassung aus dem Lager zum Militär
[3] Häftlingskrankenbau Tbc.-Station          K.L. Dachau, den 11. Mai 1944
Bericht
Beurteilung:
Patient atmet durch den Pneumothorax erschwert, fühlt sich aber wohl. Wegen Positivität und erschwertem Atem ist Patient vorläufig nicht ent­lassungsfähig und muß in weiterer Anstaltsbehandlung bleiben.
[4] Eleonore Baur, geb. Mayer, bekannt als Schwester Pia, (* in ärmlichen Verhältnissen 7.9.1885 in Kirch­dorf bei Rosenheim, † 19.5.1981) – Namensgebung Schwester Pia durch die Ver­eini­gung freier Schwestern „Gel­bes Kreuz“ – später „Braune Schwestern“ – Berufs­laufbahn vom Dienstmädchen über Hilfspfle­gerin zur Kran­ken­schwe­ster – Geburt ihres unehelichen Sohnes Wilhelm 1905 – Betreuung des Sohnes durch ihre Stiefmutter – Heirat mit Ludwig Baur 1910 – Adoption des Stiefsohnes Wilhelm – Scheidung 1913 – Mitglied der NSDAP 1920 – glü­hende Ver­ehrerin von Adolf Hitler – Teilnahme am Marsch auf die Feld­herrn­halle in München November 1923 – als einzige Frau Trägerin des legen­dären Blutor­dens – Träge­rin des gol­denen Partei­abzei­chens – Sie erhielt als ein­zige Frau freien Zutritt zum KZ Dachau. Weihnach­ten 1942 ging sie auf den Priesterblock 26 und weckte Hoff­nung auf Entlas­sungen. Die KZ-Häftlinge haben sie jedoch nicht in guter Erinne­rung: Sie wäh­lte beliebig Häftlinge aus, um sie auf ihrem Grundstück in Oberha­ching zu be­schäf­tigen. Dort bewohnte sie ein Haus, das Adolf Hitler ihr geschenkt hatte. Nach Aussagen vieler Häftlinge war sie eine Sadistin und Masochistin mit sexuellen Kom­ple­xen. Nach dem Krieg trat sie wieder in die katholische Kirche ein. Am 26.8.1949 wurde sie von der Hauptspruch­kam­mer in München zu 10 Jahren Arbeitslager ver­urteilt, wo­bei die politische Haft ab 13.7.1945 mit zwei Jah­ren angerechnet wurde. 1950 wurde sie aus ge­sundheitli­chen Gründen entlas­sen.
Als Otto Pies diesen Brief an Willi Leisner geschrieben hat, waren ihm nur die positiven Seiten von Sr. Pia bekannt, von ihrem Mißbrauch der Häftlinge hat er erst Jahre später erfahren.

Heinrich Tenhumberg per Feldpost am 8. Januar 1945 an Karl Leisner in Dachau:
Von Deiner Einberufung zur Wehr­­macht hast Du wohl nichts mehr gehört? Wenn möglich, suche doch zur Marine zu kommen; denn die braucht doch in ihrer Verwaltung so viele schreibkundige Kräfte, so daß Du dort gut einen kräftigen Mann er­setzen könntest, wenn Du selbst nicht k. v. [kriegsverwendungsfähig – k. v. geschrieben = tauglich für jeden Dienst in der Wehr­macht] bist.[1] Ich hoffe immer noch, daß ich Dich bald als Soldaten-Kameraden begrüßen kann. Mensch, gibt das eine Gaudi!
[1] Josef Brink aus dem Osten am 29. Juli 1944 an Heinrich Tenhumberg als Soldat:
Dein Brief vom 22. [? Juni 1944] hat mich in mehrfa­cher Hin­sicht über­rascht: … und Karl Leisner wkl. [wirklich] k. v.. Daran ist doch wohl kaum zu denken! Man befürchtete doch ins Gegenteil.

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Schon in seiner Jugendzeit, vor allem aber während des Zweiten Weltkrieges, hatte auch Karl Leisner zunächst das Bild von „Helden“ für die im Krieg für Volk und Vaterland gefallenen Soldaten vor Augen. Gestärkt wurde dieses noch durch die Formulierungen in Todesanzeigen und auf Totenbildchen.

Münster, Dienstag, 3. Januar 1939
Sonder [ohne] Furcht und Tadel: Ritter Christi von Göttlichem Adel!
Der Teufel ist der gefallene Engel. Corruptio optimi pessima. – Jede Gabe Gottes wird im Abfall von Ihm zu dämonischer Verzerrung und Furcht­bar­keit. – Ähnlich auch ist’s mit der Geschlechtskraft in uns. Sie ist Gottes Gabe, des Urlebendigen. Wehe aber dem, der sie mißbraucht im Abfall von ihrem gottgesetzten Ziel. Als Lust ohne die Last tragen zu wollen! – Darum sind wir berufen, sie zu adeln und ver­wandeln zu priesterlicher, jung­fräulicher Hin­gabe an Christus und Seine Brüder. Nicht unfruchtbarer Verzicht, nein – priesterliches Opfer für das Volk, für seine ewigen Heils­güter und seinen Bestand vor Gott. Wie einst die Helden von Langemarck ihr Blut, Leib und Leben hingegeben im Dienste, im Gehorsam eines höheren, inneren Befehls: für die Gemeinschaft des Volkes.

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Karl Leisner aus Sachsenhausen am 14. April 1940 an seine Familie in Kleve:
Am tiefsten hat mich die Trauerbotschaft vom Tode mei­nes Kame­raden Franz van de Loo ge­troffen. Er fiel als Flieger­held [am 28.2.1940 bei Göppingen] für unser Vaterland, das läßt uns in stolzer Freude an der Bahre unseres jun­gen Helden stehen. Herzliche Teilnahme der Fami­lie.

 

 

 

 

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Karl Leisner aus Sachsenhausen am 7. Juli 1940 an seine Familie in Kleve:
Maria [Leisner], Dir danke ich für die Nachrichten von sell [den] Ru­bys (1000 Grüße nach Radolfzell [an Elisa­beth, Karl und die jüngeren Geschwister Ruby]!) und die Heldentod­nachricht meiner Kamera­den. An unsere Frontsoldaten: die Vettern, Onkels, Freunde und Kameraden immer wieder 1000 Grüße der innigsten Verbun­denheit!

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Karl Leisner aus Sachsenhausen am 28. Juli 1940 an seine Familie in Kleve:
Ich denke täglich an Euch und unsre Heimat, die toten Kameraden und Helden. Der Tod Jupps [Ger­lings, 1940 im Krieg gefallen,] und Hans’ N. [Niermann, am 18.6.1940 in Frank­reich gefallen,] hat mich tief erschüttert.

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Karl Leisner aus Dachau am 26. Juli 1941 an seine Familie in Kleve und an Bern­hard Wormland als Soldat:
An Fa­milie [Joseph] Ruby durfte ich zu Heinz’ Heldentod [am 22.6.1941 in Rußland bei Woroblin am Bug] einen Sonderbrief schreiben. Ich will es noch immer nicht glauben: der feine Heinz. […] Also Heini [Tenhumberg] kommt zu uns in Ferien, das ist aber sauber. Ist er etwa krank, daß er noch nicht gezogen ist?[1] Gute Kle­ver Erholung, Heini!
Grüß Gott, lieber Bernhard!
[…]
Tag für Tag denke ich an Euch alle, meine lieben Kamera­den, die Ihr im Dienst am Rei­che steht in Treue und Opferbe­reitschaft. Schon mancher feine Kerl hat sein Blut geopfert. Aus blutiger Saat wird reiche Frucht wachsen[2], das ist un­sere Hoff­nung und unser tägli­ches Beten. Reich der Jugend, der Deut­schen und Gottes reift heran in treuem Opferdienst. Eueren Heildienst an den Kame­ra­den wird Gott be­sonders segnen, indem er ihnen Gesundheit und Gnade schenkt. In Treue und Liebe wünsche ich Dir und allen Schutz und Kraft. Allzeit bereit!
Dein Karl L.

[1] Heinrich Tenhumberg wurde 1942 eingezogen.
[2] Semen est sanguis Christianorum – Samen [neuer Christen] ist das Blut der Christen [der Martyrer] (Tertullian, Apologeticum 50 in: Tertullian Bd. II 1915: 182)

 

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Karl Leisner aus Dachau am 9. Dezember 1941 an Walter Vinnenberg in Emmerich[1]:
Lieber Walter!
Von daheim schrieb meine Mutter mir vom Heldentod Deines einzigen lie­ben Bruders Heinz [am 16.9.1941] vor Kiew. Mit Dir, Dei­ner lieben Mut­ter [Maria] und Dei­nen Schwestern [Hilde, Else und Maria] teile ich in herz­licher Anteil­nahme den Schmerz um Euren teuren Toten, der zu früh seinem Vater [Ludwig, gestorben am 19.7.1939,] folgen mußte. Jedesmal, wenn ich vom Heldentod eines Kameraden höre, steht vor mir das Flamenkreuz von Dixmu­de [Diksmuide], auf dessen Eingangs­tor Cyriel Ver­schaeve das Wort prägen ließ: „Hier ruhn ihre Leiber gleich Saaten im Sand; hoff’ auf die Ernte, mein Va­terland!“[2] Euer Gebet und Dein priesterli­ches Opfer zumal werden ihn sicher zum Herrn geleiten. Auch ich will mich ihm beson­ders in der Zeit des Advents anschließen. So wird es dieses Jahr eine stille Weihnacht bei Euch sein.

[1] Walter Vinnenberg war ab 1.5.1939 an den Ober­schulen in Emmerich am Rhein tätig.
[2] Originaltext:
Hier liggen hun lijken als zaden in ’zand, hoop op de oogst o Vlaanderland. – Hier liegen ihre Lei­chen wie Saat im Sand, hoffend auf eine Ernte, o Flan­dernland.

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Karl Leisner aus Dachau am 25. Januar 1942 an seine Familie in Kleve:
Auch Familie [Heinrich] Peters [mein Beileid] zu Jans Helden­ster­ben [am 2.10.1941 in Rußland].

 

 

 

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Karl Leisner aus Dachau am 20. Februar 1942 an seine Familie in Kleve:
Bernhards [Ruby] Heldentod [am 29.12.1941 in Feodosia/Krim] erfuhr ich am Montag zunächst aus der „Köl­nischen Zeitung“.[1] Am Dienstag erhielt ich aus Freiburg/Br. die Anzeige.[2] Kon­doliert bitte auch in meinem Namen mit, da ich diesmal keinen besonde­ren Brief [Sonderbrief] schreiben kann. […] Bernhards Tod hat mich tief bewegt. Welch herrliches Sterben als guter Hirt![3] So leben­dig steht er mir vor der Seele, daß ich’s noch gar nicht fassen kann. Am 28.12.1939 brachte er mir den Primiz­segen zur Johanniterstraße [ins Gefängnis in Frei­burg/Br.] – und das sollte unsere letzte Begegnung sein.
[1] Mutter Elisabeth Ruby, gebürtig aus Lückerath in der Eifel, hatte dort viel Ver­wandtschaft, bei der ihre Kinder oft die Ferien verbrachten. Daher stand die An­zeige auch im Sonntagsblatt der Kölnischen Zeitung vom 15.2.1942.
[2] Todesanzeige:
In der Weihnachtsoktav 1941 rief der Herr über Leben und Tod unseren lie­ben Sohn und Bruder, den Priester Bernhard Ruby, Sanitätssoldat, zuletzt Vikar in St. Georgen Schwarzwald zu sich in sein himmlisches Reich im Alter von 26 Jahren. Im dritten Jahr seines Priestertums folgte er seinem vor sechs Monaten ebenfalls im Osten gefallenen jüngeren Bruder Heinz „als leuchten­des Beispiel über den Tod hinaus“ in die Ewigkeit nach. Als guter Hirte harrte er im Lazarett aus freiem Entschluß bei den ihm anvertrauten schwerver­wun­deten Kameraden bis zum Ende aus. Wir empfehlen seine Seele dem Gebet und treuen Gedenken seiner Mitbrüder und Freunde.
Die Eltern: Dr. Joseph Ruby u. Elisabeth geb. Poensgen, die Geschwister Karl, Vikar in Radolfzell, Elisabeth, Gertrud, Johannes, Uffz., z. Z. im Felde, Frater Josef Basilius in Abtei Maria-Laach, Franz, cand. theol., Heribert, Peter, Rudolf, Maria.
Freiburg i. Br. (Neumattenstr. 18), den 10. Februar 1942.
[3]    Als die Russen vom Schwarzen Meer her Feodosia angrif­fen, bekamen die Solda­ten und die Sanitäter den Befehl sich zurückzuziehen. Die Verwunde­ten, beson­ders die Beinamputierten, mußten blei­ben. Als Bernhard Ruby ihre Ver­zweif­­lung sah, sagte er: „Ich bleibe bei euch!“ Nach der Rückeroberung war er verschwun­den. Höchstwahrscheinlich ist er am 29.12.1941 ums Leben gekom­men. Er soll das Heilige Öl für die Krankensalbung bei sich getra­gen und noch man­chem Kameraden in seiner letz­ten Stunde priesterlich beigestan­den haben.

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Karl Leisner aus Dachau am 23. Januar 1943 an seine Familie in Kleve:
Ein Brief vom 16.[1.1943] brachte mir viel Freud’ und Leid. Familien Lode­wicks und van Lier bitte mein Beileid.[1]
[1] Aus den Familien Lodewicks und van Lier hatten 1934 Jungen am Groes­beek-Lager teilgenommen. Hans van Lier war am 1.1.1943 am Ilmensee gefallen.

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Karl Leisner aus Dachau am 16. Oktober 1943 an seine Familie in Kleve:
An Familie [Theodor] Janßen [Triftstraße 103] zu Johannes’ Hel­dentod [am 31.8.1943] mein herzliches Beileid.

 

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Karl Leisner aus Dachau am 27. November 1943 an seine Fami­lie in Kleve:
Am 8.12. ist unser lieber Franz Peiffer vier Jahre tot. An seine liebe Frau [Maria] und Geschwi­ster [Maria, Sophie, Elisabeth, Ottilie und Agnes] sowie Kinder – Urban vor allem[1] Grüße treuen Geden­kens und frohe Weihnachten und Neu­jahr.
[1] Urban Pfeiffer war bereits am 17.11.1943 gefallen. Seine Post (vermutlich Feld­post) zum Namenstag am 4.11. erreichte Karl Leisner nach dem 17.11.
Willi Leisner aus Berlin am 10.12.1943 an Franziska Sauer in Würzburg:
Es galt, den Kameraden der [Sturm-]Schar Briefe ins Feld zu schicken, heim­zuschreiben und zum Heldentod eines feinen Jungmanns [Urban Peiffer], den ich in der Gruppe hatte und [der] auf der Insel Leros fiel, zu kondolieren.

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Hermann Scheipers aus Ochtrup am 29.12.2006 an Hans-Karl Seeger:
Ich kann mich erinnern, daß wir damals [1943] an den Todesanzeigen den schwin­denden Glauben an den „Endsieg“ auch in Parteikreisen registriert haben. Denn statt des üblichen „In stolzer Trauer“ lautete die Unterschrift in den letzten Monaten vor Kriegsende mehr und mehr „In namenlosem Schmerz“.

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Hümmeler, Hans
Helden und Heilige. Die Geschichte ihres wahren Lebens, dargestellt für jeden Tag des Jahres, 2 Bde. Religiöse Schriften­reihe 9. Band, Band 3 der Jahres­reihe 1933, Verlag der Buchgemeinde Bonn 1933

Hans Hümmeler im Vorwort:
Der heldische Gedanke, das Sichtbarmachen und Hineintragen eines großen Vorbildes in unser Alltagsleben, hat in unsern Tagen erhöhte Bedeutung gewonnen – nicht nur für die drängende Jugend. Unter den Menschen aber, die sich ein Anrecht erworben haben, verehrungswürdig genannt zu werden, nimmt der religiöse Held, der Heilige, eine Sonder- und Vorrangstellung ein, weil er über sich selbst hinausweist auf die ewigen Kräfte und Wahrheiten, aus denen Einzelne und aus denen ein Volk lebt. So mag es berechtigt erscheinen, in einer Zeit des Umbruchs den Heiligenlegenden älterer Prägung ein neues Werk, eine neue Formung zur Seite zu stellen, die weder früher Geschaffenes verdrängen, noch eine endgültige Lösung vorgeben will.
[…]
Düsseldorf, im September 1933                           Hans Hümmeler

Kleve, Samstag, 25. Dezember 1937, Weihnachten
Fein! Dann die Verteilung der Gaben. Alle mitnander ha­ben große Freud’. Mutter bekam ein Löffel-Komplet [einen Satz verschiedener Löffel] für die Küche, Vater „Helden und Heilige“ von Hümmeler (in zweibändiger Geschenkaus­gabe) – und den Jungenkalender [Jungmannskalender 1938] für alle.

Donnerstag, 2. März 1939
[Eugenio] Cardinal Pacelli ist zum Papst Pius XII. gewählt worden. Deo gratias! Herr, bewahre, führe ihn zum Heile Deiner Weltkirche, und zum besonderen Heile in der deutschen Not! Erwecke uns Heilige und Helden, Herr und Gott! – Jubelnd klingen die Glocken von Dom und Über­was­ser[-Kirche]. Te Deum laudamus! Die Tränen der Freude kommen mir. Vor­her hatten wir vom heiligmäßigen Regensburger Bischof und Regens [Georg Michael] Wittmann ([gestorben] 1833) in Erb „Lebendi­ges Christentum“[1] gelesen. (Wie er in der Vorlesung für einen armen Bub sorgte, wie er seine Seminaristen zur Ehrfurcht vor dem Brot erzog.)[2]
Herrgott, ich glaube, ich beuge in Demut mein Haupt vor Dir, vor Christus, Deinem Sohn, unserm Erlöser, und ich wünsche nichts sehnlicher, als mich Deiner Kirche in Freiheit, Dankbarkeit und reiner Liebe schenken zu dür­fen.

[1] Erb, Alfons: Gelebtes Christentum. Charakterbilder aus dem deutschen Katholi­zis­­mus des 19. Jahrhunderts, Freiburg 1938: 81–94 (zit. Erb 1938)
[2] Alfons Erb:
Einmal, mitten im Winter, öffnete sich, während Wittmann eine Vorlesung hielt, die Tür zum Hörsaal, und es erschien ein kleiner Junge, mit einigen Lumpen be­deckt, zitternd vor Kälte, und bat den „Vater Regens“ um Klei­dung. Wittmann stutzte einen Augenblick, unterbrach dann seine Vorlesung, stieg vom Katheder herab, nahm das Knäblein an die Hand und führte es auf sein Zimmer, wo er es – er hatte immer alles Mögliche bereitliegen – voll­ständig einkleidete. Nach einer Weile erschien der Professor mit dem Jungen wieder im Hörsaal, stieg aufs Ka­theder und setzte seine Vorlesung fort – vor weinenden Theologiestudenten. Diese Vorlesung gehört sicherlich zu den be­sten Vorlesungen, die je ein Professor über die Lehre des Christentums ge­halten hat.
Wie der Regens Wittmann auch sonst die Theologen auf die ergreifend­ste We­ise zu erziehen wußte, zeigt ein anderer Vorfall im Seminar. Da hatten einige der jungen Herren bei Tisch aus dem Brot die Weichteile herausge­klaubt und nur die knusprigen Kanten verspeist. Bei der nächsten Mahlzeit stellte Wittmann ein Kruzifix auf den Tisch, daneben zwei brennende Kerzen. Dann nahm er das ver­achtete Brot, legte es unter das Kruzifix und sprach: „O du liebes Brot! O du lie­bes tägliches Brot! Ist ein schlimmes Zeichen, wenn in einem Hause mit dem lie­ben Brot so übel verfahren wird …“ (Erb  1938: 85).

Mit einem Birkenkreuz hat Karl Leisner sein Zimmer in Münster zu Beginn seines Theologiestudiums geschmückt, und ein Birkenkreuz stand auf seinem Grab auf dem Heimatfriedhof in Kleve. Im Krieg war es üblich, gefallenen Soldaten ein Birkenkreuz aufs Grab zu stellen, mei­stens ge­krönt mit einem Stahlhelm. Karl Leisner war ein Soldat Christi, gestorben im Kampf für ihn und sein Reich. Auf der Grabtafel am Bir­kenkreuz wurde Karl Leisner dort, wo sonst der militärische Rang des Soldaten steht, als Neupriester tituliert. Im Himmel trägt er als Seliger die Palme der Martyrer.

 

 

Die katholische Kirche hat Karl Leisner am 23. Juni 1996 seliggesprochen; somit gehört er zu den „Helden und Heiligen“.

Siehe Aktuelles vom 22. Juni 2016 – Seligsprechung Karl Leisners vor 20 Jahren.

Die F.A.Z. vom 15. Oktober 2016 brachte unter FRAKTUR auf Seite 2 unter der Überschrift „Verdienstkreuz am Kabelbinder“ eine Glosse von Berthold Kohler zum Thema „Helden“.
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DIE  ZEIT vom 5. Januar 2017 brachte einen Artikel  von Sabine Rückert unter der Überschrift: „Die Lüge vom perfekten Helden. Vorbilder sollen integer und unfehlbar sein. Das ist falsch. Denn jeder kann zum Vorbild werden.“
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Unter der Überschrift „Iran schafft sich einen Helden – Mohsen Hojaji zog freiwillig in den Krieg nach Syrien. Dort wurde er vom IS geköpft. In seiner Heimat wird er nun als ‚Märtyrer’ verehrt. Das nützt dem Regime.“ berichtete Friederike Böge in der F.A.Z. vom 2. Oktober 2017, was wir heute unter Helden verstehen können.
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Quelle der Fotos: IKLK-Archiv