In der Krypta des Xantener Domes ruhen die Martyrer vom Anfang des 4. Jahrhunderts, die das Christentum an den Niederrhein gebracht haben, und Martyrer unserer Zeit, die sich aus christlicher Überzeugung gegen den Nationalsozialismus gestellt haben. Einer von ihnen ist Karl Leisner. Schon als junger Mensch erkannte er die Notwendigkeit, die Menschen in Europa wieder zu Christus zu führen:
Samstag, 23. April 1938
Ich bin erschlagen. – Ich finde bei ihm, was ich irgendwie alles schon einmal mir erspürt habe aus dem Geschehen der Zeit. – Christus, das Geheimnis der Kraft Europas?! Sicher das größte, tiefe und unergründlichste; in Ihm gründen alle andern. – Ich bin niedergekniet und hab’ Gott gedankt und Ihn gebeten in ernstem Gebet, mir den rechten Platz in dem großen Zusammenhang der Dinge zu geben. – Alles ist Gnade und Berufung.– Wohin will er mich? Was ist meine letzte Wesensbestimmtheit? Hier auf Erden natürlich – ich meine, was für eine Aufgabe habe ich zu lösen? – Ich fühle große Kraft in mir und sehe unendliche Möglichkeiten. – Herr, wohin Du mich willst, dahin geh’ ich – auch in Nacht und Not und Leid. Ja – – Gib mir Befehl![1]
Diese Gedanken schrieb Karl Leisner, nachdem er zuvor im Collegium Borromaeum in Münster bis tief in die Nacht hinein das Buch „Europa“ von August Winnig gelesen hatte.[2]
Im KZ Dachau erlebte er Europa auf sehr intensive Weise im gemeinsamen Leid. Bei seiner Priesterweihe am 17. Dezember 1944 waren Menschen aus über 20 europäischen Ländern anwesend. Obwohl Deutsche und Franzosen noch gegeneinander Krieg führten, weihte ihn sein Mithäftling, der französische Bischof Gabriel Piguet von Clermont, zum Priester. Die Anwesenheit von Priestern vor allem aus dem sogenannten Ostblock ließ aufleuchten, wie die Menschen in Europa zur Einheit finden könnten.
Noch auf dem Sterbebett im Waldsanatorium Planegg beschäftigte er sich mit Europa.
Samstag, 16. Juni 1945
„Zwischendurch schaue ich herrliche Bilder aus Dr. Cormans „Europa“-Buch des Atlantisverlages – Zürich.[3] Ich bin auf Fahrt und staune, und freue mich. Nur eins: Du armes Europa, zurück zu Deinem Herrn Jesus Christus! (Dort ist Deine Quelle für das Schönste, was Du trägst.) Zurück zu den frischen Quellen an göttlich, wahrer Kraft!! Heiland, laß mich ein wenig Dir dabei Instrumentum sein, o ich flehe Dich an!“[4]
Wilhelm Wissing:
Karl Leisner berichtete uns in seinen Erzählungen auch vom größeren Deutschland und von Europa. Mit Begeisterung schilderte er seine Fahrten z. B. durch Flandern oder die Schweiz. In einer Zeit, die so nationalistisch verengt war, hat er uns den Blick dafür erhalten, dass die Welt nicht an den Grenzen Deutschlands endet. Er erwanderte Länder des alten Kontinents, und wir konnten nicht genug davon hören. Es entstand sogar so etwas wie Begeisterung für Europa.[5]
Am 8. Oktober 1988 hat Papst Johannes Paul II. Karl Leisner und den Franzosen Marcel Callo 42.000 Jugendlichen aus ganz Europa in Straßburg als Vorbilder vor Augen gestellt.
Auszug aus der Papstrede in Straßburg am 8. Oktober1988 im Stadion Meinau:
4. Ihr verfügt über einen Schatz, über eine kostbare Perle. Ja, Jesus vergleicht das Himmelreich mit einem Menschen, der einen versteckten Schatz entdeckt, und mit einem Perlenhändler. Der Schatz und die Perle werden begehrt und allem anderen vorgezogen. Man hält sich an ihnen fest wie an einem Absoluten und ist bereit, alles andere für sie zu opfern. Sie werden zum Ziel und Beweggrund des Lebens.
Für uns ist Jesus Christus der verborgene Schatz. Er wird vom Glauben entdeckt. Man schließt sich ihm an, angezogen vom Geheimnis seiner Person.
Und auch sein Geist, sein Hauch treibt uns an und gibt uns Kraft. Seine Botschaft fordert uns zum Glauben und zum Handeln auf. Dies ist sein Gesetz. Dies sind die Güter, die Werte seines Reiches. Viele Jugendliche haben von einer solchen Hingabe an Christus Zeugnis abgelegt. Ich denke hierbei an den jungen Franzosen Marcel Callo. Ich denke an den jungen Deutschen Karl Leisner, der, bevor er in das Lager von Dachau geschickt wurde, schrieb: „Das Geheimnis der Kraft Europas ist Christus.“ Liebe Freunde, wie sieht es nun mit eurer Hingabe an Christus aus?
[1] Tagebuch Nr. 23: 75
[2] August Winnig; Europa. Gedanken eines Deutschen; Witten und Berlin 1937
[3] Martin Hürlimann; Europa: Bilder seiner Landschaft und Kultur; Zürich 1943; Einleitung von Carl J. Burckhard
[4] Tagebuch Nr. 27: 24
[5] Wilhelm Wissing, Gott tut nichts als fügen, Erinnerungen an ein Leben in bewegter Zeit. Karl R. Höller (Hg.) Mainz 2001: 32f.