Zum Tod von Jean Kammerer

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Jean Kammerer (* 31. Dezember 1918 in Thann/Haut-Rhin/F, † 21. Januar 2013) – Priesterweihe 24. Juni 1943 in Lyon/Rhône (Basilika Notre-Dame de Fourvière durch Msgr Joseph-Jean Heintz [1886–1958], Bischof von Metz/Moselle [1938–1958]) – Er kam am 29. Oktober 1944 ins KZ Dachau, wurde am 29. April 1945 be­freit und verließ das Lager am 18. Mai 1945. Später lebte er in der Pfarrei Saint-Jacques du Haut-Pas in Paris.

Erst jetzt haben wir vom Tod des französischen KZ-Priesters erfahren.

Bei der Feier des 60. Jahrestages der Priesterweihe Karl Leisners in der Kirche Heilig Kreuz in Dachau Ost hielt er folgende Ansprache:
Karl Leisners Priesterweihe hat mich sehr geprägt, denn ich war gerade ein Jahr Priester, als ich ver­haftet und deportiert wurde. Es gibt eine Gemein­samkeit zwischen Karl Leisner und mir: Weder seine noch meine Eltern konnten bei der Weihe anwesend sein. Als ich im Juni 1943 in Lyon ge­weiht wurde, befanden sich meine Eltern im von Deutschland annektierten Elsaß. Für die Diözese Besançon geweiht, wurde ich zum Vikar in Mont­béliard in der Nähe der Schweizer Grenze ernannt. Trotz der Spannungen der Kriegszeit war ich glücklich an dieser ersten Stelle bei einem bemer­kenswerten Pfarrer, in einer sehr reizvollen Ge­meinde.
Meine Verhaftung im Juni 1944 und meine De­portation nach Dachau haben mein Leben plötzlich völlig verändert. Aber diese Prüfung hat während meiner sechzig Dienstjahre Früchte der Gnade getragen.
Karl Leisners Priesterweihe hat mich und, wie ich meine, alle Priester tief ergriffen. Sie fand ei­nige Tage vor Weihnachten statt, und so symboli­sierte sie den spirituellen Widerstand in dieser Welt der Finsternis, in dieser Nacht, in dieser langen Nacht des Lebens im Konzentrationslager. Sie war ein Licht, ein Stern, der die Hoffnung auf die Zu­kunft der Kirche und der Welt bedeutete. Nein, die Finsternis konnte das Licht nicht ersticken, im Gegenteil, die Hoffnung, die Christus uns durch seine Geburt in Bethlehem gebracht hat, sollte über alles Böse siegen.
Karl Leisner hat sein leidvolles Leben als Opfer dargebracht – sein einzig möglicher Dienst! Und so ruft er uns alle auf, deutsche und französische Prie­ster, die Priester Europas und der Welt, all unsere Dienste als Zeichen der Hoffnung für jeden Menschen, ja, für alle Menschen zu leben.

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vorne von links: KZ-Priester Jean Kammerer und Hermann Scheipers, Bischöfe Franz Dietl, Benoît Rivière, Engelbert Siebler, Hippolyte Simon, Friedrich Wetter, Ignacy Jeż, Adrianus van Luyn und Reinhard Lettmann, Diakon Peter Pfister

Jean Kammerer hat vom 3. Dezember 1944 bis 7. März 1945 ein „Journal de bord“ (Logbuch/Bordbuch) mit stich­wortartigen Notizen geführt, das mit dem Titel: La baraque des prêtres à Dachau [Die Baracke der Priester im KZ Dachau], Paris 1995, veröffentlich wurde. Eine Kopie seines Tagebuches aus dem KZ Dachau hat er dem IKLK zur Verfügung gestellt. Zahlreiche Zitate daraus sind vor allem im „Rundbrief des IKLK Nr. 50 – Februar 2005: Dachau-Altar“ veröffentlicht. Die Notizen enden wie folgt:
An diesem Datum [7.3.1945] endet dieses „Tagebuch“ auf Grund einer Durchsuchung durch die SS in der Nacht vom 7. auf den 8. März. Das Tagebuch, das ich gut versteckt hatte, konnte ich retten, hielt es aber für klü­ger, es in seinem Versteck (im Inneren meines Strohsacks) zu lassen und es erst bei der Befreiung wieder herauszuholen.[1]

[1] persönlicher Zusatz von Jean Kammerer unter der für den IKLK angefertigten Transkription seiner stichpunktartigen Tagebuchnotizen

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Aus Jean Kammerers Buch „La baraque des prêtres à Dachau“:
Sonntags wurden im Laufe des Vormittags meh­rere Messen gefeiert. Eine davon war ein Hoch­amt mit Predigt[1], feierlichem Gesang, Weih­rauch usw. Nachmittags um 15.00 Uhr wurde eine letzte Messe gefeiert, dann wurde die Ka­pelle den Protestanten überlassen. Für die da­malige Zeit eine lobenswerte Bemühung um Ökumene. Es gab immerhin etwa 60 Pastöre (Deutsche, Holländer und einen Schweizer[2]) un­ter uns.[3]

[1] Ab Januar 1943 war die Sonntagspredigt offiziell ge­stattet. Siehe: Lenz, Johann: Christus in Dachau oder Christus der Sieger. Ein religiöses Volksbuch und ein kirchen­geschichtliches Zeugnis (mit 100 Bildern). Für Priester und Volk, Wien 61957: 266
[2] Laut Weiler, Eugen: Die Geistlichen in Dachau sowie in anderen Konzentrationslagern und in Gefängnissen. Nachlaß von Pfarrer Emil Thoma, Mödling 1971: 47 waren es 5 Dänen, 34 Deutsche, 3 Franzosen, 24 Holländer, 1 Litauer, 1 Norweger, 27 Polen, 2 Schweizer, 40 Tschechen und 1 Staatenloser.
[3] Kammerer 1995: 102

Bis zur Ankunft von Mgr [Gabriel] Piguet [am 6./7. September 1944] haben die Deutschen das Privileg für das Hochamt behalten. Dann mußte man wohl dem einzigen im Lager anwesenden Bischof den Vorsitz überlassen. Nach und nach wurde den Franzosen erlaubt, eine Messe während der Woche zu feiern – im Prinzip in der Reihenfolge ihrer Ankunft im La­ger. Ich habe also nie zele­briert! Aber am 30. November [1944] konnte André Schumacher an seinem Namenstag die Werktagsmesse fei­ern. Die Priester der Diözese Besançon waren sehr stolz darauf, und an dem Tag konnten wir nach unserem gemeinsamen Gebet einige Sü­ßigkei­ten teilen. Diese Werk­tagsmesse fand sehr früh morgens statt: eine notwendige Bedin­gung; denn man stand vor 5.00 Uhr auf, um um 5.20 Uhr vor dem Früh­stück und dem Appell daran teilzunehmen. Das war auch „Die Ehre der Frei­heit“, um den schönen Titel aufzuneh­men, den Jacques Som­met seinem ersten Buch gege­ben hat.[1]
Der Druck der französischen Priester, die die Zahl von einhundert überstiegen, hatte die deut­schen Priester ab Anfang 1944 veranlaßt, die Kapelle diskret für Laien zur Sonntagsmesse zu öffnen. Die SS schien die Augen zu schließen. Um eine angemessene Zahl zu wahren, wurde in der Mitte der Woche durch Mundpropaganda ein lateinisches Paßwort bekanntgegeben, und jeder konnte zwei oder drei Laien davon in Kenntnis setzen, so daß sie an der Messe des kommenden Sonntags teilnehmen konnten. Ein Numerus Clausus für die Sonntagsmesse, um­gekehrtes Apostolat. Deutsche Priester hielten Wache am Eingang der kleinen Allee, die am Block entlang zum Eingang der Kapelle führte. Ich habe gesehen, wie einer von ihnen Laien, die überzählig waren, mit Fußtritten verjagte. Trauri­ges Schauspiel der unerwarteten Konse­quenzen unseres klerikalen Privilegs![2]

[1] Jacques Som­met, L’honneur de la Liberté, Paris 2000
[2] Kammerer 1995: 102 ff.

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eine Zeichnung der Kapelle von KZ-Seminarist Ferdinand Dupuis[1] im Buch von Jean Kammerer

[1] Ferdinand Dupuis, geboren am 23.3.1922 in Angers. Er kam am 14.7.1944 als Seminarist ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit.

 

Die Kapelle war ein Ort für den unentbehrlichen Rückzug. Das Zusammenleben in Gemeinschaft 24 Stunden am Tag war sehr anstrengend. Es war ein Glück, diesen Ort zu haben, an dem mich niemand stören konnte […], sei es um zu beten, um nachzudenken oder um mich an meine Familie zu erinnern. Es stimmt, daß es anfangs nicht so war: Die deutschen Priester er­zählten, einer von ihnen habe einmal allein vor dem Tabernakel gekniet; ein SS-Mann sei ein­getreten, habe sich auf ihn gestürzt, ihn ge­schlagen und gezwungen, vor ihm niederzu­knien.
Oft hat man mich gefragt, ob uns Latein nicht als gemeinsame Sprache diente. Oh nein! Mit Aus­nahme einiger Ausdrücke. Diejeni­gen, die sich am besten des Lateinischen als ei­ner lebendi­gen Sprache bedienen konnten, wa­ren zweifel­los die Polen, aber ihr slawischer Ak­zent ließ dieses Latein schwer verstehen. Die Deutschen waren gut bis mittelmäßig und die Franzosen mit Ausnahme von Abbé Belloc [Jean Gabriel Hon­det] so­zusagen Null. Ich spreche nur von den in Da­chau inhaftierten Priestern.[1]

[1] Kammerer 1995: 110

Weihnachten [1944] steht vor der Tür
Schon am 1. Adventssonntag, dem 3. Dezem­ber [1944], habe ich – nicht in der Kapelle, sondern in der Stube – einen musikali­schen Abend mit Ad­ventsliedern aus 13 Natio­nen notiert. Dann um den 8. Dezember drei auf­einanderfolgende Abende mit Anbetung vor dem Allerheiligsten mit abwechselnden deutschen, slawischen und französischen Gesängen. Am 24. wurde die Christmette um 17.00 Uhr zele­briert, aber der Heiligabend verlängerte sich mit Weihnachtslie­dern in allen Sprachen bis 22.00 Uhr. Das Hochamt am Weihnachtstag wird na­türlich von Mgr [Gabriel] Piguet zelebriert mit polyphonen Gesängen. Am Sonntag, dem 31., wird ein Geistliches Kon­zert in der Kapelle gegeben mit Solisten und Chor und dann ein Terzett mit Violine, Bratsche und Flöte.[1]

[1] Kammerer 1995: 108

Die Gebetswoche für die Einheit (18. bis 25. Ja­nuar [1945])
Die Anwesenheit orthodoxer Priester (eine ge­ringe Zahl[1]) und protestantischer Pfarrer konnte die Gestaltung der Gebetswoche nur be­günstigen. Ich habe ihre Eröffnung am Abend des 17. mit der Predigt eines tschechischen Priesters (vermutlich in Latein) notiert.
Am 19. führt uns ein Vortrag ein in die Litur­gie der griechisch-orthodoxen Vesper, die an­schlie­ßend gesungen wird.
Am 20. Einführung in die allen orientalischen, orthodoxen und unierten Riten gemeinsame Li­turgie des heiligen Johannes Chrysostomus.
Der Schweizer Pastor [Aimé] Bornand hält uns am 23. einen Vortrag über den französi­schen Prote­stantismus. Es scheint aber kein gemein­sames Gebet statt­gefunden zu haben. Die Zeit war nicht reif. Im­merhin erlaubte die wechselsei­tige Informa­tion, einander besser zu verstehen und die Zu­kunft vorzubereiten.[2]

[1] Laut Weiler S. 46 f. waren 0,8% der Geistlichen im KZ Dachau orthodox, was insgesamt 22 Personen ausmacht.
[2] Kammerer 1995: 109 f.

Freitag, 5. Januar [1945], 18.00 Uhr Hochamt zum Fest Epiphanie.
Sonntag, 7. Januar, deutsche Predigt von [Johann] Seelig über die drei Geschenke der Heiligen Drei Kö­nige.[1]

[1] Kammerer 1995: 124

Die Heilige Woche [1945]
Die Heilige Woche Ende März wurde einfach gefeiert, ebenso wie die schöne feierliche Messe am Osterfest, dem 1. April: Abbé Belloc hielt uns eine wunderbare Predigt auf Latein ohne Manuskript von ungefähr einer halben Stunde. Sehr bezeichnend![1]

[1] Kammerer 1995: 110

Wir verdanken Jean Kammerer viele wertvolle Auskünfte u. a. auch für die Lebens-Chronik Karl Leisners und werden ihn so in lebhafter Erinnerung behalten.

Todesanzeige in Frankreich:

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